"Wir müssen die Kriterien aufstellen nach der Nützlichkeit"

Serkan Tören im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 19.10.2010
Um den Mangel an Fachkräften auszugleichen, brauche man dringend eine Zuwanderung von qualifizierten Kräften, sagt Serkan Tören. Qualifikationsmaßnahmen von Menschen, die bereits in Deutschland lebten, reichten allein nicht aus, betont der FDP-Politiker.
Jan-Christoph Kitzler: Das Thema Integration ist ein ziemlich weites Feld, und am vergangenen Wochenende ist es noch mal etwas weiter geworden: Inzwischen geht es nämlich nicht mehr nur darum, was passieren muss, damit die hier lebenden Ausländer noch besser heimisch werden, es geht jetzt auch noch um die, die in Zukunft nach Deutschland kommen wollen und vor allem um die Frage, ob sie nützlich sind oder nicht. Nicht nur viele in der Wirtschaft meinen, sie brauchen eine Einwanderung, und um dem Fachkräftemangel Herr zu werden, muss diese gesteuert werden. Die Regierung macht inzwischen kräftig Druck: Drei Minister haben sich gestern geäußert , und das Ganze soll bald schon in Gesetzesform gebracht werden. Darüber spreche ich jetzt mit Serkan Tören, Bundestagsabgeordneter für die FDP, deren integrationspolitischer Sprecher und Mitglied im Innenausschuss. Schönen guten Morgen!

Serkan Tören: Ja, schönen guten Morgen!

Kitzler: Einwanderung steuern, ja, das wollen jetzt viele, aber ist die Lösung denn, überspitzt gesagt: Qualifizierte Türken sollen kommen, die dummen sollen zu Hause bleiben?

Tören: Nein, so zugespitzt natürlich nicht, aber Fakt ist: Wir haben den demografischen Wandel, der setzt schon an, die Wirtschaft spürt das. Deswegen: Wir brauchen dringend jetzt Zuwanderung von hochqualifizierten und von qualifizierten Kräften, damit wir diese Lücke auch überhaupt ausgleichen können. Das Deutsche Institut für Wirtschaft hat für das Jahr 2009 festgestellt, dass wir einen Wohlstandsverlust durch den Fachkräftemangel von 15 Milliarden Euro haben, und insofern: Das ist schon eine ganz bedeutende Zahl. Wir brauchen Zuwanderung – das ist ganz wichtig, um hier den Fachkräftemangel zu decken.

Kitzler: Die eine Frage ist ja, was für Menschen kommen, wie qualifiziert sie sind, die andere Frage ist ja, die auch immer wieder mitschwingt, woher sie kommen. Wie nehmen Sie denn die scharfen Töne, die aus Bayern kommen, wenn Seehofer die Einwanderung aus anderen Kulturkreisen begrenzen will, wahr? Sie selber sind ja auch in der Türkei geboren.

Tören: Ja, das ist richtig. Aber ich glaube, wir müssen damit ganz normal umgehen, auch mit solchen Äußerungen, und uns sachlich auseinandersetzen. Also hier jetzt ist Sachlichkeit gefragt, insofern verstehe ich auch da die Kritik der ... die zugespitzte Kritik der Grünen nicht in diesem Zusammenhang. Fakt ist: Es kann kein Kriterium sein, aus welchem Kulturkreis jemand kommt, sondern wir als Deutschland, wir müssen die Kriterien aufstellen nach der Nützlichkeit: Wer nützt uns? Welche Kriterien wir dann aufstellen, sind dann eher Fragen der wirtschaftlichen Nützlichkeit, und nicht, aus welchem Kulturkreis jemand kommt. Insofern: Die Debatte vielleicht etwas normalisieren und versachlichen, das wäre jetzt ganz wichtig, und dann uns die Frage stellen, wen brauchen wir hier für das Land?

Kitzler: Das geht aber natürlich auch an die eigenen Regierungs-, Koalitionsreihen. Den Kollegen von der CSU scheint es ja vor allem darum zu gehen, die Integrationsströme, die Angst vor diesen unkontrollierten Strömen – angeblich bestehen sie – heraufzubeschwören, oder?

Tören: Ja, das mag sein. Die Union ist auch gerade dabei, zu bestimmen im Grunde genommen, ob sie eine konservative Partei ist oder nicht. Das sind Dinge, die die Union selbst für sich ausmachen muss. Für uns, wie gesagt noch mal, ist wichtig: Wen wollen wir in das Land haben, wer nutzt uns wirtschaftlich? Das kann kein Kriterium sein die Frage, aus welchem Kulturkreis jemand kommt. Und das zeigen ja auch die Beispiele, die klassischen Einwanderungsländer wie Kanada oder USA: Auch dort wird nicht nach irgendwelchen Kulturkreisen unterschieden, sondern da gibt es ganz knallharte Qualifikationsrichtlinien dann entsprechend, wer in diese Länder rein soll, nach einem Punktesystem in Kanada. Und das ist auch die Vorstellung, die die FDP hat: Wir steuern im Moment ja nicht die Einwanderung nach Deutschland, sondern im Grunde genommen suchen wir uns die Menschen im Moment nicht aus. Wir sagen von der Gesetzgebung her, was im Moment nicht geht, aber sagen nicht positiv, was gehen soll, und das muss sich ändern, auch in unseren Köpfen. Und insofern denke ich, müssen wir hier klar offensiv jetzt auch sagen, wen wir nach Deutschland wollen: Was nutzt uns wirtschaftlich?

Kitzler: Ihr Parteifreund Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat gestern genau das vorgeschlagen, was Sie jetzt gesagt haben, nämlich das kanadische Modell, ein Punktesystem, also eine Art Ranking. Wer nützt uns, wer nützt uns nicht? Sollten wir uns nicht einfach darüber freuen, dass Menschen nach Deutschland kommen wollen und sie willkommen heißen, anstatt ständig neue Hürden aufzubauen?

Tören: Nein, es geht ja nicht um Hürden aufbauen. Wir haben ja schon einen Zuzug – es ist ja nicht so, dass wir gar keinen Zuzug haben – im Rahmen der Familienzusammenführung, und auch die ... innerhalb der EU gibt es natürlich auch Wanderungsströme. Aber Fakt ist: Wir haben eine Netto ... negative Nettobilanz, mehr Auswanderung aus Deutschland heraus als nach Deutschland hinein, und dann zusammen mit dem demografischen Wandel drückt das natürlich ganz schön, und wir müssen aufpassen, dass wir das, den demografischen Wandel auch wirtschaftlich vernünftig hinbekommen. Qualifikationsmaßnahmen von den Menschen, die hier leben, oder andere Maßnahmen, die müssen wir natürlich auch machen. Das ist ja der Kritikpunkt. Es wird gesagt, nein, kein Zuzug, das brauchen wir nicht zusätzlich, sondern wir müssen uns erst um die kümmern, die hier in Deutschland leben. Das tun wir ja auch, indem wir dann verstärkt auf Qualifikationsmaßnahmen drängen oder beispielsweise Frauen in die Berufe und da weitere Qualifikationen ... auch das ist ein ganz wichtiger Bestandteil, ältere Mitarbeiter. Aber das allein wird es einfach nicht richten, sondern wir brauchen zusätzlich zu dem dann auch noch eine Einwanderung aus dem Ausland.

Kitzler: Sie haben gerade das Thema Qualifikation der Menschen, die schon da sind, angesprochen. Viel von dem Potenzial, das es da gibt, ist aber ja schon verschenkt worden, zum Beispiel, das klassische Beispiel immer, der iranische Ingenieur, der jetzt Taxifahrer ist. Kann man das überhaupt wiedergutmachen?

Tören: Das kann man wiedergutmachen. Ich ... das ... Richtig ist: Wir haben da so ein bisschen Potenzial verschenkt, aber wir haben jetzt auch als Bundesregierung, als Koalition wird jetzt noch in diesem Jahr ein Gesetzesentwurf vorgelegt werden zur erleichterten Anerkennung von ausländischen Diplomen und Abschlüssen, und nächstes Jahr wird das auch in Kraft treten. Es geht jetzt nur noch um die Abstimmung mit den Bundesländern, und wir sehen da ein Potenzial von 300.000 bis 500.000 ausländischen Diplomen, die wir anerkennen, also Fachkräfte, die wir im Grunde genommen schon im Inland haben, und wo wir da noch mal ein bisschen motivieren können, und auch die Grundlage dafür schaffen können, dass diese Fachkräfte dann entsprechend in die Berufe kommen. Genau dieses Beispiel, was Sie genannt haben, das gibt es ganz oft, und deswegen auch diese gesetzliche Maßnahme, die erleichterte Anerkennung: Innerhalb von drei Monaten soll über einen Antrag in einer zentralen Stelle dann entschieden werden – eine immense Erleichterung für die Betroffenen, und auch eine Wertschätzung auch des Potenzials, das wir hier haben, also auch hier eine Maßnahme, um im Inland hier Fachkräfte zu gewinnen. Aber allein das wird es auch nicht richten, sondern das reicht nicht alleine. Wir brauchen auch hier wieder, vielleicht wiederhole ich mich oft, aber auch hier Zuwanderung wiederum aus dem Ausland.

Kitzler: Die, die im Land sind, besser qualifizieren, und die Einwanderung besser steuern – das will die FDP in Gestalt ihres integrationspolitischen Sprechers Serkan Tören. Vielen Dank für das Gespräch!

Tören: Ich bedanke mich!