"Wir hielten das Ganze für eine Erfindung"

Angela Spelsberg im Gespräch mit Gabi Wuttke · 27.12.2010
Das Vorstandsmitglied bei Transparency International Deutschland, Angela Spelsberg, hat Informationen über den Verbleib der Schweinegrippe-Impfstoffe angemahnt, die vermutlich rund 300 Millionen Euro gekostet haben.
Gabi Wuttke: H1N1 – Sie erinnern sich? Vor anderthalb Jahren hatte die Weltgesundheitsorganisation die Schweinegrippe zur Pandemie erklärt. Im August dieses Jahres gab sie Entwarnung, weil die Welt von einer Pandemie verschont blieb. Wir ziehen die 300-Millionen-Euro-Karte aus der Kiste des Vergessens und wollen wissen, was ist mit dem nicht verbrauchten Impfstoff in Deutschland eigentlich passiert? Am Telefon ist deshalb die Epidemiologin Angela Spelsberg, Vorstandsmitglied von Transparency International Deutschland. Schönen guten Morgen!

Angela Spelsberg: Guten Morgen!

Wuttke: Offiziell heißt es, nur fünf Millionen Dosen wurden verbraucht, die Länder sitzen also immer noch auf knapp 29 Millionen Impfstoffdosen, und Sie bezweifeln das – warum?

Spelsberg: Wir haben bei Transparency International von Anfang an, aber auch bei der Ausrufung der Pandemie die Intransparenz und die Interessenkonflikte bei diesen Entscheidungsprozessen, die zu dem Ablauf der Pandemie geführt haben, kritisiert. Wir hielten das Ganze für eine Erfindung und haben immer wieder die Offenlegung der Entscheidungsprozesse gefordert und auch die Offenlegung der Interessenkonflikte der beteiligten Wissenschaftler bis in die Gremien der WHO hinein.

Wir fordern auch hier jetzt, dass Transparenz entsteht über den Verbleib der Impfstoffe und auch über die Finanzierung der Impfstoffe, denn wenn sie nicht verimpft worden sind, haben die gesetzlichen Krankenkassen keine Möglichkeit oder auch keinen Auftrag, diese Finanzierung zu übernehmen. Also müssen wir Steuerzahler dafür aufkommen – oder wer kommt eigentlich dafür auf? Und es besteht die weitere Möglichkeit, dass der Impfstoff gar nicht in der Weise produziert wurde, wie das uns glauben gemacht wurde, sondern dass diese Vorräte erst langsam im Laufe des vergangenen Jahres produziert wurden und jetzt im saisonalen Impfstoff verbraucht werden könnten. Alles das sind Hypothesen, sind nicht beweisbare Vermutungen, aber deshalb brauchen wir dringend Transparenz und eine parlamentarische Untersuchung über die gesamten Vorgänge.

Wuttke: Wenn Sie jetzt sagen, die Impfstoffe könnten in diesem Jahr für die saisonale Grippe verwendet worden sein, dann haben Sie also nicht das Gefühl, dass das Paul-Ehrlich-Institut Ihnen widerspricht, wenn es sagt, zum Schutz der saisonalen Grippe würde der Impfstoff, der im letzten Jahr gekauft wurde, gar nicht nützlich sein, weil er mit einer ganz anderen Konzentration gemacht wurde?

Spelsberg: Das sind alles Dinge, die mal auf den Tisch des Hauses gelegt werden müssen. Das Paul-Ehrlich-Institut hat eine sehr wenig hilfreiche Informationspolitik betrieben, auch zu Beginn der Pandemie mit den Informationen für die Öffentlichkeit, mit den widersprüchlichen Aussagen, mit der Panikmache. Das alles war wenig nützlich und hat auch keinen faktischen Hintergrund, und deshalb wäre es dringend angezeigt, dass es eine Untersuchung gibt darüber und dass das Paul-Ehrlich-Institut alle Dokumente offenlegt, die dazu beitragen können, mehr Klarheit in die Vorgänge zu bringen.

Wuttke: Es gab ja Anfang des Jahres auch die durchaus bestätigte Meldung, dass man Käufer für die Impfstoffdosen sucht – in der Mongolei, in Albanien oder im Kosovo. Wissen Sie, ob die Länder da noch Käufer gefunden haben, also vielleicht weniger Impfstoffdosen in Deutschland sind, als jetzt vermutet wird?

Spelsberg: Auch darüber besteht keine Transparenz, aber es ist eine Hypothese, die man vermuten kann, dass eben bestimmte Dosen irgendwo anders hingeliefert worden sind. Aber die Frage ist ja die Bezahlung, also wer ist dann letztlich dafür aufgekommen. Ist es dann doch Deutschland gewesen, das dann die Dosen bezahlt hat und an die Länder gegeben hat, sozusagen als Spende? Hier gibt es so viel Fragen und wenig Antworten.

Wuttke: Sie sind von Transparency International natürlich angetreten, einen bestimmen Standpunkt zu vertreten, aber um noch mal auf die möglichen Käufer zurückzukommen: Wäre es aus Ihrer Sicht entweder heuchlerisch oder doch vielleicht auch großzügig, wenn man Impfstoffe, die ein reiches Land nicht mehr braucht, an bedürftige Länder abgibt?

Spelsberg: Das Problem ist ja hier, dass diesen Impfstoff niemand gebraucht hat und dass von Anfang an die Ausrufung der Pandemie eine katastrophale Fehlentscheidung war, die auf der Grundlage von nur wenigen Experten gefällt wurde. Und diese Entscheidung war aus unserer Sicht sehr stark beeinflusst von den Interessen dieser Wissenschaftler, die eben langjährige Kontakte zu Impfstoffherstellern hatten und auch an der Pandemie-Impfstoffentwicklung beteiligt waren. Und es wurde Panik gemacht, und hier muss dringend die Struktur von solchen Expertengremien geändert werden und auch die Interessenkonflikte – Menschen mit solchen weitreichenden Verflechtungen dürfen in solche Gremien nicht kommen.

Wuttke: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie, summa summarum hat nicht nur GlaxoSmithKline gehörig von dieser als Pandemie ausgerufenen Krankheit profitiert, sondern auch ganz klar Mitglieder der WHO – oder ist es die WHO als Ganzes?

Spelsberg: Die WHO hat sich durch diese gesamte Politik sehr stark in Misskredit gebracht, ihre Glaubwürdigkeit hat stark gelitten. Und die WHO ist jetzt gerufen, ihre Expertengremien und ihre Entscheidungsprozesse grundlegend zu überdenken und die Zusammensetzung der Gremien strengen Kontrollen zu unterwerfen, so ähnlich wie es ja bei der Tabakindustrie und der Kontrolle von Interessen von Wissenschaftlern, die mit der Tabakindustrie zusammengearbeitet haben. Hier hat sie ja strikte Regeln aufgesetzt, dass eben solche Experten nicht bei der WHO angestellt noch in Expertengremien sitzen können. So ähnlich muss das hier bei anderen Entscheidungsgremien auch passieren. Und deshalb muss die WHO jetzt ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen durch richtige Maßnahmen.

Wuttke: Der Impfstoff gegen die Schweinegrippe und was daraus wurde. Daran erinnerte und forderte in der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur die Epidemiologin Angela Spelsberg von Transparency International Deutschland. Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten und einen schönen Dank!

Spelsberg: Ihnen auch, vielen Dank, auf Wiederhören!