"Wir sollten uns über diesen Besuch freuen"

Moderation: Gabi Wuttke · 19.06.2013
Obamas Besuch gelte dem Land, nicht Angela Merkel, sagt der SPD-Außenpolitiker Karsten Voigt. "Parteitaktisches Kleinklein" hält er für nicht angebracht. Es sei erfreulich, dass Deutschland heute in Amerika so wichtig genommen werde.
Gabi Wuttke: 26. Juni 1963, 19. Juni 2013 – der Vergleich liegt auf der Hand, seit Tagen wird er angestellt, aber ist er berechtigt? Für Karsten Voigt, den Sozialdemokraten, der elf Jahre lang für die Bundesregierung die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit koordinierte, sind die Erwartungen so oder so zu hoch gesteckt. Um das zu erklären, warum er das glaubt, ist er jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Voigt.

Karsten Voigt: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Warum sind Sie überzeugt, der Besuch von Obama in Berlin werde keinen bleibenden Eindruck hinterlassen?

Voigt: Er wird einen bleibenden Eindruck hinterlassen insofern, weil er, der Präsident, an die gemeinsamen Interessen und Werte appellieren wird, die Deutschland, die Europa mit den USA verbinden. Aber er wird sich richten an uns, weil er uns als Exporteur von Sicherheit und Stabilität verlangt, während damals John F. Kennedy uns die Hand reichte, um uns zu versichern, dass wir Schutz haben würden von den USA. Wir lagen damals im Zentrum einer Weltkrise und eines Weltkonfliktes. Jetzt liegen wir im Zentrum einer stabilen Region und müssen selber handeln und werden zum Handeln aufgefordert – das ist eine ganz andere Situation.

Wuttke: Das heißt doch aber auch, es ist keine Rede explizit an die Deutschen.

Voigt: Nein, es ist eben nicht nur eine Rede an die Deutschen, sondern die Deutschen als – so sehen das die Amerikaner – wichtigste Macht innerhalb der Europäischen Union werden besucht, weil man sagt, wir Amerikaner brauchen Partner, ihr spielt in der EU eine Rolle, die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind für uns die verlässlichsten Partner, und aus deutscher Sicht sind die Amerikaner der wichtigste Partner außerhalb der Europäischen Union. Und jetzt mal voran, nicht mehr verstecken hinter der Vergangenheit, so wichtig das ist, dass ihr die aufarbeitet, sondern voran, und helft uns bei der Lösung von Problemen und seid dort weniger zurückhaltend als bisher.

Wuttke: Die geopolitische Lage hat sich natürlich in den letzten 50 Jahren stark verändert. Wenn Barack Obama heute einen Bogen zur Rede von Kennedy spannt, kann er sich dann Ihrer Meinung nach eigentlich nur verheben?

Voigt: Nein, das kann er nicht. Er kann sehr wohl einen Vergleich ziehen, in dem aus amerikanischer Sicht in Berlin die Amerikaner zweimal erfolgreich das Böse besiegt haben: den Nationalsozialismus und den Sowjetkommunismus. Und in Berlin stehen sie, weil das ein Symbol für den Erfolg ihrer Politik ist, und wo sie sich als Macht, die die wichtigste Weltmacht ist, und die gleichzeitig eine Idee verkörpert, Macht und Idee, nämlich die Idee der Freiheit. Und sie sagen, diese Idee wird uns verbinden, das ist auch das Verbindende zwischen Kennedy und Obama, es ist auch das Verbindende, dass sie in beiden Fällen Weltmacht waren und Weltmacht bleiben wollen. Aber diese Verbindung von Macht und Idee, die ist das Bindeglied zwischen den USA und dem Kennedy damals und der USA heute und dem Präsident Obama heute. Nur dass die Lage geostrategisch, politisch, und die Lage Deutschlands und die Lage Berlins völlig anders ist.

Wuttke: Aber das Böse anzuprangern, das ist ja Obamas Sache nun prinzipiell nicht.

Voigt: Nicht so, wie es sein Vorgänger gemacht hat. Aber für das Gute einzustehen, das ist etwas, was sein Selbstverständnis ausmacht und was auch das Selbstverständnis der amerikanischen Nation ausmacht.

Wuttke: Wir befinden uns im Monat drei vor der Bundestagswahl, Herr Voigt. Ich habe es gesagt, Sie sind Sozialdemokrat, von diesem Besuch aber dürfte die Kanzlerin sehr viel mehr haben als Peer Steinbrück… Oder glauben Sie, dass die SPD aus diesem Besuch auch ein wenig Honig saugen kann?

Voigt: Ich glaube, der Besuch gilt dem Land, und in diesem Land ist jetzt Angela Merkel Kanzlerin, und wir sollten uns über diesen Besuch freuen. Und ich glaube, es ist nicht angebracht, darüber in parteitaktisches Kleinklein hineinzugehen. Es entspricht einem guten Stil, dass er den Kanzler-Herausforderer, Peer Steinbrück, auch bespricht, aber es ist selbstverständlich so, dass im Vordergrund die Gespräche stehen werden mit der Kanzlerin. Und wenn es mal einen sozialdemokratischen Kanzler gibt, bei dieser Wahl oder einer anderen Wahl, dann wird das umgekehrt genau so sein.

Wuttke: Aber wir müssen ganz realistisch sein, wir wissen, dass dieser Besuch natürlich für die Kanzlerin sehr wichtig sein wird, was die Bilder angeht, die sie auch ans Wahlvolk schickt. Was angemessen ist und was nicht, das ist ja noch mal eine andere Sache.

Voigt: Ja, aber so ist die Lage, und ich finde, da muss man wirklich nicht so kleinlich verbiestern, sondern sollte man sagen: Freut uns, dass Deutschland heute in Amerika so wichtig genommen wird, hoffentlich wird die Bundesregierung, diese und die kommende, eine vernünftige Politik machen, die dem angemessen ist. Die Amerikaner haben ja in der Vergangenheit häufig unsere Krisenbewältigungspolitik in Europa kritisiert, da waren sie nicht einer Meinung.

Also wir werden immer mit den Amerikanern große Gemeinsamkeiten haben, aber auch Punkte, das würde auch bei sozialdemokratischen Kanzlern so sein, wo wir eigene deutsche und europäische Sichtweisen und Interessen haben, und die muss man dann auch selbstbewusst vertreten. Und ich hoffe, dass die Kanzlerin das auch macht, und nicht nur auf Harmonie macht, sondern auch die kritischen Punkte anspricht.

Wuttke: Sie haben ja schon immer davor gewarnt, den Korb zu hoch zu hängen, einen Korb, den Barack Obama nicht erreichen kann. Seine Popularität in Deutschland, wenn man sich umhört, sie hat ja doch gelitten. Woran, glauben Sie, liegt das, dass man jetzt auch in Deutschland als Bürger viel realistischer auf die Politik schaut, die in den USA möglich ist, oder liegt das auch am Auftreten von Barack Obama?

Voigt: Zuerst einmal ist seine Popularität in Deutschland immer noch höher als in den USA, weil sie dort natürlich aufgrund der inneren Streitigkeiten noch umstrittener ist. Aber ein amerikanischer Präsident hat als Vertreter einer Weltmacht eine andere Sichtweise häufig als wir, bei allen gemeinsamen Werten und Interessen, die ich auch unterstreichen möchte, und diese Weltmacht hat auch eine Tradition, andere Methoden zu verwenden und viel leichter und schneller militärische Gewalt anzuwenden, als wir Deutschen es für richtig halten und als es unserer Tradition entspricht. Und deshalb muss man immer sehen, ich sage das ganz nüchtern, ich fahre immer nach Washington, nicht, um dort gelobt zu werden, weil ich ja sage, sondern ich fahre nach Washington, um respektiert zu werden, weil mein Ja oder Nein eine Rolle spielt.

Und ich habe noch keinen amerikanischen Senator kennengelernt, der gewählt worden ist, weil er deutsche Interessen vertritt. Das müssen wir schon selber machen, wir müssen unsere Interessen einbringen, und wir müssen auch unsere spezifischen Wertvorstellungen und spezifischen Sichtweisen in den Dialog einbringen. Das ist nicht gegen die Partnerschaft gerichtet, sondern das ist für die Partnerschaft ein wichtiger Punkt, denn die Amerikaner machen umgekehrt das auch so, dass sie uns natürlich hier in Berlin besuchen. Das ist nicht so, weil wir so nett sind, sondern weil sie uns für wichtig halten, und weil sie etwas von uns wollen.

Wuttke: Sagt der Sozialdemokrat Karsten Voigt, ehemaliger Regierungskoordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen, heute die Rede von Barack Obama vor dem Brandenburger Tor. Herr Voigt, besten Dank und schönen Tag.

Voigt: Vielen Dank auch.


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Karsten Voigt, SPD, ehemaliger Koordinator der Bundesregierung für deutsch-amerikanische Zusammenarbeit
Karsten Voigt© picture alliance / dpa
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