"Wir sollten unsere Linie halten"

09.08.2011
Die Ministerpräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht, erwartet von Führungspersönlichkeiten in ihrer Partei weniger Klagen. Die soziale Marktwirtschaft müsse unter den Bedingungen der Globalisierung neu verankert werden.
Hanns Ostermann: Allein unter Männern? Das war einmal! Längst gibt es in der Riege der Ministerpräsidenten auch weibliche Gesichter. 2009 machte Christine Lieberknecht in Thüringen den Anfang, dann kam Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen hinzu, und morgen nimmt Annegret Kramp-Karrenbauer Anlauf auf den Chefsessel in Saarbrücken. Frauen sind also im Kommen in der Politik, Angela Merkel ist längst keine Ausnahme mehr, ebenso wenig wie Heide Simonis früher in Kiel. Woran das liegt, und was weibliches von männlichem Führungsverhalten unterscheidet, darüber habe ich mit Christine Lieberknecht gesprochen. Sie ist in Thüringen Regierungschefin. Ich habe sie zunächst gefragt, gibt es überhaupt einen weiblichen Führungsstil?

Christine Lieberknecht: Ich denke, dass Politiker und Politikerinnen sehr unterschiedlich sein können. Es gibt diejenigen, die sehr kommunikativ sind, es gibt diejenigen, die eher im Stilleren versuchen, ihre Herausforderungen zu meistern, das gibt es bei Männern, das gibt es bei Frauen. Was ich aber spannend finde, ist, wenn wir gemischte Runden haben. Und jetzt gerade bei den Ministerpräsidenten und -präsidentinnen es ja deutlich bunter dadurch wird, dass wir mehr Frauen sind, glaube ich, gibt das auch der gesamten Runde eine gute Dynamik.

Ostermann: Was sorgt denn dann für die Dynamik? Die Rücksichtnahme der Männer, weil Frauen auch am Tisch sitzen, oder umgekehrt, dass die Frauen sich dessen bewusst sind, da sind ja auch Männer am Tisch?

Lieberknecht: Ach, ich glaube, das ist so eine ganz natürliche Dynamik. Ich habe bisher überhaupt keinen Anlass zur Beschwerde gehabt. Die männlichen Kollegen sind außerordentlich höflich und zuvorkommend - es sind nette Kollegen, durchweg. Aber ich denke schon, dass das weibliche Element trotzdem - ja, vielleicht doch einen eigenen Reiz, einen eigenen Humor, ja, eine eigene Sicht einbringt, ohne dass ich das jetzt als spezifisch weiblich beschreiben könnte. Ich bin von Haus aus eher so für einen doch partizipatorischen Leitungsstil, das heißt, ich teile ausgesprochen gerne ...

Ostermann: Inwiefern hilft Ihnen persönlich vielleicht auch die Ausbildung in der Theologie?

Lieberknecht: Für mich persönlich ist das schon sehr wichtig. Zum Einen ein klares inneres Koordinatensystem zu haben, was ja für mich auch die Freiheit eines Christenmenschen ist, doch eine große Freiheit im Denken, im Geist, aber die Bindung dieser Freiheit an den Dienst in der Gesellschaft oder - um es christlich zu sagen - an den Nächsten, das heißt, sogar mit Martin Luther ein dienstbarer Knecht zu sein, das heißt, nicht nur die Freiheit als etwas am Ende vielleicht sogar Beliebiges zu sehen, sondern die Freiheit immer für einen ganz konkreten Dienst auch in Anspruch zu nehmen.

Ostermann: Sie haben ja mal gesagt: Unserer Welt fehlt es mitunter an Koordinaten. Denkt man an den Richtungsstreit in Ihrer Partei, der CDU, da sind die Koordinaten doch im Augenblick nicht klar, oder täuscht der Eindruck?

Lieberknecht: Wir haben ein ganz klares Grundsatzprogramm mit Werten, die wir über Jahrzehnte in der Union immer wieder definiert haben, das ist Freiheit, das ist Gerechtigkeit, das ist Solidarität. Aber die Welt hat sich verändert! Und deswegen kommt es darauf an, diese Koordinaten auch immer wieder neu anzulegen. Wenn ich an die ganze Herausforderung der Globalisierung denke, das aus dem Ruder laufen der Finanz- und Wirtschaftsmärkte, da muss man fragen: Wie müssen wir soziale Marktwirtschaft aber gerade eben als soziale Marktwirtschaft neu anlegen unter den Bedingungen der Globalisierung?

Ostermann: Aber wurden abrupte Positionswechsel bei Atom, Schulen oder Wehrpflicht zum Beispiel ausreichend kommuniziert?

Lieberknecht: Wir sind ja mitten in der Debatte. Ich finde, dass mit der Energiewende auf Bundesebene und natürlich auch getragen durch die Länder etwas gelungen ist, was ja noch vor wenigen Monaten kaum jemand der Berliner Koalition zugetraut hätte. Wir haben ja die Umfragen noch vor Augen! Da wurde gesagt, das sei ein Wahlkampfmanöver, und mal gucken, was dann überhaupt passieren wird - Nein! Die Bundeskanzlerin und unsere Parteivorsitzende Angela Merkel hat hier ganz klar durchgezogen, und ich habe sie auch in vollem Umfang unterstützt mit dem, was ich als Ministerpräsidentin von Thüringen an dieser Stelle tun kann, das wir sogar noch ehrgeizigere Ziele formuliert haben, als dies auf Bundesebene der Fall ist, weil wir auch jetzt über dem Bundesdurchschnitt schon liegen mit dem, was wir an erneuerbaren Energien machen. Es gab die Regionalkonferenzen, es gab eine Ortsvorsitzendenkonferenz in Berlin für alle diejenigen, die vor Ort letztlich in der Partei kommunizieren. Das es natürlich ein länger währender Prozess ist, ich denke, das ist bei einer wirklich so epochalen Veränderung, denke ich, schon normal, und da werden wir auch weiter darüber sprechen - aber der Weg ist absolut richtig!

Ostermann: Und trotzdem fordert so mancher einen Grundsatzparteitag zu Programm und Profil. Sie nicht?

Lieberknecht: Nein, ich finde, wir sollten unsere Linie halten. Wir haben über Jahre ein Grundsatzprogramm für die Union in vielen Arbeitsgruppen mit vielen Regionalkonferenzen diskutiert. Das Grundsatzprogramm steht auch, daran ändert sich auch nichts. Dass wir jetzt neu anpassen müssen, nicht zuletzt aufgrund der Erfahrung von Fukushima, die wir so - und auch ich persönlich - wirklich nicht für möglich gehalten haben, dass etwas, was wir als Restrisiko definiert haben, nicht nur ein theoretisches ist, sondern tatsächlich eintritt - und ich habe die Bilder ja noch vor Augen, wie Sie sicher auch und viele andere, wenn man dann wirklich nur noch ohnmächtig vor dem Bildschirm sitzt und - wenn man religiös ist - nur noch beten kann, dass der Wind nicht dreht, zum Beispiel in Richtung Tokyo damals, dann ist das schon eine Erfahrung, die ist einschneidend. Und dann galt es eben auch, das, was wir ohnehin als Brückentechnologie ja auslaufend formuliert hatten, jetzt aber in einem viel beschleunigteren Tempo tatsächlich zu vollziehen und damit auch einen klar verabredeten Ausstieg aus der Kernenergie für Deutschland.

Ostermann: Frau Lieberknecht, viele Andere in Ihrer Partei sehen trotzdem erheblichen Gesprächsbedarf. Sie offensichtlich nicht!

Lieberknecht: Ich sehe auch Gesprächsbedarf. Ich sehe den Bedarf, dass wir erklären müssen, vielen Mitgliedern, die genauso wie alle anderen Menschen auch in unserer Gesellschaft in einer Zeit des Umbruchs leben, wo es schon Fragen gibt, auch im Blick auf die persönliche Existenz, wo es Fragen gibt im Blick auf die demografische Entwicklung, im Blick auf eine Bevölkerung, die ja zunehmend mehr ältere Menschen auch zu versorgen hat - das ganze Thema Pflege beispielsweise ist ja eines, was im Herbst anstehen wird. Aber wenn man Verantwortung hat, wenn man in Führungsposition ist, sehe ich die erste Aufgabe nicht darin, diesen Zustand zu beklagen, sondern sehe die Aufgabe, dass jeder von uns alle Möglichkeiten hat, etwas zu tun, um diesen Erklärungsbedarf mit abzudecken, um den Mitgliedern zur Verfügung zu stehen und darüber zu sprechen, was bewegt. Ich habe in Anbetracht der Energiewende tatsächlich vor meinem Urlaub noch 50 Orte aufgesucht, Firmen, Forschungslabore, Kommunalpolitiker, Projekte, wo an erneuerbaren Energien gearbeitet wird, habe Parteifreunde hinzugezogen, wie im Übrigen auch Mitglieder anderer Parteien und Fraktionen des Thüringer Landtages, um eben über diese Punkte zu sprechen, und damit auch zu hören - eine Forderung ist ja, zuzuhören, richtig - zu hören, aber dann selber auch zu sagen, was man für richtig hält. Und ich denke, diese Möglichkeit haben viele, viele in der Partei, und die wird auch genutzt.

Ostermann: Die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht von der CDU. Frau Lieberknecht, danke für das Gespräch!

Lieberknecht: Ja, bitte sehr!

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