Wohnen in Ikonen

Der eigenwillige Luxus des Hauses Gilliar

Im Wohnraum sind Blumenbeete angelegt.
Im Wohnraum sind Blumenbeete angelegt © Matthias Dell
Von Matthias Dell · 05.01.2018
Als "Chinesenhäusl" ist das Haus Gilliar in Nabburg bekannt. Das Design-Haus wurde vom Architekten Chen Kuen Lee entworfen. Die Sensation des Hauses sind nicht etwa die Blumenbeete im Wohnbereich - einzigartig ist das Dach. Es lässt sich wie bei einem Cabrio öffnen.
"Die Bevölkerung nannte das Chinesenhäusl, auf oberpfälzisch, und die Bevölkerung hier sagt heute noch, das ist ein ganz komischer Bau, also, das möchte hier niemand haben."
Es muss schon reichlich ungewöhnlich gewesen sein, als sich Eduard Gilliar, der humanistisch gesinnte Klinikchef in Nabburg Anfang der sechziger Jahre von dem chinesischen Architekten Chen Kuen Lee sein Wohnhaus bauen ließ. Von der unscheinbaren Vorortstraße aus erschließt sich der eigenwillige Luxus des Gebäudes nicht.
"Dann wurde zur Auflage gemacht nach fünf Jahren hartem Kampf um die Baugenehmigung, dass es dann doch so abgepflanzt werden muss, dass man es von der Straße aus nicht sieht."
Innendrin aber findet man sich dann in einer detektivisch-verzweigten Welt wieder. Die Stephan Gilliar, der Erbe des Hauses, aus der Biografie des Architekten erklärt.
"Chen Kuen Lee kam ja aus einer hochadeligen Familie und ist vor dem langen Marsch noch nach Deutschland geschickt worden vom Vater, um dort Architektur zu studieren, das zentrale chinesische Element war das, dass in der Mitte das Leben stattfindet und dann einzelne Sektoren nach allen Seiten rausgehen. Das rührt daher, dass Chen Kuen Lees Vater mit, ich weiß nicht, sieben oder acht Frauen verheiratet war, da war ein auch zentraler Lebensbereich, und jede Frau mit ihren Kindern hatte einen Abschnitt, der sternförmig nach außen ging. Das hat er immer wieder gebracht, dieses Element, so eine Kindheitserinnerung praktisch von Chen Kuen Lee."

Lee war ein Vertreter des Organischen Bauens

Der Vater von Stephan Gilliar hatte nur eine Ehefrau und zwei Kinder. Weshalb die sternförmige Raumorganisation den Zwecken einer wohlständigen deutschen Familie in den sechziger Jahren folgt.
"Das ganze Haus ist ja ungefähr drei Etagen, obwohl man es als Bungalow wahrnimmt, aber diese oberste Etage war also nur Schlafbereich meiner Eltern, und da unten auf eins, zwei, drei, vier verschiedenen Ebenen die Wohnräume, und dann sternförmig raus: Hier der Kindertrakt, hier das Schwimmbad, unten drunter mit Leiter zu erreichen die Sauna, der Küchentrakt, hier Esszimmer und da ging's dann zur Garage, unten so verteilte sich das dann, und das ganze ist auch noch unterkellert, also sind insgesamt so um die 1.000 qm, die da bewohnbar sind."
Chen Kuen Lee war ein Vertreter des Organischen Bauens. Und Meisterschüler von Hans Scharoun. So lernte er den Designer Günter Ssymmank kennen, der für Scharoun arbeitete. Und für Lee. Was Deja-vu-Effekte bewirkt.
"Ich war mit meinen Kindern mal in der Philharmonie in Berlin, da haben wir ... verschiedene Mozart-Stücke gehört, und dann schauen sie sich so um, und dann sagen sie plötzlich, oh, das sind ja die Lampen von der Oma."

Lampen von der Oma sind Designklassiker

Lampe des Designers Günter Ssymmank - gemeinsam mit Lee für das Haus entworfen.
Lampe des Designers Günter Ssymmank - gemeinsam mit Lee für das Haus entworfen. © Matthias Dell
Die Lampen von der Oma sind ein Designklassiker. Und wegen der Zusammenarbeit von Lee und Ssymmank finden sich die blütenähnlichen Leuchten nicht nur in Scharouns Berliner Philharmonie, sondern auch im Haus Gilliar in der Oberpfalz
"... kann man schön die Blätter wieder zu machen, ich weiß nicht, ob's eingesteckt ist, nee, ist ausgesteckt, müsste aber funktionieren, schauen wir mal ... Also gibt’s in allen Farben, wir haben als Kinder immer Lila und Rot benutzt, und das wird ganz dunkel ...."
Die Leuchten von Ssymmank sind nicht die einzigen Besonderheiten des Mitte der sechziger Jahre erbauten Wohnhauses.
"Hier in der Mitte, das ist auch das einzige Haus, das zwei Blumenbeete mittendrin hat, Sie sehen hier ein großes Blumenbeet mit Riesenfindlingen, und da, der Länge nach, sehen Sie noch mal eins, geht sieben Meter in die Tiefe auf natürlichen Grund."

Blumenbeete im Wohnraum und ein Cabriodach

Und selbst die Blumenbeete in der Wohnlandschaft sind noch nicht die eigentliche Sensation.
"Hier sehen Sie einen Hydraulikzylinder, der mit Öldruck diese drei Streben hier wie 'nen umgekehrten Schirm nach oben öffnen kann. Das ist also das einzige Haus vom Chen Kuen Lee, das ein Dach zum Öffnen hat, sozusagen das Cabrio. Ich kann's Ihnen leider jetzt nicht zeigen, weil Schnee oben ist, dann fällt das alles rein, aber im Sommer ist das ganz toll, dann können Sie hier durchlüften."
Im Innenraum des Haus Gilliar.
Im Innenraum des Haus Gilliar. © Matthias Dell
Das Cabriodach ist selbst unter den Lee-Häusern einzigartig. 2016 fand eine erste Ausstellung zum Werk des Architekten statt. Dort trafen sich auch die Bewohner von verschiedenen seiner Häuser. Worüber redet man da?
"Wie man sich fühlt. Der kleine Lee meinte ja immer, die ganze chinesische Neuphilosophie, die jetzt existiert, dieses Feng Shui, das sei absoluter Blödsinn, hat er immer gesagt. Das ist so für kleine Apartments in München, die teurer verkauft werden müssen, da ist dann das Feng Shui richtig. Da wird dann Zertifikat ausgestellt, dass es nach Feng Shui gebaut ist. Er war ja nun Chinese, da haben sie's erfunden, wenn er ein Haus baut, da ist automatisch Feng Shui, das ist Ordnung."
Über 60 Bauten hat Lee in Deutschland entworfen, darunter fünf Wohnblöcke im Märkischen Viertel in Berlin. 2003 ist er dort verarmt gestorben. Sein Werk wird bleiben wie das Haus Gilliar in Nabburg, das demnächst zum Verkauf steht an Liebhaber. Denn...
"Das ist schon ne Art Ikone der Architektur."
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