"Wir brauchen ein stärker europäisiertes Bankensystem"

Moderation: Marcus Pindur · 31.01.2012
Der EU-Fiskalpakt sei wohl nicht stark genug, um die Staatsverschuldungen künftig zu minimieren, sagt Clemens Fuest, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums. Nötig seien ein noch stärker reguliertes Bankensystem als geplant und flexible Löhne.
Marcus Pindur: Strickte Haushaltsdisziplin und Schuldenbremse, darauf haben sich 25 der 27 EU-Staaten gestern mit dem sogenannten Fiskalpakt verpflichtet. So soll verlorenes Vertrauen der Finanzmärkte wiedergewonnen werden und deshalb bekam der Fiskalpakt einige Zähne mehr als der bisherige Stabilitätspakt. Unter anderem müssen die Euro-Staaten jetzt alle die Schuldenbremse verbindlich einführen.

Und ich begrüße jetzt Clemens Fuest, er ist Forschungsdirektor des Zentrums für Unternehmensbesteuerung an der Universität Oxford und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Bundesministeriums der Finanzen. Guten Morgen, Herr Fuest!

Clemens Fuest: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Ist dieser Fiskalpakt jetzt Ihrer Ansicht nach stark genug, um den Staaten in Zukunft die Verschuldung auszutreiben?

Fuest: Wahrscheinlich leider nicht. Die Frage ist, ob überhaupt ein Fiskalpakt, der so beschlossen wird wie dieser, dieses Ziel erreichen kann. Die größte Schwierigkeit sehe ich darin, dass Verschuldungsregeln überhaupt letztlich wenig bringen, wenn sie einem Land von außen aufgezwungen werden, sondern das muss schon von der Überzeugung der Bevölkerung und der Politik getragen werden. Hier hat man doch den Eindruck, dass die Länder das unterschreiben, damit die Deutschen zufrieden sind, und das ist schon problematisch.

Pindur: Das ist ein Problem, aber man versucht, dem ja ein bisschen vorzubeugen, indem man sagt, wir bauen das jetzt sozusagen in die Politik eines jeden Landes ein, nämlich mit der sogenannten Schuldenbremse, die Verfassungsrang haben soll. Ist das denn nicht schon mal ein guter Beginn dafür, das zu verankern?

Fuest: Also, ich würde das eher als ein politisches Signal verstehen. Ob, wie jetzt etwas rechtlich verankert ist, ob das in der Verfassung steht, ob das ein normales Gesetz ist, das ist wohl in der Praxis nicht so wichtig. Wir wissen ja auch aus Deutschland, wir hatten jahrelang eine Verschuldungsbremse im Grundgesetz, die relativ wenig gebracht hat, jetzt haben wir eine neue. Man kann eigentlich nur deshalb hoffen, dass die nützlicher ist, weil eben die Bevölkerung wirklich dahintersteht und keine Schulden mehr machen will und viele Politiker das so sehen in Deutschland.

Im Ausland, in Italien, in Griechenland ist der Eindruck wirklich, das machen wir jetzt, damit die Deutschen zufrieden sind. Und - und das ist der zweite wichtige Punkt - die Gefahr besteht natürlich jetzt auch, dass man dann erwartet, jetzt müssen die Deutschen auch zahlen, mehr Kredite geben, wenn wir diese Regeln umgesetzt haben. Deshalb ist das alles nicht besonders glücklich.

Pindur: Das ist aber auf Dauer dann, wenn Sie das so pessimistisch einschätzen, auf Dauer kein gutes Omen für den Weiterbestand des Euro.

Fuest: Ja, das ist sicherlich ein Risiko. Man muss sehen, dass das Ganze nicht nur negativ ist, ist sicherlich ein politisches Signal noch mal an alle, dass, damit der Euro überlebt, eben mehr Disziplin herrschen muss. Aber die Schwierigkeiten des Euro hängen ja auch nicht allein an Staatsschulden: Wenn wir uns mal Spanien anschauen oder Irland, das sind Länder, die waren vorbildlich in ihrer Staatsverschuldung, aber im privaten Sektor, im Immobiliensektor und bei den Banken gab es Probleme. Und erst als die abgestürzt sind, hat das dann durchgeschlagen auf die Staatsfinanzen. Also, das liegt auch nicht nur daran, wie viel Schulden der Staat macht, die Probleme der Eurozone gehen tiefer.

Pindur: Wo gehen denn die Eurozonen-Probleme dann hin, was denken Sie denn, mit welchem grundsätzlichen Mittel das langfristig behoben werden könnte?

Fuest: Also, Fiskaldisziplin ist natürlich unbedingt notwendig, aber es muss vieles dazukommen. Das eine ist flexible Löhne, das heißt, wir haben ja ein Problem der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit im Süden, wenn wir eine Währungsunion haben wollen, müssen die Löhne flexibler sein, also auch mal sinken können. Und das andere ist, dass wir unser Bankensystem ändern müssen. Zurzeit besteht eine enge Symbiose zwischen den jeweiligen Staaten und ihren Banken.

Das heißt, die eigenen Banken leihen dem Staat sehr viel Geld, werden teils auch dazu gezwungen. Und wenn es dann dem Staat schlecht geht, geht es auch den eigenen Banken schlecht. Aus meiner Sicht brauchen wir ein stärker europäisiertes Bankensystem, eine europäisierte Bankenaufsicht und natürlich viel mehr Eigenkapital in den Banken und überhaupt restriktivere Regulierungen, damit der Finanzsektor insgesamt solider ist.

Pindur: Also, eine europäische Bankenaufsicht, die gibt es ja schon, und die Eigenkapitalregelungen, die sind jetzt gerade in Arbeit. Also sind da doch einige Faktoren schon am Werk, die Ihrer Ansicht nach auch langfristig die Stabilität des Euro unterstützen würden?

Fuest: Das ist richtig, da geht einiges in die richtige Richtung. Das Ganze müsste nur noch verstärkt werden, und zwar deutlich. Es ist ja so, dass beispielsweise Deutschland bei der Bankenregulierung, bei den Forderungen nach mehr Eigenkapital eher bremst, weil viele deutsche Banken weniger guten Kapitalmarktzugang haben und sich da schwerer tun. Also, aus meiner Sicht geht das schon in die richtige Richtung, aber das Ganze müsste deutlich verstärkt werden.

Wenig Bereitschaft gibt es bei den Regierungen, den Zugriff auf die eigenen Banken, den regulativen Zugriff etwas aufzuheben. Ich denke, das müsste viel stärker, als es bislang der Fall ist, auf die europäische Ebene verlegt werden, und wir müssen vor allem auch weg davon, dass Banken Staatsanleihen kaufen können ohne jegliches Eigenkapital. Das ist heute der Fall und das soll auch erst mal so bleiben und da fehlt es meines Erachtens noch an Reformen.

Pindur: Sie haben ja eben schon gesagt, dass die Staatsverschuldung nicht das einzige Problem ist, sondern ein weiteres Problem in der sehr, sehr unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen EU-Staaten liegt. Das müssen die in der Tat selber ändern. Aber wie löst man denn jetzt die Klemme auf zwischen einerseits der gebotenen haushaltspolitischen Sparsamkeit und andererseits neuen Wachstumsimpulsen, die man vielleicht auch da unten geben will in Italien, in Griechenland, zum Beispiel mit Infrastrukturinvestitionen?

Fuest: Ja, man möchte gerne das Wachstum da stärken, aber man darf zunächst nicht zu viel erwarten. Diese Länder haben über ihre Verhältnisse gelebt vielfach, haben einfach zu viel auf Pump konsumiert und falsche Investitionen getätigt und insofern müssen die Länder sich zunächst jetzt mal gesundschrumpfen. Da führt leider überhaupt kein Weg dran vorbei. Von einer gesünderen Basis muss man in der Tat das Wachstum stärken und da geht es um Infrastruktur, da geht es um die Öffnung von Märkten, die vielfach reguliert sind, monopolisiert sind. Da lässt man ausländische Unternehmen nicht hinein, da müssen Reformen stattfinden, damit wieder mehr Wachstum kommt. Man sollte aber nicht vergessen, dass solche Reformen Zeit brauchen, bis sie sich wirklich auswirken. Das heißt, wir müssen durch einen schmerzhaften Schrumpfungsprozess in einigen Ländern an der Peripherie, da führt kein Weg dran vorbei.

Pindur: Also, Sie sagen, einen Tod muss man sterben, und deshalb erst die Haushaltssanierung und dann kann man zusätzliche Wachstumsimpulse geben?

Fuest: Ja, ich würde eher sagen, man muss jetzt schon beginnen nachzudenken, wo das neue Wachstum herkommt. Was aber falsch wäre, wäre jetzt zu sagen, nein, wir verschieben die Haushaltssanierung. Das bringt nichts!

Pindur: Vielen Dank für diese Einschätzung! Clemens Fuest, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Bundesministeriums der Finanzen zur Einschätzung des neuen Euro-Fiskalpaktes.

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