Wirtschaft

Innovation entsteht überall

Der wissenschaftliche Mitarbeiter vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, Dennis Mronga, justiert am 04.03.2013 auf der weltgrößten Computermesse CeBIT in der Messe Hannover (Niedersachsen) den rechten Arm der Roboterdame AILA.
Forschung: Roboter werden in Zukunft eine immer größere Rolle spielen © picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert
Frank Piller im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 30.06.2014
Der Innovationsforscher Frank Piller sieht bei der Forschungsförderung noch Luft nach oben. Deutschland habe zwar viele kreative Leute mit Ideen, doch die Finanzierungsmöglichkeiten seien nicht vorhanden.
Korbinian Frenzel: Angela Merkel hat viele Termine, die nicht sonderlich spannend sind. Diese Vermutung darf man wohl getrost anstellen. Und wenn man hört, dass sie in diesen Tagen, auch bei der heute beginnenden Jahrestagung der Deutschen Forschungsgemeinschaft vorbeischaut, dann sollte man sich nicht täuschen: Zum dritten Mal gibt die Kanzlerin dieser Veranstaltung schon die Ehre, weil es da um eine ziemlich große Frage geht: Wie bleiben wir vorne? Wie und wo entstehen Innovationen?
Fragen wir jemanden, der genau das erforscht: Professor Frank Piller von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen. Guten Morgen!
Frank Piller: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Herr Piller, wenn ich so auf meine liebsten Alltagsgegenstände schaue, dann würde ich vermuten, die zündenden Ideen entstehen am besten in kalifornischen Garagen, oder?
Piller: Ja, das scheint heute so zu sein. Aber wir wissen eigentlich aus der Innovationsforschung, dass Innovation überall entsteht. Es gibt ja zwei Richtungen, die man vielleicht unterscheiden kann, und dies gilt auch für die kalifornische Garage. Es gibt einmal den Unternehmererfinder, das ist unser Bild von Steve Jobs. Der hat eine tolle Idee und sieht gleich den Markt, auf dem er sie verkaufen will.
Parallel wissen wir aber auch, dass viele Innovationen eigentlich sogenannte Nutzererfindungen sind, das heißt, ein frustrierter Nutzer steht vor der Innovation. Wer hat Tipp-Ex erfunden? Nicht ein großer Büromittelkonzern, sondern eine frustrierte, schlechte Sekretärin, die, um ihr eigenes Problem zu lösen, dann mit Lösungsmittel und Farben herumgespielt hat und dann Tipp-Ex hatte.
Frenzel: Ich kenne das Beispiel von jemandem, einem Mann, einem Vater, der einen Kinderwagen erfunden hat, der endlich um alle Ecken herumkommt. Den schiebe ich nämlich heutzutage. Aber wenn wir diesen Gedanken mal aufnehmen, Unternehmerinnovation, sagen Sie einerseits, und User-Innovation, da wo man es eigentlich wirklich braucht. Was ist denn da planbar eigentlich? Also bei denen, die das quasi einfach aus dem Alltag heraus erfinden, würde ich sagen, dann ist es ja eher die Glückssache, oder?
Piller: Grundsätzlich wissen wir, dass auch bei Unternehmererfindungen sehr viele erfolgreiche Innovationen nachher Glückssache sind - dazu kommen wir vielleicht noch. Wir wissen heute, würden wir sagen, dass aus Sicht des Unternehmens Innovation eigentlich durchaus planbar ist. In den letzten 30 Jahren wurde viel Forschung über Innovation betrieben und wir wissen, dass man Innovationen in einem sogenannten Stage-Gate-Prozess einsortieren kann, das heißt, klare Entscheidungs- ...
Frenzel: Stage-Gate?
Piller: Ja. Stages sind die Phasen, Gates sind Entscheidungen - dass ich eigentlich so einen großen, komplexen Innovationsprozess einteilen kann in Schritte, so ein bisschen wie eine Produktion, wo ich eine Vorproduktion habe, dann eine Prüfung, eine Montage. Und so ein bisschen können wir auch Ideen systematisch konstruieren und dann in Produkte überführen.
Aber - und jetzt kommt das große Aber: Das geht natürlich sehr gut, wenn es sogenannte inkrementelle oder Verbesserungsinnovationen sind, also Innovationen, wo wir den Rahmen der Domäne, der Wissenschaft schon kennen. Denken Sie an die nächste Auflage des IPhones, denken Sie an die nächste Version eines Autos.
Frenzel: Oder, wenn ich Sie da gerade unterbrechen darf - ich kenne das Bonmot eines Wissenschaftlers, der sagt, unter heutigen Forschungsbedingungen würden wir nicht mehr die Glühbirne erfinden, sondern wir würden die Petroleumlampe optimieren.
Risikoreichtum und Finanzierung
Piller: Ja, das ist, so oder so gesagt, das hängt vor allen Dingen daran, dass wir vielleicht sehr viel Risikoaversion in vielen Firmen haben. Und da können wir wieder zur kalifornischen Garage kommen. Wenn man eben weiß, dass neben diesem systematischen Prozess noch ein anderes Element der Innovation wichtig ist. Und das ist dieser Risikoreichtum und vielleicht auch die Finanzierung, die dahinter steht, um dieses Risiko anders zu bewerten und deshalb zu finanzieren.
Frenzel: Haben wir davon genug in Deutschland, dieses Risikobewusstsein?
Piller: Ich glaube, das Risikobewusstsein schon. Wir haben bestimmt auch sehr viel die kreativen Leute mit den Ideen, um dieses anzugehen. Was wir vielleicht, und das sieht man immer wieder auch in den Statistiken im internationalen Bereich, gerade jetzt mit Kalifornien, weniger haben, sind die Finanzierungsmöglichkeiten dafür.
Frenzel: Wenn wir uns mal die Situation in Deutschland anschauen, dann haben wir ja viel staatliche Förderung auch, die in diesen Bereich geht. Ist die denn effizient? Kann die wirklich Innovation voranbringen?
Unterstützung ist hilfreich
Piller: Ja, grundsätzlich sagt man ja als Ökonom, man sollte nur irgendwas fördern, wenn wir Marktversagen haben, das heißt, wenn der freie Markt das nicht hinkriegt. Bei Innovation ist das tatsächlich ein Fall, wo das anerkannt ist, dass der Staat eine wichtige Rolle spielt. Weil es natürlich sehr risikoreiche, vielleicht gar nicht so teure, aber sehr risikoreiche Prozedere gibt, gerade in der Grundlagenforschung, um neue Moleküle zu finden, neue grundsätzliche Works-Bedingungen. Und hier soll der Markt anfangen - sorry, und hier soll der Staat anfangen zu fördern. Dasselbe gilt für die letzte Phase der Innovation, also die Einführung einer Invention, einer Erfindung in den Markt. Auch hier tun sich gerade kleine Unternehmen häufig schwer, die notwendigen Prüfungen, Regulatoriken und so weiter zu durchlaufen, und auch hier ist eine gewisse Unterstützung hilfreich.
Frenzel: Funktioniert das denn gut, diese Einführung neuer Technologien? Mir fallen jetzt natürlich erst mal die Negativbeispiele ein, zum Beispiel der ja wahrscheinlich technisch wirklich anspruchsvolle Transrapid.
Piller: Ja, das ist auch so eine Sache. Beim Transrapid sind, glaube ich, viele Sachen schief gelaufen. Auch grundsätzlich scheitern bestimmt 60, 70, 80 Prozent, je nach Branche, aller neuen Produkteinführungen. Das zeigt wieder das Risiko, was dahintersteckt. Richtig gefördert, kann aber durchaus der Staat hier etwas beitragen. Was nicht passieren darf, ist, dass die Forschungsförderung zu Fehlallokationen führt, das heißt, dass in irgendetwas nur deshalb geforscht wird, weil irgendwie gerade Geld da ist. Das ist teilweise bei den erneuerbaren Energien passiert, wo eben durch sehr billiges Förderungsgeld, das politisch motiviert ist, vielleicht nicht in der höchsten Effizienz immer geforscht wurde.
Frenzel: Nun tagen ja ab heute die Forscher des Landes, wenn ich das mal so sagen darf, die Jahrestagung der Deutschen Forschungsgesellschaft. Wie viel Garage steckt denn in denen?
Piller: In denen steckt ziemlich wenig Garage, weil das ist ja eigentlich das öffentliche System, das da tagt. Das sind die Universitäten, die Fraunhofer-Institute, also das, was ich als Grundlagenforschung bezeichne. Und hier ist die Flopp-Rate vielleicht 999 zu eins. Also 999 mal geht es schief, und einmal habe ich den Durchbruch. Und hier reden wir über Forschung, die 20 Jahre teilweise vor der Markteinführung ist. Und das ist ganz wichtig, und das ist in den USA übrigens genauso, dass hier der Staat fördert und auch Bedingungen schafft, die vor allen Dingen Scheitern belohnen. Das ist das Tolle am wissenschaftlichen System. Auch wenn man gescheitert ist, kann man darüber noch eine Publikation schreiben. Als Unternehmer - na ja, in Kalifornien kann man das ein paar Mal machen, aber irgendwann soll was herauskommen.
Frenzel: Da schreibt man dann ein Buch. Aber Sie haben es gerade beschrieben: 20 Jahre, das ist ja eine lange Zeit, bis etwas dann wirklich auf dem Markt landet. Betreiben wir vielleicht - die historischen Gründe sind ja gegeben - aber betreiben wir vielleicht zu viel Grundlagenforschung in Deutschland, und zu wenig konkrete?
Sprung zwischen den Systemen
Piller: Also ich glaube, zu viel Grundlagenforschung nicht. Was uns hier fehlt, ist ein bisschen der Sprung zwischen den Systemen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat sich lange nur darauf fokussiert, die Grundlagenforschung zu fördern, und meinte dann, wenn was herausgekommen ist, endlich was Tolles, dann wird das seinen Markt schon finden. Und hier wissen wir, dass das nicht unbedingt funktioniert, dass also tolle Ergebnisse der Grundlagenforschung dann vielleicht noch mal zehn Jahre brauchen, bis sie in industrielle Anwendung kommen. Weil die andere Förderung, die die industrielle Forschung fördert, kommt eher vom Wirtschaftsministerium, vom Bundesforschungsministerium in angewandten Programmen. Und hier zwischen ist der Übergang nicht immer ganz perfekt. Aber auch daran arbeitet inzwischen die DFG.
Frenzel: Wie entstehen Innovationen? Antworten waren das von Professor Frank Piller von der RWTH in Aachen. Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.