Wiederentdeckte Trashfilme

Wie Filmidealisten Kinogeschichte retten

So sah Trashkino früher aus - der deutsche Schauspieler und Synchronsprecher Ulf J. Söhmisch vor einem Kinoeingang
So sah Trashkino früher aus - der deutsche Schauspieler und Synchronsprecher Ulf J. Söhmisch vor einem Kinoeingang © imago stock&people
Von Thomas Groh · 30.09.2017
Ernste Kunst oder Unterhaltungskunst - in Deutschland sortiert man Kultur gerne in solche Kategorien. Im Kino ist dann oft die Rede von "Trash". Dabei haben auch solche Filme ihre Fürsprecher, die sie restaurieren und als wertige DVDs veröffentlichen.
"Blutiger Freitag" von 1972, ein Film von Rolf Olsen: Deutsches Kolportage-Kino, das eine Welle spektakulärer Banküberfälle reißerisch ausschlachtet. Keine Gentlemen-Bankräuber bitten hier zur Kasse, sondern markige Sprücheklopfer. Völlig entfesselt In der Hauptrolle: Raimund Harmstorf.

Bahnhofskino? Trash? Der katholische Filmdienst jedenfalls reagierte verschnupft: "Sichtlich eilig konzipiert und gedreht, hinterlässt der Film nur ungute Gefühle", so das Urteil.
Doch was der eine für Trash hält, ist dem Anderen viel Geld wert. Gerade ist der Film in einer Liebhaber-Edition erschienen, deren umfangreiche Ausstattung eher auf einen großen Klassiker schließen lässt. Crowdfunding hat es möglich gemacht.

Übergangene Filmgeschichte

Im Bonusmaterial schwelgen Cast und Crew in Erinnerungen - den spielfilmlangen Interviewfilm hat der Berliner Regisseur Sadi Kantürk gedreht, der sich auf solche Produktionen spezialisiert hat. Für ihn ist das eine Bergung. Es geht ihm darum...
"... Aspekte der Flmgeschichte festzuhalten, die sonst nirgends festgehalten sind. Und eben mit Leuten zu reden, die nicht zum Kanon gehören. Es gibt natürlich sehr viele Dokumentationen über Fassbinder. Aber über Filme wie Blutiger Freitag gibt es sehr wenig Material."
Solche Bergungen sind aufwändig. Geld lässt sich damit kaum verdienen. Fördermittel gibt es keine. "Es werden eben nur die Kanonfilme restauriert", sagt Sadi Kantürk. "Man kann alle zehn Jahre mal wieder einen Fritz-Lang-Film restaurieren. Aber diese ganzen kleineren Filme werden nicht mit der Kneifzange angefasst."

Wiederentdeckung eines Kino-Ekstatikers

Szenenwechsel. Deutsches Filmmuseum in Frankfurt am Main. Im Kino läuft "Cristiana Monaca Indemoniata", ebenfalls von 1972. Zu deutsch: Cristiana - die besessene Nonne. Regie: Sergio Bergonzelli, ein unbesungener Kino-Ekstatiker. Diese Rarität des Italo-Kinos nimmt die Moral der katholischen Kirche aufs Korn - irgendwo zwischen Komödie, Melodram und Softerotik. Dazu: Spitzen psychedelischer Ekstase:

Der Film ist nahezu unbekannt. Was auch mit der Materiallage zu tun hat: "Diese Kopie kann man nicht mehr lange vorführen", erklärt Andreas Beilharz vom Deutschen Filmmuseum. "Sie ist vom Essigsyndrom befallen, was den Film zersetzt." Es ist die derzeit einzige bekannte Kopie des Films. Eine DVD gibt es nicht und auf Youtube nur Ausschnitte in schäbiger Qualität.

Kino als Wegwerfware?

Woher diese unsichere Quellenlage kommt, erklärt der Filmhistoriker und Festivalkurator Christoph Draxtra in seinem einführenden Vortrag: "Das italienische Genre-Kino war lange Zeit in den Augen der Filmkritik und vielleicht auch ein Stück weit in den Augen des Publikums Wegwerfware."

Christoph Draxtra verfolgt ein Projekt, das man "materielle Filmgeschichte" nennen könnte. Ihn interessiert das haptische Material - die analoge Kopie, besonders aus randständigen Bereichen der Filmgeschichte wie deutsche Softsexfilme der 70er, Sittenfilme der 60er oder italienische Genrefilme. Er ist ein ein Filmarchäologe, der Material birgt und buchstäblich Hand anlegt:
"Als die Kopie dann ankam, waren erstmal die Dosen so stark verrostet, dass sie sich nicht öffnen ließen. ... Irgendwann musste ich zu roher Gewalt greifen und die Ränder der Dosen sozusagen auf den Boden schlagen, um diesen Rost zu durchbrechen. Und beim Öffnen der Dosen schlug mir dann erstmal so eine Wolke beißenden Essiggeruchs entgegen. Ich wusste: Okay, wir haben hier eine sterbende Kopie gekauft."

Filmidealisten restaurieren randständige Filme

Im Grunde war die "Cristiana"-Kopie unspielbar - unsachgemäße Lagerung hatte das Material mit hartnäckigem Klebstoff verschmiert. Aufwändige Reparaturarbeiten waren nötig. Per Hand, Akt für Akt, am Filmmaterial selbst. Damit war Draxtra ein Jahr lang beschäftigt. Aufwand, den sich ein offizielles Filmarchiv für diesen Film kaum leisten würde.
Zumal die Tage von Cristiana gezählt sind - die Kopie zerfällt. Unaufhaltbar. Umso wertvoller die Arbeit von Filmidealisten, die im sogenannten Trash nach Nuggets graben. Ihnen verdanken die Cristianas der Filmgeschichte ihren letzten großen Auftritt auf der Kinoleinwand - und ein vermeintlicher Trashfilm wie "Blutiger Freitag" eine Heimmedien-Auswertung, die wie eine Dostojewski-Werkausgabe wirkt.

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