Wiederanfang nach dem Schweigen

09.03.2011
Nichts ist schwerer als der Anfang und - nichts ist schwerer als das Ende: Friederike Roth bewegt sich zwischen diesen Polen und erzählt in "Abendlandnovelle" vom Leben, von der Liebe und dem Alter.
Wer an den Untergang des Abendlandes beim Titel dieses neuen Buchs von Friederike Roth denkt, liegt nicht ganz falsch und doch völlig daneben. Und wer auf die unerhörte Begebenheit wartet, die das Wesen der Novelle ausmacht, wird sich verwirrt die Augen reiben und doch nicht enttäuscht. Diese Novelle ist lyrische Prosa, die Zwiesprache hält; die Dichterin spricht mit sich selber, mit dem Leser und der Leserin. Abgebrochene Zeilen und Erinnerungen stehen neben poetischen Assoziationen und Gedankensplittern.

Es geht um die vergehende Zeit und die Unmöglichkeit der Vollendung, um die Liebe, das Schreiben, die Enttäuschungen und die Hoffnungen, kurz: um das ganze Leben. Natürlich steht deswegen auch immer wieder die Kunst im Zentrum, daneben die abendländische Kultur und der Kulturbetrieb, der oft genug zerstört, was lebendige Kultur ist oder doch einmal war.

Friederike Roth veröffentlichte ihr letztes Buch 1993. Nun hat die Dichterin, die auch Hörspieldramaturgin und Theaterautorin ist, ihr Schweigen gebrochen, mehr noch, sie schreibt auf eindrucksvolle Weise von all dem, was einer Veröffentlichung im Wege stand oder besser: Sie erzählt davon, wie schwer es war, wieder anzufangen – mit dem Schreiben und vielleicht ja auch mit dem hoffnungsvollen Leben. Sie variiert dabei den alten Traum, alles noch einmal beginnen zu können, alles auf Anfang zu stellen: Das Leben, die Lieben, die Hoffnungen und Siegesträume.

Das ebenso schmale wie kluge und sprachzauberische Buch besteht aus drei Teilen, die überschrieben sind mit "Anfang endlich", "Unerhörte Begebenheiten. Wiederholungen nur?" und "Am Ende. Kein Anfang". Es sind die großen Fragen, die hier mit heiterer Melancholie gestellt werden, auf die es jedoch keine zufriedenstellenden Antworten geben kann: Warum war einmal alles leicht und dann wurde es schwer, wie buchstabiert man Begehren, wann wird die Liebe zur Qual, warum merkt man viel zu spät, dass die Zukunft längst hinter einem liegt, wie kann man alt sein, wenn die Jugend einem noch so nah scheint?

Friederike Roth erzählt mit und in dieser lyrischen Novelle vom schweren Anfang ebenso wie vom schweren Ende. Dazwischen ist oder besser: war das Leben. Und dazwischen bewegt sich auch die Literatur:

"Man war
und würde niemals
fertig geworden sein
mit allem."


Nur angesichts des Todes bleibt keine Hoffnung mehr - weder auf die Wiederholung noch auf einen neuen Anfang.

Besprochen von Manuela Reichart

Friederike Roth: Abendlandnovelle
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
102 Seiten, 15,90 Euro