Wissenschaftler als Egozentriker

24.06.2009
In seinem neuen Sachbuch porträtiert der Journalist Thomas de Padova den Mathematiker Johannes Kepler und den Physiker Galileo Galilei anhand eines Briefwechsels. Der blieb historisch bislang im Verborgenen - und wirft ein neues Licht auf die Persönlichkeit der beiden Wissenschaftler.
Im 16. Jahrhundert hatte man damit begonnen, neue Kontinente und Ozeane zu entdecken und den Globus zu kartografieren. 100 Jahre später, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, machen sich Wissenschaftler daran, nicht nur die Erde, sondern auch den Sternenhimmel und den Kosmos zu verstehen und zu vermessen. Dieser Epoche nimmt sich das Sachbuch "Das Weltgeheimnis - Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels" an. Autor des Buches ist Thomas de Padova. Padova, Jahrgang 1965, studierte Physik und Astronomie und war lange Wissenschaftsredakteur beim Berliner "Tagesspiegel".

Hinter dem "Weltgeheimnis" verbirgt sich die zentrale Frage der Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts, ob sich die Erde um die Sonne oder die Sonne um die Erde dreht, ob der Kosmos also heliozentrisch oder geozentrisch organisiert ist. Für die Kirche stand außer Frage, dass die Erde als Gottes Schöpfung im Mittelpunkt des Kosmos stehe - insofern eine Machtfrage, denn wer die Erde nur als Planeten der Sonne betrachtete, der lehnte sich gegen die Ideologie der Kirche auf, was seinerzeit eine gefährliche Sache war. Im Jahr 1600 wird der Philosoph Giordano Bruno deswegen auf dem Scheiterhaufen verbrannt und erst im Jahr 2000 vom Vatikan rehabilitiert.

Die Hauptperson in Padovas "Das Weltgeheimnis" ist allerdings nicht der Mönch und Philosoph Bruno, sondern Hauptprotagonisten sind der Mathematiker Johannes Kepler und der Physiker Galileo Galilei. Während Bruno spekulativ argumentierte, haben Kepler und Galilei die "Vermessung des Himmels" entscheidend wissenschaftlich vorangetrieben. Galilei indirekt, indem er 1609 das damals gerade neu erfundene Fernrohr in der Wissenschaft populär machte und damit die Wissenschaftsmethode der Astronomie auf eine naturwissenschaftliche Basis stellte. In einer Zentralfrage aber blieb Galilei konservativ und beharrte auf der Kreisbahn der Planeten um die Sonne. Der eigentliche Pionier hier war der deutsche Johannes Kepler. Er beweist, dass sich die Erde in einer Ellipse um die Sonne dreht.

Padovas "Das Weltgeheimnis", quasi eine Doppel-Biographie von Galilei und Kepler, lässt die beiden Wissenschaftler zutiefst menschlich werden. Ein Blick hinter die Kulissen: Da wird Kepler zum Beispiel zu einem liebenswerten wie auch unfreiwillig komischen Charakter, einem "närrischen Kauz" aber auch wahren "Helden", während Galilei sich als egozentrischer und auch opportunistischer Wissenschaftler entpuppt.

Zur Grundlage seines Buches hat Thomas de Padova einen Briefwechsel zwischen Kepler und Galilei gemacht, der bis dahin wissenschaftshistorisch weitgehend unberücksichtigt geblieben war und der zu einer Entzauberung des "Mythos Galilei" führt. Galilei bleibt zwar der geniale Physiker, der wichtige naturwissenschaftliche Gesetze der Mechanik aufgestellt hat - der aber auch, was die Erforschung des besagten "Weltgeheimnisses" betrifft, Daten Keplers gestohlen und dessen mathematische Beweise als "Kindereien" bezeichnet hat.

"Das Weltgeheimnis - Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels" entpuppt sich als großes Lesevergnügen, mit heißer Feder im Präsens erzählt und in Bilder und Handlung gesetzt. Und sogar gelacht werden darf viel: Der Supermathematiker Kepler als echter Don Quichotte und Träumer, der sich in den Maschen der Mathematik verstrickt, aber selber sagt, "ohne diese Irrtümer entginge uns ja sonst beim Lesen die ganz große Unterhaltung". Diesem Grundton passt sich der Stil des Buches an, ein diskret moderner, zum Teil umgangssprachlicher Stil voller Witz. Trotz der Stofffülle schafft es Autor Padova, den naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozess transparent zu machen. Das ist Wissenschaft zum Anfassen, Wissenschaft als Detektivgeschichte.

"Das Weltgeheimnis - Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels" bietet neue Forschung, historische Orientierung, einen Überblick über die Geschichte der Wissenschaftstheorie von der Antike bis zur Relativitätstheorie Albert Einsteins und spannende Wissenschaftsliteratur. Wer ein Fan von Daniel Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt" ist, der sollte Thomas de Padovas "Das Weltgeheimnis - Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels" lesen.

Besprochen von Lutz Bunk

Thomas de Padova: Das Weltgeheimnis - Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels
Piper Verlag, München 2009
352 Seiten, 19,95 Euro