Wissen über Internetnutzer

Von Andreas Rinke · 08.01.2012
Führt die globale Vernetzung durch das Internet automatisch zu mehr Wissen über die Welt? Und welchen Beitrag leisten Suchmaschinen dabei? Jenen zentralen Fragen widmet sich Eli Pariser in seinem Buch "The Filter Bubble".
Selten hat ein Unternehmen die Gewohnheiten vieler Menschen so schnell verändert wie das amerikanische Internetunternehmen Google. So wie der Markenname "Tempo" im Deutschen der Inbegriff für Taschentücher geworden ist, gebrauchen wir heute das neudeutsche Verb "Googlen" ganz selbstverständlich für die Suche im Internet.

Doch der Freude, mit ein paar Klicks Schneisen in den riesigen Datendschungel zu den erwünschten Informationen schlagen zu können, hat Pariser nun eine flammende Warnung gegenübergestellt. In seinem neuesten Buch "The filter bubble", warnt der amerikanische Autor, dass Firmen wie Google, Facebook und andere unseren Blick auf die Welt immer mehr beschränken - vermeintlich in unserem eigenen Interesse. Nun ist die kritische Beschäftigung mit der Internetrevolution längst kein neues Phänomen mehr.

Die anfängliche Euphorie ist verflogen, auch wenn immer mehr Menschen die Technik nutzen. In den vergangenen Monaten sind in den USA etwa von Ken Auletta mit "Googled" und von Nicholas Carr mit "The shallows" mehrere Bücher erschienen, die sich mit den Folgen der neuen Technologien auf alte Medien und unser Denken beschäftigen.

Der spezielle Reiz des Buches von Pariser liegt jedoch darin, dass er sich mit etwas beschäftigt, was die meisten Nutzer gar nicht wahrgenehmen: das Geheimnis des unsichtbaren Filterns, mit dem Google für uns Sucherergebnisse oder Facebook-Einträge unserer "Freunde" anzeigt - oder eben nicht.

"Wenn wir wissen wollen, wie die Welt wirklich aussieht, müssen wir verstehen, wie die Filter unseren Blick formen und verformen","

fordert der Präsident der Organisation MoveOn.org, der sich als Aufklärer der Internetcommunity sieht: Er zieht dabei nicht etwa in einen ohnehin aussichtslosen Kreuzzug gegen Suchmaschinen, sondern er fordert die Internetnutzer zu einem bewussteren Umgang mit der Technik auf. Und von den Firmen fordert er die Offenlegung der Filterkriterien. Denn eher durch Zufall sei ihm die Konsequenz des Filterns selbst bewusst geworden, als er feststellte, dass Facebook ihm neue Einträge einiger seiner konservativen Freunde gar nicht mehr anzeigte, weil deren Meinung nicht zu dem vom Filter für ihn erstellten politischen Profil passte. Wenig überraschend, dass Pariser darin eine Entmündigung sieht.

Auch die Google-Suchmaschine operiert mit dem Programm Edge-Rank in einer ähnlichen Weise, indem es die Suchergebnisse personalisiert. Es macht sich also aufgrund der in der Vergangenheit eingegebenen und gespeicherten Datenfülle insgeheim ein Bild eines Nutzers, um ihm zielgenauer die gesuchte Information bieten zu können. Auch Pariser erkennt an, dass dies durchaus im Interesse vieler Nutzer sein kann. Doch sein Anliegen ist es, auf die Kehrseite der Medaille zu verweisen.

""Es gibt immer einen Preis für die Personalisierung: Im Gegenzug für die Bequemlichkeit geben wir ein Stück Privatsphäre und Kontrolle an Maschinen ab", "

warnt er. Zumal die Algorithmen, die die Personalisierung bestimmen, kein Selbstzweck oder gar ein altruistischer Beitrag zur Weiterentwicklung des Internets sind. Die Zielgenauigkeit wird nach seiner Ansicht vielmehr für Werbekunden verbessert, damit diese potenzielle Konsumenten treffsicher ansprechen können.

Pariser warnt zudem vor der Konzentration auf sehr wenige Konzerne wie Google, Amazon oder Facebook, deren gesammeltes Wissen über ihre Nutzer in gigantischen Datenspeichern auch in einer demokratischen Gesellschaft gefährlich werden kann. So zitiert er einen Googlemitarbeiter, der ihm gegenüber betont, dass sein Unternehmen sich natürlich auf der Seite der "Guten" sieht - aber unglaublichen Schaden anrichten könnte, wenn sich das einmal ändern sollte. Dass Filter längst von autoritären Regierungen genutzt werden, um den Zugang zu unliebsame Internetseiten zu verhindern oder zumindest zu erschweren, ist ohnehin bekannt. Geschickt manipulierte Filter sorgen so dafür, dass keine Verbote mehr ausgesprochen werden müssen, sondern bestimmte Inhalte entweder nicht mehr oder nur sehr weit hinten auf der Trefferliste angezeigt werden. Denn wie stellt Pariser fest:

""Im Internetzeitalter ist es für Regierungen möglich, die Wahrheit zu manipulieren."

Aber für ihn geht die Wirkung der Filter noch tiefer. So warnt er, dass der natürliche menschliche Antrieb zum Lernen verkümmern könnte, wenn personalisierte Suchergebnisse dem Leser nur noch den Inhalt anzeigen, den er ohnehin erwartet hat oder der mit seiner Meinung übereinstimmt.

"Eine perfekt gefilterte Welt, in dem Lesern die Überraschung unerwarteter Ereignisse oder Assoziationen vorenthalten wird, provoziert weniger Lernen."

Pariser vergleicht die Wirkung der Filter deshalb mit der der Amphetaminmischung Adderall, die offenbar bei amerikanischen Wissenschaftler und Computerexperten in Mode gekommen ist. Denn die geschluckte Pille ermöglicht eine sehr viel längere Aufmerksamkeitsspanne. Aber sie bewirkt auch, dass sich Nutzer nur noch auf das Hauptthema konzentrieren und kaum noch empfänglich für andere Reize sind. Um im Bild zu bleiben: Auch die Nutzer von Suchmaschinen würden also immer stärker in ihren eigenen "Blasen" eingeschlossen.

Allerdings liegt in den düsteren demokratietheoretischen Warnungen auch der schwächste Teil seiner Argumentation. Denn neu ist die von Pariser beklagte Eindimensionalität des Denkens keineswegs. So weist er selbst darauf hin, dass es schon immer den Versuch von Menschen gegeben hat, unliebsame Neuigkeiten oder Interpretationen zu vermeiden - weshalb Anhänger verschiedener politischer Parteien meist auch unterschiedliche Zeitungen abonnieren. Im Extremfall fühlen sich Google-Nutzer also durch die Filter nur noch mehr in dem bestätigt, was sie immer schon glaubten. Weil dies bei jedem aber anders ist, muss die Meinungsvielfalt insgesamt keinesfalls sinken.

Im Übrigen geht Pariser wie viele Internetgurus fälschlicherweise davon aus, dass Bürger alle Informationen ausschließlich über das Internet aufnehmen - wovon zumindest Deutschland Lichtjahre entfernt ist.

Dennoch hat das faszinierende geschriebene und mit vielen Beispielen gespickte Buch einen erheblichen Wert: Es sensibilisiert Nutzer für mögliche Gefahren einer neuen Technologie. Zwei einfache Lehren gegen die Verblödung kann der Leser übrigens schon vor der Lektüre ziehen: Einfach mal die Suchmaschine wechseln und gute Facebook-Freunde direkt anrufen.

Die Welt bei Google mag schrumpfen. Die Welt außerhalb von Google und Facebook wächst.
Buchcover Eli Pariser: "The filter bubble. What the internet is hiding from you"
Buchcover Eli Pariser: "The filter bubble. What the internet is hiding from you"© Penguin Press
Buchcover Eli Pariser: "Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden"
Buchcover Eli Pariser: "Filter Bubble. Wie wir im Internet entmündigt werden"© Hanser Verlag
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