Wie eine unsichtbare Geige

Von Christian Schütte · 26.09.2005
Das Theremin gehört zu den unbekanntesten Musikinstrumenten unserer Zeit. Es erzeugt Töne durch die Manipulation elektrischer Felder. Erfunden wurde das exotische Instrument von Lev Theremin im Jahr 1919 und geriet, ebenso wie sein Erfinder, bald in Vergessenheit. Heute beherrschen nur eine sehr wenige Musiker das Instrument, eine von ihnen ist die Berlinerin Barbara Buchholz.
Barbara Buchholz öffnet ein schwarzes Lederköfferchen. Daraus zieht sie einen schlichten grauen Kasten hervor, etwa so groß wie eine Computertastatur. Links und rechts am Gerät klappt die Musikerin zwei Antennen aus. Sie steckt ein Stromkabel ein und befestigt das Instrument auf einem Stativ. Dann hält sie die Hände über das Theremin und bewegt ihre Finger. Als würde sie eine unsichtbare Geige spielen.

"Es klingt zwischen Geige, menschlicher Stimme und etwas Elektronischem, was man nicht so genau bestimmen kann. Also es hat so den Grad zwischen Menschlichkeit und Elektronik, und das macht es, glaube ich, auch so spannend. Weil elektronische Musik kennen wir als etwas künstlich hergestelltes, aber Elektronik, die trotzdem eine menschliche Ausdrucksform hat, das ist etwas Besonderes, also eine eigene Intonation, wie die menschliche Stimme eigentlich."

Die Musik ertönt aus den Boxen ihrer Stereoanlage. Die ist hinter ihr im Wohnzimmerregal aufgestellt, gleich neben der großen CD-Sammlung. Ihre Hände bewegt Barbara Buchholz mit zurückhaltender Eleganz, und das trifft auch für ihr ganzes Auftreten zu. Sie kommt nicht daher wie eine exaltierte Musik-Diva, obwohl sie eines der exotischsten Musikinstrumente spielt und zur Weltspitze gehört. Zierlich, sportlicher Look, kurze rote Haare. 45 ist sie, und auch das sieht man ihr nicht an.

"Es ist für mich das Instrument, was mir eigentlich am natürlichsten erscheint für meine Art, mich auszudrücken, auch für das Körpergefühl. Also jedes Instrument hat ja einen bestimmten körperlichen Ausdruck. Also die Bläser haben gerne was im Mund, und die Schlagzeuger und Pianisten greifen gerne irgendwo hinein oder hauen auf irgendwas drauf. Und beim Theremin hebt man nur ganz elegant den Arm. Die rechte Antenne ist für die Tonhöhe zuständig, das heißt, wenn man sich nähert, wird der Ton so hoch. Und insgesamt hat das Instrument siebeneinhalb Oktaven. #

Sie greift dabei in ein elektrisches Feld und verändert dessen Kapazität. Oszillatoren werden angeregt, es entstehen Töne.

"Auf der linken Seite habe ich die Lautstärke und ich kann artikulieren oder auch Stakkato spielen."
Bevor sie mit dem Theremin anfing, hat sie Bass und Querflöte gelernt. Sie hat in Jazzbands gespielt und Preise gewonnen. In Bielefeld war sie mehrere Jahre Musiklehrerin, seit kurzem lebt sie in einem Mehrfamilienhaus in Berlin-Charlottenburg. Ihre erste Bekanntschaft mit dem Theremin ist über zehn Jahre her.

"Im Thalia-Theater in Hamburg habe ich Alice gesehen, die Produktion von Tom Waits und Bob Wilson, und das hat sich sofort in mir eingebrannt, da wusste ich schon: das würde ich auch gerne machen."

Tatsächlich bekam sie die Gelegenheit dazu. Sie lernte Lydia Kavina kennen. Die Moskauerin ist nicht nur eine der wenigen, die das Instrument perfekt spielen. Sie ist die Großnichte des Theremin-Erfinders.

"Dann haben Lydia und ich uns verabredet, immer wenn sie in Deutschland war, und dann wusste ich auch nach einiger Zeit, dass das viel zu wenig ist. Und dann bin ich nach Moskau gegangen, für längere Zeit. […] Ich habe Privatunterricht gehabt und ein Stipendium vom Kulturministerium NRW."

Mit den Jahren ist Barbara Buchholz selbst zur Virtuosin geworden und hat ihre dritte CD veröffentlicht. Sie ist viel unterwegs, gibt sogar in den USA Konzerte.

"Das ist schon ziemlich bewegtes Leben, aber ich mag das sehr. […] Aber man muss schon auch gerne reisen und […] immer Lust auf Überraschungen haben."

Das Theremin hilft ihr, von all dem Trubel abzuschalten.

"Ich glaube, das Instrument zu spielen, kann eine sehr heilende Kraft haben. Ich meine jetzt in einem mentalen Sinne. Denn man begibt sich dabei in eine Konzentration, wo man ganz tief eintauchen muss in den Klang. Sobald man anfängt, an andere Dinge zu denken, verrutscht die Intonation.