Wilde Ehe

07.12.2010
Clara Malraux, geborene Goldschmidt, war mit dem Schriftsteller und späteren französischen Kulturminister André Malraux verheiratet. In "Als wir 20 waren" schildert sie die turbulenten Anfänge ihrer Beziehung und liefert zugleich eine lebendiges Porträt der Pariser Boheme der 1920er-Jahre.
In Frankreich ist Clara Malraux (1897-1982) bekannt als Schriftstellerin, Journalistin und Kunstkritikerin, die auch Virginia Woolf, Franz Kafka und Siegfried Kracauer ins Französische übersetzte. Ihre eigentliche Prominenz aber bezieht sie aus ihrem Namen. 26 Jahre lang war sie mit dem Schriftsteller und späteren Kulturminister André Malraux (1901-1976) verheiratet, der sich einst vom glühend gläubigen Kommunisten in einen überzeugten Parteigänger De Gaulles verwandelte.

Von den stürmischen Anfängen dieser Ehe erzählt Clara Goldschmidt – so hießt sie in jenem Sommer 1921 noch, als die beiden sich blutjung kennen lernten. Sie: die Tochter aus begütertem jüdisch-deutschen Hause, hochbegabt und eigensinnig. Er: ein gut aussehender Jungautor ohne Schulabschluss, dafür mit genialischer Attitüde. Aus der Liebe auf den ersten Blick wird ein turbulenter Pas-de-deux zwischen zwei Gleichgesinnten.

Während er, der Dandy mit den guten Manieren, nie ohne Zigarettenetui, Federhalter und Revolver das Haus verlässt, lässt sie keinen Zweifel daran, wie schnuppe ihr Konventionen und ihr guter Ruf sind. Nur Monate später heiraten sie. Das Leben bestand für sie in erster Linie aus klugen Ideen – und alles überbordendem Spaß. Nachdem er ihr Erbe an der Börse verspielt hatte, verschwanden sie nach Indochina.

Als wäre es eine gut erfundene Räuberpistole, schildert Clara Malraux, wie sie sich nach Kambodscha aufmachten, Hotelzechen prellten und ihr Glück als Kunsträuber suchten. Sie zersägten Statuen von Tempeln aus der Zeit der Khmer-Herrscher, um sie in den USA zu verkaufen, wurden erwischt, wobei Malraux eine dreijährige Haftstrafe einfing. Um ihren Gefährten wieder freizubekommen, täuschte Clara einen Selbstmordversuch vor, sie durfte ausreisen und mobilisierte daraufhin die Pariser Salons. André Gide, François Mauriac und Louis Aragon erwirkten, dass Malraux' Strafe auf Bewährung ausgesetzt wurde.

Mehr als 40 Jahre später versetzt sich die gestandene Schriftstellerin in das Mädchen von 22 Jahren zurück, beobachtet ihr ungestümes, junges Selbst von damals, die Liebe, die historischen Ereignisse im Spiegel der Erinnerung. Mit wenigen Sätzen kann sie Menschen in Indochina und ihre Biografien ebenso lebendig werden lassen wie die Atmosphäre von Städten. Und nicht zuletzt beschwört sie in glänzend geschriebenen Kurzporträts immer wieder die Welt der Pariser Intellektuellen herauf.

Wie in den meisten Memoiren geht es nicht ganz ohne Verklärung ab, vor allem in den Passagen über die vielen unbeschwerten Reisen nach Prag, Wien, Berlin, Florenz oder Venedig. Auch die Abrechnung mit dem Geliebten von einst kommt nicht zu kurz. Während er zum Star unter den Pariser Schriftstellern avanciert, gerät sie zunehmend in die undankbare Rolle der Frau an seiner Seite - obwohl doch sie es war, die ihn immer wieder aus prekären Situationen befreit hat. Glücklicherweise bremst sie diese gelegentlichen Anflüge von Bitterkeit.

"Als wir 20 waren", der erste Band von Clara Malraux' Erinnerungen – in den 80er-Jahren schon einmal gekürzt erschienen – liegt nun erstmals vollständig vor. So frisch, so geistreich und mit federndem Humor geschrieben, macht er Lust darauf, auch seine Nachfolger kennenzulernen.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Clara Malraux: Als wir 20 waren. Meine Erinnerungen an André Malraux und die Pariser Boheme
Aus dem Französischen von Ruth Groh und Annette Lallemand
Graf Verlag, München 2010
304 Seiten, 19,95 EUR