Wiederbelebungsversuch der Underground-Literatur

18.05.2010
"4. Mai - ein schlechter Tag für die deutsche Nachkriegsliteratur, denn mir ist heute nichts gelungen. Null. Zip. Zero. Bapkes." Von der eigenen welthistorischen Bedeutung ist das erzählende Ich in Carl Weissners Buch völlig überzeugt, genauso von der einsichtsfreien Ignoranz der Anderen: "Mein Produkt ist stilistisch um Klassen besser als die Erzeugnisse der Konkurrenz, und das gilt automatisch als affig."
Carl Weissner hat diese Figur sehr nah an sich selbst herangerückt, als autobiografisches Alter Ego, das wie er selbst ganz von Stil und Weltsicht der klassischen amerikanischen Underground-Literatur durchtränkt ist. Im Jahr 2007 wandert Carl Weissner drei Monate lang durch New York City, in E-Mails berichtet er von einer herrlichen, süchtig machenden, verdorbenen Stadt. In Alpträumen landet er dort in der Islamisten-Kneipe "No Pork on my Fork".

Tagsüber schlemmt er mit einem chinesischen Model Entenfußknorpel, er guckt sich Hongkong-Gangsterfilme an oder begegnet Reporterlegende Gay Talese bei einer Pressekonferenz. Was auch immer er sieht, es liefert ihm Stoff für Ausfälle, Sottisen, Beschimpfungen. Die deutschen Feuilletonisten: Zeitgeistbeschwätzer, Nadine Gordimers Bücher: Schrott von einer schreibenden Mutter, Salman Rushdie: geschwurbelter Nonsens in holperigem Englisch. Der Grantler Carl Weissner kann aber auch anders, wenn er will. Mit zärtlicher Hingabe rühmt er etwa die militante Schlechtgelauntheit und die Grandezza von Thomas Bernhard, einem Geistesverwandten.

New York City ist für Carl Weissner eine Totenstadt, kein Wunder, einer seiner engsten Freunde dort ist ein Experte für Nekrophilie und Sex mit Tieren. Eine Totenstadt ist dieser Ort aber auch auf einer anderen Ebene: immer wieder taucht Weissner ab in das New York der Beat Generation. Carl Weissner erzählt von der engen Nachbarschaft der Beat-Autoren im East Village der 60er-Jahre, wenn die Überlebenden dieser Autoren-Generation noch einmal in die Stadt kommen, geht er zu ihren Auftritten; er mixt Zitate von Allen Ginsberg, Charles Bukowski und Andy Warhol in seinen Text, er zitiert die Cut-Up-Methode der Beatniks. Carl Weissners Buch wird so zu einem Wiederbelebungsversuch der Underground-Literatur.

"Manhattan Muffdiver" ist ein literarisches Selbstporträt von Carl Weissner, eine Selbstdarstellung in Prosaminiaturen, eine Spiegelung in Textsplittern seiner verehrten Autorenkollegen.

Weissners Buch zeigt in seinen besten Momenten, welche Kraft die rebellische Beat-Literatur noch immer haben kann. Weissner ist prinzipiell respektlos, das führt zu schön bösen, scharfen, ätzenden Sätzen. Andererseits: Weissners Beschwörungen von Horror, grellem Sex und entfesselter Gewalt haben selbst etwas durchaus Angestaubtes. Da zeigt sich, wie auch die Avantgarde von gestern in die Jahre kommen kann.

Zum Autor:
Carl Weissner ist der Mann, der vor 40 Jahren Charles Bukowski nach Deutschland geholt hat. In den 60er-Jahren war Carl Weissner gemeinsam mit Jörg Fauser und Jürgen Ploog einer der jungen deutschen Avantgarde-Autoren, als Herausgeber einer Literaturzeitschrift hat er damals den Kontakt zur amerikanischen Underground-Szene hergestellt. Seinen Freund Bukowski hat Weissner als Literaturagent und vor allem als Übersetzer zu uns gebracht. Neben Bukowski hat Weissner William S. Burroughs übersetzt, daneben J. G. Ballard, Andy Warhol, Allen Ginsberg und sämtliche Liedtexte von Bob Dylan und Frank Zappa. In den USA hat Carl Weissner schon mehrere Bücher veröffentlicht, eines auch in Zusammenarbeit mit William S. Burroughs. "Manhattan Muffdiver" ist nun das erste Buch von Carl Weissner auf Deutsch.


Besprochen von Frank Meyer

Carl Weissner: Manhattan Muffdiver
Mit einer Einleitung von Fritz Ostermayer und einem Nachwort von Thomas Ballhausen
Milena-Verlag, Wien 2010
180 Seiten, 17,90 Euro