Wie die Gier den Menschen entstellt

Von Stefan Keim · 09.11.2009
Herbert Fritsch, einst Schauspieler an der Berliner Volksbühne, macht seit kurzem als Regisseur von sich reden. Am Hessischen Staatstheater hat der 59-Jährige furios die Komödie "Volpone" des Shakespeare-Zeitgenossen Ben Jonson über Gier und Geld inszeniert.
Herbert Fritsch, einst Schauspieler an der Berliner Volksbühne, macht seit kurzem der 59-Jährige als Regisseur von sich reden. Am Hessischen Staatstheater hat er furios die Komödie "Volpone" des Shakespeare-Zeitgenossen Ben Jonson über Gier und Geld inszeniert.

Es qualmt aus dem Bühnenboden. Aus einer Klappe steigt Volpone wie Nosferatu aus seinem Sarg. Der glatzköpfige Schauspieler Rainer Kühn sieht mit schwarz geschminkten Augen und verzerrtem Gesicht dem berühmten Stummfilmvampir sehr ähnlich. Doch ihn gelüstet es nicht nach Blut, sondern nach Geld.

"Das Geld ist mir noch der liebste Angestellte. Es wird nicht krank, nicht schwanger, will keine Urlaubstage. Es gründet keine Gewerkschaft. Es liegt still in meinem Keller und arbeitet immer, ohne Pause und Unterbrechung."

Volpone oder Herr Fuchs spielt den totkranken reichen Mann. Sein Diener Mücke verbreitet die Nachricht in der Stadt, und dann kommen sie, die Anwälte und Kaufleute, die Adligen und die Nutten. Alle bringen Volpone Geschenke und wollen an sein Erbe. Doch der ist quietschvergnügt und führt die Bürger an der Nase herum. Ben Jonsons Komödie zeigt, wie die Gier den Menschen entstellt. Er hat keine psychologische Komödie geschrieben, die derben Typen der Commedia dell'Arte waren Vorlagen für die Figuren, die alle Tiernamen tragen.

Sabrina Zwach hat auf der Basis von Stefan Zweigs Übersetzung eine knackige, aktualisierte Spielfassung geschrieben, die der Ästhetik des Regisseurs Herbert Fritsch entgegenkommt. Die Sätze sprudeln aus den Schauspielern heraus, während sie sich in historisierenden Fantasiekostümen und schrillen Perücken mit tänzerischer Expressivität bewegen. Das Ensemble gibt Vollgas. Hinter der Spiellust ist oft die nackte Existenzangst zu spüren, die Schauspieler balancieren auf dem schmalen Grat zwischen Groteske und Grauen. Jederzeit kann die Szene in Hysterie und Horror kippen.

"Warte nur, du Heuchler! – Ah! Er will ihn noch einmal ermorden! Ahhhhhhh"

Die Bühne ist leer, im Hintergrund wechselt eine Art Videotapete ständig Farbe und Form. Der Musiker Ingo Günther hat den ersten Satz aus Vivaldis "Winter", der normalerweise dreieinhalb Minuten dauert, auf knapp zwei Stunden elektronisch gestreckt. Dadurch entsteht ein surrealer, bedrohlicher Soundtrack. Aus dem kraftvollen Wiesbadener Ensemble ragen Wolfgang Böhm als Diener Mücke und Sebastian Muskalla mit körperlicher Virtuosität als Notar Herr Geier heraus. Herbert Fritsch hat wieder einen orgiastischen Theaterabend geschaffen, der mit einer durchgeknallten Applauschoreographie endet, die ihresgleichen sucht.

Service:
Weitere Aufführungen am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, kleines Haus, am 13. November und 12. Dezember 2009.