Wissmann: Deutsche Autoindustrie baut Marktanteile aus

Matthias Wissmann im Gespräch mit Ersnt Rommeney und Ulrich Ziegler · 02.05.2009
Nach Auskunft des Präsidenten des Verbandes der Automobilindustrie, Matthias Wissmann, bauen die deutschen Hersteller trotz der Krise ihre Anteile auf dem Weltmarkt aus. Es gebe zwar "einen massiven Einbruch im Export", doch gerade in Ländern wie China und Indien stünden die Chancen für deutsche Autobauer gut.
Deutschlandradio Kultur: Daimler schreibt tiefrote Zahlen. Bei BMW sieht es nicht besser aus. Herr Wissmann, bauen die Deutschen die falschen Autos?

Matthias Wissmann: Nein, denn praktisch alle großen deutschen Autohersteller haben zwar einen massiven Einbruch im Export, aber sie gewinnen Marktanteile. Wie kommt das? Wenn der Weltmarkt von Pkw 2009 gegenüber 2008 vermutlich von 57 Mio. verkaufter Fahrzeuge auf unter 50, vielleicht 47, 48 Millionen zurückgeht, dann leiden alle. Auch Toyota leidet dramatisch. Aber die Schlüsselfrage ist: Gewinnt jemand Marktanteile oder verliert jemand Marktanteile? Zum Beispiel in den USA gewinnen zurzeit alle deutschen Fahrzeughersteller - auch Daimler - Marktanteile, aber leider natürlich auf einem niedrigeren Verkaufsniveau. Das drückt dann gewaltig auf die Zahlen und auf die Beschäftigung.

Deutschlandradio Kultur: Sie gewinnen Marktanteile, aber sie verlieren natürlich deutlich an Verkaufszahlen.

Matthias Wissmann: Wenn der Markt kleiner wird und der eigene Marktanteil größer, dann spricht das dafür, dass die Produkte nicht falsch sein können.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn die Produkte nicht falsch sind, werden dann zu viele Autos gebaut, und zwar von der gesamten Branche?

Matthias Wissmann: Wir haben seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, der großen amerikanischen Bank, auf praktisch allen Weltmärkten einen massiven Einbruch der Verkaufszahlen - mit einer leichten Ausnahme in China, vielleicht auch noch ein bisschen in Brasilien. Das trifft alle. Klar ist, dass sich diesem Sog keiner entziehen kann. Jetzt ist nur die Frage: Wird dieser Markteinbruch anhalten oder wird sich das 2010/ 2011/ 2012 wieder verändern? Keiner weiß genau, wann. Da ist meine klare Prognose: Der Weltmarkt für Automobile wird, wenn sich die Aufschwungentwicklung wieder einstellt, wachsen, und zwar aus einem ganz einfachen Grund. Wir haben gegenwärtig in Deutschland etwa 500 Automobile auf 1.000 Einwohner, in China 17, in Indien 11. Das heißt, jeder, mit dem Sie in China reden - jetzt gerade bei der Automesse in Shanghai -, sagt Ihnen, dieser Markt wird dramatisch wachsen. Unser Ehrgeiz als deutsche Automobilhersteller und Zulieferer ist natürlich, in diesem dramatisch wachsenden Markt nicht nur einen wesentlichen Markteil zu haben, sondern auch die ökologisch besten mit den niedrigsten Emissionen zu bauen, eines Tages vielleicht sogar das Null-Emissions-Auto auch auf dem chinesischen und indischen Markt zu haben. Damit wird die Automobilisierung dieser Länder auch ökologisch für alle Beteiligten akzeptabel und es stimmt die Balance zwischen Ökonomie und Ökologie.

Sie sehen es übrigens an einem Beispiel, dass wir gut sind. Ich spreche bewusst mal nicht nur von den Herstellern, sondern auch von den Zulieferern, die ich ja auch vertrete im VDA: Von dem neuen, viel gerühmten Tata Nano, dem indischen Kleinstauto - 2.000 Dollar dort, 5.000 Euro irgendwann vielleicht, wenn er hier auftaucht, sind 30 % der Teile Zuliefererteile von deutschen Zulieferern. Das zeigt, dass wir an diesen Märkten eine große Chance haben zu partizipieren. Deswegen ist unser strategisches Ziel, aus dieser Krise, die zweifelsohne für alle da ist, stärker rauszukommen als andere - durch Innovation, durch die besten, auch ökologisch verträglichsten Fahrzeuge, aber nicht nur durch Kleinstfahrzeuge. Kleinstfahrzeuge kann man bei hohen Lohn- und Sozialkosten in Deutschland nicht bauen.

Deutschlandradio Kultur: Haben diese dicken, spritfressenden teuren Autos wirklich eine Zukunft in Asien oder irgendwo oder sind dies einfach Dinosaurier, die eigentlich keiner mehr haben will?

Matthias Wissmann: Die Shanghai-Automesse vor wenigen Tagen hat gezeigt, dass gerade die deutschen Premiumhersteller zur Zeit in China trotz der Schwierigkeiten besonders gut verkaufen, weil einfach die Mittelschicht, die dort entsteht, auch die mittelständischen Unternehmer, die sich dort bei dem Boom in China entwickeln - und China ist eines der Zukunftsländer des Jahrhunderts -, zunehmen wird. Die Frage ist nur: Welche Premiumautos?

Ich fahre jetzt gerade als Erprobungsfahrzeug - das Auto wird im Herbst auf dem Markt sein - eine S-Klasse eines großen deutschen Herstellers als Teilhybrid mit der ersten Lithium-Ionen-Batterie der Welt. Das führt dazu, dass der Verbrauch dieses großen Fahrzeugs auf unter 8 Liter sinkt und die CO2-Emissionen auch entsprechend runtergehen.

Was wir nur verstehen müssen in Deutschland und was wir vielen Menschen, die Vorurteile haben, noch sagen müssen: Wenn wir glauben, allein in Kleinst- und Kleinfahrzeugen liegt die Zukunft, dann dürfen wir eines bitte nicht vergessen: Es wird auch in Zukunft Familien geben in der ganzen Welt, die allein, weil sie zwei, drei Kinder haben, ein größeres Auto brauchen, einen Familienvan. Und eines dürfen wir gar nicht übersehen: 60 % der Arbeitsplätze bei deutschen Automobilherstellern in Deutschland sind Arbeitsplätze bei Premiumherstellern. Das heißt, das Klein- und Kleinstfahrzeug, das auch Deutsche zunehmend herstellen, die sind in den kommenden Jahrzehnten nur teilweise in Deutschland herzustellen. Ohne Premium würden wir Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutschland verlieren.

Deutschlandradio Kultur: Da würde ich nachfragen, denn die Chinesen sind ja sehr daran interessiert, eine eigene Automobilindustrie aufzubauen. Das heißt, die Länder werden verlangen: Baut die Autos nicht nur in Europa, baut sie bei uns!

Matthias Wissmann: Sie sehen das ja heute schon in den Produktionszahlen der deutschen Automobilindustrie. 2008 hat die deutsche Automobilindustrie 11 Mio. Fahrzeuge hergestellt, 5,5 Mio. Fahrzeuge in Deutschland, 5,5 Mio. Fahrzeuge in anderen Teilen der Welt - in Europa, in Osteuropa, in Spanien, aber auch in Asien, in Lateinamerika. Das Beeindruckende ist nur, dass die deutsche Automobilindustrie seit der letzten Krise 1993/94, die nicht so tief war, wie die jetzige, aber die auch schon eine gewaltige Herausforderung war, 100.000 Arbeitsplätze in Deutschland aufgebaut hat, obwohl sie ihre Produktionsstätten in der Welt erheblich verstärkt und entwickelt hat. Die deutsche Automobilindustrie - ich sage bewusst -, Hersteller und Zulieferer, sind ein Erfolgsmodell dafür, dass man, obwohl man immer mehr in der ganzen Welt produziert, trotzdem im eigenen Land einen großen Teil von Forschung und Entwicklung, aber eben auch einen wesentlichen Teil von Produktion halten und ausbauen kann - 100.000 Arbeitsplätze mehr. Aber was ich den Hörerinnen und Hörern nur sagen will: Wenn der eine oder andere gelegentlich auch ein Ressentiment entwickelt gegen größere Fahrzeuge, die er dann Premiumfahrzeuge oder vielleicht auch schlimmer nennt, ohne Premium in Deutschland würden Arbeitsplätze mit Sicherheit an unsere Autofabriken in anderen Teilen der Welt verloren gehen. Wir haben 80 % des Premiummarktes der Welt. Die großen Marken - gehen Sie von Porsche über Mercedes zu BMW, zu Audi und ich könnte noch weitere Beispiele nennen aus diesen Unternehmen - sind ein wesentlicher Teil unseres Erfolgs. Diese Autos sind dabei, sich strukturell zu verändern. Sie werden immer weniger CO2-Emissionen haben und immer weniger Verbrauch. Sie werden teilweise auch alternative Antriebe bekommen. Aber klar ist: Sie zu verbannen, weil man einem Ressentiment folgt, wäre eine schwere wirtschaftsstrategische Dummheit.

Deutschlandradio Kultur: Herr Wissmann, wenn es stimmt, was Sie sagen, dann heißt das eigentlich: Wir gehen durch die Rezession und anschließend war eigentlich alles gar nicht so schlimm. Wir werden weiterhin die großen Autos bauen mit ein bisschen weniger CO2 und eigentlich ist alles wieder gut und in Deutschland wird weiterhin gut produziert. Und wir sind vielleicht noch stärker als vorher.

Matthias Wissmann: Nein, "ein bisschen" ist nicht meine Strategie. Die Veränderungen, die sich vollziehen, sind schon dramatisch. Wir gehen davon aus, dass wir beim Diesel in den nächsten Jahren noch mal 30 % CO2-Emissionen reduzieren können, beim Benziner noch mal 25. Wir forschen und arbeiten massiv an alternativen Antrieben - Wasserstoff- und Brennstoffzelle, aber auch Teilhybride, Vollhybride und Elektrofahrzeuge. Alle großen deutschen Hersteller arbeiten am Elektrofahrzeug.

Deutschlandradio Kultur: Seit vielen, vielen Jahren!

Matthias Wissmann: Ja, nur sind wir Gott sei Dank die ersten, die mit einer Lithium-Ionen-Batterie auf der Welt in Serie gehen. Wir sind also offensichtlich technisch nicht hinten, sondern an der Spitze. Zweitens vergessen Sie doch mal eines nicht: Gegenwärtig, heute, in dem Moment, in dem wir miteinander sprechen, gibt es 90 Modelle deutscher Marken auf dem Markt mit einem Verbrauch von unter 5 Litern und von unter 130 g CO2 pro Kilometer. Wenn Sie das mit der Situation vor drei, vier Jahren vergleichen, hat sich hier ein Quantensprung vollzogen. Wir investieren im Jahr - 2008 war das - 18,9 Milliarden für Forschung und Entwicklung. Das sind fast 25 % der gesamten Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen in der deutschen Industrie.

Deutschlandradio Kultur: Die Frage ist: Ist das nur eine Absatzkrise oder auch eine Strukturkrise? Wir haben seit 20 Jahren das Problem, uns zu fragen, ob man am deutschen Standort preiswert moderne Autos bauen kann. Und eine Kostensenkungsperiode läuft in die nächste Kostensenkungsperiode und immer noch haben wir weltweit in der Automobilindustrie Überkapazitäten. Also, leiden die deutschen Autobauer auch an einer Strukturkrise - mit den anderen Autobauern zusammen natürlich.

Matthias Wissmann: Man muss vergleichen. Wir haben im Grunde genommen folgende große Konkurrenzsituation: Wir haben auf der einen Seite unsere amerikanischen Freunde. Über den Niedergang der "big three" in Detroit muss ich Ihnen nicht lange was erzählen. Wir haben die französischen und italienischen Freunde. Der langjährige Chef von Peugeot-Citroen hat vor kurzem gesagt: Wenn er so gut wäre in Frankreich, wie die deutsche Automobilindustrie, auch die Zusammenarbeit von Herstellern und Zulieferern in Deutschland, dann wäre Frankreich froh. Es sei sein Vorbild. Die Chinesen und Inder, die eine beachtliche Automobilindustrie entwickeln, orientieren sich vor allem an zwei Vorbildern - an der japanischen und an der deutschen Industrie. Und der ernsthafteste Wettbewerber heute, der uns am meisten herausfordert, ist Toyota. Toyota ist zurzeit in der tiefsten Krise seiner Geschichte und meldet das erste Mal seit Jahrzehnten negative Zahlen.

Also, wenn es ein Versäumnis wäre nach dem Motto, wir haben einfach die falschen Autos produziert, dann wären nicht alle anderen auch massiv betroffen, teilweise sogar wesentlich schwerer.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben nicht zu viele Fabriken, um noch mal auf das Thema Strukturkrise zu kommen?

Matthias Wissmann: Das werden wir sehen. Wenn sich der Weltmarkt wieder erholt auf 57, 60 Mio. verkaufte Pkw, dann ist die Kernfrage: Wer wird an diesem Markt den wesentlichsten Anteil haben. Die deutschen Hersteller haben keine schlechten Voraussetzungen. Für mich ist überhaupt die Schlüsselfrage: Wollen wir industrie- und wirtschaftspolitisch eine Politik verfolgen, wie die Briten, die in den letzten 10, 15 Jahren in der Gesamtwirtschaft nur noch auf Dienstleistung und Service und Banken und Finanzmärkte gesetzt haben und einen rapiden Abstieg ihrer Industrieproduktion im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt haben? Oder wollen wir auch durch entsprechende Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass wir durch dieses schwierige Tal kommen - durch erneuerte Produkte, aber eben auch durch sinnvolle Begleitung in der sozialen Marktwirtschaft des Staates, damit wir nach der Krise ein weiterhin starkes Automobilland mit einer großen Zahl von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie sind? Da würde ich heute ebenso sagen, wie 93/ 94 kluge Leute es gesagt haben: Die Chance, dass wir aus der Krise gestärkt herauskommen, hängt von zwei Kriterien ab, erstens dass wir in der Krise alles kürzen, bloß nicht die Blutzufuhr zum Kopf, also Forschungs- und Entwicklungsinnovationen für mehr Sicherheit, für weniger Emissionen, für alternative Antriebe, für weniger Verbrauch, und zweitens, das ist ja unser Bemühen in diesen Tagen und Wochen, dass wir so lange wir irgend können, unsere Stammbelegschaften halten, unsere qualifizierten Mitarbeiter, die ja ein Kern des Erfolgs unserer Automobilindustrie bei Herstellern, Zulieferern, Aufbautenherstellern, Trailerherstellern sind. Deswegen begrüßen wir es natürlich, wenn die Politik zum Beispiel zum Thema Kurzarbeit die richtigen Rahmenbedingungen zur Verfügung stellt, damit wir eine Chance haben, in einer besser werdenden Weltkonjunktur eines hoffentlich nicht zu fernen Tages unsere Stammbelegschaften nicht verloren zu haben.

Deutschlandradio Kultur: Die Kurzarbeiterregelung haben Sie genannt. Sie brauchen die Abwrackhilfen. Sie brauchen das Dienstwagenprivileg, damit Sie überhaupt noch diese Autos, die Sie produzieren, an den Kunden bringen.

Matthias Wissmann: Nein, so, wie Sie es ausdrücken, ist es eine falsche Erwartung. Wir fordern keine staatlichen Subventionen. Wir glauben allerdings, dass es einfach eine kluge Sozialpolitik ist, wenn man in der Zeit einer Krise, in die eine Industrie als Folge der Finanzmarktschwierigkeiten gekommen ist, hilft, dass Stammbelegschaften gehalten werden können und Kurzarbeiterregelungen nicht zu teuer werden und eine Brücke bilden. Langfristig ist die deutsche Automobilindustrie fähig, ohne irgendwelche künstlichen Stützen sich erfolgreich am Weltmarkt zu behaupten. Das hat sie in den letzten 20 Jahren auch bewiesen.

Deutschlandradio Kultur: Und das schafft sie auch ohne Subventionen und auch ohne Fusionen? Fiat-Chef Sergio Marchionne sagt: Wer künftig nur noch in kleinen Bereichen Autos baut, wird nicht überleben. 5 Millionen müssten es schon sein, damit sich das überhaupt am Weltmarkt lohnt.

Matthias Wissmann: Also, Sergio Marchionne spricht ja ganz bewusst von Kleinwagenherstellern. Das Problem bei Kleinwagenherstellern ist natürlich, dass die Marge, das Stück, das man an Gewinn nach Hause bringt, sehr klein ist. Dort ist der Skaleneffekt von Produktion - also, je mehr man produziert, desto eher kann man es wirtschaftlich machen - von großer Bedeutung. Jetzt muss man mit einem gewissen Stolz sagen, das macht ja zum Beispiel den Volkswagenkonzern aus, dass er in dieser Krise zu einem der zwei oder drei wichtigsten Automobilhersteller der Welt wird, weil er diese Skaleneffekte schon einkalkuliert. Das macht den Erfolg von BMW und Daimler langfristig, wie ich sicher bin, aus, dass sie eben nicht allein auf Kleinfahrzeuge konzentriert sind, sondern im Premiumsegment außergewöhnliche Autos bauen, die eben die Chance haben, auch entsprechende Margen zu erzielen, um möglicherweise mit kleineren Stückzahlen damit auch auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Insofern ist die Konstruktion unserer deutschen Automobilindustrie auch sicher nicht unanfällig für Schwierigkeiten, aber doch für die Weltmärkte des 21. Jahrhunderts gewappnet. Dass sich da auch noch Veränderungen ergeben werden in der Automobillandschaft, auch Fusionen, strategische Korrekturen, ist völlig klar.

Deutschlandradio Kultur: Aber ist das deutsche Modell wirklich so tragfähig. Denken wir mal an die Zulieferer. Das sind ja die eigentlichen Autobauer, die Systemlieferanten.

Matthias Wissmann: 75 % der Anteile kommen von Zulieferern.

Deutschlandradio Kultur: Gleichzeitig werden sie finanziell ausgepresst. Glauben Sie wirklich, dass sie die Rezession in der Krise überstehen?

Matthias Wissmann: Um manche unserer Zulieferer machen wir uns natürlich große Sorgen, weil die gelegentlich in so einer Sandwich-Position sind - zwischen dem Hersteller einerseits, dessen Kunden, der nach niedrigsten Preisen verlangt, andererseits. Wir sehen im VDA eine unserer Schlüsselaufgaben, den Dialog zwischen Herstellern und Zulieferern immer wieder auf eine konstruktive Bahn zu führen und auch Konflikte, die zweifelsohne da sind, zu überwinden.

Ich will Ihnen nur noch eines sagen, was sonst in Interviews keine große Rolle spielt. Wir haben natürlich auch tolle Nutzfahrzeughersteller, die in der Krise zurzeit besonders leiden, und Nutzfahrzeugzulieferer. Und wir haben Aufbauten- und Trailerhersteller, also Anhängerhersteller, die in der Krise die größten Probleme bekommen. Auch die dürfen wir nicht vergessen. Denn im Weltmarkt von Nutzfahrzeugen sind wir Deutschen ja die absoluten Innovationsführer. Diese Position wollen wir ebenfalls behaupten. Also, dieses alles unter einen Hut zu kriegen, ist eine der Kernaufgaben des Verbands der Automobilindustrie.

Deutschlandradio Kultur: Aber Geld verdienen dürfen die nicht?

Matthias Wissmann: Natürlich! Ich meine, machen Sie es auch bitte nicht so einfach. Es gibt Zulieferer, die vor der Krise nicht weniger ertragreich waren, wie die Hersteller. Aber klar ist natürlich, dass insbesondere unsere kleinen Zuliefererfirmen, vor allem in der zweiten oder dritten Zuliefererreihe, unter einem wahnsinnigen Kostendruck leiden. Diesen Kostendruck zu mildern, wo es um wertvollste Mitglieder der Wertschöpfungskette geht, ist eine der großen strategischen Aufgaben, weil wir natürlich genau wissen, wir haben schon 30 Insolvenzen von Zulieferern. Wir müssen die Wertschöpfungskette erhalten. 75 % der Anteile eines Autos sind Anteile, die direkt vom Zulieferer kommen und vom Hersteller ins Auto integriert werden.

Deutschlandradio Kultur: Na, wenn hinten dann ein Auto rauskommt, dann hilft das auch dem Zulieferer. Vielleicht hat auch die Abwrackprämie geholfen, anscheinend im Moment der Deutschen liebstes Kind. Nur stellt sich die Frage: Wie lange kann das gut gehen? Wenn die Bundestagswahl vorbei ist, wenn wir ins Jahr 2010 gehen und diese Prämien nicht mehr da sind, kommt dann nicht der Kater?

Matthias Wissmann: Die Mischung von Neuordnung von Kfz-Steuer, die ja langfristig und richtig ist, und Umweltprämie hatte ja immer eine Grundidee, zu sagen: 2009 geht der Weltmarkt so dramatisch runter, wie es noch nie in der Geschichte der Weltwirtschaft und auch der Automobilwirtschaft gewesen ist. In dieser Phase eine Brücke zu bauen, damit der nationale Markt nicht völlig nach unten geht, und Impulse zu geben für den Erwerb eines Fahrzeugs zur richtigen Zeit, das war die Grundüberlegung bei der Umweltprämie.

Sie sehen ja beispielsweise zurzeit, praktisch alle Weltmärkte - der chinesische, der brasilianische, jetzt der britischer, der französische Markt - haben inzwischen ähnliche Instrumente in die Hand genommen. Also, so falsch kann das ja nicht sein.

Deutschlandradio Kultur: Man kann auch andersrum argumentieren: Wenn alle die gleichen Instrumente in die Hand nehmen, dann hilft das im Moment vielleicht ein wenig, aber da alle die gleichen Instrumente haben, werden wir in einem Jahr wieder die gleichen Probleme haben.

Matthias Wissmann: Ich kann Ihnen heute nicht sagen, ob der Weltmarkt sich schon 2010 erholt oder erst 2011. Aber bei der Automobildichte, die Sie in den Wachstumsländern der Zukunft - Indien, China - haben, spricht alle ökonomische Vernunft dafür, dass diese Märkte gewaltig wachsen werden. Die Schlüsselfrage ist nur: Wollen wir Deutschen mit den ökologisch besten Produkten daran einen Anteil haben oder wollen wir diesen Markt für andere räumen? Wir wollen daran einen wesentlichen Anteil haben. Der chinesische Markt ist für die deutsche Automobilindustrie inzwischen nach dem westeuropäischen wichtiger als der amerikanische Markt. Er steht auf Nr. 2 unserer Verkaufsliste und wir können froh sein, dass wir dort so angesehen und so erfolgreich sind. Darum werden wir weiter ringen.

Deutschlandradio Kultur: Wollen Sie ernsthaft, dass in China genauso viele Autos in der Dichte fahren, wie in Europa - weil Sie vorhin von Umweltpolitik geredet haben? Oder brauchen wir da nicht völlig andere Motoren? Da geht beispielsweise Renault -Nissan voran. Die machen eine Vereinbarung mit der chinesischen Regierung und sagen: Wir wollen mit der chinesischen Regierung gemeinsam versuchen Elektroautos zu bauen - mit staatlicher Unterstützung - und die ganze Infrastruktur gleich mit. Machen die Deutschen da nicht mit?

Matthias Wissmann: Ich sage Ihnen nur: Das Auto, das im Jahre 2020 auf dem Markt ist, wohin wir uns ja schon entwickeln, wird teilweise immer noch den Verbrennungsmotor haben, aber mit immer geringeren Verbrauchs- und Emissionswerten. Und bei alternativen Antrieben sind wir mindestens so gut wie Renault-Nissan. Nur ein Problem kann im Moment noch keiner vollständig lösen: die Speicherfähigkeit der Batterie, die Reichweite des Antriebs und die Kostensituation. Und an diese drei Themen verwenden wir riesige Summen von Geldern in der deutschen Automobilindustrie und natürlich auch bei anderen. Aber wir sollten nicht den Eindruck in der Öffentlichkeit schüren, als seien wir da schlechter als andere - im Gegenteil, wir sind besser als andere.

Und was nützt mir ein Vertrag? Verträge können wir auch schöne abschließen. Entscheidend ist, dass Sie die besten Batterien haben. Ich sage noch mal, die erste Lithium-Ionen-Batterie der Welt fährt in einem Serienauto aus Deutschland, was übrigens auch zeigt, dass Premiumautos in der Regel schneller Technologien implantieren können, weil der Kunde eher den Preis zu bezahlen in der Lage ist und dass man über die Premiumautos dann auch in die kleineren und mittleren Fahrzeuge Innovationen triggern kann, wie man heutzutage sagt.

Ich bin durchaus ein Antreiber und bin nie ganz zufrieden. Aber ich sage Ihnen auch: Weltweit gibt es keinen Grund, an der Innovationsfähigkeit dieser deutschen Automobilindustrie, ihrer Ingenieure und Entwickler zu zweifeln. Und Renault-Nissan wäre gerne in der Situation zum Beispiel von Volkswagen, BMW oder Mercedes und sie sind es halt leider nicht.

Deutschlandradio Kultur: Wir gehen ja eigentlich von der Frage aus: Brauchen wir für das Auto - zum Beispiel hier in Deutschland - eine staatliche Verkaufsförderung, die Abwrackprämie oder das Dienstwagenprivileg? Umgekehrt gefragt: Wenn sich die großen, wie die kleinen Leute gar nicht diese Autos kaufen würden, wenn sie gar keine staatliche Förderung bekämen, besonders diejenigen, die die großen Autos, die das wesentlich als Geschäftswagen haben, dann muss man sich doch als Hersteller fragen, dann haben sich doch die Zeiten geändert? Früher hat der Meister sein Auto, auch sein Premiumauto, selbst bezahlt.

Matthias Wissmann: Bestimmte Sachen sind nicht so leicht aus den Köpfen zu kriegen, zum Beispiel die falsche Vorstellung, Dienstwagen seien alles Oberklassefahrzeuge oder gar Luxusfahrzeuge. Wir wissen inzwischen, dass weniger als 2 % der Dienstwagen Luxusfahrzeuge sind und dass der allergrößte Teil Kompaktklasse, Mittelklasse ist. Also, wir reden von Hunderttausenden von Menschen mit ganz normalen Fahrzeugen. Das Premiumsegment lebt ganz wesentlich vom Weltmarkt, überhaupt die gesamte deutsche Automobilindustrie mit 11 Mio. produzierten Fahrzeugen bei einem Verkauf in Deutschland - im günstigsten Fall - mit 5,5 Mio. Fahrzeugen, wovon dann vielleicht 3 Millionen deutsche sind. Und wir müssen Antworten auf den Weltmarkt des 21. Jahrhunderts geben.

Da stimme ich Ihnen durchaus zu. Diese Antworten werden noch ökologischer, werden auch alternativer, aber man muss die Zeitachse dabei sehen. Ich kann halt keine Batterie herbeizaubern. Ich habe als Forschungsminister in den 90er Jahren noch erlebt, dass vom Forschungsministerium geförderte Elektroautos auf Rügen serienweise explodiert sind. Wir müssen das Thema Sicherheit vollständig im Griff haben. Wir müssen das Thema Reichweite und Speicherkapazität im Griff haben. Und wir müssen es unter Kostengesichtspunkten darstellen, die für einen normalen Bürger bezahlbar sind.

Deutschlandradio Kultur: Interessanterweise will Großbritannien bis zum Jahr 2011 all diejenigen belohnen, die auf Elektroautos umsteigen, und zwar mit 5.700 Euro, wenn sie ihren Verbrennungsmotor hergeben. Da muss doch eine Idee dahinter stecken, dass es bis 2011 möglich ist, mit Fahrzeugen mit Elektroantrieb im Stadtverkehr gut zurecht zu kommen.

Matthias Wissmann: Also, die Briten sind nicht gerade - bei aller Wertschätzung für unsere britischen Freunde - dafür berühmt, dass sie ihre Automobilindustrie in den letzten 20, 30 Jahren erfolgreich über Wasser gehalten haben, um es mal etwas freundlich zu sagen. Ich kann nur generell raten. Sie wissen, ich habe natürlich als Bundesforschungsminister a.D. und Bundesverkehrsminister auch die eine oder andere Erfahrung. Gebt in der Politik Rahmenbedingungen vor, was ja zum Beispiel die Europäische Kommission und die Europäische Union jetzt gemacht hat bei der Reduktion von CO2-Werten, die uns gewaltig fordern, aber schreibt keine Techniken vor. Ich habe viel Sympathie für das Thema Teilhybrid und Elektro. Aber ob Teilhybrid und Elektro im Jahr 2020 in der Konkurrenz zu Wasserstoff und Brennstoffzelle und zur weiteren Optimierung des Verbrennungsmotors wirklich die einzige Lösung sind, das kann Ihnen heute keiner, der seriös ist, ernsthaft beantworten. Deswegen: Rahmenbedingungen vorgeben, Emissionsgrenzen ja, aber um Gottes Willen keine Techniken vorschreiben! Wenn Beamte und Politiker anfangen Techniken vorzuschreiben, dann endet das in der Regel im Elend.

Deutschlandradio Kultur: Sie fahren ja im Regierungsviertel selbst Fahrrad und nicht Auto. Würden Sie sagen, in die Innenstadt gehört das Auto eigentlich gar nicht rein?

Matthias Wissmann: Nein, daraus leitet sich kein allgemeiner Anspruch ab. Ich sage nur, mir macht das Fahrradfahren Spaß. Ich finde auch diesen Gegensatz zwischen Autofahrern und Radfahrern ziemlich kindisch und leider häufig ressentimentbeladen. Es gibt Momente, wo ich viel lieber mit dem Rad unterwegs bin. Und es gibt andere Momente, wo ich genau weiß, ohne das Auto, das mir dann Spaß macht, käme ich nicht von A nach B.

Wir müssen überhaupt diesen Antagonismus, diesen Gegensatz zwischen den Verkehrsträgern überwinden und kapieren. Das Auto des 21. Jahrhunderts hat nur Platz und Perspektive, wenn sich die alternativen Systeme zu Bahn und Schifffahrt und Rad entsprechend entwickeln. Deswegen ärgere ich mich in Berlin auch immer über die Stellen, an denen es noch keine Radwege gibt.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, über die Autofahrer in Berlin in der Innenstadt ärgern Sie sich manchmal dann doch, wenn Sie Fahrrad fahren?

Matthias Wissmann: Ich ärgere mich manchmal über Autofahrer, wenn ich Rad fahre. Und ich ärgere mich als Autofahrer über disziplinlose Radfahrer, die es leider auch gibt. Also, da ich unentwegt mit beiden Verkehrsmitteln unterwegs bin, kenne ich inzwischen die Schwäche des jeweils anderen und auch meine eigenen Schwächen.

Deutschlandradio Kultur: Danke, Herr Wissmann, für das Gespräch.