Wo Angela Merkel Hebräisch spricht

Von Dieter Wulf · 01.07.2011
Der Israeli Aviv Russ begreift seine wöchentliche deutsch-hebräische Radiosendung "Kol Berlin" auch als Integrationsprojekt. Auf Deutsch und Hebräisch berichtet er über Kultur und Politik in Deutschland und Israel.
Jeden Freitag mittags um zwölf steht Aviv Russ beim Berliner Offenen Kanal "Alex" live vor dem Mikro. Bei ihm spricht selbst Angela Merkel Hebräisch. Ein paar Sätze, mit der die Kanzlerin die Abgeordneten des israelischen Parlaments, der Knesset, begrüßt hatte.

"Ich fand das sehr süß einfach, wie Angela Merkel Hebräisch gesprochen hat und ich dachte ich muss unbedingt diesen Satz auch in meine Sendung nutzen, weil es ist auch eine große Ehre für mich, dass ich diese Gelegenheit habe hier in Deutschland Hebräisch zu sprechen und Deutsch zu lernen und hier Radio machen."

Aber damit keine Missverständnisse aufkommen, erklärt Guido Westerwelle dann:

"Aber es ist Deutschland hier."

2005 kam Aviv Russ nach Deutschland. In Israel hatte er schon jahrelang bei verschiedenen Radiosendern gearbeitet. Warum nicht auch hier in Deutschland Radio für die eigenen Landsleute machen, dachte er sich, denn die Zahl der Israelis die vorübergehend oder ständig in Deutschland leben, nehme ständig zu, besonders in Berlin.

"Man schätzt zwischen 5000 und 15.000, keiner weiß genau wie viel, weil viele von uns wie bei mir wir haben einen europäischen Pass, das heißt, wir müssen uns nicht anmelden bei Behörden und keiner zählt uns als Israelis."

Berlin sei bei den Israelis gerade hoch im Kurs, meint Aviv Russ. Besonders nach der dreijährigen Armeezeit gehen viele Israelis erst mal für längere Zeit ins Ausland.

"Bisher haben viele einen Rucksack genommen und nach Indien gefahren, nach Südamerika gefahren, Thailand. Und jetzt Berlin ist ein alternativer Urlaubsort für junge Israelis. Die haben kein Interesse an dem Dschungel und sie wollen lieber in den Urban-Dschungel was zu erleben."

In den ersten Jahren produzierte Aviv Russ die Sendung ganz auf Hebräisch. Seit 2009 moderiert er hauptsächlich auf Deutsch und fasst die Themen dann noch mal auf Hebräisch zusammen. Viele Israelis sind nur ein paar Monate, vielleicht ein paar Jahre in Berlin. Gute Deutschkenntnisse haben nur wenige, vermutet der Moderator. Da sei diese deutsch-hebräische Sendung umso wichtiger. Außerdem seien die Deutschkurse am Goethe-Institut in Jerusalem und Tel Aviv seit einiger Zeit total ausgebucht. Auch dort höre man seine Sendung übers Internet.

"Wir bekommen Feedbacks von jungen Leuten, junge Israelis die nach Berlin umziehen wollen und sie lernen jetzt die Sprache zum Beispiel im Goethe-Institut in Tel Aviv und sie nutzen die Sendung, um die Sprache zu verbessern, weil sie hören den hebräischen Teil und danach den deutschen Teil und hören ein bisschen von der Stimmung in Berlin."

Jede Woche stellt er Musik von deutschen oder israelischen Bands vor und berichtet aus israelischer Perspektive über die Berliner Kulturszene. Besonders natürlich über Auftritte oder Ausstellungen israelischer Künstler. Oder auch Ereignissen in Israel, die ihm wichtig erscheinen. Die Kultur, nicht der Glaube sei es, was ihn als Israeli auszeichne, meint Aviv Russ.

"Ich kann Israeli sein, aber ich muss nicht koscher essen. Ich bin wie jeder zweite Deutsche. Ich gehe nicht in die Synagoge. Ich brauche keine Religion, um mich Israeli zu nennen."

Das sei bei vielen Israelis, die in Berlin oder anderswo in Deutschland leben, meist ähnlich, so seine Erfahrung. Daher seien die jüdischen Gemeinden für viele Israelis auch kein Ansprechpartner. Trotzdem, betont er, seien auch die Israelis wichtig für eine jüdische Zukunft in Deutschland.

"Die Israelis bringen auch etwas anderes. Die Israelis kommen von einem jüdischen Staat, das heißt, die Israelis brauchen keine Synagoge, um sich zu treffen, sie brauchen einfach einen Ort, wo sie ihre Muttersprache sprechen können, israelische Filme sehen, Zeitungen, Bücher lesen."

Generell findet Aviv Russ die Berichterstattung der deutschen Medien über Israel und den Palästinakonflikt ziemlich fair und ausgeglichen. Manchmal aber werde doch sehr vorschnell geurteilt.

"Ich nutze die Sendung, um meine Seite oder eine neue Seite zu erklären, weil manchmal bei den Medien es ist ein großes Drama, ein großes Thema, danach hört man davon nichts mehr und nach zwei Wochen kommen neue Ergebnisse von dem Thema und keiner berichtet mehr darüber."

So wie im Mai letzten Jahres, bei dem Angriff israelischer Militärs auf Schiffe, die aus der Türkei kommend die Seeblockade des Gaza-Streifens durchbrechen wollten.

"Bei diesem Thema zum Beispiel am Anfang war Israel Schuld und danach hat man gemerkt, es war noch komplizierter und Israel hat nicht falsch gemacht, aber darüber hat keiner interessiert sich mehr und ich nutze die Sendung für so was zum Beispiel."

Anfangs sei er skeptisch gewesen, meint Aviv Russ, wie es wohl sei als Israeli in der Stadt, wo Hitler, wie er sagt "seine Arbeit machte". Aber das habe sich bald gegeben. Die Geschichte sei hier eben überall sichtbar, das habe es ihm leichter gemacht. Und auch darüber reden zu können, jeden Freitag, mittags um zwölf vor dem Mikro.

"Die Sendung ist für mich auch zu beschreiben als Integrationsprojekt. Wir integrieren unsere Kultur hier in Deutschland und integrieren die deutsche Kultur in Israel."
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