Wirtschaft

Der entzauberte Mythos Familienunternehmen

Zwei Mitarbeiter der Firma R. STAHL aus Waldenburg
Familienunternehmen: Tugendhafter Gegenpol zu Konzernen? © picture alliance / dpa / Harry Melchert
Von Caspar Dohmen · 23.09.2014
Was ist dran am Ruf deutscher Familienunternehmen? Sie stellen sich gerne als tugendhaft und verlässlich dar. Der Mythos besagt, dass die Geschäfte langfristig seien. Feindliche Übernahmen und Gewinnmaximierung passen nicht dazu - sollte man meinen.
Das Nobelhotel Adlon, schräg gegenüber dem Brandenburger Tor. Ein Portier öffnet die schwere Tür. In der Eingangshalle plätschert ein Brunnen. An Tischen und auf Sofas Gäste in lockerer Sommerkleidung. Im hinteren Bereich des Hotels dominieren dunkle Anzüge und Business-Kostüme. Hier findet der "Tag des Deutschen Familienunternehmens 2014" statt. Eingeladen hat die Stiftung deutscher Familienunternehmen, ein Lobbyverband großer Firmen, die Familien gehören. Geschäftsführer Stefan Heidbreder blättert zufrieden durch das Teilnehmerverzeichnis. Es liest sich wie ein "Who is Who" der deutschen Wirtschaft von der Aachener Printen- und Schokoladenfabrik Henry Lamberts, über den Wuppertaler Haushaltsgerätehersteller Vorwerk bis zur Duisburger Haniel-Gruppe, zu der unter anderem der Handelskonzern Metro gehört, sind alle dabei.
Stefan Heidbreder: "Die Königsklasse der deutschen Familienunternehmen, es sind ja knapp 300 Gesellschafter großer Familienunternehmen hier, die sind alle oberhalb der sogenannten Mittelstandskategorie, also oberhalb 50 Millionen Euro Umsatz und die sind in der Regel alle weltweit auch tätig."
Hinter schweren lederbeschlagenen Türen und unter zwölf großen Kronleuchtern feiert man ein weiteres erfolgreiches Jahr. Wegen der dicken Wandteppiche im Palaissaal fällt das Schulterklopfen und Klatschen eher gedämpft aus:
Vizekanzler Sigmar Gabriel steigt auf die Bühne.
"Vielen Dank für die Einladung …"
Der Wirtschaftsminister lobt die Rolle der Familienunternehmen. Dass Deutschland wirtschaftlich besser dastehe als viele andere Länder, habe vor auch mit ihnen zu tun.
Neun von zehn deutschen Unternehmen werden von Familien kontrolliert. Diese Firmen erwirtschaften gut die Hälfte des Umsatzes aller Betriebe und beschäftigen sechs von zehn Arbeitnehmern in Deutschland.
SPD-Chef Sigmar Gabriel bei einer Pressekonferenz
SPD-Chef Sigmar Gabriel © dpa / picture-alliance / Stephanie Pilick
Sigmar Gabriel: "…Mittelständische Familienunternehmen, ein besseres Beispiel für die soziale Marktwirtschaft können sie gar nicht finden."
Das Image von Familienunternehmen ist grandios. Sie gelten als "Seele der Sozialen Marktwirtschaft" oder "Fels in der Brandung". Familie, das klingt nach Wärme und Geborgenheit in der kapitalistischen Welt. Und gerne betonen Familienunternehmer, dass es ihn um den langfristigen Erfolg statt um kurzfristige Gewinnmaximierung geht. In der öffentlichen Wahrnehmung bilden Familienunternehmen den Gegenpol zu anonymen Großkonzernen oder den Finanzinvestoren, den gefürchteten "Heuschrecken".
Das Bild bekommt jedoch zunehmend Risse. Beim Tag der Familienunternehmer sorgt der Versuch einer feindlichen Übernahme für Gesprächsstoff. Ein alteingesessenes deutsches Familienunternehmen versucht ein anderes zu schlucken. Angreifer ist der Elektronikhersteller Weidmüller aus dem westfälischen Detmold. Das Übernahmeziel ist die R. Stahl AG aus dem baden-württembergischen Waldenburg.
Stefan Heidbreder: "Man spricht ja hier von einer feindlichen Übernahme, so was kennen Familienunternehmer normalerweise gar nicht, das ist etwas, das kennt man vielleicht so aus der angelsächsischen Welt, bisher. Und da schauen alle wie das ausgeht, ja."
Es ist schon ungewöhnlich, dass ein deutsches Familienunternehmen ein anderes gegen dessen Willen schlucken will. Noch ungewöhnlicher ist es, dass ein solcher Übernahmeversuch öffentlich abläuft, was einen seltenen Einblick in die Welt der sonst sehr diskreten Familienunternehmen erlaubt.
Waldenburg ist ein kleiner Ort mit knapp 3000 Einwohnern am Rande der Schwäbischen Alb. Tradition wird hier groß geschrieben. Den im Jagdschloss residierenden Fürsten sprechen viele Einwohner heute noch als Durchlaucht an.
Zwischen dem Rathaus, der Kirche und dem Brunnen steht ein kleines verglastes Häuschen. Darin sitzen zwei große Puppen in einer Wohnzimmerkulisse. Sie stellen eine schwäbische Großmutter und ihre Enkel dar. Wer zwei Euro in den Schlitz einwirft setzt ein automatisches Puppentheater in Gang und bekommt einiges über den Ort erzählt, auch über die Wirtschaft.
"Die Aussicht muss man selber sehen, manchmal sieht man sogar bis zum Odenwald. Wunderbar."
"Ja, und weniger wunderbar, auf der anderen Seite Industriegebiet."
"Ja, ja, aber das ist gut für Arbeitsplätze."
Untern in der Ebene liegt ein großes Gewerbegebiet. Hier produzieren traditionsreiche Familienunternehmen, etwa Ziehl-Abegg, ein Spezialist für Ventilatoren und Klimatechnik oder der Schraubenhersteller Würth. Schräg gegenüber vom kleinen Bahnhof Waldenburg liegt auch die Zentrale von R. Stahl, ursprünglich gegründet 1876 in Stuttgart.
"Es wird explizit nach unserer Meinung auch gefragt"
Eine lichte Produktionshalle. Eine Arbeiterin dreht und wendet ein elektronisches Bauteil, begutachtet es genau, setzt es auf ein kleines Tablett. Das läuft auf einem Förderband in eine Prüfmaschine. Einwandfreie Teile erhalten eine Seriennummer aufgedruckt, fehlerhafte fallen in eine kleine Box. Von der Genauigkeit von Mensch und Maschinen hängen Leben ab. Denn die speziellen Elektronikteile werden in Produktionsanlagen verbaut und sollen verhindern, dass elektrische Funkenschläge eine Explosion auslösen, was in einer Chemiefabrik oder auf einer Ölplattform verheerende Folgen haben könnte. In der Mitte der Fabrikhalle sind einige Büros; auch das Büro des Betriebsratsvorsitzenden Klaus Erker.
Klaus Erker: "Am 3.9.1979 habe ich hier angefangen, das werden jetzt dann 35 Jahre, also ich bin auch so einer, wo nix anderes gesehen hat wie die Firma Stahl, aber das hat auch seinen Grund. Ich habe mich hier immer wohlgefühlt bei der Firma, auch, weil wir ein mittelständischer Betrieb sind, und wir, ach, wir sind irgendwie wie eine Familie, noch, man klärt das untereinander, man ist nicht so anonym. Und das gute ist: Man kann dem Vorstand frei von der Seele babbeln auf gut deutsch. Mir haben auch schon unsere Konflikte gehabt. Man redet deutsch und dann ist man nicht nachtragend mehr, fertig. Also ich finde es echt gut und fühle mich hier wohl und ich hätte auch gerne hier gearbeitet bis zur Rente."
Als Betriebsratsvorsitzender erlebt Erker die Eigentümer der Firma bei Aufsichtsratssitzungen.
Klaus Erker: "Volker Stahl, Dannenbauer, die sind ja alle von der Familie dort. (…) Ich habe mir das anders vorgestellt, ich bin ja das erste Mal dabei gewesen im Aufsichtsrat, ich habe gedacht, Familie und so, die werden einen behandeln wie Menschen zweiter Klasse, stimmt aber nicht, es wird explizit nach unserer Meinung auch gefragt, ich war da überrascht. Das ist halt auch das ganze Flair von der Firma. Ich hoffe, dass ändert sich nicht."
Erker schildert die heile Welt eines Familienunternehmens. Als er die Zweifel seines Gesprächspartners bemerkt, erzählt er von den monatlichen Treffen der Betriebsräte der IG Metall aus der Region.
Klaus Erker: "Und dann höre ich, was die anderen für Probleme haben. Und ich hocke immer als ganz unten und komme als Letzter dran. Und dann, wenn ich dran komm, dann weiß ich gar nicht, was ich sagen soll, weil wir haben eigentlich gar keine Probleme. Ich müsste dann irgendwas erfinden, was ein Problem ist. Ich habe kein Problem, wo man nicht lösen kann..."
…bis der 51-Jährige vor wenigen Monaten erfuhr, dass der Konkurrent Weidmüller seinen Arbeitgeber übernehmen wollte.
Klaus Erker: "Ich bin im Aufsichtsrat gesessen, dann ist die Nachricht gekommen und ich war weg. Sie können sich gar nicht vorstellen, da ist man weg, da denkt man an nix, da hat man nur Panik. Ich habe innerlich Panik gehabt, was passiert mit der Firma, was passiert mit den Leuten, was passiert überhaupt. Wenn sie - das Geschwätz kennen sie selber: 'Synergien ergänzen und Synergien zusammenlegen…' Da bleibt doch immer einer übrig, als Verlierer übrig, und das sind wir. Es war schnell klar, da haben wir gar nicht lange überlegen brauchen, Schulterschluss mit der Firma, wir verteidigen das Ding, das ist unsere Firma."
Das Unternehmen R. Stahl ist seit den 90er Jahren an der Börse. Die Aktienmehrheit an R. Stahl halten die Familien Stahl und Zaiser. Der Rest liegt bei diversen Investoren und Kleinaktionären. Weil das Familienunternehmen an der Börse gelistet ist, musste Weidmüller ein öffentliches Angebot abgeben, ein Angebot, das vor allem die Mehrheitseigner von R. Stahl überzeugen musste. Weidmülller bot am 20. Mai 47,50 Euro je Aktie. Das war ein Zuschlag von fast der Hälfte auf den damaligen Börsenkurs.
Vorstandschef Peter Köhler warb in diversen Interviews für sein Vorhaben und reiste sogar zur Hauptversammlung der Firma R. Stahl, also quasi in die Höhle des Löwen. Tonaufnahmen sind bei solchen Hauptversammlungen untersagt, aber das Skript von der Rede Köhlers vor den Aktionären machte die Runde.
Zitat: "Mein Name ist Peter Köhler. Ich bin verheiratet, habe vier Kinder und bin Vorstandsvorsitzender der Weidmüller-Gruppe. Zu unserer Kultur als Familienunternehmen gehört es, dass man sich persönlich vorstellt. Deswegen war es mir wichtig, auf der Hauptversammlung direkt zu Ihnen zu sprechen. (…) R. Stahl und Weidmüller haben sich in der Vergangenheit so erfolgreich entwickelt, weil Mitglieder aus der Familie mutig und verantwortungsvoll vorangegangen sind. Genau jetzt ist es wieder an der Zeit, mutig und verantwortungsvoll voranzugehen."
Jochen Stahl war über die Vorgehensweise überrascht. Erst wenige Monate zuvor hatte der 40-köpfige Kreis der Familienaktionäre ihn zum Sprecher der Gesellschafter gewählt. Der 41-Jährige hat erst als Kursmakler an der Börse gearbeitet und ist heute bei einer Investmentgesellschaft in Frankfurt tätig.
Jochen Stahl: "Wir haben bisher es eigentlich immer geschafft, uns als Familie im Hintergrund zu halten. Es gab auch keinen Grund, das wir uns da unbedingt in die Öffentlichkeit drängen, weil in der Öffentlichkeit, im Blickpunkt, steht ja das Unternehmen, aber durch die Situation jetzt an sich, kriegt man plötzlich einen ganz anderen Fokus."
Und deswegen ist er an einem Junimorgen in die Räumlichkeiten einer Kommunikationsagentur im Frankfurter Bankenviertel gekommen und beantwortet die Fragen eines Journalisten. Für ihn sei es zunächst ein ganz gewöhnlicher Vorgang gewesen, als Weidmüller anklopfte.
Jochen Stahl: "Da gab es öfter Kontakt bzw. Anfragen, Kontakt nicht, sondern Anfragen, ob die Familie bereit wäre, ihre Anteile abzugeben. Ich meine, es ist eine Wachstumsbranche, es ist ein sehr gut aufgestelltes Unternehmen, Marktführer, innovativ, höchst innovativ, wächst, ist gut aufgestellt, ist gut finanziert, also es gibt durchaus Gründe, also sagen wir mal, es ist durchaus nachvollziehbar, dass andere Unternehmen an der Firma Stahl Interesse haben. Klar, wir haben ja auch hart dafür gekämpft, dass das Unternehmen das ist, was es ist."
Jedes Mal hat die Familie "Nein“ gesagt, auch diesmal.
Jochen Stahl: "Da gab es keine große Diskussion drüber. Das war ein sehr schneller Vorgang, weil sich die Familie an sich schon immer einig war, dass das Unternehmen nicht zum Verkauf steht und wir haben, wie das so üblich ist, sehr schnell für uns beschlossen, nein, es gibt keinen Verkauf. Und damit war für uns der Vorgang an sich erst einmal erledigt."
Einer der Familieneigentümer wird schon schwach werden
Diesmal war es anders. Der Konkurrent legte ein Angebot vor und setzte darauf, dass jemand aus dem Kreis der Stahl-Eigentümer schwach werden und seinen Anteil verkaufen würde.
Jochen Stahl: "Das hat uns schon deutlich überrascht, muss man sagen, weil, das ist kein üblicher Vorgang."
Die Wissenschaft beschäftigt sich wenig mit Familienunternehmen. Es ist bemerkenswert, dass einer der besten Kenner der Verhältnisse nicht ein Wirtschaftswissenschaftler ist, sondern ein Psychologe und Familientherapeut. Arist von Schlippe forscht an der Universität Witten-Herdecke.
Arist von Schlippe: "Das ist, glaube ich, zu vergleichen mit Adelsfamilien in früheren Zeiten, das waren ja oft auch die, die solche wirtschaftlichen Verbindungen gehabt haben. Es ist schon so, dass Familienunternehmer eine, eine Art von Kaste sind, in der man sich wieder trifft, in der man sich miteinander immer wieder sieht. Man kennt sich, bis hin dazu, dass es gar nicht so selten ist, dass man auch ganz bewusst Treffen arrangiert, damit die Jugendlichen sich kennenlernen, dass daraus vielleicht auch Ehen entstehen usw. Es ist schon eine Art von besonderem Netzwerk."
Aber das halte Familienunternehmen keinesfalls davon ab, ihre Interessen zu verfolgen.
Arist von Schlippe: "Es gibt natürlich, das muss man immer dazu sagen, es gibt natürlich auch Familienunternehmen, die genauso in dem Metier gnadenlos agieren wie Konzerne. Und, es gab mal einen schönen Spruch von einem Unternehmer, der in einem Interview sagte: 'Wenn es um Geld geht, kenne ich keine Verwandten. Ja, das heißt: Und derselbe Unternehmer sagte auch: 'Wenn die Kasse nicht stimmt, kannst Du Dir das ganze Sozialgedöns von der Backe putzen.' Das heißt, es ist schon auch eine klare Ausrichtung an wirtschaftlicher Rationalität, vor allem in den Geschäftsfeldern in denen man agiert."
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC befragte für eine aktuelle Studie 461 Familienunternehmer zu ihrer Wachstumsstrategie. Zwei Drittel der befragten Familienunternehmen hatten in den vergangenen sieben Jahren mindestens einmal eine Firma geschluckt, ganz oder teilweise.
Für Furore sorgte das Familienunternehmen Schaeffler: Erst übernahm die Familie ganz in der Manier eines Finanzinvestors feindlich die börsennotierte FAG Kugelfischer. Sieben Jahre später verleibte sich der Konzern große Teile vom Automobilzulieferer Conti ein.
Ins öffentliche Bild der Familienunternehmen passt auch nicht der Fall Douglas. Die Gründerfamilie Kreke holte den amerikanischen Finanzinvestor Advent mit ins Boot ihrer Firma, zu der neben den Parfümerien auch der Buchhändler Thalia, der Schmuckhändler Christ oder der Süßwarenhändler Hussel gehörte. Jetzt wird die Firma zerlegt.
Es gibt weitere Kratzer.
Der Modehersteller Gerry Weber hat zeitweise Aufträge in die Steinzeitdiktatur Nordkorea vergeben.
Der Schraubenkönig Reinhold Würth hat in Österreich eine Stiftung gegründet, die einen Teil seines Vermögens verwaltet. Er ist nicht der Einzige - durch solche Konstruktionen sparen diverse Familienunternehmen Steuern.
Ernüchternd sind auch die Ergebnisse einiger Studien, die in den vergangenen Jahren den wirtschaftlichen Erfolg von Familienunternehmen untersucht haben: Vieles spricht dafür, dass es für die Qualität der Unternehmensführung und die Profitabilität eines Unternehmens unerheblich ist, ob es sich in Familienbesitz befindet oder nicht.
Allerdings wahrten Familienunternehmen bislang gewöhnlich die Form, wenn sie ein anderes Familienunternehmen übernehmen wollen, meint Stefan Heidbreder, der vor seiner Verbandstätigkeit als Berater für Familienunternehmen tätig war.
Stefan Heidbreder: "Man legt normalerweise schon sehr viel Wert darauf, dass es im Einvernehmen stattfindet."
Jochen Stahl machte die gegenteilige Erfahrung.
Jochen Stahl: "Ich habe gelernt in dieser ganzen Zeit bisher, dass es doch auch im Mittelstand Respektlosigkeit gibt."
Das Unternehmen Weidmüller gehört der Familie Gläsel. Aus deren Kreis hat niemand Kontakt zu den Familienaktionären gesucht.
Jochen Stahl: "Es wäre sicherlich der feinere Zug gewesen, dass man sich zusammensetzt und miteinander spricht, am Ergebnis hätte das nichts geändert."
Die aggressive Mission überließ die Eigentümerfamilie Gläsel ihrem Vorstandschef. Der gab sich bis zum Ende optimistisch, dass die Phalanx der Familienaktionäre beim Übernahmekandidaten bricht. Zumindest dessen Betriebsratsvorsitzender Erker war irgendwann unsicher geworden.
Klaus Erker: "Ich habe ja immer die Angst gehabt, dass der irgend ein Ass noch aus dem Ärmel zieht oder irgendwas. Ich war...Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, wo dann die Familie gesagt hat, sie steht hinter dem Unternehmen."
Für den US-amerikanischen Wirtschaftshistoriker Alfred Chandler, den Nestor moderner Unternehmensgeschichte, galten Familienunternehmen als eine „unvollkommene Vorstufe der börsennotierten Kapitalgesellschaften“. Er hielt die Tage der Familienunternehmen schon in den sechziger Jahren für gezählt. Davon kann in Deutschland keine Rede sein. Hier gehören selbst Dax-Konzerne Familien, etwa der Handelskonzern Metro oder der Waschmittelproduzent Henkel. Stefan Heidbreder.
Stefan Heidbreder: "Was uns aber von der gesamten Welt unterscheidet, ist der Anteil der großen Familienunternehmen in Deutschland, wir haben alleine über einhundert Umsatzmilliardäre innerhalb der Familienunternehmen. Und das ist etwas besonderes, was sie so in anderen Ländern nicht vorfinden."
Aber warum gibt es in Deutschland überhaupt so viele große Unternehmen in Familienhand, anders als beispielsweise in England, dem Mutterland der Industrialisierung? Die deutschen Familienunternehmen haben sich häufig auf bestimmte Produkte spezialisiert, etwas Maschinenbau, Medizintechnik oder Elektrotechnik. Und sie sind in ihrer Marktnische sind sie oft weltweit führend.
Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW)
Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW)© picture alliance / dpa
Michael Hüther: "Wenn sie so ein Weltmarktführer sind, so ein Hidden Champion, wo die Hälfte von den 2000 identifizierten irgendwie in Deutschland sitzen, das sind ja mittelständisch, zum Teil relativ überschaubare in ihrer Größe, die das aber alleine dadurch können, das sie mit ihrem Produkt eine Nische besetzen und da auch kein anderer mehr Platz hat. Und da geht es nicht um Größe, sondern da geht es um die Qualität und die Wettbewerbsposition, die man dadurch hat."
Sagt Michael Hüther. Der Chef des arbeitgebernahen Instituts der Wirtschaft blickt von seinem Kölner Büro auf den Rhein und die dahinterliegenden Messehallen. Um diese Stellung im internationalen Wettbewerb zu behaupten, sind jedoch oft gewaltige Kraftanstrengungen und Anpassungen nötig.
Die Eigentümer von R. Stahl verkauften 2006 den Bereich Fördertechnik und stellten die Weichen bei dem Unternehmen neu. Statt mit Einzelteilen wollte die Firma künftig mehr Geschäft mit ganzen Systemen machen, also gleich komplette Lösungen anbieten, beispielsweise zur Überwachung von Pipelines. Martin Schomaker, seit 24 Jahren bei R. Stahl, die letzten zwölf Jahre als Chef. Sein Büro liegt im ersten Stock der Waldenburger Zentrale.
Martin Schomaker: "Das war ein relativ kleiner Bereich. Heute macht der die Hälfte des Umsatzes der Unternehmensgruppe. Wir haben dann gesagt wir müssen die Öl- und Gasmärkte in Übersee besser adressieren, haben innerhalb kurzer Zeit fünf Tochtergesellschaften aufgebaut, in entsprechenden Märkten, in Übersee, und drei Werke im Ausland in derselben Zeit, weil wir nur in Europa Produktion hatten. Das hat natürlich dazu geführt, dass wir die letzten fünf Jahre immer wieder auch deutliche Rückschläge im Ergebnis hatten, für Anlaufkosten, für Überraschungen leider auch. Und auch nicht das Ergebnisniveau erreichen konnten, das wir vorher hatten. So was ist machbar, auch als börsennotiertes Unternehmen, wenn man eine starke Familie hinter sich hat, die sagt, wir stehen dazu, wir unterstützen diesen Kurs, uns geht es um die langfristige Aufstellung und nicht um den kurzfristigen Erfolg."
Bei einer an kurzfristigem Profit orientierten Firma, hätte er anders agiert.
Martin Schomaker: "Dann hätten wir das ganz anders gestreckt und wahrscheinlich auch mehr über Akquisitionen gemacht. Man hat aber dafür auch höhere Risiken und es ist keine organische Struktur, die auch als Unternehmenskultur und -struktur zusammen arbeitet. Man hätte nachher vielleicht mehr einen Flickenteppich verschiedener Unternehmen und nicht ein Unternehmen."
Froh über die Rückendeckung der Familien war Schomaker auch in der Finanzkrise.
Martin Schomaker: "Es war nicht einfach, man stellt als Managementteam fest, dass man an hunderten von Schrauben drehen muss, wenn man trotzdem die Kosten runterdrehen möchte, ohne Personalabbau. Und die Mitarbeiter waren extrem in ihrer Flexibilität gefordert, waren viele Entwickler, die in den Steuerungsbau rüber gewechselt sind, um dort Engineeringleistungen zu erbringen, um Aufträge zu bearbeiten. Also, wir haben hier alles auf den Kopft gestellt. Und das hat auch funktioniert. Wir haben nur acht Prozent Umsatz verloren. Wir haben zum Schluss, die letzten drei, vier Monate, solange wir noch in diesem Tal waren, die Mitarbeiter um fünf Prozent Gehaltsverzicht gebeten. Und das ging innerhalb von drei Tagen durch, hat jeder unterschrieben, und als wir durch waren und das Ergebnis wieder da war, haben wir das auch zurückbezahlt."
Im Palaissaal des Hotel Adlon steht unter jedem Kronleuchter ein großer runder Tisch, an dem die Teilnehmer frühstücken. Es steht die letzte Veranstaltung beim Tag des Familienunternehmens an. Auf dem Podium nehmen einige Unternehmer Platz, um über das Thema „Globalisierung der Unterfamilie zu diskutieren“. Journalisten bekommen den dezenten Hinweis, dass diese Veranstaltung nicht zu Veröffentlichung gedacht ist. Davon hätten einige Herren auf dem Podium auch ihre Bereitschaft zur Teilnahme abhängig gemacht. Das Aufnahmegerät bleibt also in der Tasche. Solche Öffentlichkeitsscheu ist typisch für die Welt der Familienunternehmen. Von manchen mächtigen und steinreichen Patriarchen wie den beiden Aldi-Gründern gab es zeitlebens kaum Fotos. Und die Geheimniskrämerei betrifft jedoch nicht nur persönliche Dinge, sondern vor allem auch die wirtschaftlichen Daten. Die Zahl der Mitarbeiter oder den Umsatz nennen die Firmen meist noch, aber nur selten den Gewinn.
"Familienunternehmen neigen in der Mehrzahl zu einer zurückhaltenden Veröffentlichungspolitik, nicht selten werden sogar spezielle Konstruktionen von Holding und Tochterunternehmen gerade deshalb gewählt, um die Transparenz in den Unternehmen für Außenstehende zu reduzieren."
Bemerkt Sabine Rau, die über Familienunternehmen an der WHU Otto School of Management lehrt, in ihrem Standardwerk „Familienunternehmen“. In Unternehmerfamilien geht es zu wie in gewöhnlichen Familien. Nur dass sich hier Streitigkeiten und Trennungen gleich in der Bilanz niederschlagen. Öffentlich wird Zwist bei Familienunternehmen oft nur, wenn er vor Gericht ausgetragen wird. Wie der Streit der Brüder Becker um die Macht bei der Kölschbrauerei Gaffel oder die Auseinandersetzung des Fleischwarenfabrikanten und Schalke-Präsidenten Clemens Tönnies mit seinem Neffen Robert. Tiefe Kratzer bekommt das Bild des hehren Familienunternehmers derzeit auch durch ein Gerichtsverfahren, bei dem sich die ehemalige Führungsriege des Bankhauses Sal. Oppenheim um Matthias Graf von Krockow vor dem Kölner Landgericht verantworten muss.
Die Beziehungspflege ist das ganz große Asset
An einem Abend im November 2005 ist der Festsaal der Prager Burg gut gefüllt. Wo gewöhnlich der tschechische Staatspräsident Empfänge gibt, feiert an diesem Tag das Bankhaus Sal. Oppenheim die Eröffnung seiner Niederlassung in Prag. Das tschechische Kammerorchester spielt Werke von Mozart, Debussy und Dvořák. Im Saal reiche Investoren und Adlige. Damals reden die Banker gerne über gepflegte Umgangsformen.
Christopher von Oppenheim: "Deswegen rede ich nie von Konten, von Volumen, sondern von Beziehung. Und diese Beziehung muss man pflegen und ausbauen und der Rest kommt von allein. (…) Die Beziehungspflege ist das ganz große Asset dieser Bank."
2009 verlieren die Familien die Bank und vier Jahre später steht die ehemalige Führungsriege vor Gericht. Im braun getäfelten Saal 210 des Kölner Landgerichts zeichnen einige Zeugen nun ein erschütterndes Bild von den Umgangsformen bei der Privatbank. Besonders klare Worte wählt der Vermögensberater Nicolaus Freiherr von Oppenheim, einer der Erben des Hauses. Er sieht drei Ursachen für den Untergang des Familienunternehmens: Eigennutz, Überheblichkeit und Arroganz.
Schein und Sein klafft bei Familienunternehmen bisweilen deutlich auseinander. Allerdings kann die Verantwortung für andere auch gehörig an jemandem zehren. Der Psychologe Arist von Schlippe lehnt sich im Stuhl zurück. Dann erzählt er von einem Unternehmensnachfolger, der bei ihm Rat suchte.
Arist von Schlippe: "Und der sagte: Wissen sie, wenn ich scheitere, ist das ja schlimmer, als wenn ich ein Kind überfahren würde. Und dann habe ich gesagt: 'Hören sie mal, haben sie gehört, was sie da gerade gesagt haben?' Weil für mich ist das ungefähr das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann: ein Kind zu überfahren. Und der guckte mich verständnislos an, und sagte, aber das ist doch so. Es ist das Unternehmen meines Vaters mit den ganzen Mitarbeitern und so was und wenn ich das an die Wand fahre, dann habe ich das getötet. Da ist mir das erste Mal so bewusst geworden, was für ein unglaublicher Druck auch auf den Nachfolgern lastet und was für ein Druck von den Unternehmern auch erlebt wird."
Diesen Druck spürt Jochen Stahl auch, auch wenn lieber von Verantwortung redet.
Jochen Stahl: "Wir sind jetzt in der fünften Generation. Wir sind innerhalb des Konsortiums, sind wir in etwa 40 Personen, es werden immer mal wieder ein bisschen mehr, klar, die nächsten Generationen stehen auch an, und wir versuchen ja eben auch alles, dass wir das Ganze so gestalten innerhalb des Konsortiums, dass wir quasi die Werte an diesem Unternehmen, dass wir das auch der nächsten Generation wieder vermitteln. Also das ist ganz wichtig, dass da eine emotionale Bindung zu dem Unternehmen besteht, weil es ja ein Familienerbstück ist."
Jedes Jahr besuchen sie alle gemeinsam auf eigene Kosten einen Standort der Firma, zuletzt waren sie in Holland oder Norwegen, nächstes Jahr wollen sie nach Indien fliegen.
Jochen Stahl: "So, dass eben auch die junge Generation sieht, was das eigentlich ist, die Firma Stahl, dass da eine ganze Firma dahintersteht. Das ist für die Kinder natürlich auch extrem spannend, wenn die mal durch so eine Fertigung durchgeführt werden und wenn die mal ein Produkt in die Hand nehmen können. Sehr plastisch war das in Stavanger, in Norwegen, wo eben auch diese Heizelemente hergestellt werden, die dafür sorgen, dass ein Eisbrecher beispielsweise, so ein Schiff, das durch viele Nordrouten fährt, dass das dann auch an Deck quasi eisfrei bleibt alles."
Derzeit sieht es so aus, als würde auch die nächste Generation bei R. Stahl in Waldenburg eines Tages die Verantwortung übernehmen können. Denn ihre Eltern sind eisern geblieben. Niemand hat sich von dem Angebot von Weidmüller locken lassen, obwohl es noch einmal erhöht worden ist. Jochen Stahl, der Ururenkel des Firmengründers ist froh, das alles vorbei und das familiäre Erbe gesichert ist. Eine Erfahrung wird er nicht vergessen.
Jochen Stahl: "Es ist in der Tat erstaunlich, dass es so artfremd ist für den Kapitalmarkt, wenn man sich hinstellt und sagt: 'Das hat keinen Preis, hier steht eine andere Bindung dahinter.' Aber es ist nichts, was man jetzt mit Geld raus brechen kann."
Gesprochen von Bettina Kurth und Max Urlacher
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