Woher nehmen wir die Energie in den nächsten 50 Jahren?

Moderation: Ulrike Thimm · 01.08.2008
Das langfristigste Potenzial für die Energie der Zukunft sieht der Physiker Timon Wehnert vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung Berlin in den erneuerbaren Energien. Darunter werde die Solarenergie die größte Bedeutung haben. Allerdings werde es immer einen Energiemix und keine Patentlösung mit nur einer Energieform geben.
Ulrike Thimm: Timon Wehnert vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung ist jetzt unser Gast im Radiofeuilleton. Schönen guten Tag!

Timon Wehnert: Guten Tag!

Thimm: Herr Wehnert, Kernfusion wäre ja eine unerschöpfliche Energiequelle. Das klingt verlockend. Bloß derzeit stecken wir da viel Energie rein, aber es kommt keine raus. Wie sehen Sie denn die Vision Kernfusion?

Wehnert: Also, das ist in der Tat so, man könnte da sehr viel rausholen, aber es gibt durchaus sehr kritische Aspekte. Ich denke, einen Punkt, den man sehr klar machen muss, ist, dass die Kernfusion im Prinzip ja davon lebt, dass der Treibstoff umsonst, oder sagen wir sehr, sehr billig ist und in großer Menge verfügbar ist, aber das Schwierige ist der Reaktor. Der ist sehr aufwendig zu bauen.

Thimm: Und vor 2050 klappt sowieso nichts. Und das ist ein bisschen spät.

Wehnert: Genau. Es gibt einen sehr langen Zeithorizont, 30, 50 Jahre, und man muss wirklich viele Milliarden Forschungsgelder reinstecken. Wir selber haben eine Befragung dazu gemacht, wo wir 700 Energieexperten in Europa befragt haben. Und die Kernfusion war auch das Thema, was diese Experten am kritischsten sehen, also wo die Meinungen am kontroversesten sind und wo ein hoher Anteil der Experten sagt, man wird das einstellen, bevor man mit der Forschung an einem Punkt ist, wo man sagt, da hat man was.

Thimm: Und so lange können wir auch nicht mehr warten. Wenn wir die Welt denn retten wollen, dann müssen wir in den nächsten Jahrzehnten auf einen klugen Energiemix setzen. Das ist ein Ergebnis einer groß angelegten Studie Ihres Instituts. Derzeit ist das Erdöl immer noch der wichtigste Part. Was sollte an seine Stelle treten?

Wehnert: Also, das Erdöl ist sicherlich der Energieträger, der am sozusagen kurzfristigsten auslaufen wird. Kohle und Gas sind ja wesentlich länger verfügbar. Aber das, wo das größte Potenzial drin ist, und auch wohl ein sehr langfristiges Potenzial drin ist, sind die erneuerbaren Energien, da am meisten die Solarenergie. Und ich denke, wenn man gerade den Zeithorizont 30, 50 Jahre und länger hat, dann wird ein sehr großer Teil, nicht alles, aber ein sehr großer Teil wird sicherlich aus Solarenergie gewonnen werden.

Thimm: Soviel wie heute aus Erdöl?

Wehnert: Durchaus. Gegebenenfalls sogar noch mehr, ja.

Thimm: Welchen Stellenwert hätte denn die umstrittene Atomenergie in Ihrem Energiemix?

Wehnert: Ich denke, also, das war eben auch eine Befragung, und ich denke, dass da die einzelnen Länder sehr unterschiedliche Politiken verfolgen. Es wird Länder geben, die gehen rein in die Kernenergie, es gibt Länder, die gehen raus, dass aber im Mittel, denke ich, global gesehen, die Kernenergie immer einen gewissen Sockel von vielleicht 10 Prozent oder so was der Stromversorgung, global gesehen, leisten können wird.

Thimm: Der Energiemix auf den Sie hoffen oder für den Sie werben mit Ihrem Institut, wie sollte der denn aussehen? Was wäre denn da wie stark vertreten?

Wehnert: Also, das ist sehr stark eine Frage des Zeithorizontes. Man muss einfach sehen, dass, Energie ist ein Sektor, der sich sehr, sehr langsam wandelt und häufig ist es auch enttäuschend, wenn man sieht, dass in zehn, zwanzig Jahren nur sich wenig gewandelt hat. Ich denke aber, dass ein, wirklich ein Großteil, wenn man langfristig guckt, 50 Jahre und mehr wird ein Großteil sicherlich aus den erneuerbaren Energien kommen, deutlich über 50 Prozent, und in den erneuerbaren Energien wird wieder die Solarenergie deutlich die größte Bedeutung haben.

Thimm: Das habe ich verstanden. Jetzt gehen wir aber vom Zeithorizont mal weg und fangen heute an. Wenn wir von heute aus planen, Timon Wehnert, der Energiemix, den Sie sich vorstellen für die nächsten 30 Jahre, nach welchen Kriterien wählen Sie den aus?

Wehnert: Ich denke, auf der einen Seite muss man auf Sachen gucken, die sehr kostengünstig sind. Also, wenn ich, im Bereich erneuerbare Energien sind das momentan Wind- und Biomasse, die sehr schnell verfügbar sind, deshalb werden die auch kurzfristig gepusht. Auf der anderen Seite muss ich Sachen antreiben, die langfristig da sind. Solarenergie, das ist momentan eine Investition in eine Technologie, die mit einem wesentlich längeren Zeithorizont verfügbar sein muss. Ich muss aber immer wirklich beides machen. Ähnlich ist ein Thema, sind Energiespeicher. Das ist beim derzeitigen Stand des Energiesystems noch kein so ein wichtiges Thema, weil wir gerade mit fossilen Energieträgern, die wir gerade zum größeren Teil haben, sind Energiespeicher nicht so wichtig. Sobald wir aber Wind- und Solarenergie als großen Anteil haben, werden Energiespeicher sehr, sehr wichtig. Die sind dann eine Schlüsseltechnologie, die zum einem Durchbruch helfen können, oder nicht.

Thimm: Steckt denn heute zu viel Geld in der Grundlagenforschung und zu wenig in den Anwendungstechnologien, die uns sparen helfen? Denn das scheint ja doch der Schlüssel zu sein für Ihren Energiemix.

Wehnert: Genau. Also, das Eine ist ja die Energie, die man bereitstellt, die Energieversorgung, und das Andere ist die Energie, die man einspart. Und das ist sicherlich das Defizit. Das hat die Politik in den letzten Jahren deutlich aufgegriffen, das war vor drei, vier Jahren anders. Aber trotzdem muss man das noch wesentlich mehr intensivieren. Also das Energiesparen, energieeffizientere Autos, Häuser, Fabriken, das muss man noch wesentlich stärker vorantreiben, als das derzeit der Fall ist. Sonst kommen wir mit keiner Energieversorgung hinterher.

Thimm: Und Sie neiden den großen Kernfusionsplänen ein bisschen das Geld, höre ich heraus.

Wehnert: Das ist so eine Frage, wo man wie das Geld reinsteckt. Aber die Kernfusion hat natürlich auch immer so die Option, dass es ein Allheilmittel für eine Technologie ist, in die man das ganze Geld reinsteckt. Das klingt natürlich sehr sexy und die kleinen, sozusagen schrittweisen Entwicklungen in den anderen Bereichen, die haben es dann unter Umständen schwer, anständig gefördert zu werden. Aber es geht nicht so sehr auch um eine Forschungsförderung, sondern es geht darum, auch wirklich Rahmenbedingungen zu setzen. Also, wie wir es alltäglich haben. So was wie Pendlerpauschale ist eine Frage, die ist politisch, energiepolitisch ein sehr schweres Thema.

Thimm: 90 Prozent der Bundesbürger, die meinen inzwischen, Klimaschutz ist wichtig. Aber nur 5 Prozent sagen, dass sie selbst etwas wirklich Effektives dafür tun können. Das ist misslich, diese Diskrepanz, aber ist sie so falsch? Wenn wir sparen wie die Weltmeister, Sie sprachen es an, und zugleich 1,3 Milliarden Chinesen auch einen Kühlschrank und eine Waschmaschine möchten, und seien sie Energieeffizienzklasse A mit drei Sternchen, hebt sich das nicht im besten Fall auf?

Wehnert: Also, das Eine denke ich, ist so eine persönliche Wahrnehmung, was kann ich als Einzelner tun. Da habe ich natürlich das Gefühl, ich kann eigentlich nicht so viel tun. Wobei zum Beispiel Fliegen ist ein Thema, wenn man sich mal seine Bilanz anguckt, die CO2-Bilanz, dann kann ich mir mit einer Fernreise meine ganze CO2-Bilanz versauen. Da könnte ich als Einzelner was tun. Auf der anderen Seite, wenn Sie Deutschland versus China sehen, muss man natürlich sagen, da muss Deutschland einfach eine Vorreiterposition einnehmen. Und wenn das Deutschland nicht tut, dann werden Länder wie China oder Indien auch auf keinen Fall folgen.

Thimm: Wir sprechen mit Timon Wehnert vom Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung. Herr Wehnert, die Studie, die Sie mit herausgegeben haben, die sagt, es sei möglich, den Energieverbrauch der heutigen Industrie in gut 20 Jahren um die Hälfte zu reduzieren. Das ist beeindruckend viel. Aber wie kriegen wir die Industrie dazu, dass sie das auch macht?

Wehnert: Relativer Energieverbrauch, sozusagen Energieverbrauch pro Produkt, muss man sagen, ich denke, da ist einfach die Politik gefragt, Rahmenbedingungen einfach zu verändern. Und momentan sind die Rahmenbedingungen, das klingt jetzt vielleicht zynisch, aber durch den hohen, durch die hohen Energiepreise sehr gut, dass die Industrie sich anstrengen wird, effizienter zu arbeiten. Aber das kann die Politik durch weitere Anreize fördern.

Thimm: Andererseits, das Drei-Liter-Auto, als ein Beispiel, das gibt es ja seit vielen, vielen Jahren, wird aber nicht angeboten, weil die Industrie sagt: Das kauft keiner! Und die, die es vielleicht kaufen würden, sagen: Na ja gut, das wird nicht produziert, wie soll ich dazu kommen? Da beißt sich ja die Katze in den Schwanz.

Wehnert: Ich denke, dass wir da einen deutlichen Wandel sehen werden. Und wenn bestimmte Autos, die sagen wir mal vor drei oder vor sieben Jahren auf den Markt gebracht worden sind, wo gesagt worden ist, die kauft keiner, wenn die heute auf den Markt gebracht würden mit einem entsprechenden Marketing im Rücken, dann bin ich mir auch sicher, dann würden sie ganz anders verkauft werden, als noch vor fünf Jahren.

Thimm: Ist die Welt noch zu retten? Das haben wir in diesen Tagen immer wieder gefragt, von faszinierenden Einzelvorschlägen erfahren und von ihren Grenzen. Beispiel: Man könnte für die ganze Menschheit genug Solarstrom in der Wüste produzieren, hieß es am Dienstag. Bloß dann ist die Energie eben buchstäblich in der Wüste, wo sie uns auch nicht so viel nützt und man hätte mit einer Lösung tausend neue Probleme, nämlich Infrastrukturprobleme. Timon Wehnert, viele Wissenschaftler werkeln fleißig an Einzelprojekten, aber als Laie habe ich manchmal den Eindruck, dass die Wissenschaft nicht nur Teil der Lösung ist, sondern auch Teil des Problems. Ist da was dran?

Wehnert: Das höre ich als Wissenschaftler natürlich nicht so gerne. Ich denke, diese Fokussierung auf eine Technologie und die Hoffnung, dass man da eine heilsbringende Technologie hat, also so ein Messias der Energieversorgung, das ist glaube ich eine falsche Vorstellung. Also ich denke, es wird immer ein Energiemix geben, Energie wird immer teuer sein und Energie wird immer zu wenig sein. Also, wir müssen uns da deutlich irgendwie strecken, wir müssen auch Energie sparen. Aber ich glaube, man kann einfach nicht auf eine Technologie hoffen. Also, so, wie wir auch bei der Ernährung, sind wir es ja gewohnt, uns ausgewogen zu ernähren, wir würden nie 100 Prozent nur Fleisch oder nur Kirschen essen, so werden wir auch bei der Energieversorgung nie zu 100 Prozent aus einer Energie uns versorgen werden, sondern es muss immer ein Energiemix, ein ausgewogener Energiemix sein.

Thimm: Der Physiker Timon Wehnert empfiehlt einen neu durchdachten Energiemix. Damit haben wir die Welt noch nicht gerettet, aber unsere kleine Reihe, die sich mit neuen Energietechnologien beschäftigt, die schließen wir damit erstmal ab. Fazit: Wenn wir uns am Riemen reißen, dann ist noch was drin. Und ansonsten hält man sich am besten an den listigen Satz des Nobelpreisträgers Niels Bohr: "Voraussagen sind sehr schwierig, besonders solche über die Zukunft."
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