Willkommen auf dem Verschiebebahnhof

Christopher Hein im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 14.06.2013
Das einheitliche Asylrecht in Europa wirke nicht integrierend, kritsiert der Direktor des italienischen Flüchtlingsrates Christopher Hein - auch anerkannte Flüchtlinge haben kein Recht auf Integrationshilfe. Zudem räumt er mit dem Vorurteil auf, dass Massen von Asylanten in Europa herumirren.
Jan-Christoph Kitzler: Immerhin, das Europaparlament hat in dieser Woche ein einheitlicheres Asylsystem beschlossen für Europa. Bisher hat es für Flüchtlinge einen Unterschied gemacht, in welchem europäischen Land sie einen Asylantrag gestellt haben, die Verfahren waren unterschiedlich. Das soll sich jetzt ändern. Was sich aber nicht ändert, dass Flüchtlinge in dem Land den Antrag auf Asyl stellen müssen, in dem sie erstmals die Grenze zur EU übertreten haben. Und das heißt, die Lasten sind weiter ungleich verteilt.

Denn Staaten wie Spanien, Griechenland, Italien sind weiterhin die ersten Anlaufpunkte für Flüchtlinge, zum Beispiel aus Afrika. Viele wagen auf dem Meer den Weg dorthin, die lebensgefährliche Reise, nicht wenige kommen dabei um. Und die, die es geschafft haben, die sind noch längst nicht am Ziel. Italien zum Beispiel steht in dem Ruf, die Flüchtlinge nicht immer gut zu behandeln. Darüber spreche ich mit Christopher Hein, dem Direktor des italienischen Flüchtlingsrates. Schönen guten Morgen nach Rom!

Christopher Hein: Guten Morgen!

Kitzler: Mal angenommen, ein Flüchtling aus Mali schafft es heute über das Mittelmeer nach Italien. Was passiert denn dann mit ihm?

Hein: Er wird in das Asylverfahren reingenommen und dann, in diesem Fall von Mali, bekommt er fast automatisch einen sogenannten subsidiären Rechtsschutz, das heißt, ein Quasi-Asyl mit einer dreijährigen Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung, die dann erneuerbar ist. Das gilt jetzt nur für Mali in Bezug auf den nach wie vor andauernden Bürgerkrieg im Herkunftsland.

Kitzler: Italien hat aber ja auch Flüchtlingslager geschlossen, zum Beispiel das auf der Insel Lampedusa. Heißt das, wenn die Flüchtlinge erst mal im Land sind und diesen Status haben, dann müssen sie sich irgendwie durchschlagen, ohne feste Bleibe?

Hein: Das ist ein großes Problem. Auch anerkannte Flüchtlinge haben kein Anrecht auf Integrationshilfen. Lampedusa ist nicht direkt geschlossen worden, gerade in diesen Tagen gab es auch neue Bootsankünfte aus Libyen in Lampedusa, aber es sind viele andere Aufnahmezentren geschlossen worden schon Ende Februar, die eingerichtet worden waren für die Flüchtlinge, die 2011, während des arabischen Frühlings, überwiegend aus Libyen nach Italien gekommen waren, und die waren zwei Jahre lang in diesen Unterkünften, und dann war das vorbei. Und das ist jetzt ja auch in Diskussion, auch in Deutschland, weil einige hundert von denen in Hamburg und vorher auch in München aufgetaucht sind.

Kitzler: Das Beispiel aus Hamburg haben Sie ja angesprochen. Da sind Flüchtlinge, die sind aus Italien gekommen, angeblich hatte man ihnen 500 Euro in die Hand gedrückt und eine gute Reise gewünscht. Wie kann denn so was passieren?

Hein: Also gute Reise gewünscht, das kann hier und da mal auf lokaler Ebene passiert sein, das war sicherlich nicht eine beabsichtigte Politik. Die haben 500 Euro bekommen, um, sagen wir mal als Überbrückungsgeld ab dem Augenblick, wo sie diese Aufnahmezentren verlassen mussten. Daraus jetzt zu machen, dass das also praktisch eine Aufforderung gewesen wäre, die 500 Euro für ein Ticket nach Hamburg oder in andere europäische Länder zu benutzen, das ist nicht so.

Wir, wie viele andere Einrichtungen in Italien, haben zwar sehr kritisiert die italienische Regierung, nicht rechtzeitig Integrationsprogramme und Lösungen für diese Flüchtlinge, die aus Libyen gekommen waren, vorzusehen, aber am Ende, als es nun keine anderen Möglichkeiten mehr gab, die nicht jetzt ohne einen Pfennig Geld auf der Straße zu lassen, war immerhin besser als gar nichts. Außerdem, sagen wir mal, die Zahl derer, die nach Deutschland gegangen sind oder auch nach Österreich oder in die Schweiz, nach unseren Erkenntnissen jedenfalls, ist nicht so riesig in Bezug auf immerhin 27.000 Flüchtlinge, unabhängig von den Tunesiern, die in der ersten Hälfte 2011 übers Meer nach Italien gekommen waren.

Kitzler: Also würden Sie sagen, das ist kein Massenphänomen, dass Flüchtlinge durch Europa irren auf der Suche nach einer Bleibe?

Hein: Na ja, Sie hatten vorher angesprochen in Bezug auf das neue, gerade vom Europäischen Parlament verabschiedete Asylgesetzpaket, dazu gehört auch die sogenannte Dublin-III-Verordnung, die nach wie vor vorsieht, wie Sie richtig bemerkt haben, dass im Prinzip die Menschen dort Asyl suchen müssen und ihr Asylverfahren geprüft wird, wo sie als Erstes in Europa angekommen sind.

Das ist das, was wir und viele andere seit Jahren als den europäischen Verschiebebahnhof genannt haben, denn das bedeutet, dass Menschen dann da landen, wo sie keine Beziehungen haben, die Sprache nicht sprechen, keine Familienangehörigen haben und praktisch rausgerissen werden aus sozialen Netzen, die sie in einem anderen Land haben. Das ist sicherlich nicht integrationsfördernd, das ist ein außerordentlich kostspieliger und am Ende wenig effizienter Prozess. Leider ist in diesem neuen Paket diese Dublin-Verordnung im Prinzip aufrechterhalten, auch mit einigen Verbesserungen.

Kitzler: Kommen wir noch mal zur Lage in Italien, über die Sie ja was sagen können. Italien hat große politische, wirtschaftliche Probleme. Kann man das so sagen, dass angesichts der Lage das Thema Flüchtlinge auf der Agenda hinten runter gefallen ist?

Hein: Das kann man absolut sagen, sowohl im Parlament, in der Regierung wie auch in der öffentlichen Meinung. Es ist außerordentlich schwierig. In diesen Tagen habe ich eine Menge Interviews mit der deutschen Presse und sehr wenig oder relativ viel weniger mit der italienischen. Also sagen wir mal, die öffentliche Aufmerksamkeit auf diese Themen ist leider im Augenblick erheblich gering. Man kann nicht sagen, dass also jetzt auch gesetzgeberische Maßnahmen hoch auf der Agenda der Regierung oder des neugewählten Parlaments wären.

Kitzler: Aber was ist da vor allem zu kritisieren, die Praxis in Italien, wie es läuft, oder vor allem auch, dass die EU-Länder, die Länder, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen, ziemlich alleine lassen?

Hein: Na ja. Also mit dem Alleine-Lassen, das würde ich mal nicht übertreiben, wir haben ja in Italien keine Situation wie ein viel, viel, viel kleineres Land wie Malta oder ein Land mit noch viel, viel größeren Schwierigkeiten wie Griechenland. Ich denke mir, eine innereuropäische Solidarität sollte erst mal da anfangen und nicht unbedingt im Bezug auf Italien. Die Zahlen sind nicht so gewaltig, selbst nicht also in dem Notstand, wie das hier genannt wurde 2011, waren die Zahlen nicht so gewaltig, dass man jetzt also sagen könnte, Italien könnte das nicht verkraften.

Da kamen insgesamt, 2011, 63.000 Menschen übers Meer. Das war natürlich ein gewisser Ansturm in kurzer Zeit, aber wenn man das richtig verwaltet hätte und so auch die Geldmittel verwaltet hätte, dass da Lösungen angestrebt worden wären, dann wäre die ganze Situation nicht so geplatzt, wie sie jetzt geplatzt ist. Also, ich denke mir, in Italien ist es auch nicht so sehr eine Sache, dass die Flüchtlinge, die einen Rechtsschutz brauchen, dass die keinen Rechtsschutz hätten – die schwierige Frage ist die Aufnahme, sind die sozialen Bedingungen und ist die Abwesenheit eines nationalen Integrationsprogramms. Nach einem bestimmten Zeitraum werden die Flüchtlinge von den Unterkünften entlassen, was ja auch richtig ist, da kann man ja auch nicht das ganze Leben lang vegetieren, aber dann allein gelassen und häufig eben, tatsächlich wörtlich genommen, auf der Straße.

Kitzler: Christopher Hein, der Direktor des italienischen Flüchtlingsrates. Haben Sie vielen Dank und einen schönen Tag!

Hein: Schönen Tag Ihnen. Auf Wiedersehen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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