"Wir haben ein systemisches Problem"

Debora Weber-Wulff im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 01.06.2012
Die sich häufenden Plagiatsfälle sind nach Ansicht der Medieninformatikerin Debora Weber-Wulff keine Einzelfälle, vielmehr gebe es berechtigte Zweifel an der Arbeitsweise von Universitäten und Doktorvätern. Von der Hochschulpolitik fordert sie ein Maßnahmenpaket aus Beratung, Transparenz und Kontrolle.
Matthias Hanselmann: Es ist noch nicht allzu lange her, dass ein Bundesminister wegen Plagiatsvorwürfen den Hut geworfen hat – Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg trat von allen politischen Ämtern zurück. Auch FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin wurde ihren Doktortitel los und ist nur noch einfache Europaabgeordnete. Dann war da noch nicht ganz so prominent die Tochter des ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, Veronica Saß – auch sie ist jetzt nicht mehr Frau Dr. Saß. Mit Schuld an den blamablen Vorwürfen gegen die drei Genannten war Frau Debora Weber-Wulff. Sie ist Medieninformatikerin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und jetzt unser Studiogast. Herzlich willkommen!

Debora Weber-Wulff: Ja, guten Tag!

Hanselmann: Frau Weber-Wulff, jetzt gibt es seit einigen Tagen schwere Vorwürfe gegen die Bundesbildungsministerin ausgerechnet, Annette Schavan. Sie soll auf 65 Seiten ihrer Doktorarbeit von anderen Autoren abgeschrieben und nicht korrekt zitiert haben. Außerdem soll sie eigene bereits veröffentlichte Texte übernommen, also bei sich selbst abgeschrieben haben. Die Uni Düsseldorf prüft jetzt diese Vorwürfe. Wie schätzen Sie denn diesen Fall Schavan ein?

Weber-Wulff: Na ja, wir haben diese … In der VroniPlag-Gruppe haben wir schon seit Ende Dezember letzten Jahres uns mit diesem Thema beschäftigt gehabt, und es hat natürlich eine gewisse Brisanz wegen der Person. Aber es gab sehr viel Diskussion hin und her – ist das nun so schlimm, das ist ein Kleinsatz, das ist ein Halbsatz. Gut, sie hat die Quelle angegeben, aber das ist eben einfach ein bisschen problematisch, einfach weiter übernommen, nach dieser Stelle, wo sie gesagt hat, da ist die Quelle zu Ende. Und es waren so viele Sachen, die hin und her waren. Es war klar, es ist nicht schön gearbeitet worden, aber ob es dazu gereicht hätte, jetzt also richtig durchzuziehen, da könnten wir uns nicht dazu durchringen. Und da hat die Gruppe beschlossen, dass wir das nicht auf die Homepage stellen, das heißt mit Namensnennung, aber in der Diskussion war klar, dass einzelne Mitglieder durchaus die Möglichkeit sahen, die wollten es gerne im Alleingang veröffentlichen, und das haben sie jetzt gemacht. Und das ist auch …

Hanselmann: Das haben die auch getan?

Weber-Wulff: Ist auch gut so.

Hanselmann: Der Name Martin Heidingsfelder wird da immer genannt, soll Gründer von VroniPlag gewesen sein.

Weber-Wulff: Ach, der ist seit sechs Monaten nicht mehr dabei.

Hanselmann: Aber er hat …

Weber-Wulff: Wir haben ihn rausgeworfen.

Hanselmann: Sie haben ihn rausgeworfen?

Weber-Wulff: Ja.

Hanselmann: Er darf aber trotzdem, wenn er möchte, solche Dinge veröffentlichen?

Weber-Wulff: Na ja, also er hat sie nicht veröffentlicht, sondern er ist ja wiederum hinten rangesprungen, weil der SchavanPlag wordpress erlaubt keinen weiteren Leuten, mit dran arbeiten zu können. Und deswegen hat er eben gleich etwas gleichen Namens gegründet gehabt, SchavanPlag, damit das einfacher ist, dass man sie ein bisschen miteinander verwechselt.

Hanselmann: Wusste ich noch gar nicht, dass es da Exklusivrechte oder so etwas gibt.

Weber-Wulff: Nee, gibt es ja eben nicht, aber so passiert das.

Hanselmann: Aber man grenzt sich ab. Ich habe eben gesagt, Frau Schavan soll bei sich selbst abgeschrieben haben. Das Ganze nennt man ein Eigenplagiat. Was ist das eigentlich?

Weber-Wulff: Na, ich sag eigentlich Selbstplagiat dazu, aber es gibt auch Eigenplagiat, es gibt mehrere Bezeichnungen dafür. Es geht darum, Texte, die man selber mal geschrieben hat, noch mal zu verwenden, so eine Art Recycling, was im Alltag vielleicht eine gute Idee ist, aber wenn es um Texte geht, eben nicht so eine gute Idee ist. Es gibt eigentlich ganz klare Regeln bezüglich des Eigenplagiats: Wenn man was bereits veröffentlicht hat, dann hat der Verlag die Rechte an den Texten und nicht mehr man selbst. Auch wenn der Text natürlich von einem stammt, man hat nicht mehr die Verwertungsrechte dazu.

Hanselmann: Das Urheberrecht hat man, aber nicht das Verwertungsrecht.

Weber-Wulff: Genau, man ist nach wie vor Urheberin davon, kein Thema, aber man hat … die Verwertung davon ist jetzt beim Verlag. Und deswegen, wenn die Texte identisch übernommen werden sollen, es muss ganz klar sein, dass Verlag A damit einverstanden ist, der Erstverwerter, Verlag B muss auch damit einverstanden sein, dass sie nichts Neues kriegen, sondern eine Kopie von etwas, und es muss zweitens beim Verlag B ganz klar ausgewiesen werden, dieses habe ich dort übernommen.

Hanselmann: Also Fußnote unten, Annette Schavan …

Weber-Wulff: Fußnote, genau …

Hanselmann: … Seite sowieso …

Weber-Wulff: … dies entspricht meiner Dissertation.

Hanselmann: Viele Fußnoten soll sie auch weggelassen haben, das ist auch ein Vorwurf, den habe ich noch gar nicht genannt.

Weber-Wulff: Ja, das an einigen Stellen … also, die Arbeit hätte besser sein können.

Hanselmann: Welche Rolle spielt eigentlich bei all dem der jeweilige Doktorvater. Der ist doch auch dafür zuständig, reinzuschauen, Gespräche zu führen und so weiter.

Weber-Wulff: Das hab ich mich bei vielen von diesen Doktorarbeiten gefragt. Also VroniPlag hat inzwischen 23 Namen auf der Homepage, das heißt, das sind 23 Doktorarbeiten, wo ich mich frage: Sind die Arbeiten wirklich gelesen worden? Sind sie wirklich intensiv nachgeschaut worden? Gerade bei Frau Schavans Arbeit, da ist an einigen Stellen, wo sie zum Beispiel Luhmann übernimmt und beim Paraphrasieren, beim Umschreiben das verfälscht. Dass sie die Aussage eigentlich ins Gegenteil umkehrt. Und da muss man sich fragen, was ist denn da gewesen und vor allem, warum ist das nicht aufgefallen, als man sich mit der Arbeit dann bewertend beschäftigt hat.

Hanselmann: Also mit anderen Worten: Viel Doktorväter drücken sämtliche verfügbaren Augen manchmal zu?

Weber-Wulff: Kann man nicht so sagen, aber man hat jetzt langsam einen Eindruck, dass es ein Problem gibt, und zwar ein systemisches Problem. Das ist nicht mehr das Einzelproblem, die man versucht hatte, bei zu Guttenberg zu sagen, na ja, das ist ein Einzelmensch, der seine Geltungssucht oder was weiß ich braucht, einen Doktortitel. Wir können jetzt zeigen, das ist Quatsch. Und es ist nicht nur eine Universität, sondern es ist bundesweit, und wir haben auch zwei Fälle im Ausland. Da ist jetzt gerade ein neuerer Fall in Dänemark, der richtig hohe Wellen schlägt, weil der Plagiator inzwischen auch Professor ist an einer Universität in Dänemark – das geht sehr hoch her. Wir haben auch einen Fall …

Hanselmann: Vom Plagiator zum Doktorvater.

Weber-Wulff: Wir haben ja auch einen deutschen Fall, wo eine Professorin nach ihrer Berufung an der Fachhochschule im Ausland einen Doktortitel erworben hat und dann einen großen Teil davon in die Arbeit übernommen hat. Deswegen stelle ich fest, wir haben ein systemisches Problem an den Universitäten. Es ist nicht alles gut bei der Betreuung der Doktorarbeiten, und wir müssen schauen, dass wir Lösungen finden.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit der Plagiatsrechercheurin, manche nennen sie auch -Jägerin, Debora Weber-Wulff von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, wo sie als Medieninformatikerin arbeitet.

Sie selbst haben – ich hab’s vorhin gesagt – zum Sturz von Herrn Guttenberg beigetragen, durch ihre Enthüllungen im Internet, waren auch an anderen Fällen beteiligt, Sie haben es beschrieben. Haben Sie das Gefühl, dass sich durch Ihre bisherige Arbeit schon etwas verändert hat in Deutschland, zum Besseren hin? Wird bei aktuellen Doktorarbeiten genauer hingeschaut, besser kontrolliert, weniger abgeschrieben?

Weber-Wulff: Es herrscht leider sehr viel Angst und sehr viel Verunsicherung. Die Studierenden wissen einfach nicht, was sie machen sollen. Die Universitäten und die Doktorväter sind auch verunsichert, die Unis schreien nach schnellen Lösungen: Wir brauchen eine Eigenständigkeitserklärung. Na ja, da hält ja keiner davon ab. Aber wir brauchen eine Software. Und ich hab nun die Software getestet seit 2004, die taugt nicht zum Bestimmen, ob Plagiat oder nicht, die kann nur Indizien liefern. Und ich hab neulich eine sehr schräge Geschichte gehabt: Jemand rief bei mir an, völlig verzweifelt, weil ihre Universität von ihr verlangt, dass sie eine Bescheinigung von einer Software beibringt, dass ihre Arbeit in Ordnung ist. So was kann sie gar nicht kriegen, das ist schon eine sehr schräge Situation. Man ist bewusst, man muss was tun, aber so richtig, wie wir handeln sollen, das weiß keiner.

Hanselmann: Was muss denn geschehen in Deutschland, damit solche Fälle sich nicht ständig wiederholen?

Weber-Wulff: Ich hab eigentlich schon im November, als ich beim Bildungsausschuss vom Bundestag ausgesagt habe, ganz klar gesagt, wir haben drei Sachen, die wir machen müssen: Beratung, Transparenz und Kontrolle.

Es muss Beratung geben, eigentlich eine zentrale Beratungsstelle, damit nicht alle Unis das Rad für sich selbst neu erfinden müssen. Die müssen auch beraten können, wie die Prüfungsordnungen aussehen müssen, damit sie juristisch wasserdicht sind.

Wir brauchen Transparenz, die Doktorarbeiten müssen alle in Open Access online digital durchsuchbar zur Verfügung stehen, damit nachfolgende Generationen nicht so einfach übernehmen können, weil sie wissen, das fällt denn erst recht auf.

Und das Dritte ist die Kontrolle, da wir sehen, dass es bundesweit ein Problem ist, denke ich im Sinne der Qualitätssicherung, sollte es notwendig sein, dass eine Stichprobe von Doktorarbeiten der letzten fünf Jahre untersucht wird, um zu schauen, wo liegt was im Argen und was müssen wir tun dagegen.

Hanselmann: Diese Forderung haben Sie, wie Sie eben sagten, in diesem Ausschuss geäußert des Bundesbildungsministeriums. Hat Frau Schavan davon Wind bekommen oder hat sie selbst sogar zugehört?

Weber-Wulff: Das weiß ich nicht. Also ich habe so was bereits 2003 gefordert gehabt, ich hab den BMBF um so etwas gebeten und nichts gehört. Ich hab auch letztes Jahr nach zu Guttenberg so was gefordert, und es heißt immer vom Bund, wir sind nicht zuständig, das ist Ländersache. Die Länder sagen, auch Berlin hat gesagt, nein, das ist Sache der Universitäten, und die Universitäten, die Landeshochschulrektoren haben gerade darüber beschlossen und geguckt, nein, also wir können das nicht selber stemmen, das ist eine bundesweite Aufgabe. Und damit bin ich wieder am Anfang, wo ich sagen muss, Leute, es muss sich was bewegen. Und ich denke, es ist schon ein Problem mit dieser Länderhoheit dabei, dass jeder so ein bisschen, hmm, Angst hat, da was zu tun. Aber es muss was geschehen.

Hanselmann: Wie ist das denn eigentlich jetzt im Fall Schavan, können da noch neue Enthüllungen kommen, arbeiten noch Menschen dran, Rechercheure, Aufdecker und so weiter, und ist das jetzt alles abgegrast?

Weber-Wulff: Nein, es ist nie alles abgegrast. Es kann immer Zufallsfunde geben. Die meisten von solchen Fällen sind tatsächlich Zufallsfunde. Irgendjemand recherchiert was und findet zufällig im Internet, huch, das gibt es ja schon mal von jemand anders, zwei Jahre später, das ist aber schräg. Und dann fängt man an nachzugucken. Und es kann immer passieren, dass noch ein Buch über den Weg läuft und man sagt, ach, das hab ich aber schon mal gelesen.

Hanselmann: Aber für Sie ist jetzt noch nicht genug Material da, um den Rücktritt der Bundesbildungsministerin zu fordern?

Weber-Wulff: Ich trenne Wissenschaft und Politik. Für mich ist es eine wissenschaftliche Frage, und ich möchte gerne, dass wir als Wissenschaft und als Wissenschaftssystem darauf reagieren, dass wir die Wissenschaft in Deutschland wirklich sauber halten, dass wir solche Leute nicht bei uns tolerieren, die unsauber arbeiten, aber vor allem, dass wir Lösungen finden, das zu vermeiden, wie die Politik darauf reagiert. Und es ist schon ein bisschen bekannt, dass es also viele Bildungsminister scheint zu treffen mit diesen etwas problematischen Arbeiten. Wir hatten auch Herrn Althusmann, der auch Bildungsminister ist in Niedersachsen, und der rumänische Bildungsminister ist nach einer Woche im Amt ja doch lieber zurückgetreten, weil auch seine Doktorarbeit war plagiiert.

Hanselmann: Frau Weber-Wulff, seit ich glaube über zehn Jahren arbeiten Sie jetzt als Plagiatsrechercheurin, von manchen -Jägerin genannt – freiwillig und unbezahlt tun Sie das, das sollte man mal betonen. Sagen Sie mir in einem Satz: Wieso tun Sie das eigentlich?

Weber-Wulff: Warum nicht? Es ist da.

Hanselmann: Vielen Dank für das Gespräch!

Weber-Wulff: Bitte schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Weitere Infos zur Diskussion um Schavans Doktorarbeit auf dradio.de:

Plagiatsvorwürfe: Opposition setzt Schavan unter Druck - SPD und Grüne verlangen Aufklärung

Schavan: "Mit anonymen Vorwürfen kann man schwerlich umgehen" - Blog versucht, Plagiate auf 50 Seiten der Dissertation der Ministerin nachzuweisen
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