"Wir müssen für Verbraucher so etwas wie Sammelklagen installieren"

Renate Künast im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 23.10.2008
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hat mehr Schutz der Verbraucher bei Geldanlagen verlangt. Deutschland brauche einen Finanz-TÜV, sagte Künast. Zudem müsse es Beipackzettel für jede Finanzmarktdienstleistung geben, in denen auch das Risiko angegeben werde.
Renate Künast: Guten Morgen!

Birgit Kolkmann: Frau Künast, ist inzwischen die Finanzmarkkrise, von der immer gesprochen wird, sie könnte auch auf die Realwirtschaft übergreifen, längst bei den Verbrauchern angekommen?

Künast: Ja, sie ist angekommen, weil die Realwirtschaft, der ganze Mittelstand merkt, dass kein Geld fließt, sie kriegen keine Kredite und Unternehmen zu gründen oder auszubauen. Und die Endverbraucher sind irritiert, sehr besonnen, muss ich sagen, aber eben irritiert. Man weiß gar nicht, soll man das Geld festlegen, wo legt man es fest, geht wieder aufs gute alte Sparbuch oder Tagesgeld. Ja, und die Leute haben das Gefühl, fast könnten sie jetzt wieder einkaufen gehen, kurioserweise, weil ansonsten ist das Geld sowieso weg ist.

Kolkmann: Nun sieht man, dass das Rettungspaket ankommt inzwischen bei den Banken, Bayern LB ist die Nummer eins. Kommt denn dieses Rettungspaket nun auch bei den Verbrauchern an?

Künast: Nicht sehr direkt. Es kann mittelbar so ein bisschen die Lage entspannen. Dieses Finanzpaket, glaube ich, ist insoweit bei den Verbrauchern angekommen, als man sich über das Wochenende ja entsetzt die Augen reiben musste, wie da mit Managergehälter und anderem gedealt wird, ob Banken das annehmen wollen oder nicht. Es hatte schon irgendwas Abwertendes und Undankbares fast. Ich glaube, alle Verbraucher sind an dieser Stelle ja eigentlich auch Arbeitnehmer. Das ist der erste Punkt. Wenn das Geld nicht fließt, dann haben wir am Ende auch Probleme mit Jobs und steigt die Arbeitslosigkeit. Insofern haben die Verbraucher Sorgen.
Kolkmann: Die Verbraucher sind mit Finanzprodukten, durchaus auch spekulativen, offenbar über den Tisch gezogen worden in den letzten Jahren. Sie als ehemalige Verbraucherschutzministerin, was wäre jetzt ein sehr wichtiger Punkt zu verhindern, dass dieses in Zukunft auch passiert?

Künast: Erstens müssen Verträge ganz anders zustande kommen. Die Finanzdienstleister müssen eine Berufshaftpflicht abschließen und eine Beratungspflicht haben mit einem konkreten, ich sage mal, Beipackzettel für jede Finanzmarktdienstleistung, in der alle Details angegeben werden, auch das Risiko. Zum Beispiel muss dann da stehen, hier kannst du 100 Prozent deines Geldes verlieren, nicht nur die Zinsen.

Zweitens brauchen wir eine Art Finanz-TÜV. Ich glaube, angefangen bei der Bundesaufsicht für den Finanzmarkt muss es so sein, dass die Verbraucher Lobbyisten haben, die, die dann auch prüfen, sind die Angebote, die da gemacht werden, eigentlich okay. Und im Zweifelsfall muss man sie vom Markt nehmen. Es kann nicht sein, dass wir hier sehendes Auges solche unanständigen Finanzmarktdienstleistungen zulassen. Das tun wir bei allen anderen Dingen auch nicht. Da sagen wir dann, der Vertrag ist gar nicht zustande gekommen, zum Beispiel bei Wucher.

Kolkmann: Haben Sie den Eindruck, dass jetzt unter dem Eindruck dieser Krise ein solcher Wandel auch, ein systemischer Wandel, gewollt ist, auch von der Politik, dass die Verbraucher mehr geschützt werden, dass auch möglicherweise die Politik von den Lobbyisten der Finanzmarktbranche nicht mehr über den Tisch gezogen werden können?

Künast: Der erste Geburtsfehler des Finanzpakets letzte Woche war ja, dass die Banker es faktisch geschrieben haben. Daran erkennt man ja schon, dass die vielen warmen Worte, die gesprochen werden, die vielen Worte, bei denen uns die Bundesregierung, auch Frau Merkel sagt, wir wollen den Menschen dienen und es wird alles anders, noch nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen, weil schon dieses Paket falsch geschrieben wurde.

Jetzt gilt es Druck zu machen, dass tatsächlich andere Maßnahmen ergriffen werden, dass die Finanzaufsicht auch die Verbraucherrechte vertritt, dass die Verträge anders zustande kommen, dass wir quer durchs Land die Verbraucherberatung stellen, wieder besser ausstatten und dass wir für die Verbraucher auch so etwas wie Sammelklagen installieren, damit sie ihre Interessen gemeinsam vertreten können. Weil wer macht es schon alleine gegenüber einer großen Bank?

Kolkmann: Sie sagen, die Lobbyisten haben dieses Gesetz geschrieben. Wie kann das passieren? Hat die Bundesregierung, haben die Ministerien die Mittel selber nicht oder sind sie mit dieser Branche wohlmöglich verquickt, was ein schwerer Vorwurf wäre?

Künast: Sie sind insofern verquickt, als als Berater Tag und Nacht ein- und ausgegangen sind, die Banker, vorne an Herr Ackermann, der nun hinreichend bekannt ist, der, der gerade noch dachte, er hätte einen Anspruch auf einen Bonus dieses Jahr. Commerzbank geht weiter, Allianz hat mitgeschrieben. Sie finden aber keinen Finanzwissenschaftler, der irgendwo an einem unabhängigen Institut wäre, den man hinzugezogen hätte. Sie finden auch keinen Finanzfachmann aus den Verbraucherzentralen zum Beispiel. Da gibt es aber auch kluge Leute. Die Feder geführt haben nur die Fachleute, die zur Gruppe der Verursacher gehören.

Kolkmann: Interessant war ja die Empörung auch der Bundesregierung über die Äußerung von Deutsche-Bank-Chef Ackermann, dass sein Institut wohl diese Dinge nicht annehmen würde, weil er sich schämen würde. Norbert Röttgen hat so gesprochen, als wäre er beinahe ein Attac-Mitglied. Haben Sie da das Gefühl, dass möglicherweise Ihnen als grüne Opposition doch jetzt eine ganze Menge wegschwimmt Richtung Große-Koalitionsparteien?

Künast: Sehen wir mal ganz gelassen, Herr Röttgen redet, wie Sie sagen, fast wie ein Attac-Mitglied an dem Tag. Ich bin aber sicher, das Gesetz, das er letzte Woche gemacht hat, war nicht von Attac, sondern von den Banken. Und das, was in Zukunft kommt, wird auch eher Banker-orientiert sein. Da habe ich gar keinen Zweifel, und das muss man offenlegen. Bei der Großen Koalition passt Reden und Handeln nicht zueinander. Wenn Merkel sagt, sie will dienen, dann dient sie nicht denen, die sie vorgibt.

Kolkmann: Auf der anderen Seite ist es ja wirklich eine große nationale Aufgabe, diese internationale Finanzmarktkrise zu meistern und eben von den Menschen möglichst fernzuhalten oder die Konsequenzen jedenfalls. Haben Sie das Gefühl, dass für die Bundestagswahl im nächsten Jahr die Koalition, die Große, schon als weiteres Modell gesetzt ist? Wählen kann man sie ja so auf dem Zettel nicht?

Künast: Nein, ich sehe natürlich, dass die SPD schon auf der Matte steht und ankündigt, man könnte auch die Große Koalition fortsetzen. Das werde ich denen auch in jedem Wahlkampfauftritt und das ganze Jahr über immer um die Ohren hauen, dass sie schon derartig zaghaft an die Geschichte rangehen.

Dieses Jahr wird aber auch ein Jahr sein, in der sich die Debatten insgesamt verändern. Es ist nicht mehr alles beim Alten, sondern vom Klima bis zum Finanzmarkt, von der Art, wie wir wirtschaften, werden wir jetzt die Frage stellen, wie machen wir es wirklich, verantwortlich und zukunftsorientiert und nicht nur lobbyistisch für das Wohlsein einiger weniger. Und die Debatte muss man führen. Man muss die auch entzaubern, ja, auch sagen, der Kaiser ist nackt, wenn er vorgibt, was fürs Volk zu tun.

Kolkmann: Vielen Dank, Renate Künast, für den Besuch hier im Studio!

Künast: Ich danke auch.