"Wir wollen das halten, was wir bekommen haben"

Hoda Salah im Gespräch mit Katrin Heise · 23.02.2011
Die Ägyptische Politikwissenschaftlerin Hoda Salah kritisiert die starke Rolle von Islamisten im ägyptischen Verfassungskomitee. Die Islamisten hätten bei der Revolution nicht die Mehrheit gebildet, betonte die Wissenschaftlerin.
Katrin Heise: Viele Frauen sah man während der Demonstrationen in Ägypten, sie haben sich aktiv am Sturz Mubaraks beteiligt. Während man im Westen nun hofft, die Frauenrechte, Gleichberechtigung könnten in einer neuen Regierung mehr Beachtung bekommen, warnt die ägyptische Feministin Nawal El Saadawi vor der ungebrochenen Macht der alten Männer, zum Beispiel im eingesetzten Verfassungskomitee. Sie hat sogar Angst vor einer Rückwärtsrolle durch zunehmende Islamisierung, also letztendlich dann weniger Frauenrechte. Bei mir im Studio ist nun die aus Ägypten stammende, in Berlin und Frankfurt am Main forschende Politologin Hoda Salah, schönen guten Tag, Frau Salah!

Hoda Salah: Guten Tag!

Heise: Ich habe Frau Al Saadawi eben schon genannt, sie hat Anfang der Woche in einem Interview in der "Welt" sich sehr, sehr pessimistisch geäußert. Sie sieht eigentlich die Ziele der Revolution schon allein durch diese alten Männer in dem Verfassungskomitee eigentlich infrage gestellt. Hat sie recht, also sind Sie auch so skeptisch?

Salah: Sie hat recht, und ich denke nicht, dass Frau Saadawi sehr pessimistisch ist, dass sie es denkt, dass die Revolution jetzt zerfällt oder so, ich glaube, es geht eher wie bei uns allen: Wir haben uns sehr gefreut, dass die Revolution so große Erfolge hat, und wir haben was erreicht, auf jeden Fall, und man möchte das behalten. Und deshalb ist diese vielleicht Befürchtung, wie Sie gesagt haben, Ihre Einführung mit diesem Komitee der Verfassung – das sind alles Männer, sind auch Islamisten dabei, obwohl eigentlich Islamisten nicht die Mehrheit waren in dieser Revolution. Und das ist ... Ich verstehe ihre Ängste, und das haben wir alle auch, aber das heißt, weil – wir wollen das halten, was wir bekommen haben.

Heise: Also nicht, dass Sie jetzt schon Zeichen sehen, sondern einfach, dass man da sehr vorsichtig ist. Beschreiben Sie uns doch mal die derzeitige Situation der Frauen in Ägypten. Gibt es beispielsweise politische Gleichberechtigung, wie sieht es da aus?

Salah: Politische Gleichberechtigung gibt es, das heißt, die ägyptische Verfassung ist eigentlich eine sehr gute Verfassung, und das ist sehr wichtig zu betonen, weil viele hier denken, dass Ägypten ein islamischer Staat ist, aber eigentlich ist Ägypten wie viele arabische Länder: Es hat eine säkulare Verfassung. Das heißt, nur eigentlich was beeinträchtigt für die Frauen ist, das ist so ähnlich wie in vielen arabischen Ländern, auch in Israel, ist das Familienrecht.

Heise: Und da wird es dann ja aber auch interessant, zum Beispiel im Scheidungsrecht.

Salah: Genau.

Heise: Was bedeutet das für die Frauen in Ägypten?

Salah: Das bedeutet für die Frau in Ägypten, dass sie in Ägypten wunderbare Gesetze haben, das haben wir nicht in Deutschland zum Beispiel, sie haben in Ägypten viele Frauen in Führungspositionen, wir sind daran gewöhnt, dass Frauen da sind, sie sind. In den Medien, sie sind ungefähr 50 Prozent, ...

Heise: 50 Prozent?

Salah: Ja, und in großen Positionen, Sie haben in Ägypten 30 Prozent Professorinnen, wir haben in Deutschland hier vielleicht 11 Prozent, wir haben da in Ägypten Richterinnen, wir haben sehr ... Frauen in hohen Positionen. Das Problem ist, das ist dieser Sarkasmus, dass sie eine gleichberechtigte Bürgerin sind, aber wenn sie nach Hause gehen, sind sie die untergeordnete, gläubige Muslimin oder Christin, die ihrem Mann gehorsam sein soll, und das ist die Spannung.

Heise: Da würden Sie auch keinen Unterschied machen zwischen den Christen, also den Kopten und den Musliminnen, ja? Da ist die Situation ähnlich?

Salah: Die Situation ist leider ähnlich, weil die ägyptische Gesellschaft eine sehr patriarchalische, konservative Gesellschaft ist.

Heise: Das sind also die Traditionen, gar nicht religiös begründet?

Salah: Ja, aber die Religion wird dafür instrumentalisiert, das heißt, die Gesetze, die man benutzt, nennt man islamische Gesetze oder christliche Gesetze oder koptische Gesetze, das heißt, auf jeden Fall wird das mit Religion begründet, und deshalb: Ich werde nicht ... Was die meisten Menschen sagen, ach, das hat nicht mit Religion zu tun – nein, das müssen wir ... die Sache so nennen: Das hat mit Religion zu tun, und Islam und Christentum in Ägypten brauchen Reformen.

Heise: Wenn wir noch mal gucken, also Sie sagen, die Frauen sind in der Berufswelt auch in höheren Positionen besser vertreten eigentlich als beispielsweise hier. Ist das auch schichtunabhängig? Also Ausbildung für Mädchen beispielsweise, ist das ganz normal, auch gute Ausbildung für Mädchen?

Salah: Natürlich kommt es auf die Klasse und den Ort an, das heißt, wenn sie natürlich in Peripherie und im Dorf und so, dann natürlich haben sie schwierige Chancen, nicht wie in der Stadt. Aber ich weiß, in meiner ganzen Erziehung – und ich bin vom Mittelstand –, das war überhaupt keine Frage sogar, das heißt, es kommt nicht in Frage, dass sie nicht studieren oder so, das muss sein in diesem Milieu, wo ich war, und das war nicht das hohe Milieu, das heißt, waren nicht reiche Leute oder so.

Heise: Und Bildung ist jetzt nicht nur ein Mittel, um sich oder seine Chancen, für die Frauen die Chancen zu erhöhen auf dem Heiratsmarkt, sondern durchaus die Idee, auch selbstständig sein zu können?

Salah: Ja, weil Ägypten hat sozialistischen Hintergrund, das heißt, Ägypten war ... seit der Unabhängigkeit in den 50er-Jahren ist es ein sozialistisches Land, und das heißt, diese Islamisierung, was wir nennen – wir vergessen hier im Westen –, das ist ein ganz neues Phänomen, das haben wir ungefähr seit 15 Jahren so stark. Aber eigentlich: Die Geschichte Ägyptens ist eher eine säkulare.

Heise: Frauen in Ägypten, Jetzt-Stand, und wie es eventuell wird – ist da eine Hoffnung auf Neuanfang oder eben Angst vor Rückschritten in Sachen Gleichberechtigung? Darüber spreche ich mit meinem Gast hier, der Politologin Hoda Salah. Frau Salah, Sie haben gerade gesagt, die Islamisierung, die zunehmende, ist eine Sache der letzten 15 Jahre, das heißt, was hat sich da in den letzten 15 Jahren geändert?

Salah: Ich würde sagen, sehr negative Veränderungen in der Gesellschaft, weil sie haben auf einmal eine ... Gruppierungen, die auch sehr viel zu sagen haben, das muss man auch hier betonen, das hat Mubarak auch dazu geführt, das heißt, dieses Regime Mubarak um Demokratiebewegung in Ägypten – die auch sehr stark in dieser Zeit zu bekämpfen, hat er Islamismus auch sehr stark damit auch das als Zeichen für den Westen, bitte helft mir, damit es Stabilität in Ägypten gibt gegen diese Islamisten und alles. Und das heißt, nein, Sie haben jetzt in den 15 Jahren, finde ich, eine unerträgliche Straße in Kairo, wo nicht nur mit Kopftuch, das verbinde ich nicht mit Kopftuch oder so, sondern diese regierende Sexualmoral, dieses Anschauen, herablassende Art, wenn sie mit ihren Haaren auf die Straße gehen, die Anmacherei, die Frauen nur als Körper und als Reiz für den Mann zu sehen – das ist eine Veränderung, die wir nicht in den 80er-Jahren, bis in die 80er-Jahre hatten, eine Frau als Partnerin. Und deshalb finde ich diese Momente der Revolution wunderbar, weil man hat gesehen: Die Frauen sind wieder auf der Straße und sie kämpfen, kämpfen, kämpfen neben den Männer, und es gibt sehr tolle Interviews mit Islamisten, die sagen, ach, Frauen, okay, da sollen wir unsere Ideen über sie ändern.

Heise: Was Sie gerade angesprochen haben, die Anmache, alsodass Frauen sich wirklich kaum noch wehren können, angemacht zu werden, habe ich aber jetzt zum Beispiel auch gelesen, dass es 2010 gerade Berichte darüber, tatsächlich von der Regierung Berichte veröffentlicht wurden, wo das angeklagt wurde. Das heißt, man ist auch dagegen vorgegangen.

Salah: Ja, aber zu spät, das heißt, sie könnten wirklich nicht normal auf der Straße gehen, weil viele Männer haben gedacht, das ist ihr Recht, sie auch zu tasten, und ich weiß nicht, ihr Körper, das heißt, war auch sehr aggressiv, und jetzt, weil eine Frau ist darauf bestanden, das im Gericht zu bringen.

Heise: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sind all die Errungenschaften, die man über Jahrzehnte also für Frauen ja getan hat, ... Sie haben nicht das Gefühl, dass die sehr gefestigt sind?

Salah: Sie sind nicht sehr gefestigt, weil sie haben auch sogar vergessen: Wie ist dieses Verhältnis Staat, Bürger? Sogar die Gesellschaft, die Zivilgesellschaft in Ägypten ist selbst auch sehr zerstritten, weil sie haben islamische Frauenorganisationen, das sind auch ganz neue, und sie haben die alte säkulare Bewegung, und sie haben jetzt die neue, durch diese Revolution auch, das sind auch viele Frauen, die sehr aktiv sind für Frauenrechte, aber auch säkulare Agenda.

Heise: Also das heißt, Sie sehen drei Frauengruppen eigentlich, die für Ihre Rechte durchaus einstehen.

Salah: Ja.

Heise: Einmal eben die, die mit Religion nichts zu tun haben, dann durchaus islamisch geprägte Frauengruppen und dann so die jungen, ganz modernen, die jetzt gerade auf die Straße gegangen sind und politisiert wurden. Kommen wir mal zu dem islamischen Feminismus, geht das eigentlich zusammen, islamisch und Feministin, also Muslimin sein, Feministin sein?

Salah: Auf jeden Fall, das ist eine sehr schöne Bewegung, gegen die ich natürlich auch meine Vorbehalte habe, aber das ist ... Wissen Sie, wenn wir auch sagen, es gibt in Ägypten eine säkulare Bewegung – die Ägypter allgemein, sie sind gläubige Menschen, das heißt, auch die säkularen, sie sind gläubig, aber sie wollen eigentlich an diese internationalen Konventionen halten. Der islamische Feminismus, das ist in einer Sache sehr gut, weil sie versuchen, was ich mit Ihnen am Anfang besprochen habe, über dieses Familienrecht ... Sie argumentieren anders, sie sagen nicht wie die Säkularen, nein, wir haben diese internationalen Konventionen und Frauen sind gleichberechtigt ohne Diskussion, aber in einer so traditionellen Gesellschaft wie der ägyptischen Gesellschaft ist es sehr gut, dass diese islamischen Feministinnen kommen und sagen, okay, wir versuchen mal jetzt, die Religion neu zu interpretieren. Das ist sehr gut.

Heise: Das heißt, sie erreichen mit damit auch viel mehr Menschen, nämlich die gläubigen, die sich vielleicht durch das Familienrecht gar nicht so repräsentiert sahen?

Salah: Genau. Und dann haben sie damit sehr viele Erfolge, dass zum Beispiel jetzt ägyptische Frauen Richterinnen sein können, sie können auch sich scheiden lassen. Das ist diese Errungenschaft von islamischem Feminismus. Aber islamischer Feminismus hat auch seine zweite Medaille. Wenn sie alles jetzt religiös interpretieren möchten und beweisen möchten, dann haben sie Rotgrenze, da haben sie eine Grenze, die können sie nicht überschreiten. Und das heißt zum Beispiel, wie ist das mit Rechten der Homosexualität, oder dass Sie als Frau alleine wohnen können oder ihre Selbstbestimmung für ihre sexuelle Freiheit? Da ist das ihre Grenze, da sagen sie, nein, dann müssen sie an islamische Moral halten, und das ist eigentlich unmögliche auch Moralhaltung, weil sie können nicht als Frau ... Das heißt, ich habe Ihnen erzählt, wie Frauen in Ägypten sehr im Arbeitsleben sind, aber sie können nicht durch diese Interpretation alleine leben. Sie müssen verheiratet sein und so weiter.

Heise: Was glauben Sie, was in den nächsten Monaten passiert, wenn man jetzt gerade diese drei Gruppen auch sieht? Wie wird sich das entwickeln?

Salah: Ich finde, das ist auch ein wunderschöner Moment in dieser Revolution, weil in meiner Vorstellung kam ich zu dem Ergebnis, dass es in Ägypten anders als zum Beispiel in der Türkei ist. In der Türkei haben die islamischen Feministinnen mit säkularen Feministinnen zusammengearbeitet, und sehr konstruktiv. In Ägypten nicht. In Ägypten war ein sehr aggressives Verhältnis. Die säkularen ... Ich kann mir vorstellen, das ist so wie in Deutschland hier, wie die alte Frauenbewegung so enttäuscht ist, dass kommt jetzt eine neue Frauenbewegung, die so konservativ ist. Und das heißt, es gab keine Diskussion. Aber jetzt durch die Revolution sitzen sie endlich zusammen und sagen, wir haben ein gemeinsames Ziel, dieses Land zu einem demokratischen Übergang zu bringen.

Heise: Die Politologin Hoda Salah hat also durchaus Hoffnung, durch die Revolution eben verschiedene Frauengruppen zusammengebracht zu haben, alsodass die Revolution das getan hat, und dass es dann weitergeht, positiv für Frauenrechte. Vielen Dank, Frau Salah!

Salah: Danke schön!
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