"Wir wissen, dass die Syrer chemische Waffen haben"

Ernst-Reinhard Beck im Gespräch mit Marietta Schwarz · 06.12.2012
Die Türkei fühle sich durch Syrien bedroht und fordere deshalb zu Recht die Bündnissolidarität der NATO ein, sagt CDU-Verteidigungspolitiker Ernst-Reinhard Beck. Die Stationierung von Patriot-Raketen sei daher auch ein Signal an Syriens Machthaber Assad. In der Formulierung ihrer Bitte um Bündnisunterstützung habe die Türkei dabei bereits klar die Bedenken der Partner einfließen lassen.
Marietta Schwarz: Nach dem NATO-Beschluss zur Verlegung von Patriot-Raketen an die türkische Grenze ist nun die Bundesregierung an der Reihe. Heute entscheidet das Kabinett über den Umfang einer deutschen Beteiligung. Es geht voraussichtlich um zwei Batterien an Patriot-Raketen und um die 170 Soldaten, die an der Grenze stationiert werden sollen. Der Patriot-Einsatz soll verhindern, dass der Syrienkonflikt sich internationalisiert, doch Kritiker befürchten, dass eine solche Eskalation durch die Stationierung gerade erst befördert wird. Ernst-Reinhard Beck ist verteidigungspolitischer Sprecher der Union im Bundestag und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Beck!

Ernst-Reinhard Beck: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Sie hegen keine Zweifel an der Richtigkeit des Mandats?

Beck: Nein, ich hege insofern keine Zweifel, weil wir, wenn wir ernsthaft von der Verteidigung der NATO sprechen und vom Bündnisgebiet, dann gehört die Türkei dazu. Und wenn ein Bündnispartner um Hilfe bittet, dann ist nach NATO-Vertrag jedes Mitglied verpflichtet, mit den Mitteln, die er zur Verfügung hat, dann auch zu helfen.

Schwarz: Klar, es heißt, es ist eine defensive Maßnahme, aber was geschieht denn zum Beispiel, wenn deutsche Soldaten zur Zielscheibe werden?

Beck: Also zunächst mal ist die Frage, wo diese Raketen stationiert werden. Sie werden natürlich nicht direkt am Grenzzaun stationiert, sondern weiter zurück - ich schätze so, wenn ich die Militärstützpunkte angucke, die es zu schützen gibt, also Flugplätze und Radarstationen, dann in einer Entfernung von 80 bis 100 Kilometern von der Grenze weg. Und Aufgabe des Schutzes hat die sogenannte Host Nation, das ist die Türkei, und ich bin davon überzeugt, dass heute da die entsprechenden Schutzmaßnahmen auch ausreichend sein werden.

Schwarz: Gerade gestern haben die USA noch mal ihrer Sorge Ausdruck verliehen, dass der syrische Präsident Assad möglicherweise auch Chemiewaffen einsetzen könnte. Müsste man dies nicht um jeden Preis verhindern und zum Beispiel eben nicht solche Raketen im Grenzgebiet stationieren?

Beck: Wie wollen Sie das verhindern, Frau Schwarz? Es ist so, dass die Raketen ja zunächst mal die Funktion haben, die Abschreckung zu verstärken. Das politische Signal ist an Assad und an alle, die also da auf Ideen kommen, die Türkei anzugreifen, dass sie es sofort mit der NATO zu tun bekommen. Es heißt also, anfliegende Raketen würden also dann von diesen Patriot-Raketen abgefangen werden können. Wir wissen, dass die Syrer chemische Waffen haben - Umfang wahrscheinlich von 1.000 Tonnen Tabun, Soman, Sarin, also hochgiftige chemische Waffen -, die natürlich also auch in entsprechenden Raketen transportiert werden, können dann türkisches Gebiet erreichen. Die Gefährdung ist also durchaus real.

Schwarz: ..und kann durch Patriots auch nicht verhindert werden?

Beck: Die Gefährdung zunächst mal nicht, aber etwa anfliegende Raketen mit chemischen Waffen können natürlich von den Patriots abgefangen werden. Das ist der Zweck ja dieser Stationierung: Verteidigung und gleichzeitig Abschreckung.

Schwarz: Es ist ja bislang eigentlich klar - Sie sagen, Verteidigung und Abschreckung, aber unklar ist eigentlich, wofür die Türkei diese Raketen braucht. Es gab zumindest bislang für den Einsatz von Patriots keinen Anlass, es gab "nur" - in Anführungszeichen - Mörserbeschuss.

Beck: Gegen Mörserbeschuss helfen die Patriots nicht, das ist völlig klar, und da hat die Türkei ja auch entsprechende Artillerie-Fähigkeiten, die sie auch eingesetzt haben. Ich glaube, es sind zwei Motive: Zum einen fühlt sich die Türkei in der Tat bedroht durch diese chemischen Waffen, aber auch durch die Zuspitzung der Situation an der türkisch-syrischen Grenze, wo es ja auch Probleme mit Flüchtlingen gibt, wo auch zum Teil Kurdengebiete sind. Das ist die eine Seite, und die Türkei fordert nun - wie ich meine, zu Recht - auch Bündnissolidarität ein.

Schwarz: Jetzt schauen wir doch, Herr Beck, noch mal auf die Rolle des Bundestages. Im Prinzip bleibt dem ja eigentlich doch nur das Abnicken, weil der Verteidigungsminister de Maizière ja inoffiziell schon sehr frühzeitig Zusagen gemacht hat für einen solchen Einsatz, nämlich, als es noch keine Anfrage gab.

Beck: Ja, zunächst muss man sagen, der Minister hat auch frühzeitig informiert. Der Bundestag, also zumindest der Verteidigungsausschuss in Form seiner Obleute, seiner Sprecher, war relativ früh eingebunden, was die Information angeht. Und nun ist es innerhalb eines Bündnisses natürlich klar, dass etwa die Türkei einen Antrag nur dann stellt, wenn sie sich keine Abfuhr holt. Das heißt also, im Grunde laufen da die Gespräche zweigleisig: Auf der einen Seite natürlich die Information des Parlaments, das im Falle eines Mandats zustimmen muss, und auf der anderen Seite natürlich die Absprache auf der Bündnisebene, wo klar sein wird oder wo klargestellt wird, unter welchen Bedingungen die Anfrage kommt. Und die Anfrage hat ja auch eigentlich im Grunde den Bedenken Rechnung getragen, die wir hatten. In der Anfrage steht drin, rein defensiv, und in keinem Fall etwa zur Unterstützung von offensiven Aktionen oder etwa zur Absicherung einer sogenannten Flugverbotszone oder No Fly Zone.

Schwarz: Kann die Bundesregierung auch deshalb auf keinen Fall nein zu einer solchen Stationierung sagen, weil sie es bei der Libyen-Abstimmung im UN-Sicherheitsrat schon getan hat?

Beck: Ich glaube, die beiden Fälle kann man so nicht vergleichen. Es handelt sich bei der Anfrage der Türkei um eine Anfrage innerhalb der Bündnissolidarität der NATO. Und im Prinzip ist natürlich klar, dass wir ein integriertes Luftverteidigungssystem im Bündnis haben, für das wir zunächst bei diesen Aktionen auch gar keine Beteiligung des Bundestages bräuchten. Das ist eine Sache des Saceur, also des NATO-Oberbefehlshabers, wie er im Grunde die integrierte Luftverteidigung macht. Von daher gesehen ist ein Vergleich mit Libyen in diesem Punkt natürlich also nicht gerechtfertigt.

Schwarz: Ernst-Reinhard Beck, verteidigungspolitischer Sprecher der Union im Bundestag. Herr Beck, danke für das Gespräch!

Beck: Ich bedanke mich auch, Frau Schwarz, einen schönen Tag Ihnen!

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