Wie die Stasi die Berliner Charité kontrollierte

Eine Klinik voller Inoffizieller Mitarbeiter

Die Berliner Charité, 1987. Im Vordergrund das Dach des Altbaus, im Hintergrund der Neubau vom September 1987.
Die Berliner Charité (1987): Im Vordergrund das Dach des Altbaus, im Hintergrund der Neubau vom September 1987. © Imago / Christian Thiel
Von Wolf-Sören Treusch · 16.06.2017
Die Berliner Charité, Europas größtes Universitätsklinikum, war zu DDR-Zeit ein Vorzeigekrankenhaus der SED - und ein Einsatzort der Stasi. Wie intensiv der Betrieb des Hauses von MfS gesteuert wurde, belegt die Autorin Jutta Begenau eindrucksvoll.
Die restaurierten Mauern der Hörsaal-Ruine der Charité verströmen den Charme des Morbiden. An einer dieser Mauern hängt ein Foto aus dem Jahr 1901: Es zeigt Rudolf Virchow bei einem Festakt in eben diesem Saal.
Der Saal ist voll. Mehr als einhundert Besucher sind gekommen und hören den Ausführungen von Jutta Begenau aufmerksam zu. Fast ihr halbes Leben lang hat diese an der Charité verbracht, hat 1984 dort promoviert und nach der Wende als Soziologin der Medizin gelehrt. Jetzt hat sie ein Buch darüber veröffentlicht, wie sehr sich das Ministerium für Staatssicherheit ins Alltagsleben der Charité eingemischt hat. Darin zeichnet sie die Karriere eines Mannes nach, der viele Jahre als Beauftragter für Sicherheit und Geheimnisschutz an der Charité war: Helmut Weidmann, Deckname "Harald Schmidt".
"Er war ja im Büro des Prorektors für Medizin und war wissenschaftlicher Mitarbeiter, das war seine offizielle Funktion, und hat in Dienstberatungen gesessen, in der Leitungsetage, hat alle Informationen bekommen, und hat eben: Sicherheit und Geheimnisschutz war seine Aufgabe. Es gab ja so Kommissionen, zum Beispiel Kommission für die Auswahl von Reisekadern, und da spielte er ne große Rolle. Da war die Staatssicherheit ja in der Kommission mit drin, und die Sicherheitsüberprüfungen dienten zum Beispiel dazu. Und das war natürlich für die Karriere von Medizinern wichtig, ob sie reisen durften, ob sie internationalen Austausch pflegen durften oder nicht."

Einfluss bis in die Hausordnung hinein

Am Beispiel von Helmut Weidmann macht die Autorin deutlich, wie generalstabsplanmäßig die Stasi die Strukturen zur Überwachung des Klinik-Personals aufbaute. Bis in die Hausordnung hinein nahm sie Einfluss. So gab es Dienstanweisungen, nach denen ausgewählte Mitarbeiter heimlich nachts die Zimmer ihrer Kollegen kontrollieren mussten. Jutta Begenau fand etliche Unterlagen, die das dokumentieren und die nun im Buch nachzulesen sind.
"Ich glaube, so viel Glück haben ganz wenige. Dass sie so eine Figur finden, die so lange, dreißig Jahre lang war der eben erst ein Zuträger oder IM und später dann ein Hauptamtlicher, und das ist natürlich ein Pfund."
Doch Jutta Begenau hat nicht nur das Psychogramm eines Stasi-Spitzels geschrieben. Sie macht nachvollziehbar, wie sich an der Charité, in einem Milieu ohne Uniformen und Kommandogehorsam, die Krake Stasi die Befehlsgewalt sicherte. Darauf verweist im zweiten Vortrag des Abends Harald Mau. Nach der Wende von 1990 war er bis 1995 Dekan der Medizinischen Fakultät. In den späten 1980er-Jahren war er als Facharzt für Kinderchirurgie selbstverständlich mit der Stasi konfrontiert. Mit den, wie er sie nennt, "Treppenterriern".
"Das merkten wir daran, dass dann der uns bekannte Mitarbeiter der Staatssicherheit auftauchte, einem jovial auf die Schulter klopfte und sagte 'Na wie geht’s denn, wo kann man helfen?', 'Fehlt denn irgendwo was?', 'Geht’s denn noch richtig voran?' Und auf diese Art und Weise versuchten immer diese Leute, sich das Vertrauen der Mitarbeiter zu erschleichen."

Aufklärungs- und Enthüllungsbuch

Und dann zeigt er dem Auditorium ein Foto aus jener Zeit. Darauf zu sehen sind der Dekan, der SED-Kaderleiter und drei Direktoren. Lakonisch fügt Harald Mau hinzu: "Vier von den fünf waren IM, Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi." Viele im Publikum schmunzeln. Sie haben ehedem selbst an der Charité gearbeitet. Die Autorin will ihre Publikation deshalb auch als Aufklärungs- und Enthüllungsbuch verstanden wissen.
"Na ja, weil: Das war natürlich alles geheim. Und wenn ich das aufdecke, dann ist das natürlich 'ne Enthüllung. Und natürlich auch 'ne Aufklärung. Manche sagen, 'Mensch du beschreibst ja da vor allen Dingen und analysierst gar nicht', und das stimmt natürlich nicht. Weil wenn man möglichst genau beschreibt, wie das funktioniert hat, dann hat man natürlich 'ne Erklärung dafür, wie es in der DDR gelaufen ist."

Jutta Begenau: Staatssicherheit an der Charité. Der IM "Harald Schmidt" und die "Sicherheitspolitik von Partei und Regierung" an der Charité 1972 bis 1987
Metropol Verlag, Berlin 2017
376 Seiten, 24 Euro

(mia)
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