"Wir brauchen schnell den Rettungsmechanismus"

Sven Giegold im Gespräch mit Martin Steinhage und Burkhard Birke · 17.09.2011
Der Finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, hat vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone gewarnt. Nicht nur Griechenland sei das Problem - die eigentliche Gefahr bestehe in der Situation von Ländern wie Spanien, Italien, Irland und Portugal.
Deutschlandradio Kultur: Unser Gast ist Sven Giegold, Europaparlamentarier der Grünen und finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Europäischen Parlament. Mit ihm reden wir natürlich über den Euro. Herr Giegold, haben Sie denn Ihre Euro-Spargroschen schon in Gold umgetauscht?

Sven Giegold: Natürlich nicht. Das empfehle ich auch niemandem bei dem Goldpreis.

Deutschlandradio Kultur: Ganz im Ernst, Herr Giegold: Wenn wir auf Deutschland zum Beispiel schauen, als eines der großen Länder in der Euro-Zone, die Bundesbürger fragen sich natürlich: Wie sicher ist unser Geld angesichts der Krise?

Giegold:Der Euro ist in einer schwierigen Lage. Und in der Tat ist das nicht einfach nur ein Problem Griechenlands, sondern wir haben das Problem, dass die wirtschaftliche Situation der verschiedenen Mitgliedsländer immer weiter auseinander läuft. Und das wirft Fragen auf. Und das muss beantwortet werden mit einer deutlich stärkeren politischen Union zwischen den Euro-Mitgliedsländern und duldet keinen weiteren Aufschub.

Deutschlandradio Kultur: Droht denn aber die Euro-Zone wirklich auseinanderzubrechen, wenn wir so weitermachen, wie bisher?

Giegold:Wenn wir so weitermachen, wie bisher, droht die Euro-Zone auseinanderzubrechen – ja.

Deutschlandradio Kultur: Herr Giegold, es werden ja allerlei Möglichkeiten diskutiert, wie Griechenland und damit letztendlich die gesamte Euro-Zone die gegenwärtige Krise überstehen kann. Was empfehlen Sie da eigentlich? Was ist jetzt zu tun?

Giegold:Ich möchte sagen, dass aus meiner Sicht das Problem eben nicht nur Griechenland ist. Wenn das nur Griechenland wäre, wäre es relativ leicht beherrschbar, selbst wenn das innerhalb Griechenlands zu großen Problemen führt. Das Problem ist, dass eben auch Länder, wie Spanien, wie selbst Italien und eben auch natürlich Portugal und Irland, große Probleme haben. Das ist das eigentliche Problem.

Wenn wir jetzt über Griechenland im Einzelnen reden, dann muss man sagen, die Griechen müssen ihre Hausaufgaben machen. Darauf muss man drängen. Es ist gut, dass endlich die EU eine Task-Force zusammengestellt hat, also eine Arbeitsgruppe, die jetzt dort auch hingeht und hilft bei den ganz konkreten Arbeiten, beim Umbau der Verwaltung usw. Aber jenseits dessen ist auch klar, dass das Niveau von Verschuldung Griechenland, selbst wenn die so viel Reformen machen, wie sie nur können, nicht durchhaltbar ist. Und es muss dort Umschuldung geben – sowohl innerhalb Griechenlands, also durch Vermögensbesteuerung, als auch, was Forderungsverzicht angeht. Das ist aus meiner Sicht klar.

Deutschlandradio Kultur: Umschuldung, Herr Giegold, wie viel müssen wir denn da lassen? Wie viel Prozent müssen wir von den 340 Mrd. Euro Schulden, die Griechenland Ende vergangenen Jahres hatte, es werden täglich neue Milliarden, wie viel davon können wir in den Wind schreiben?
Giegold:Wir haben eine Kurzstudie dazu gemacht als europäische Grüne. Und wir schätzen, dass – um wieder auf ein tragfähiges Maß von Staatsverschuldung zu kommen – gut 50 Prozent der Gesamtsumme abgeschrieben werden müssen. Aber ich habe eben noch mal gesagt, die Abschreibung bezieht sich nicht nur auf das Ausland, sondern es gibt auch sehr Vermögende in Griechenland. Und die müssen natürlich ebenso belastet werden. Aber das Maß der Staatsverschuldung in Griechenland muss etwa in der Größenordnung abgebaut werden.

Deutschlandradio Kultur: Herr Giegold, dann nennen Sie doch netterweise noch eine Hausnummer. Wenn jetzt die Gläubiger auf 50 Prozent verzichten müssten, was hieße das denn für den deutschen Steuerzahler in Euro und Cent Pi mal Daumen?

Giegold:Genau das hängt genau vom Modell ab und ist ganz so leicht nicht berechenbar. Eine seriöse Zahl dazu kann ich Ihnen heute auch dazu nicht liefern. Ich will nur eins umgekehrt sagen: Das Verzögern dieser Krise ist mit Sicherheit die teuerste Variante für die Steuerzahler. Die ganze Zeit ist es schon so, dass diese Krise immer teurer wird dadurch, dass die Zinsen für die betroffenen Länder steigen und deren Fähigkeit sich zu sanieren sinkt, weil die politischen Maßnahmen der Euro-Mitgliedsländer und zuvorderst auch der deutschen Bundesregierung als wichtiges Euro-Land ständig hinter dem Notwendigen hinterher laufen.

Das kann man mit Sicherheit sagen: Die Krise ist durch das Nichthandeln und schwache Handeln im Laufe des letzten Jahres enorm verteuert worden – und gerade für Deutschland.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Herr Giegold, um mit Herrn Rösler zu sprechen, dem FDP-Vorsitzenden, brauchen wir jetzt eine geordnete Insolvenz oder "Resolvenz", wie er es neuerdings nennt?

Giegold:Aus seiner Sicht als Mitglied der Bundesregierung muss man eins klar sagen: Eine solche Aktion macht man, über die redet man nicht am Kabinettstisch mit verschiedenen Stimmen.

Deutschlandradio Kultur: Kommen wir noch mal zurück auf die Folgen, auf die Konsequenzen einer Umschuldung. Die Gläubiger der Hellenen und darunter ja nicht zuletzt Banken und Versicherungen würden ja bei einer Umschuldung – wir haben es eben gehört, Sie haben es benannt – viel Geld verlieren. Wären diese Verluste wirklich beherrschbar? Ich frage auch vor dem Hintergrund, dass es ja jetzt schon wieder heißt seitens der Europäischen Union, das ist ein offenes Geheimnis: Am Bankenmarkt droht schon wieder eine Kreditklemme. Haben wir dann ganz schnell eine Kernschmelze?

Giegold:Also, die Gefahr für das europäische Bankensystem kommt nicht alleine aus Griechenland, sondern aus möglichen Ansteckungseffekten. Also, das Grundproblem ist klar: Wenn ein Land seine Schulden nicht bedient, fragen sich natürlich die Finanzmärkte, was macht dann der nächstschwächere Staat. Was ist dann mit Portugal? Was ist mit Irland? Die ächzen ja auch unter ihren Schulden. Und dann wird die Sache wirklich in der Größenordnung problematisch.

Und deshalb brauchen wir auch einen europäischen Bankenrettungsfonds, mit dem im Zweifelsfall und letztlich gespeist aus speziellen Steuern auf Finanzmarktakteure, mit dem Banken gerettet werden können. Und deshalb ist jede Verzögerung bei der Inkraftsetzung des Rettungsschirms jetzt im Bundestag absolut unverantwortlich. Und wir brauchen schnell den Rettungsmechanismus, der dann ja das Recht hätte, auch Banken zu stabilisieren.

Das einzige Problem, das bleibt, ist: Wenn das jedes Mal erst von 17 nationalen Parlamenten abgesegnet werden muss, das kann an der Stelle keine Lösung sein. Aber wir brauchen dringend dieses europäische Absicherungssystem, damit – wenn es solche Probleme gibt – die beherrschbar sind.

Deutschlandradio Kultur: Herr Giegold, Sie haben ja darauf hingewiesen, dass diese Ratifizierungsprozesse sehr schwierig sein können, dass einfach das, was wir brauchen, nicht da ist jetzt. Wir haben nämlich keine Zeit mehr. Was muss man denn jetzt ganz kurzfristig tun?

Es heißt jetzt, die Slowaken wollen, wenn überhaupt, erst im Dezember zustimmen.

Giegold:Ja, das ist aus meiner Sicht unakzeptabel. Dieser Fond muss so schnell wie möglich vollständig handlungsfähig werden – mit den erweiterten Möglichkeiten. Das Schlimme ist, wenn Sie fragen, was kann man kurzfristig tun, dann muss man klar sagen: Der einzige Akteur, der kurzfristig handlungsfähig ist, ist die EZB. Und die EZB hat jetzt schon große Risiken auf ihre Bücher genommen, was eigentlich so nie geplant war. Und man muss ganz klar sagen, dafür darf man nicht die EZB kritisieren, sondern das ist die Verantwortung der Mitgliedsländer des Euros und auch zuvorderst mit der deutschen Bundesregierung, dass eben entsprechende Maßnahmen, dieses Stabilisieren der Banken und das Stabilisieren der Staaten nicht der EZB zu überlassen, sondern politisch zu übernehmen, wo es auch hingehört.

Also, kurzum heißt das: Wenn es konkrete Krisen gibt, die EZB kann dann in der jeweiligen Situation eingreifen. Sie sollte das aber nicht. Und gerade, wenn man aus einer deutschen Sicht an der Rolle der EZB als geldpolitischer Akteur, nicht als haushalts- und fiskalpolitischer Akteur, ein Interesse hat, dann muss man darauf dringen, dass die Ratifizierungen so schnell wie möglich geschehen.

Und was dann gar nicht geht, ist, dass die FDP sich aus der Verantwortung stiehlt und erst mal einen Mitgliederentscheid durchführt, der auch wieder wichtige Zustimmungen verzögert. Aus meiner Sicht ist das völlig unakzeptabel. Das hat mit Regierungsparteiverantwortung nichts zu tun.

Deutschlandradio Kultur: Herr Giegold, aber ich verstehe Sie richtig, dass auch Sie momentan keinen anderen Weg sehen, als dass die Europäische Zentralbank systematisch marode Staatsanleihen aufkauft?

Giegold:Die EZB kauft derzeit keine maroden Staatsanleihen, sondern sie kauft im Moment vor allem Staatsanleihen von Spanien und Italien.

Deutschlandradio Kultur: Aber auch griechische.

Giegold:Sie hat in der Vergangenheit auch griechische gekauft. Im Moment konzentriert sich das Aufkaufprogramm auf Spanien und Italien. Die genauen Daten sind ja nicht öffentlich.

Deutschlandradio Kultur: Aber wir reden von über 140 Mrd. Euro.

Giegold:Das sind 140 Milliarden Gesamtvolumen. Und ich habe eben nur korrigiert, dass das nicht im Moment sich hauptsächlich auf Griechenland bezieht, sondern auf Staaten, die nicht marode sind.

Die beiden Staaten haben Probleme. Italien hat eigentlich kein ökonomisches Problem, sondern ein politisches. Und Spanien ist weniger verschuldet als Deutschland und reformiert sich in einer hohen Geschwindigkeit. Und das hindert aber derzeit die Investoren nicht, misstrauisch zu sein. Und in dieser Situation hat die EZB stützend in den Markt eingegriffen, weil die Politik es nicht getan hat.

Und in Deutschland haben wir die seltsame Situation, dass der Bundespräsident dafür die EZB scharf kritisiert, statt das schlechte Krisenmanagement der Euro-Staaten.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie weisen mit Abscheu und Empörung eine Formulierung zurück, die ist nicht vom Bundespräsidenten, ich spitze mal zu: "Die EZB ist eine Bad Bank"?

Giegold:Das ist natürlich eine unakzeptable Äußerung, die auch – vor allem, wenn sie von politischen Akteuren kommt – ihnen überhaupt nicht zusteht. Die EZB hat in dieser schwierigen Krise eine sehr gute Rolle gespielt. Das muss man ganz klar sagen. Während alle anderen nicht gehandelt haben, hat sie gehandelt. Und hier im Europäischen Parlament fraktionsübergreifend wird ihr dafür auch sehr viel Anerkennung ausgesprochen. Die Debatte in Deutschland von Teilen der Konservativen und Liberalen hat auch mit Bürgerlichkeit an der Stelle überhaupt nichts zu tun.

Ja, also, ich finde diese Art von Formulierungen sind auch in der Sache nicht zutreffend. Aber richtig ist, dass die EZB Risiken auf den Büchern hat, die sie eigentlich nicht haben sollte. Aber sie ist deshalb keine Bad Bank, was ja bedeuten würde, da ist nur Schrott. Das trifft eindeutig nicht zu und ist in der Sache nicht richtig.

Deutschlandradio Kultur: Risiken, die letztendlich ja dann doch der Steuerzahler tragen muss, denn die verschiedenen Mitgliedsstaaten bürgen ja für die Schulden der EZB. Herr Giegold, wäre es da nicht viel ehrlicher gewesen, man würde jetzt Eurobonds auflegen?

Giegold:Eurobonds sind als Sofortmaßnahme nicht einfach. Es gibt, im Rahmen des EFSF werden ja bereits Eurobonds aufgelegt. Deshalb ist auch wieder aus europäischer Sicht die jetzige Debatte in Deutschland völlig unverständlich.

Deutschlandradio Kultur: Ist das eigentlich eine sehr deutsche Debatte?

Giegold:Ja, in dieser Form auf jeden Fall. Es gibt die Debatte in ähnlicher Form auch in den Niederlanden und in Finnland, aber es ist in der Weise sehr deutsch. Aber was ich sagen wollte:

Es gibt längst Eurobonds. Die Europäische Investmentbank hat 67 Mrd. Euro Eurobonds aufgelegt, gemeinsam besicherte europäische Anleihen. Der EFSF hat gerade jetzt in der letzten Woche die zweite Tranche an Eurobonds aufgelegt. Davon bricht die Welt nicht zusammen. Das Bundesverfassungsgericht hat abgesegnet, bis zu 440 Mrd. Euro Eurobonds durch den EFSF-Rettungsschirm aufzulegen. Deshalb muss man darum gar nicht so ein Theater machen, wie es CSU und FDP derzeit betreiben.

Deutschlandradio Kultur: Also, eine Scheindebatte, die in Deutschland geführt wird, Herr Giegold?

Giegold:Ich glaube, es gibt sehr viel politische Akteure, die sich künstlich rote Linien suchen, die praktisch aus Verzweiflung darüber, welche Dinge derzeit der Staat tun muss, die natürlich sich niemand so gewünscht hat, die man sich so auch nicht wünschen kann, dass aus Verzweiflung darüber immer wieder versucht wird, rote Linien zu definieren, die man aber dann nicht halten kann. Und das geht seit jetzt Lehman Brothers so.

Also, am Anfang war das ja alles eine amerikanische Krise. Plötzlich gab es eine europäische Krise. Dann wurden sämtliche Ersparnisse garantiert. Dann sollte es keinen Rettungsfonds geben. Es sollte keine Griechenlandrettung geben. – Lauter rote Linien, die auch immer wieder im Bundestag vom Finanzminister und der Bundeskanzlerin beschrieben wurden, wurden überschritten. Und jetzt die jüngste Grenze ist Eurobonds.

Was man daraus lernen kann, ist: In einer solchen Situation sollte die Bundesregierung nicht solche roten Linien definieren, sondern sich an den gemeinsamen Interessen orientieren und die klar benennen und verteidigen, aber nicht einzelne Instrumente verteufeln.

Deutschlandradio Kultur: Herr Giegold, lassen Sie uns mal versuchen, ein wenig Wasser in den Eurobond-Wein zu gießen. Eurobonds, das bedeutet ja deutlich niedrigere Zinsen für Krisenstaaten. Es ist also von daher attraktiv und sexy. Aber es bedeutet eben, nebenbei bemerkt, höhere Lasten für Staaten mit hoher Bonität, wie etwa Deutschland. Unterminiert der Eurobond nicht in gefährlicher Weise den Zwang zum Sparen?

Giegold:Also, das sind zwei Dinge. Erstens, wer profitiert davon? Im Moment profitiert Deutschland von der Eurokrise. Warum? Derzeit ist es so, dass Anleger Deutschland Geld leihen für einen Zinssatz rund um 1,7 Prozent an den Finanzmärkten. Das bedeutet, Anleger sind bereit, Vermögensverluste, das ist ja unter der Inflationsrate, in Kauf zu nehmen, um Deutschland Geld leihen zu können. Also, durch die Krise sind unsere Zinsen auf einem historischen Minimum angekommen.

Eurobonds bedeuten dagegen, mit den Staaten, die jetzt sehr hohe Zinsen bezahlen, ein Niveau zu finden, das dicht am deutschen ist, aber etwas höher als das deutsche. Das ist erst mal das Erste.

Das Zweite ist: Wenn wir den Ländern in Schwierigkeiten nicht Finanzierungsmöglichkeiten zu vernünftigen Zinsen ermöglichen, dann ist die Gefahr umso größer, dass die vielen Hundert Milliarden Euro, die wir an die schwächeren Staaten verliehen haben, dass wir einen umso geringeren Teil davon vielleicht wieder sehen. Es ist in unserem Interesse, auch im Interesse unserer Lebensversicherer, unserer Pensionsfonds usw., dass diese Länder erfolgreich wirtschaften können.

Und dann ist die Frage mit der Haushaltsdisziplin. Da haben Sie völlig recht. Wenn man die Anleihen, einfach die Haftung vergemeinschaftet und dann aber sagt, jedes Land kann weiter seine Haushaltspolitik machen, wie vorher, dann ist das völlig unakzeptabel. Sondern Zugang zu Eurobonds kann nur haben, wer sich auf den Reformprozess begibt. Das muss sanktionierbar sein. Und es gibt eben Eurobond-Vorschläge, die gleichzeitig den Anreiz zur Haushaltsdisziplin massiv erhöhen.

Und diese Variante von Eurobonds, das ist das, was wir als Grüne fordern. Einen Blankoscheck, wir übernehmen einfach die Haftung und ansonsten bleibt es, wie es ist, das wird niemand mit Verstand vertreten.

Deutschlandradio Kultur: Eurobonds, Herr Giegold, auch nur für Staaten, die die Schuldenbremse in ihrer Verfassung verankern? Wie realistisch ist das denn überhaupt, dass alle Staaten mitziehen? Frankreich selbst hat ja enorme Probleme, da die verfassungsrechtliche Mehrheit in den Parlamenten zu bekommen.

Giegold:Für mich ist das sinnvoll, eine Schuldenbremse in die Verfassung zu schreiben. Es kommt darauf an, wie die ausgestaltet wird. Von mir aus kann man die beiden Dinge auch verkoppeln. Entscheidend ist allerdings, dass eine solche Schuldenbremse nicht dumm ist.

Und die deutsche Variante der Schuldenbremse wird im Krisenfall unnötig viele Arbeitsplätze kosten, weil sie den Staat zwingt, auch in die Krise übermäßig hineinzusparen. Und das ist nicht sinnvoll. Was man stattdessen viel mehr beachten muss, und das ist die interessante Frage eigentlich: Wie bekommt man die Staaten dazu, nicht in der Krise zu sparen, sondern dann, wenn es gut läuft, wirklich Schulden zurückzuzahlen? Das sehen wir ja im Moment in Deutschland.

Deutschlandradio Kultur: Okay, das ist ein Problem, was – glaube ich – schon seit 50 Jahren nicht funktioniert in den meisten europäischen Staaten. Ein ganz anderes Thema...

Giegold:Das möchte ich nicht so wegwischen. Wir machen ja Tacheles. Und ich finde, es gibt dazu sehr gute Vorschläge, zum Beispiel von Dennis Snower vom Institut für...(Weltwirtschaft)

Deutschlandradio Kultur: Ich rede jetzt von der Umsetzung. Es gibt immer gute Vorschläge.

Giegold:Ich auch.

Deutschlandradio Kultur: Auch alle Bundesfinanzminister haben irgendwann mal geschworen, sie wollen in guten Zeiten sparen, damit sie in schlechten Zeiten etwas haben. Nur getan haben sie es dann nicht.

Giegold:Richtig. Und genau deshalb finde ich den Vorschlag von Dennis Snower, verbindlich zu machen, wie hoch das Budget-Saldo in einem Jahr sein muss, durch eine externe Behörde, das finde ich sehr interessant.

Wir überlassen ja aus guten Gründen die Geldpolitik nicht dem Parlament, sondern sagen, das soll eine unabhängige Behörde machen, weil, es ist zu attraktiv, Geld zu drucken. Genauso ist es für ein Parlament attraktiv, vor dem Wahltermin – ganz egal, wie die Konjunktur gerade aussieht –, lieber etwas mehr auszugeben, als zu sparen. Und deshalb, dass man sagt, wie hoch muss sich das Land entschulden oder soll es sich, weil Krise ist, ein wenig verschulden? Dass diese Entscheidung unabhängig getroffen wird, unabhängig davon, ob das Budget insgesamt hoch oder niedrig ist, das ist weiter die Entscheidung der Demokratie.

Aber den Saldo, also die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben, ob verschuldet oder entschuldet wird, das sollte ein externer Akteur treffen, um eben dieses Problem, dass Wahltermine und Konjunktur nicht zusammenpassen, zu lösen. Das finde ich einen sehr interessanten Vorschlag.

Deutschlandradio Kultur: Aber das sagen Sie mal den Haushaltspolitikern des Deutschen Bundestages.

Giegold:Das habe ich denen auch schon gesagt. Und ich finde, das ist ein wirklich interessanter Vorschlag, der es wert ist, überdacht zu werden und vorgeschlagen zu werden. Weil, das ist nämlich Schuldenbremse, aber intelligent, weil es nämlich mit der Konjunktur zusammenpasst.

Deutschlandradio Kultur: Müsste ja sicher auch im Falle Griechenlands vielleicht zum Tragen kommen. Herr Giegold, Sie haben von externen Akteuren gesprochen. Externe Akteure sind auch diese Rating-Agenturen. Da gibt's momentan vor allen Dingen angelsächsische, die vor allen Dingen dann auch mit ihren Einstufungen verheerende Wirkungen an den Finanzmärkten auslösen. Brauchen wir eine europäische Rating-Agentur?

Giegold:Das Europaparlament hat das ja vorgeschlagen in einem mit großer Mehrheit angenommenen Bericht. Die Europäische Kommission arbeitet jetzt an ihren Vorschlägen zur Abschwächung der Macht dieser drei großen Rating-Agenturen. Das Wichtigste überhaupt dabei ist, dass wir derzeit deren Urteile zum Maßstab der Finanzmarktgesetzgebung machen. Also, wir haben ihnen praktisch gesetzlich eine starke Rolle zugewiesen. Das muss abgebaut werden und ist das Gegenteil von der öffentlich immer wieder zu Recht geäußerten Kritik an dieser Macht.

Und das Zweite ist, mehr Akteure in diesen Markt, sowohl private Rating-Agenturen, kleinere Rating-Agenturen, die auch in diesen Markt eindringen sollen – mit mehr Erfolg als bisher –, und einen großen europäischen Akteur. Und unser Vorschlag als Europaparlament ist, eine europäische Rating-Stiftung. Und ich hoffe sehr, dass das von der EU-Kommission jetzt so vorgeschlagen wird.

Deutschlandradio Kultur: Sie arbeiten mit dem Begriff "Macht". Das führt mich zu unserer nächsten Frage. Wenn wir auf die global agierenden Finanzmärkte schauen, sind die Staaten und ist die Politik dem Turbokapitalismus machtlos und hilflos ausgeliefert?

Giegold:Ich würde nicht sagen macht- und hilflos, sondern die Politik kann handeln. Aber, was Sie als Turbokapitalismus bezeichnet haben, das stellt grundlegende demokratische Fragen, wirft die auf und braucht auch Beantwortung.

Was ich als Parlamentarier hier regelmäßig erlebe, ist: Das Europaparlament ist ja – anders als der Bundestag – ein öffentlich tagendes Parlament. Das heißt, auch unsere Ausschüsse tagen öffentlich. Die Anhörungen, die wir regelmäßig machen mit dem Chef der Europäischen Zentralbank und vielen anderen wichtigen Akteuren, die sind immer geprägt davon, dass jeder, der dort sitzt, weiß, und natürlich vor allem in dem Fall Herr Trichet weiß, die Finanzmärkte hören zu. Und die Reaktionen jeder Äußerung sind so massiv, dass demokratische Kontrolle dadurch natürlich infrage gestellt wird.

Das Gleiche erleben wir in der Finanzmarktgesetzgebung, wo wir auch wichtige Demokratieprobleme haben. Natürlich kann der Staat eingreifen, auch in einen globalisierten Kapitalismus.

Deutschlandradio Kultur: Aber er tut es nicht. Wie sollte er es denn, Herr Giegold? Sind die Banken nicht immer noch zu groß? Hat man die Lehren aus der Krise um die Lehman Brothers Bank, die ja gerade dieser Tage vor drei Jahren Pleite gegangen ist, hat man da die Lehren nicht richtig gezogen? Es gibt doch immer noch viel zu viele Banken, die zu groß sind, dass sie systemrelevant wären und ein unheimliches Erpressungspotenzial haben.

Giegold:Also, der Punkt, den ich machen wollte, ist: Die Finanzmarktakteure selbst sind im Gesetzgebungsprozess zu mächtig und es gibt zu wenige Gegenakteure. Das ist das Problem. Deshalb haben wir ja auch – und ich war da auch sehr mit beteiligt – Finance Watch hier aufgebaut, also eine Nichtregierungsorganisation, die jetzt praktisch eine Art alternative Lobby im Gemeinwohlinteresse hier in Brüssel aufbaut in der Finanzmarktgesetzgebung.

Aber da ist ein Kräfteungleichgewicht, was nicht akzeptabel ist. Und die Banken, Versicherungen usw. verfügen auch über ein Expertenwissen, das auf der Gemeinwohlseite kaum jemand hat und was Sie auch in der Wissenschaft zunehmend kaum noch finden, zumindest nicht unabhängig. Und das ist ein großes Problem.

Deutschlandradio Kultur: Sie würden also Banken zerschlagen, Herr Giegold? Deutsche Bank ist zu groß, müssen wir sie klein hacken?

Giegold:So. Das war jetzt die nächste Frage. Sie haben gefragt: Ist nicht genug passiert? Und da würde ich sagen: Das Erpressungspotenzial ist eindeutig. Also, das Bankensystem kann nicht wie andere Unternehmen einfach Pleite gehen, weil dann das Geldsystem daran hängt. Und das ist ein öffentliches Gut, was unverzichtbar ist. Von daher verfügen in der Tat die Banken über eine Art Erpressungspotenzial, was der Marktwirtschaft eigentlich fremd ist, in der es ja so ist: Wenn man Profite macht durch Investitionen, dann muss dem gegenüberstehen...

Deutschlandradio Kultur: Sie beschreiben jetzt immer. Sagen Sie uns die Lösung, jedenfalls die Lösung aus Ihrer Sicht. Das Problem ist ja bekannt.

Giegold:Ah, schön. Ich nehme immer wieder wahr, dass ökonomische Grundfragen für viele Leute sehr schwer sind, aber schön.

Der Punkt ist aber, die Lösung aus meiner Sicht ist, dass große Banken einen heftigen Zuschlag bezahlen müssen auf ihr Eigenkapital, sodass es attraktiver ist, Bankgeschäfte in kleineren Banken zu machen als in großen. Und das Zweite ist, dass wir dafür sorgen sollten, dass Banken entflochten werden.

Also, ich finde die Vorschläge, die in Großbritannien, auch in den USA diskutiert wurden, sehr interessant, zum Beispiel zu sagen, dass Investmentbanking getrennt wird von dem normalen Kredit- und Anlagegeschäft von – sage ich mal – real-ökonomischen Kunden. Und wenn man das trennt, bekommt man kleinere Einheiten. Und die besonders risikoreichen Einheiten sind abgespalten und es ist leichter, diese dann auch Pleite gehen zu lassen, wenn sie sich wieder mal verspekulieren.

Deutschlandradio Kultur: Herr Giegold, was kann denn in dem Zusammenhang der Regulierung der Märkte diese von Kanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy jetzt propagierte Finanztransaktionssteuer bewirken, die ja mit einem minimalen Bruchteil von Prozentsatz kommen sollte, wenn überhaupt?

Giegold:Aus meiner Sicht steht die auf einer anderen Ebene. Das Bankenproblem ist davon eigentlich ein getrenntes.

Die Finanztransaktionssteuer macht attraktiver, langfristiger zu investieren, und macht teurer, sehr kurzfristig zu investieren. Das bringt mehr Stabilität. Aber das Wichtigste ist, sie bringt Einnahmen. Und der Finanzsektor kommt für die Kosten seines Handelns bisher nicht auf. Er führt zu starken Zyklen. Das heißt, wir haben Booms uns Stärkeabfälle, die finanzmarktgetrieben sind. Und das kostet die Gesamtwirtschaft Geld. Und dafür wird durch diese Steuer ein Gegengewicht geschaffen. Und das ist sinnvoll.

Deutschlandradio Kultur: Dann wollen wir hoffen, dass das funktioniert. Herr Giegold, haben Sie ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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