"Wir werden auf jeden Fall gehört"

Susan Bernofsky im Gespräch mit Britta Bürger · 24.11.2011
Die Occupy-Bewegung werde in den USA ernst genommen, darin ist sich Übersetzerin Susan Bernofsky sicher. Die Republikaner hätten immerhin schon Marketingfirmen beauftragt, Strategien gegen Occupy zu entwickeln. Die Räumung des New Yorker Zeltlagers sei nicht das Ende.
Britta Bürger: Occupy Wall Street – ausgehend von New York hat sich die Protestbewegung gegen die Übermacht der Finanzmärkte innerhalb kurzer Zeit in viele Teile der Welt ausgebreitet. Per Internet ist der Funke übergesprungen, nicht nur, weil man auf diese Weise Bilder der Besetzungen öffentlicher Plätze um die Welt schicken kann, sondern auch, weil sich die Texte der Occupy-Unterstützer per Netz in viele Sprachen übersetzt verbreiten lassen. Von New York aus koordiniert Susan Bernofsky die Übersetzungen der Occupy-Bewegung, und dort haben wir sie vor der Sendung am Telefon erreicht. Schönen guten Morgen, Frau Bernofsky!

Susan Bernofsky: Guten Morgen, danke für den Anruf!

Bürger: In dem Moment, in dem aus dem Slogan Occupy Wallstreet tatsächlich Taten wurden, bekam die Bewegung ja so eine Art Körper. Das Zeltlager im Süden von Manhattan war ein konkreter Ort, der dann ja auch Vorbild wurde für viele andere Occupy-Camps in verschiedenen Ländern der Welt. Wie, Frau Bernofsky, formiert sich die Bewegung jetzt aktuell in New York, nach der brutalen Räumung durch die Polizei vor einer Woche?

Bernofsky: Man muss bedenken, dass die Bewegung nicht nur aus diesem Zeltlager bestand. Die Bewegung, das, was wirklich bewegt, besteht in dem, was die Menschen zusammen machen, die dazugehören. Und dafür ist es nicht unbedingt notwendig, dass das Zeltlager weiter besteht. Das heißt, jetzt haben wir das nicht mehr, und die Bewegung geht weiter. Es finden täglich Treffen der Occupy-Bewegung statt hier in New York. Und egal, ob wir wieder ein Zeltlager aufbauen können irgendwo in der Stadt, geht es weiter mit der Bewegung selber.

Bürger: Was sind das konkret für Treffen, die Sie meinen, die jetzt stattfinden?

Bernofsky: Es sind viermal die Woche eine General Assembly, das ist das, was in Berlin bei Occupy Berlin Assemblea heißt. Da können alle kommen, die sich dafür interessieren, was die Occupy-Bewegung macht, und es wird diskutiert, was die aktuellen Themen der Bewegung sind. Und das sind öffentlich zugängliche Treffen, die finden jetzt immer noch im Zucotti Park statt.

Bürger: Lassen Sie uns zu der politischen Stoßrichtung kommen. Warum ist die Occupy-Bewegung gerade in diesem Herbst in den USA entstanden? Welche Probleme der Obama-Regierung spiegeln sich darin?

Bernofsky: Es sind nicht Probleme der Obama-Regierung spezifisch, also die Probleme, die jetzt wirklich thematisiert werden, fingen schon lange vor Obama an. Eigentlich ist die Regierung von George W. Bush viel wichtiger für die Probleme, die wir jetzt haben, als die von Obama. Und wir sind enttäuscht, dass die Lage nicht schneller besser wird. Wir haben uns mehr versprochen von der Obama-Regierung.

Aber das ist nicht gegen Obama spezifisch gerichtet. Mitnichten, es ist eine Zeit der ökonomischen Misere bei uns, es gibt so viele Arbeitslose, diese Situation wird immer schlimmer. Und das ist der Grund, warum so viele Leute jetzt zu Occupy-Bewegungen kommen.

Bürger: Dennoch fordert so eine neue Bürgerrechtsbewegung, eine neue Protestbewegung natürlich die Regierung zum Handeln auf. Was erwarten Sie?

Bernofsky: Das ist sehr richtig. Wir erwarten, dass Änderungen gemacht werden, und die Tatsache, dass in einem Jahr neue Wahlen stattfinden, das ist ein sehr gutes Timing für uns. Die Message der Bewegung beinhaltet im Kern genommen eigentlich dies: Wir sind nicht damit einverstanden, dass große Konzerne so viel Macht haben in unserer Gesellschaft, dass die politisch so viel Macht haben, und dass sie so wenig finanziell beitragen, dass sie zu wenig Steuern zahlen zum Beispiel. Und das ist das Kernproblem.

Es gibt viele Nebenprobleme, die sind damit zusammenhängend, und die Occupy-Bewegung verlangt, dass die Politiker, die wir gewählt haben und die wir wählen werden, Lösungen suchen für diese Probleme, dass neue Gesetze gemacht werden, zum Beispiel.

Bürger: Sie beschreiben die Räumung des Zeltcamps in Ihrem Blog als eine vom New Yorker Bürgermeister angeordnete brutale Polizeiaktion, zu deren Strategie auch – Sie nennen das so – ein Medienblackout gehörte. Was ist da genau passiert?

Bernofsky: Ja, der Bürgermeister hat veranlasst, dass Journalisten diese Räumung nicht sehen durften. Man bekommt von der Polizei einen Ausweis als Journalist, dass man dabei sein darf, wenn die Polizei eine Aktion macht, und viele Journalisten mit Ausweisen wurden von der Polizei abgewiesen in der Nacht. Die Hubschrauber, mit denen die großen Medien hier die Nachrichten sammeln, diese Hubschrauber durften in der Nacht nicht fliegen.

Journalisten, die zu der Räumung kommen wollten, wurden, wie gesagt, abgewiesen. Einige wurden sogar verhaftet, einige haben auch körperliche Verletzungen erlitten durch die Polizei. Und das ist eigentlich unerhört, dass der Bürgermeister Journalisten durch die Polizei verprügeln lässt, wenn sie ihre Arbeit machen wollen.

Bürger: In welcher Form wird denn in den amerikanischen Medien über die Occupy-Wall-Street-Bewegung berichtet?

Bernofsky: Ganz wenig, ganz verschieden. Aber man muss bedenken, dass die Medien bei uns nicht öffentlich sind. Also jeder Fernsehsender gehört irgendjemanden, die meisten großen Nachrichtenquellen sind in privatem Besitz, und sie verhalten sich auch größtenteils danach. Es gibt einige Nachrichtenquellen, die regelmäßig über die Occupy berichten, zum Beispiel NPR National Public Radio hat sehr viele gute Berichte, und das ist eine sehr schöne Sache. Im Internet gibt es Quellen, truth-out.org ist so eine Quelle, alternet.org ist so eine Quelle. MSNBC hat auch ziemlich viel gemacht zur Occupy-Bewegung.

Bürger: Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der Übersetzerin Susan Bernofsky, die in New York die Occupy-Wall-Street-Bewegung unterstützt, indem sie unter anderem Texte der Protestbewegung ins Deutsche überträgt und per Internet öffentlich macht.

Sie bezeichnen den schon erwähnten Medienblackout in ihrem Blog als eine illegale Beschränkung der Pressefreiheit und Bürgerrechte, das Camp dagegen als legale Aktion der freien Meinungsäußerung. Könnte in den USA im Unterschied zu anderen Ländern tatsächlich jetzt so etwas entstehen wie eine neue Bürgerrechtsbewegung? Denn die Erinnerung an die Civil-Rights-Bewegung der 50er- und 60er-Jahre ist ja überaus lebendig.

Bernofsky: Das ist durchaus der Fall. Ich glaube, es ist jetzt auch schon soweit, dass das jetzt die neue Bewegung für die Zeit ist. Vor zwei Tagen gab es ein großes Treffen hier in New York. Führer aus der Civil-Rights-Bewegung aus den 60er-Jahren haben sich jetzt zusammengetan – also eine kleine Reunion, sie nennen sich jetzt the Council of Elders –, und sie haben einen Tag veranstaltet in New York, wo sie mit den Occupy-Leuten zusammengetroffen sind.

Also es gab drei Veranstaltungen, es gab ein symbolisches Überreichen der Flamme des Kampfes eigentlich, es gab ein Gespräch in einer Kirche im Washington Square Park, und in dieser Kirche – ich war dabei – waren bestimmt mindestens 1 000, in dieser Kirche, also jeder Sitzplatz war voll, also alle Gänge waren voll, und die Leute aus den 60er-Jahren haben dann erzählt, was sie dort erlebt haben, wie sie das jetzt sehen, was die Occupy-Leute-Bewegung erlebt, und sie haben Ratschläge erteilt.

Bürger: Es wird ja immer wieder kritisiert, dass der Bewegung ein klares Programm fehlt, ein klarer Forderungskatalog. Durch Ihre Übersetzungsarbeit kennen Sie ja einen großen Teil der Texte, die in den vergangenen Monaten im Zuge der Protestbewegung entstanden sind. Was sind das für Texte? Pamphlete, Analysen, Zukunftsvisionen? Was hat Sie davon besonders überzeugt?

Bernofsky: Also das Wichtigste dabei ist das erste Dokument, das erschienen ist, und das heißt "Declaration of the Occupation of New York City". Und das haben wir in deutscher Übersetzung ins Internet gestellt, und das heißt auf Deutsch "Erklärung anlässlich der Besetzung von New York City". und das ist ein Dokument, das von der Generalversammlung, der General Assembly in New York, am 29. September anerkannt wurde. Und darin steht das, wogegen wir kämpfen, und das ist eigentlich die Aussage und immer noch die Aussage geblieben von der Bewegung.

Ständig hört man den Vorwurf, es würde keine Demands geben, Demands ist das Wort, das hier benutzt wird für Forderungen. Es werden keine Demands gemacht. Und das ist ein Versuch abzulenken von dem, was wir wirklich machen, denn es ist sehr klar gesagt, auch in dieser Erklärung, wogegen wir jetzt arbeiten. Und das ist gegen die Allmacht der großen Konzerne, dass sie politisch zu viel Macht ausüben können, dass sie den Politikern sehr viel Geld spenden können, dass das alles viel zu wenig reguliert wird, dass sie viel zu wenig Steuern zahlen, dass das auch zu wenig reguliert wird, und dass die Art und Weise, wie die Großbanken spekulieren, zu wenig reguliert wird.

Es ist die Sache einer Bewegung, zu sagen: Dies sind die Probleme, die gelöst werden müssen. Die Leute, die sagen, dass wir keine Forderungen haben, gehen davon aus, dass es die Rolle, die Sache der Protestbewegung ist, alle Probleme zu lösen. Das ist aber nicht unsere Sache, dafür haben wir Politiker, wir haben Politikwissenschaftler. Es ist unsere Sache, auf die Probleme aufmerksam zu machen, die Öffentlichkeit darüber zu informieren und zu fordern, dass die Leute, die dafür zuständig sind, etwas machen. Und wir machen Druck auf sie, dass etwas gemacht wird.

Bürger: Gibt es von politischer Seite aus Ihrer Sicht ernstzunehmende Reaktionen auf die Occupy-Bewegung?

Bernofsky: Wir werden auf jeden Fall gehört. Die Republican Party nimmt uns sehr ernst. Das sieht man daraus: Diese Woche am 19. November erschien bei MSNBC ein Bericht darüber, wie Marketing-Firmen, die für die Republicans arbeiten, jetzt anfangen, Strategien gegen die Occupy-Bewegung zu entwickeln, dass sie einen Plan jetzt entworfen haben, wie sie gegen Occupy Wall Street vorgehen können. Das heißt also, ich glaube schon, dass wir ernst genommen werden.

Bürger: Beobachtungen der New Yorkerin Susan Bernofsky, die die Occupy-Wall-Street-Bewegung als Übersetzerin unterstützt. Ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Bernofsky: Ich danke Ihnen auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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