Win-Win-Situation für Jung und Alt

Von Gerhard Richter · 11.02.2013
Immer mehr Studenten suchen billigen Wohnraum, und immer mehr ältere Menschen brauchen Hilfe in ihrem Zuhause. Von Aachen bis Würzburg bringt das bundesweite Projekt "Wohnen für Hilfe" beide Gruppen zusammen. Der Handel dabei: Unkraut jäten und Kochen gegen mietfreies Wohnen.
Ein paar Löcher, ein paar Schrauben, und die Gipskartonplatte hält. Neel Peters legt die Bohrmaschine weg und schüttelt den Staub aus den blonden Rastazöpfen. Mit der Verkleidung an der Wand ist der Keller ein bisschen wohnlicher geworden.

"Das wir den Heizungsraum ein bisschen geöffnet haben, konnten wir eine wärmere Temperatur kriegen und das Haus so ein bisschen trockenlegen im Keller."

Gleich neben dem Heizungsraum bewohnt der Informatikstudent sein Zimmer. Souterrain, 13 Quadratmeter. Platz für einen Schreibtisch, eine Matratze und ein Regal mit Büchern und Klamotten. Dafür bezahlt Neel Peters monatlich nur die Nebenkosten: 50 Euro für Wasser, Strom, und Heizung. Die Miete arbeitet er ab. Für jeden Quadratmeter eine Stunde Hilfe pro Monat – das ist die Regel. Eva Strothotte, die Hausbesitzerin mit langen, dunklen Haaren und rotem Rollkragenpullover sitzt am Notebook und checkt ihre Mails. Das mit den Arbeitsstunden nimmt sie nicht so genau.

"Es gibt auch ein Formular, wo man die Zeiten eintragen kann, so dass keiner das Gefühl hat, ja der macht ja nie was, oder der Student das Gefühl hat, oh ich mach hier so viel, aber wir machen das jetzt nur nach Gefühl."

Eva Strothotte hat das Einfamilienhaus am Dorfrand erst letztes Jahr gekauft. Für ihre beiden Kinder, die zwei Katzen und die zehn Hühner draußen im Stall. Es gibt noch viel zu renovieren – die 39-Jährige Fischereibiologin ist beruflich oft unterwegs, ihr Mann ist Seemann und neun Monate im Jahr auf den Weltmeeren unterwegs. Gut, dass mit Neel Peters einfach jemand da ist, wenn sie mal Hilfe braucht.

"Ja, also ich find´s total angenehm, dass noch jemand im Haus ist, und man spontan mal reiten fahren kann und noch jemand bei den Kindern ist, oder wenn wir jetzt am Wochenende renovieren … jetzt will ich ein Zimmer renovieren, ob er das mit ausräumen kann mit mir, so was verabreden wir dann schon. Ansonsten machen wir das relativ spontan."

Neel Peters nimmt einen Topf aus dem Schrank und setzt Wasser auf. Die Küche nutzen alle gemeinsam, sie essen auch zusammen. Das finden die Kinder gut: der dreijährige Rasmus und die neunjährige Lara. Neel Peters kippt Reis in den Topf. Er selbst ist mit vier Geschwistern groß geworden, drei Jahre ist er schon von zuhause weg, jetzt genießt er das Zusammenleben mit Kindern aus einer neuen Perspektive, hilft Lara bei den Hausaufgaben, spielt mit Rasmus Kaufmannsladen.

"Ich find´s eigentlich total spannend mal zu sehen, wo ich älter, wie das ist mit kleinen Kindern, den ganzen Alltag mitzuerleben."

Eva Strothotte deckt den Tisch, Neel Peters stellt den Reis dazu. Er ist froh, diese Bleibe gefunden zu haben. Dafür nimmt er gern in Kauf, dass er mit dem Fahrrad zehn Kilometer zu seiner Uni fahren muss, nach Kiel.

Hinter automatischen Glasschiebetüren im Studentenwerk Kiel sitzt Alexandra Dreibach am Schreibtisch. Von hieraus leitet sie das Projekt "Wohnen für Hilfe". Seit August letzten Jahres hat die 45-Jährige mit den rotblonden Haaren und dem grünen Strickpulli etwa 20 Wohnpartner zusammengebracht. Gerade kommt eine neue Anfrage rein. Eine Studentin hat den Online Fragebogen ausgefüllt, Alexandra Dreibach druckt ihn aus und liest ihn aufmerksam durch.

"Die hier hat zum Beispiel geschrieben, dass sie schon eine Ausbildung hat als Krankenschwester, oder der eine oder andere schreibt, ich kann super leichte Arbeiten wie Putzen, waschen, spülen. Oder zum Beispiel mal die Straße fegen, Schnee räumen, Tiere versorgen, Kindern Nachhilfe geben, Hauswartstätigkeiten machen, Löcher bohren etc, etc."

Aus einer abschließbaren Schublade holt Alexandra Dreibach die Angebote für Wohnraum. Sie hat alle angebotenen Zimmer und deren Eigentümer besucht und sich ein Bild gemacht. Manche Zimmer sind unbewohnbar, manche Senioren brauchen keinen Studenten, sondern professionelle Pflege. Aber acht Anbieter kommen tatsächlich in Frage und einer würde ganz gut zur Studentin passen. Alexandra Dreibach greift zum Telefon:

"Ja, hallo Frau Meier, sie hatten sich ja vor kurzem bei uns beworben um eine Unterkunft in unserem Projekt Wohnen für Hilfe, ich hab jetzt hier grad ein Angebot reinbekommen, das ist ein älterer Herr, die Frau ist vor einem Jahr gestorben, und er ist jetzt ganz alleine und bräuchte jemanden, der ihm ein bisschen zur Hand geht, damit er nicht so ganz alleine zu Hause ist."

Die Studentin kann sich das vorstellen. Sie vereinbaren einen Termin. Frau Dreibach, die Studentin und der ältere Herr. Auch später fragt sie immer mal nach, ob alles funktioniert und erfährt drollige Geschichten:

"Oder sie kocht dann mal was und fragt: ´Wollen Sie mal ein bisschen Pasta mitessen?` Dann sagt er: ´Pasta, was ist das denn?` Oder er fragt sie: ´Können Sie mir bitte mal einen Knopf annähen?` Dann sagt sie: ´Knopf annähen? Wie geht das denn?` Und dann gibt es großes Gelächter und dann sagt er: ´Komm, dann muss ich dir das mal zeigen, wie man Knopf annäht.` Dann macht er das doch selber. Also es ist schon ganz süß, wenn man da ab zu mal rein horcht."

Feierabend bei Familie Strothotte: Neel Peters hackt draußen ein paar Holzklötze klein und trägt die Scheite ins Wohnzimmer. Ein paar Handgriffe im Tausch für etwas wertvolles:

Neel Peters und Eva Strothotte:
"
- Dass ich hier halt mehr zuhause hab, als in Kiel in der Wohnung …
- Jetzt ist auch toll bei Herrn Peters, der sieht auch selbst, der sieht auch, dass wir jetzt Holz für den Kamin für den Ofen brauchen …
- Im Moment sind wir beide - glaub ich - ganz zufrieden.
- Jo."

Neel Peters legt einen Holzscheit auf die Glut. Wohnen für Hilfe - ein Projekt, das Wärme gibt.
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