Wo Sprengstoff die Stühle formt

Von Johannes Halder · 19.08.2011
Unter dem zungenbrecherischen Label "kkaarrlls" hat die Karlsruher Hochschule für Gestaltung ein Design-Label kreiert, das dem ästhetisch ambitionierten Verbraucher "Perspektiven für den Hausrat von morgen" verspricht. Das Badische Landesmuseum präsentiert die schräge Kollektion.
Als Designer ist Volker Albus eigentlich ein besonnener Mann. Der Professor an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung hat zum Beispiel eine Leuchte entworfen, die den Raum vom Boden her mit Licht flutet, ganz schlank und schlicht und schön. Er hat auch einen originellen Teppich gestaltet mit quadratischen Pixelmustern, praktisch, funktional und fast zu schade, um das gute Stück mit den Füßen zu treten. Und natürlich weiß der Profi, was gutes Design ist:

"Gutes Design ist natürlich etwas, was möglichst unprätentiös daherkommt und was ganz einfach funktioniert."

So einfach scheint das. Und nun das: ein Regal aus schwabbeligem Schaumstoff, das sich verbiegt und knautscht und erst mit eingesetzten Holzkisten in stabile Form gezwungen wird. Ein Bodenbelag aus Kautschuk, den man aus über tausend kleinen Puzzleteilen zusammensetzen kann, sodass der Staubsauger sich schon auf leichte Beute freut. Oder ein Stuhl aus Stahlblech mit dem schönen Namen "explosit", der sein Design einer Detonation mit Dynamit zu verdanken hat.

Von wegen "Reduktion auf das Wesentliche". Volker Albus hat seine Studenten zu Entwürfen animiert, die – sagen wir mal – gewöhnungsbedürftig sind. Da steht eine schwarze Kommode von Silvia Knüppel, ein richtig schweres Stück, und rundherum gespickt mit Zotteln aus schwarzer Wolle.

"Diese Wolle dient dazu, dass ich die Fäden nehme, um die Schubladen rausziehen zu können. Die andere Funktion der Wolle ist die, dass ich mich daran anlehnen kann. Das heißt, die Leute sitzen zum Beispiel auf dem Boden, wollen sich anlehnen. Und jetzt an eine klassische Kommode sich anzulehnen, geht praktisch nicht, weil sie immer diese elenden Beschläge im Kreuz haben. Es geht darum, dass wir darüber nachdenken: wie werden die Dinge benutzt und wie werden sie anders benutzt? Also das ist natürlich eine Art von Kommode, wie man sie bisher nicht kannte."

Nun gut, man könnte sich ja auch ein Kissen in den Rücken klemmen, um die Kuschelkommode zu ersetzen. Aber darum geht es dem Professor nicht. Es geht um's Experiment als Prinzip: das Undenkbare denken, das Unmögliche möglich machen, das Ungewöhnliche zur Selbstverständlichkeit. Gerade junge Leute hätten heute gewisse Gewohnheiten, zum Beispiel beim Essen.

"Die Leute essen mit der Hand, an jeder Ecke kriegen sie einen Kaffee to go. Wer setzt sich heute noch hin und trinkt in Ruhe einen Kaffee? Die Porzellanhersteller sitzen auf ihren Services, ihren Tassen. Das will keiner mehr, braucht keiner mehr. Was ich damit sagen will ist, dass unsere Gesellschaft permanent in Bewegung ist, legerer wird, vercasualisiert sozusagen. Und darauf muss das Design natürlich auch permanent reagieren."

50 lauter scheinbar abwegige Ideen präsentiert die Schau, alle auf schrägen Bodenpodesten, sodass man fast ins Stolpern kommt. Und das ist Absicht: Design als Augenfalle, der Zwang zum Denken.

Echter Blödsinn ist darunter wie ein Springbrunnen fürs Büro in einem Abfalleimer oder Bilderrahmen aus Bitumen, deren Form sich bei Hitze verzieht und tropfenartig zerläuft. Aber das ist gerade das, was Albus postuliert: Bewegung, Veränderung, neue Dinge, neue Techniken, neue Materialien.

"Das ist natürlich sehr viel, weil Sie permanent diese Neuentwicklungen, diese Entwicklung haben, die sich immer stärker beschleunigt. Also gerade im technologischen Bereich. Und natürlich haben Sie die Entwicklung im Bereich soziokultureller Veränderungen, Migrationseinflüssen etc., dass Sie da permanent neue Einflüsse haben. Und das zu moderieren, das ist eigentlich die Aufgabe des Designs."

Wenn am Ende etwas herauskommt, das auch tatsächlich tauglich ist für den Markt, dann ist das Ziel erreicht. Bei Joa Herrenknecht, die im letzten Jahr ihr Studium beendet hat, sieht es so aus. "Tata" heißt ihre Leuchte, zu deren Form sie eine nächtliche Kajakfahrt auf dem Amazonas inspirierte.

"Das ist eine Leuchte aus sechs Paddeln, und die werden ineinander gesteckt. Und die Leuchte ist jetzt fast zwei Meter groß, und da gibt's eine kleinere Version, die ist einen Meter hoch. Aus Plexiglas ist die."

Allerdings, das räumt die 30-jährige Gestalterin ein: Design ist nicht gleich Design.

"Was wir hier machen, sind eher Skulpturen. Es gibt ja auch ein anderes, Industriedesign, Waschmaschinen oder sonst was. Und das ist eine besondere Art von Design. Also ich persönlich sehe es auch fast schon wie eine bildhauerische Arbeit."

Witzige Namen haben die Produkte der Studenten: Schlummerschlauch, Hochstapler, Drückeberger oder Winterpelz. Letzteres ist ein Sofa, dessen schlabberiger Stoffbezug gleichzeitig als Decke dient, in die man sich im Winter gemütlich einwickeln kann. Fragt sich nur, was man damit im Sommer macht. Trotzdem, auf der Mailänder Möbelmesse, wo die Karlsruher einen eigenen Stand hatten, stößt so etwas auf große Resonanz.

"Das ist auch das Konzept dahinter: Dass wir eine Art Plattform schaffen, auf der sich die Studenten präsentieren können. Und dadurch, dass wir das finanzieren, ist das für den Einzelnen auch leichter, sich eben in Mailand zu präsentieren."

Auf der Messe wurde auch eine Steckdosenleiste gezeigt aus Holz. Sieht aus wie ein Besen mit einem Stiel, den man an die Wand lehnen kann. Na ja, möchte man sagen und wieder mal den Zeigefinger heben. Doch der Ansatz stimmt, findet der Professor:

"Das ist zum Beispiel ein Produkt, dem ich ein großes Potenzial, eigentlich ein Serienpotenzial, zubilligen würde."

Na denn, dann wünschen wir dem jungen Entwerfer des elektrischen Geräts, dass es beim Kontakt mit einem Hersteller nicht zu einem Kurzschluss kommt.