Wo die Freiheit endet

Von Petra Aldenrath · 12.10.2009
Wer das erste Mal nach China kommt, wird von Zensur, von Einschränkungen oder auch nur von einer Lese-Unlust nicht allzu viel mitbekommen. Die Bücherläden sind proppenvoll, an den Kiosken türmen sich Zeitschriften. Dennoch: Ausländische Zeitungen finden sich in sehr begrenzter Anzahl nur in großen Hotels - regierungskritische Schriften fehlen ganz. Die Zensur in China ist hart - gefährlich wird es für diejenigen, die zu scharfe Kritik am System üben. Petra Aldenrath über chinesische Autoren und ihre Grenzen:
Diese Grenzen werden vom Ministerium für Nachrichten und Publikationen gesteckt, Chinas oberster Zensurbehörde. Sie hat ihr Domizil in einem sozialistischen Prunkbau im Herzen der Stadt. Vor dem Gebäude flattert die rote Nationalflagge im Wind. Innen wird entschieden, welche Bücher im Land veröffentlicht werden und auch welche ins Ausland gehen - wie zum Beispiel zur Frankfurter Buchmesse. Vizeminister Li Dongdong macht die Regeln klar:

"Ob ein Autor an der Buchmesse teilnehmen kann oder nicht, hängt von drei Bedingungen ab. Erstens haben wir einen Schriftstellerverband, der lädt Autoren ein. Zweitens gibt es einige Verlagshäuser, die selber Autoren einladen. Drittens mag es einige Schriftsteller geben, die auf eigene Faust anreisen. Es gibt also keine eindeutigen Standards, wer gehen kann und wer nicht."

Und auch zu den Grenzen der Offenheit äußert sich die chinesische Zensurbehörde:

"Was Bücher von Dissidenten angeht, die in China verboten sind, oder solche, die gefährliche Botschaften verbreiten, wie die der Falungong Sekte - da kann ich Ihnen ganz klar sagen: Es wird definitiv nicht erlaubt sein, dass Bücher, die versuchen, Chinas Stabilität zu zerstören, in unseren Ausstellungshallen präsentiert werden."

Die Liste der Autoren, deren Bücher in den Augen der Zensurbehörde gefährlich sind und die nicht das offizielle China repräsentieren, ist lang. Zu ihnen gehört zum Beispiel Liao Yiwu. Er ist 50 Jahre alt, Musiker, Autor und gilt in China als Oppositioneller. Zum ersten Mal bekam er im Jahr 1990 die Macht der Staatssicherheit zu spüren.

Damals veröffentlichte er einen Gedichtband, in dem er das Massaker vom Platz des Himmlischen Friedens verdammte. Er kritisierte, dass die chinesische Armee mit Panzern und Gewehren gegen Demonstranten vorging, die mehr Demokratie und Mitspracherechte forderten. Vier Jahre saß Liao Yiwu deshalb im Gefängnis. Gebrochen, so sagt er, habe ihn das aber nicht:

"Ich bin gesund. Ich habe viel durchgemacht in meinem Leben - meine Einstellung hat sich mit der Zeit verändert. Zuerst war ich wütend, ich konnte diese ganze Ungerechtigkeit kaum ertragen. Das hat sich geändert. Wenn man Dinge nicht erträgt, soll man davon lernen. Ich habe durch mein Leiden gelernt. Im Gefängnis habe ich Flöte spielen gelernt und ich bin dort mit einfachen Menschen in Berührung gekommen. Das wäre ich nie, wenn ich nicht im Gefängnis gesessen hätte."

Die Begegnungen während seiner Haft haben Liao Yiwu geprägt. Er begann sich für diejenigen zu interessieren, deren Stimme in China kaum gehört wird. Prostituierte, Wanderarbeiter, Kleinkriminelle - all sie kommen in Liao Yiwus Büchern zu Wort. Liao Yiwus Bücher wurden im Ausland übersetzt, in China aber sind sie verboten, genau wie die der tibetischen Autorin Woerse.

Treffpunkt mit Woerse ist ein Cafe mitten in der Nähe eines beliebten Einkaufszentrums in Peking. Zuhause mag Woerse keine Interviews geben. Ihr Telefon wird abgehört, ihre Schritte überwacht. So wie auch Liao Yiwu gilt Woerse in den Augen der chinesischen Regierung als gefährliches Element. So wie auch Liao Yiwu nennt sie Dinge beim Namen, die die chinesische Regierung schönredet.

Zwar lobt auch sie die Verbesserung der Lebensumstände für die Menschen in Tibet die mit dem Wirtschaftsaufschwung Chinas kamen - doch gleichzeitig weist sie auch auf bestehende Missstände hin, darauf, dass ihre Landsleute in ihrer Religionsausübung unterdrückt werden und dass sie im Vergleich zu den Chinesen wirtschaftlich und beruflich oft benachteiligt sind. Woerses Schriften sind nachdenklich, kritisch und rütteln an Tabus. Seit ihrem ersten Buch, so sagt sie, sei ihre Internetseite blockiert und alle ihre Werke in China verboten:

"Ich habe nie erwartet, dass dieses Buch mir so viele Probleme bereiten wird. Der Grund, warum sie mich so bestraft haben, ist, dass ich einige - in den Augen der chinesischen Regierung - ernsthafte politische Fehler gemacht habe. Ich habe das religiöse Oberhaupt der Buddhisten, den Dalai Lama, nicht als Separatisten dargestellt. Nach Veröffentlichung des Buches sollte ich Selbstkritik üben und eine korrekte Haltung gegenüber dem Dalai Lama einnehmen. Ich habe ihnen gesagt: Ich bin Buddhistin und kein Mitglied der kommunistischen Partei."

Woerse verlor ihren Job als Herausgeberin einer Zeitung. Damit sie nicht das Land verlassen kann, wurde ihr kein Pass mehr ausgestellt. Sie hat ihn mehrmals beantragt - immer erfolglos. Doch trotz allem lässt sie sich nicht von den Drohgebärden der chinesischen Staatsicherheit einschüchtern. Woerse trägt ein T-Shirt, auf dem in großem Buchstaben "Tibet" steht, darunter prangt ein Bild des Potala-Palastes, dem ehemaligen Regierungssitz des Dalai Lama. Auch ein kleines Porträt von ihm ist auf dem T-Shirt zu sehen - obwohl das in China verboten ist:

"Menschen, die eine andere Meinung haben, leben angespannt. Man wird nervös. Die Regierung hat die Zügel in den letzten Jahren immer mehr angezogen. Es wird enger und enger für diejenigen, die eine andere Meinung haben. Die Kontrolle und die Unterdrückung nehmen zu."

Ein Beispiel ist Liu Xiaobo. Er amtierte als Präsident des in China illegalen, unabhängigen Schriftstellerverbandes PEN und wurde im vergangenen Dezember verhaftet. Liu gilt als Hauptverfasser der Charta 08. Einer Menschenrechtscharta, die von über 300 Chinesen unterzeichnet wurde - darunter Schriftsteller, Autoren und Rechtsanwälte.

Doch nicht erst seit der Charta, auch davor galt Liu Xiaobo als scharfer Kritiker der chinesischen Regierung, er hatte in China Arbeitsverbot. Kurz vor seiner Verhaftung kommentierte er das chinesische Verlagswesen mit Blick auf die kommenden Buchmesse:

"In China gibt es überhaupt keine Freiheiten für Herausgeber. Alle werden vom Staat kontrolliert und zwar zweimal. Zuerst vor der Veröffentlichung. Wenn die Bücher gedruckt sind, müssen sie noch mal dem Zensor vorgelegt werden. Die Zensoren sind unberechenbar. Bücher, die die Geschichte Chinas anders interpretieren als die Regierung das offiziell erlaubt oder die ansonsten kritisch sind, diese Bücher wird man in Frankfurt nicht finden."

Auf Liu Xiaobo wartet ein Prozess. Die Anklage lautet auf versuchten Staatsumsturz, als Beweismittel gelten Lius Artikel. Bis zu 15 Jahren Gefängnis können ihm drohen - Lius Frau ist von der Unschuld ihres Mannes überzeugt. Doch ihr ist auch klar: Die Macht der Regierung reicht weit. Wenn die Staatssicherheit erst jemanden im Visier hat und hinter Gittern sehen will, kann selbst der beste Anwalt nichts machen:

"Ich habe das Vertrauen verloren. Hier ist doch nichts transparent. Wenn man in einem Land lebt, in dem die Meinungsfreiheit nichts zählt, kann man immer schuldig gesprochen werden."

Alle kritischen Autoren Chinas sind sich dieser Gefahr bewusst. Trotzdem machen sie weiter. Sie schreiben über verseuchte Flüsse, über Kinder, die deswegen mit Krebsgeschwüren auf die Welt kommen, über Bauern, denen ohne Entschädigung das Land weggenommen wird, über die Macht korrupter Kader und die Ohnmacht kleiner Leute, die das Geld für eine lebensrettende Operation nicht haben. So wie die Tibeterin Woerse publizieren die in China zensierten Autoren meist über das Ausland:

"Ich kann meine Bücher nicht in China publizieren. Ich muss über Taiwan, Hongkong oder Singapur gehen. Für mich ist das mittlerweile normal geworden. Wenn ich ein Buch fertig habe, schicke ich es per E-Mail raus aus dem Land zu meinem Verlag. Wenn das Buch viele Bilder hat, dann bitte ich Freunde, eine CD für mich außer Landes zu bringen und an meinen Verlag weiterzuleiten."

Chinas kritische Autoren müssten lernen, damit umzugehen, dass sie in China leben, über China schreiben - das ihre Stimmen von den Chinesen aber nicht gehört werden kann, sagt Autor Liao Yiwu:

"Für Leute aus dem Westen ist es die normalste Sache der Welt, über alles frei schreiben zu können. In China muss man dafür kämpfen. Man muss versuchen, eine geschlossene Tür Zentimeter um Zentimeter aufzustoßen. Ich werde weiter dafür kämpfen, hier publizieren zu können. Aber auch wenn mir das nicht gelingt und ich weiter zensiert werde, arbeite ich trotzdem weiter. Wenn nur einer mein Buch liest, dann habe ich immerhin einen Menschen beeinflusst."

Doch trotz aller Schikane - trotz Zensur und Ausreiseverbot, Liao Yiwu hat kein Hass gegen sein Heimatland - verlassen möchte er China nicht:

"Freiheit bedeutet für mich: frei im Herzen zu sein. Ich habe eine gelbe Hautfarbe. Manchmal packt es mich und ich denke: am liebsten möchte ich jemand anders sein. Aber mein chinesisches Blut fließt durch meine Adern. Für mich wäre es schrecklich, im Exil zu leben. Das ist schlimmer, als am Verlassen der Heimat gehindert zu werden. Ich möchte in China bleiben. Hier kann ich in meiner Muttersprache schreiben, hier habe ich so viele Menschen, die mir Wärme geben. Ich kann mich doch glücklich schätzen."

Das Exil, das für Liao Yiwu eine schreckliche Vorstellung ist, ist für den Poeten Yang Lian schon lange Realität. Auch Yang Lian hatte die Demokratiebewegung von 1989 unterstützt. Als Panzer über den Tiananmenplatz rollten und das Blut der Demonstranten floss, befand er sich gerade in Neuseeland. Yang Lian beschloss, nicht mehr chinesischer Staatsbürger zu sein:

"Als ich mich dazu entschied, die neuseeländische Staatsbürgerschaft anzunehmen, war das eine ganz klare Entscheidung. Nach Tiananmen wollte ich nicht mehr zum chinesischen System gehören, ich wollte kein Bürger der Volksrepublik China sein."

Yang Lian lebt und arbeitet heute in London. Bis heute ist seine Poesie über das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens in China verboten und seine Internetseite gesperrt. Doch obwohl Yang Lian dem chinesischen System bewusst den Rücken gekehrt hat und anders als seine kritischen Kollegen in China im Westen seinen Gedanken freien Lauf lassen kann, ist auch er keiner, der sein Heimatland nur negativ betrachtet. Genau das irritiert ihn oft an der Berichterstattung aus dem Westen, sagt er:

"Ich finde, China wird oft so vereinfacht. Eigentlich ist der kalte Krieg ja vorbei, aber wenn es um China geht, da trennen sich die Welten. Wenn es um China geht, herrscht oft nur noch schwarz und weiß.""

Für Yang Lian ist das ein Desaster, das sich direkt auf die schreibende Zunft auswirkt. Statt dass man auf ihre Arbeit achte, auf dass, was sie schreiben und wie - würden chinesische Autoren in Schubladen gesteckt, sagt er:

"Wenn wir in China leben, dann nennt man uns Untergrunddichter. Wenn wir außerhalb Chinas leben, nennt man uns Exilautoren. Da werden Literaten Hüte aufgesetzt. Oft heißt es doch heute: Oh. Er ist ein Exilautor. Da muss er gut sein. Da muss man gar nicht mehr das Buch lesen, denn politisch ist es ja korrekt. Das ist für mich eine sehr gefährliche Haltung. Darüber geht die wahre Bedeutung der Poesie verloren."