"Wir brauchen einen freien Raum in der Gesellschaft"

Mathias Rohe im Gespräch mit Katrin Heise · 11.04.2011
Dass sich die Ganzkörperverhüllung mit dem westlichen Frauenbild nicht in Einklang bringen lässt, liegt auf der Hand. Es gibt aber auch islamische Frauen, die Burka oder Niqab freiwillig tragen. Der Jurist und Islamwissenschaftler Mathias Rohe plädiert für mehr Gelassenheit.
Katrin Heise: Die Ganzkörperverhüllung der Frau, die Burka ist uns ja eigentlich erst ein Begriff geworden, seit die Taliban in Afghanistan die Frauen dazu zwangen, die Welt durch ein Stoffgitter vor den Augen zu sehen und ansonsten komplett verhüllt zu sein. Die Burka gilt als das Symbol weiblicher Unterdrückung, die Burka fällt auf, das Wesen unter dem Schleier wird für die Umwelt quasi unsichtbar. In Frankreich gilt seit heute ein Burkaverbot. Am Telefon begrüße ich dazu nun Professor Mathias Rohe, er ist Jurist und Islamwissenschaftler an der Uni Erlangen-Nürnberg, schönen guten Tag, Herr Rohe!

Mathias Rohe: Tag, Frau Heise!

Heise: Was halten Sie vom Burkaverbot in Frankreich?

Rohe: Nun, so wie es gefasst ist, halte ich es für ein Zeichen des politischen Aktionismus. Präsident Sarkozy steht ja durchaus für so was. Ich glaube, wir brauchen keine neuen Gesetze, heute schon ist es ein Fall der Nötigung, wenn ein Mann eine Frau zwingt, unter so ein Kleidungsstück zu gehen. Alles andere scheint mir ein Überschießen zu sein und teilweise möglicherweise sogar rechtswidrig.

Heise: Präsident Sarkozy argumentiert mit dem Gefängnis, das die Burka für die Frauen darstelle, mit dieser Auffassung steht er ja auch nicht alleine da. Das passe eben nicht zu Frankreichs Bild von der Würde der Frau. Da hat er ja auch recht damit durchaus.

Rohe: Damit hat er sicherlich recht. Dieses Kleidungsstück - übrigens geht es meistens nicht um die Burka, die gibt es eigentlich nur in Afghanistan, sondern um diesen Niqab, der so einen Seeschlitz freilässt, kommt aus Saudi-Arabien vor allem –er hat recht damit, das passt nicht in unsere Gesellschaft, das ist ein fürchterliches Kleidungsstück. Und jede Frau, die darunter gezwungen wird, verdient unseren Schutz. Aber es gibt Frauen, die das Ding freiwillig tragen. Gerade in Frankreich hat sich es gezeigt, es sind Konvertitinnen vor allem, die, aus welchen Gründen auch immer, aber jedenfalls ohne Zwang sich dafür entscheiden. Und damit müssen wir schon auch rechtlich umgehen. Nicht jeder, der sich selbst zerstümmelt oder der irgendwas macht, was die Mehrheit nicht gut findet, kann sogleich mit den Mitteln des Rechts dann in die Schranken gewiesen werden.

Heise: Was bedeutet denn eigentlich so eine Strafe für so eine vollverschleierte Frau, die jetzt so eine Strafe riskiert? Wird sie damit nicht doppelt bestraft?

Rohe: Genau darauf läuft es raus, und das ist eines der rechtlichen Probleme an der ganzen Sache. Also wenn wir unterstellen, sie wird gezwungen dazu, dann kann man diese Strafe nicht verhängen, dann ist der Mann die richtige Adresse. Dazu bräuchte man aber kein neues Gesetz. Tut sie es freiwillig und man hat so ein Mitleid eigentlich mit ihr, dann passt diese Sanktion auch nicht recht ins Bild. Ich denke, man muss sich grundsätzlich überlegen, wozu ist das Recht da. Das Recht ist nicht dazu da, alles durchzusetzen, was einem vielleicht nicht gefällt aus guten Gründen. Wir brauchen einen freien Raum in der Gesellschaft um zu streiten, um zu diskutieren, und dass das Frauenbild und auch das Männerbild, das hinter diesem Kleidungsstück steckt, in höchstem Maße angreifbar ist, das scheint mir klar zu sein, aber die Leute zu ihrem Heil zu zwingen, das ist in der Regel der falsche Weg.

Heise: Das ist ungefähr die Argumentation auch von Amnesty International, da wird nämlich gesagt, mit dem Verbot der Verschleierung würde man die Frauen nicht befreien, die Mechanismen der Unterdrückung seien eben viel komplizierter. Damit hat Amnesty sicherlich recht, aber es ist eben … Sie haben jetzt gesagt, es ist Symbolpolitik, aber oft sind doch auch Symbole notwendig, um eben beispielsweise Diskussionen in Gang zu setzen. Könnte doch auch so ein Weg sein?

Rohe: Das kann man schon so sehen. Ich meine, wir haben jetzt in Deutschland die Zwangsverheiratung noch mal ausdrücklich mit einem Straftatbestand gefasst, auch das war vorher schon strafbar, aber man hat noch mal symbolisch deutlich gemacht, dass das nicht geht. Das kann man so machen, man kann auch ein Verbot solcher Kleidungsstücke durchsetzen da, wo es rechtlich tragfähig ist, nämlich wenn es um Sicherheitsbelange geht, dass man sich erkenntlich zeigen muss, wenn es um Situationen geht, wo Kommunikation nicht nur erwünscht ist, sondern unabdingbar notwendig, also Schule, Universität, in anderen solchen Kontexten. Da kann man selbstverständlich dieses Kleidungsstück verbieten. Aber darüber hinaus fürchte ich, dass, wenn die erste Frau mal hergeht und dagegen klagt, dass sie möglicherweise recht bekommen könnte vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, weil dieses allgemeine Verbot unverhältnismäßig ist.

Heise: Das heißt, Sie meinen, dass das Burkaverbot eigentlich nicht den Menschenrechtskonventionen entspricht, denn es werden persönliche Freiheitsrechte und Religionsfreiheit eingeschränkt durch ein Verbot?

Rohe: So ist es, und das muss eben verhältnismäßig sein. Und es gibt wie gesagt gute Gründe, wo man sagen kann, da ist es verhältnismäßig unbedingt notwendig, aber in Fällen, wo man das so nicht sagen kann, also wo man sich zwar sehr unangenehm berührt fühlt, wenn man so einer Person auf der Straße begegnet, aber eben nicht mehr, da wird man sagen müssen, na ja, sich unangenehm berührt fühlen, das passiert einem gelegentlich bei Begegnungen auf der Straße, das muss eine Gesellschaft aushalten, wenn es nicht wirklich einen konkret fassbaren Belang gibt, der sagt, das geht hier nicht.

Heise: Über das seit heute geltende Burkaverbot in Frankreich spreche ich mit dem Juristen und Islamwissenschaftler Mathias Rohe. Sie haben eben gerade, Herr Rohe, das unangenehme Berührtsein angesprochen. Also wenn wir uns jetzt mal der anderen Seite zuwenden, nämlich den ich sage mal mindestens irritierten Mitteleuropäern, wenn sie eine Frau im Ganzkörperschleier sehen, das geht ja auch oft über die Irritation hinaus, es sind ja oft Ängste damit verbunden. Muss man als Staat diese Gefühle nicht auch ernst nehmen?

Rohe: Die muss man sicher ernst nehmen, aber ich muss sagen, ich fühle mich unwohler, wenn ich so einem jungen Mann begegne mit Kampfhund an der Leine. Das dürfen die auch. Also es gibt solche Situationen, wo man sagen muss, na ja, es mag Ängste geben, die soll man auch artikulieren, und ich bin froh über die Debatte, die so was auslöst, nicht zuletzt unter Muslimen und Musliminnen, die sagen, das ist eine grässliche Übertreibung, und das hat mit unserem Glauben so nichts zu tun. Aber diese Diskussion muss geführt werden. Wenn man da schlichten Zwang ausübt, habe ich den Eindruck, das ist so ein Symbol dafür, dass man sagt, wir verteidigen jetzt unsere europäische Kultur. Das ist ja auch aller Ehren wert, aber ich fürchte, sie sucht sich den falschen Gegenstand. Da wird Symbolpolitik dann problematisch.

Heise: Sie haben vorhin angedeutet, dass es ja durchaus in einzelnen Bereichen immer wieder Möglichkeiten gibt, auch so ein Kleidungsstück zu verbieten, bundesdeutsches Beispiel wäre: Anfang Februar untersagte ein Frankfurter Bürgeramt einer Mitarbeiterin am Arbeitsplatz das Tragen einer Burka. Begründung: Die Kunden müssten der Bediensteten ins Gesicht sehen können. Das ist dann einfach deutsches Beamtenrecht?

Rohe: So ist es. Also wir kommen mit der ganz normalen Anwendung unserer bestehenden Vorschriften schon sehr weit. Wenn ich nur exemplarisch den bayerischen Innenminister zitieren darf, der nun nicht im Verdacht steht, multikulturellen Fantasien anzuhängen, der auch gesagt hat bei einer Podiumsdiskussion, bei der ich beteiligt war: Wir haben damit kein Problem. Es gibt dieses Phänomen kaum bei uns und da, wo es es gibt, können wir mit den vorhandenen Mitteln ganz ordentlich umgehen.

Heise: Wie wird in anderen europäischen Ländern darüber diskutiert? Belgien war mal ganz schön weit schon, da hatte man eigentlich ein Burkaverbot schon fast durchgesetzt, dann kippte die Regierung. Wie sieht es in Spanien, Italien, den Niederlanden aus?

Rohe: Also in Spanien und Italien gibt es einige Kommunen, die so auf Grundlage allgemeiner Sicherheitsvorschriften das verboten haben. Aber überall da wird sich dann die Frage auch stellen, inwieweit das rechtlich haltbar ist. Wir haben mehrere Staaten, in denen diese Dinge diskutiert werden, zum Beispiel in den von Ihnen erwähnten Niederlanden. Ich denke, wir müssen aus juristischer Sicht ganz nüchtern sehen: Wo kann man verbieten und wo gibt es gute Gründe, und da hat man in der Regel die Gesetze schon. Verbietet man das in Situationen, in denen es nicht verhältnismäßig ist, dann werden hinterher die falschen triumphieren. Der Sieg einer Burkaträgerin vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ist eine Niederlage für den Rechtsstaat, und ich freue mich nicht über politische Maßnahmen, die so eine Art Arbeitsteilung machen nach dem Motto, wir nehmen die Ängste der Bevölkerung aus, wir verbieten das mal, und dann sollen uns die Juristen korrigieren, und dann haben wir demonstriert, wir haben ja alles getan, was wir konnten. Das halte ich für rechtsstaatlich bedenklich.

Heise: Das heißt also, wenn man dann am Ende sagt, okay, die Burkaträgerin hat zwar gewonnen, aber wir sind auf der richtigen Seite …

Rohe: … tja …

Heise: … damit ist niemandem geholfen. Sie haben gesagt, Sie nehmen häufiger wieder an Podien teil, auf denen diskutiert wird genau über diese Problematik. Wie nehmen Sie die bundesdeutsche Debatte darüber wahr?

Rohe: Erfreulich ruhig. Wir haben ja Äußerungen aus praktisch sämtlichen politischen Lagern des demokratischen Spektrums, die alle sagen, wir haben bei Gott andere Probleme als ein solches Niqab- oder Burkaverbot. Also ich kenne keine politische Kraft, die ernst zu nehmen wäre, die so etwas fordert für Deutschland, und da bin ich eigentlich ganz zufrieden. Wir sollten uns wirklich den Problemen zuwenden, die es zu lösen gilt, und da gibt es noch einige.

Heise: Und eine Debatte, eine wirklich fruchtbare Debatte erzwingen kann man durch Verbote erst recht nicht.

Rohe: So ist es. Also noch mal, es ist gut, wenn Musliminnen und Muslime sich dazu artikulieren und auch intern deutlich machen, das ist eine fürchterliche Übertreibung, das schadet dem Bild des Islam in der Öffentlichkeit, aber genau da gehört es hin, diese Debatte.

Heise: Und Sie haben auch nicht das Gefühl, dass die Frauen sich dadurch gestärkt fühlen, wenn da ein Gesetz existiert?

Rohe: In keinster Weise, ganz im Gegenteil, sie haben zum Teil solche Solidarisierungseffekte. Sie haben Sie angedeutet schon in Ihrem Beitrag, nach dem Motto: Wir sind zwar persönlich dagegen, dass so was getragen wird, aber wir sind der Meinung, dass es den Frauen freistehen sollte, es zu tun, wenn sie denn unbedingt meinen, es zu tun.

Heise: Professor Mathias Rohe, Jurist und Islamwissenschaftler an der Uni Erlangen-Nürnberg, vielen Dank, Herr Rohe für dieses Gespräch!

Rohe: Gerne, Frau Heise!

Links bei dradio.de:

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