Widerstand ist machbar, Frau Nachbar

Von Günther Herkel · 18.02.2012
"Sag mal, ist hier heut 'n Fest?" - "So was ähnliches, das Bethanien wird besetzt." Eine Liedzeile aus dem "Rauch-Haus-Song" der Berliner Band Ton Steine Scherben, entstanden bei der Besetzung des Georg-von-Rauch-Hauses Ende 1971.
Gegen die Auswüchse einer Stadtpolitik, die das Recht auf Wohnen Kapitalinteressen auslieferte, regte sich in diesem Lande periodisch organisierter Widerstand. Erste Proteste richteten sich Anfang der 70er-Jahre gegen Immobilienspekulation im Frankfurter West-end.

Gut zehn Jahre später wurden in Westberlin an die 160 Häuser "instandbesetzt".

Eine Bewegung, die nach dem Fall der Mauer auch den Ostteil der Stadt erfasste. Antriebsfeder war nicht nur der Wunsch nach erschwinglichem Wohnraum und der politische Kampf gegen eine profitorientierte Sanierungspolitik, sondern auch die Lust auf selbstbestimmte alternative Lebensformen.

Und heute? Einige der damals erkämpften Freiräume existieren noch, andere sind akut bedroht.

Kommunale Wohnungsbaugesellschaften werden privatisiert, Mieten steigen, Menschen mit geringem Einkommen werden aus ihrem Kiez verdrängt - triste Realität im bundesdeutschen Alltag.

Auch die Träume der Besetzer von einst stehen heute auf dem Prüfstand: Taugen die alten Ideen noch für die neuen Zeiten? Was wurde aus den einstigen Zielen? Gewinnen sie möglicherweise heute wieder an Aktualität? Streiflichter auf Häuser und Besetzer in Frankfurt/Main, Berlin, Hamburg und anderswo.


Die Gesprächspartner:

Hans Köbrich-Lürs und Gerhard "Ringo" Gottsleben, zwei Rauch-Haus-Besetzer der ersten Stunde. Bereits im Sommer 1971 hatte eine Gruppe von politisch bewegten Lehrlingen und Jugendlichen eine Etage eines alten Fabrikgebäudes in der Kreuzberger Mariannenstraße gemietet, weitere Räume klammheimlich besetzt. Als diese Räumlichkeiten aus allen Nähten platzten, beschloss die Gruppe, das gegenüber liegende leerstehende Bethanien-Krankenhaus zu besetzen. Ringo und Hans erzählen.

Gerhard "Ringo" Gottsleben:
"Die erste Zeit war in der Tat total chaotisch. Die Leute haben halt Zimmer gesucht, und sind da rein gegangen, haben sich da nieder gelassen, das war ganz einfach praktisch. Die Trebegänger, das waren so die neuen Elemente, die mit der Besetzung da mit rein geschwappt sind. Und da muss man zu sagen: Trebegänger sind Kinder, die zu Hause oder von den Heimen abgehauen sind und die auf der Straße normalerweise leben und ständig auf der Suche nach einer Penne sind, insbesondere, wenn der Winter kommt. Das war eine Realität in Kreuzberg, wenn man eine Wohnung hatte oder in einer Fabriketage gewohnt hat, da kamen immer mal wieder Situationen auf, wo Trebegänger um 'ne Bleibe gebeten haben, und die fanden sie dann entweder vorübergehend oder ein bisschen längerfristig. Und im Rauch-Haus war die Situation so, das hat sich also sofort verbreitet, und dann war das Haus auch mit Trebegängern gefüllt. Und die Jungarbeiter und Lehrlinge, das wollen wir auch nicht überstrapazieren, es wurde damals so differenziert, aber in der Realität war es häufig so, dass es zum großen Teil auch Leute waren die gerade keinen Job hatten oder die ihren Job gerade geschmissen hatten. Und gar nicht so da drauf waren.

Es gab ja vorher schon die studentischen Wohngemeinschaften, das war was ganz Neues, die wurden auch von der Springer-Presse total angegriffen als Sexkommunen. Die haben die ganzen bürgerlichen Vorstellungen da reingepowert. Natürlich hatte man nicht die Regeln einer bürgerlichen Kleinfamilie, es war alles offener, aber was die Springer-Presse draus gemacht hat, war noch was ganz anderes. Und das Georg-von Rauch-Haus, das war halt nicht 'ne Gruppe von acht Leuten, sondern das war eine Gruppe von 60 Leuten in dem Moment. Und das fand ich eine tolle Perspektive, dass man mit 60 Leuten was zusammen machen kann und sich zusammen organisieren kann."

Hans Köbrich-Lürs:
"Ja, ich glaube, dass ist eines der zentralen Elemente der Selbstorganisation gewesen, dass man sich selbst versorgen musst, also selber kochen, selber Frühstückmachen, wobei das mit dem Frühstück doch ein bisschen auseinanderfiel wegen der unterschiedlichen Aufstehzeiten, aber das Kochen war schon eine Institution, die ziemlich zu Anfang gemacht worden ist. Es gab einen Küchenplan, wer kocht, es gab immer eine Gruppe von drei, vier Leuten, die kochen mussten, und das wurde so durchorganisiert. Ich hab im Rückblick die Erinnerung, dass es sogar sehr rigide organisiert war, mit Plan, wer was macht, eine Haushaltskasse, und das hat auch ganz gut funktioniert. Um die eigene Existenz zu organisieren, musste man schon ziemlich viel investieren. Wenn man Küchendienst hatte, konnte man an dem Tag wenig anderes machen. Es musste eingekauft werden, es musste vorbereitet werden, und hinterher musste auch abgewaschen werden. Und das ist unterschiedlich gut gelaufen, je nachdem, welches Team gerade dran war, und das war auch was Verbindendes, dass die Leute gemeinsames Frühstück hatten, soweit das gemeinsam ging, dass die ein gemeinsames Abendessen hatten - das waren kollektive Prozesse, die neben dem Plenum gelaufen sind. Eher informelle - open space, würde man heute sagen - wo die Leute sich kennenlernten, was gemeinsam gemacht und sich verabredet haben.

Dann war das ein Prozess im Lauf der Zeit, dass die Leute diskutiert haben, man braucht Jobs, man muss irgendwas machen, man will möglichst auch was gemeinsam machen. Das war so die zweite Stufe, dass man überlegt hat: Wenn wir arbeiten, dann nicht jeder so für sich, dass jeder mit seinem eigenen Katzenjammer nach Hause geht, wenn irgendwas nicht passt, dass man versucht, zumindest zu zweit in einen Betrieb zu gehen oder was anderes zu machen. Aber das hat bei mir auch eine Weile gedauert, bis ich mich dazu aufraffen konnte, in die Fabrik zu gehen, weil das eigentlich ne Lebensform war, die ich nicht so erstrebenswert fand. Ich hab einen kleinen Job gehabt in den damaligen Kinderläden, die damals so aus dem Boden gesprossen sind, konnte ich da als Erzieher, Helfer, ich hatte ja keine pädagogische Ausbildung, aber das hat mir Spaß gemacht, dann hab ich da in diesen Kinderläden gearbeitet, erste Zeit natürlich ohne Steuerkarte, ohne alles, und erst später dann gekuckt, dass man in die Fabrik kommt. Weil das war dann auch eine politische Diskussion innerhalb vom Rauch-Haus, dass eben die Auseinandersetzung in den Fabriken eine Rolle spielt. Das ist denn bei uns auch angekommen, das wurde bei uns so diskutiert. Wenn man Einfluss nehmen will auf die Gesellschaft, mit der man nicht einverstanden ist, wenn man da dran arbeiten will, dass sie sich verändert, dann muss das auch in den Fabriken passieren. Und im Rahmen dieser Diskussion ist man denn dazu gekommen, mit einem mehr oder weniger politischen Anspruch in die Fabrik zu gehen."

Geschichte des Georg-von-Rauch-Haus - Jugend- und Kulturzentrum Kreuzberg e.V.

Das Georg-von-Rauch-Haus ist das im Dezember 1971 besetzte ehemalige Schwesternwohnheim des Bethanien-Krankenhauses an der Nord-West-Seite des Mariannenplatzes in Berlin-Kreuzberg.

Dr. Andrej Holm:
"Wenn wir in die Frankfurter Entwicklung schauen, dann hatte die Stadtregierung seit vielen Jahren dort geplant, das Westend abzureißen und in dem sogenannten Fünffingerplan zu dem erweiterten Banken- und Hochhausbereich mit auszubauen. Das war ein Plan, der in der Frankfurter Bevölkerung auf Widerstand stieß, und auch in den politischen Parteien zum Teil kritisch diskutiert wurde. Und es war aber vor allen Dingen n Plan, der über einen langen Zeitraum praktisch gar nicht umgesetzt wurde. Die haben viele Vorbereitungen gemacht, die haben Grundstücke aufgekauft, aber letztendlich war die Frankfurter Regierung nicht in der Lage, das tatsächlich zügig umzusetzen."

Andrej Holm, Stadtsoziologe. Gemeinsam mit Wolf Wetzel hat er die demnächst erscheinende Geschichte der Häuserkämpfe in Deutschland verfasst. Beide Autoren weisen selbst biografische Bezüge zur Besetzerszene auf. Wolf Wetzel erzählt.

Wolf Wetzel:
"Damals war ich noch in der Schule, und zwar in Offenbach, das liegt direkt neben Frankfurt. Ich hatte dann über Freunde, Schulkameraden mitbekommen, dass auch in Offenbach der Funke der Hausbesetzungen und ich würde allgemein sagen - der Rebellion - wie man lebt, was man für'n Zuhause hat, was man sich an Schule alles gefallen lassen muss, dass das in dieser Zeit sehr virulent war und leicht entzündlich. Und als ich über Schulkameraden mitbekommen hab, dass es auch ne Initiative in Offenbach gibt für n selbstverwaltetes Jugendzentrum, hat mich das einfach interessiert, ohne ne Ahnung, was das für'n Konzept ist und was man dafür tun muss, welches Risiko man eingeht. De facto war es so, dass dort natürlich auch Häuser leer standen. Das Wirtschaftswunder forderte Tribut, dass Stadtteile geräumt werden mussten, will die Business Class buchstäblich aus den Nähten platzte. In Offenbach war das 'n Haus, was 'ne Bank aufgekauft hat und hatte das noch leer stehen lassen, bis sie dann 'ne Baugenehmigung bekommen auch natürlich wieder für ´n Bankpalast. Und da ist diese Initiative sozusagen in diese Lücke gestoßen und ich bin dazu.

Bei uns war's dann so, dass wir glaube ich nach 'ner Woche, wenn ich mich richtig erinnere, nach 'ner Woche oder zwei haben wir n Ersatzhaus bekommen. Und jetzt muss dieses andere Leben, von dem wir alle träumten, von dem wir alle redeten, muss in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Und das, was wir hassten, aus was wir ausbrechen wollten, was wir nie mehr ertragen wollten, dieses Elternhaus, die Verhältnisse in der Lehre oder in der Fabrik. Jetzt mussten wir natürlich beweisen, ob wir's anders hinkriegen. Die Problematik hat sich nicht so gestellt, weil wir zu schnell wieder geräumt wurden."

BIBLIOTHEK DES WIDERSTANDS
Band 25:
Häuserkampf ab 1989: ›Besetzen lohnt sich, bleiben auch‹
Die HausbesetzerInnenbewegung ›Ost‹ begeht ihr zwanzigjähriges Jubiläum, die HausbesetzerInnenbewegung ›West‹ schaut auf dreißig Jahre zurück. Nutzungsverträge laufen aus, unter neuen Vorzeichen tauchen alte Fragen auf: Verhandeln oder (wieder)besetzen? In öffentliches/genossenschaftliches Eigentum umwandeln oder kaufen? Die alten Zeiten vergessen oder mit ihnen drohen? Vieles steht erneut auf dem Spiel und Prüfstand: Was ist aus den alten Zielen, aus den alten Ideen geworden? Wer hält an ihnen fest, wer verrät sie, wer bestimmt sie neu?
›Die Stadt gehört uns‹. Über die Erblasten und prekären Besitzstände zurückliegender Häuserkämpfe hinaus entwickeln sich aktuell vielerorts neue Bewegungen und Konstellationen. Bürgerinitiativen, Recht auf Stadt-Bündnisse, Netzwerke und Stadtteilgruppen begehren mit verschiedenen Aktionsformen auf - von der Unterschriftensammlung bis zum Brandanschlag.
Geht es (nur) darum, einen eigenen Kiez zu haben und/oder zu verteidigen? Gibt es eine Bewegung, die die Frage: Wie möchte ich, wie möchten wir leben? nicht länger individuell (also einkommensabhängig) löst, sondern als gesellschaftliche, als soziale Frage aufwirft?

Die Luft drum herum wird dünner. Eine Orgie der Privatisierung von öffentlichen Räumen unterstreicht ein Staatsverständnis, das sich ganz auf seine Kernaufgaben gesundschrumpfen will: Der Schutz von Millionären (Bankenkrise/Rettungsschirm) und der Schutz vor den Loosern, die sich damit nicht abfinden wollen.

Ist es wichtig, richtig und strategisch klug, so viel wie möglich in öffentlicher Hand zu halten? Redet man damit dem ›Sozialstaat‹ das Wort, dem guten Staat, den es nie gab, nicht geben wird?
Die Initiativen, die sich das Motto ›Unternehmen Stadt übernehmen‹ gegeben haben, spielen gekonnt und vielsagend mit diesen knallharten Veränderungen und zarten Hoffnungen.

Mit Texten von:
Andrej Holm und Wolf Wetzel


Andrej Holm bei Wikipedia:

Andrej Holm
Seine Forschungsschwerpunkte sind Gentrification, Wohnungspolitik im internationalen Vergleich und Europäische Stadtpolitik

Monopoly und/oder Barricada - Ein Rück- und Ausblick auf Häuser - und Stadtkämpfe/Teil I


Frank John, Hafenstraße-Besetzer der ersten Stunde. Heute sitzt er im Vorstand der Genossenschaft "Alternativen am Elbufer", die die 12 Häuser der Hafenstraße verwaltet:
"Und die Räumung war, nachdem das nach nem halben Jahr aufgeflogen war, nicht möglich, weil noch n Haufen Leute mit alten Mietverträgen drin gewohnt hat, also richtig uralten Mietverträgen. Man konnte Wohnungen räumen, aber dann ist man halt woanders reingegangen. Die Wohnungen mussten begehbar bleiben, weil da wohnten Leute mit ganz normalen MieterInnenrechten drin. Im Laufe der Jahre hat sich das dann quasi verfestigt, aber das ist quasi der Anfang davon.

Die ganze Angelegenheit bis zu ihrer endgültigen Legalisierung hat 15 Jahre gedauert. Wobei das Verrückte war, dass wir in der Hafenstraße eigentlich selten vertragslos gelebt haben. Wir haben eigentlich immer irgendwelche Vereinbarungen gehabt. Parallel zu den Vereinbarungen liefen dann schon wieder irgendwelche Räumungsklagen, aber so wirklich gesetzlose Zustände in dem Sinne haben wir eigentlich selten gehabt.

Ende der 70er-Jahre sind in Hamburg die geschlossenen Anstalten geöffnet worden, also die Jugendknäste, das heißt, in der Hafenstraße hast du am ehesten Milieus gehabt, wie du sie aus Berlin aus dem Georg-von Rauch-Haus noch kennst, wo du also Trebegängerinnen gehabt hast, was man früher im orthodoxen Sprachgebrauch Lumpen genannt hätte, oder auch ganz gewöhnliche Leute, die hier gelebt haben, du hast natürlich auch Linke gehabt, aber du hast nicht diesen konzentrierten Impetus von Anfang an gehabt, wir gehen da jetzt rein und machen was, sondern die ersten vier Jahre war die Hafenstraße auf unseren Plena eigentlich beständig damit beschäftigt, sich erst einmal zu finden. Und durch die Konfrontation mit dem Senat ist dann das geworden, was die Hafenstraße später bekannt gemacht hat. Die ersten vier Jahre hat uns der Senat selbst eigentlich nie als linkes Projekt behandelt, sondern wenn du da mal Kommentare liest, taucht dann auf: Hach, arme Jugendliche, erwerbslos, schwierige Zeit, müssen denen helfen."

Der Kampf um die Hafenstraße war und ist ein Kampf um das Selbstbestimmungsrecht zu wohnen, wo und wie mensch möchte. Ein Kampf gegen die Verdrängung von Menschen mit geringen Einkommen an den Stadtrand. Durch den Erfolg, den BesetzerInnen, gemeinsam mit St. PaulianerInnen und UnterstützerInnen aus aller Welt, der Stadt abgerungen haben, konnte die Umstrukturierung der innenstädtischen Wohngebiete zumindest behindert werden.
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Thomas-Dietrich Lehmann, Mitbegründer des Weddinger Wohnprojekts Zorrow:
"Mitte, Ende der 90er-Jahre war das hier n Kinderparadies, da war also ein Drittel der Gruppe, ich glaub zeitweilig elf oder zwölf Kinder, von diesen knapp 30 Personen waren eben Kinder, heranwachsende Kinder, Babies und Kinder im Vorschul- und Schulalter. Und aus der Perspektive dieser Kinder, wenn die darüber sprechen, war das hier das absolute Paradies, weil die kannten sich, die hatten ihre Kumpel hier. Aus der Sicht der Eltern war eine wunderbare Arbeitsteilung möglich. Als Beispiel: Wenn mein Töchterchen abends nicht beim Abendessen war, dann hab ich gekuckt und hab im Haustelefon angerufen: Du, sach mal, Manu, ist eigentlich Millie bei Carlotta drüben? Ja, ja, die wollen auch hier übernachten. Also im anderen Teil des Hauses trafen die sich dann oder waren mal bei uns und ich sag dann: Ihr wollt doch heute ins Kino gehen, mach dir keinen Kopp, ich machen denen 'n Abendbrot, die wollen doch sowieso bei den anderen pennen. Das war im Haus völlig unkompliziert möglich, man musste auch nicht 'nen Babysitter besorgen, und die Kinder haben es gespürt und haben den Ort genossen. Das ist die Etappe der 90er-Jahre.

Jetzt, in der Aktualität - deine Frage war ja: Kommen die wieder? - bis auf eine Ausnahme sag ich: Nein, eher umgekehrt. Ich mach's mal am Beispiel meiner Tochter fest. Die hat wie gesagt dieses Haus genossen in allen Fasern und Zügen und hat stolz erzählt, dass sie in einem Wohnprojekt lebt und hat immer von den Zorrows geredet, und hat dann ihre Schulfreundinnen mitgebracht, die haben dann große Augen gekriegt, weil sie hier im Wedding in anderen Verhältnissen leben. Das ist bei ihr 'son bisschen in eine andere Richtung gegangen, als sie in die Pubertät kam. Da merkte ich schon, hm, jetzt Gymnasium und so, die bringt ja niemanden mehr mit. Sie lebt jetzt bei ihrer Mama, in der erweiterten Nachbarschaft, aber nicht mehr bei mir. Und wenn man darüber spricht, dann kommen ganz andere Stichel: Also Papa, in deinem Haus da, das ist ja so ranzig! Oder: Du immer mit deiner ewigen Protestation! Also ich würde ja bei dir wohnen, aber nicht in dem Haus.

Da kommen also andere Signale, und die haben für mich, also ich akzeptiere die, aber die haben was damit zu tun: Sie hat in dieser Orientierungsphase, wo junge Menschen, die heranwachsen, einen hohen Konformitätsdruck haben, hab ich bei mir auch so erlebt, Abgrenzung zu den Eltern und Konformität zu anderen Milieus, da hat sie wahrscheinlich eher intuitiv verspürt: So wie ich hier lebe, lebt keiner von meinen Freundinnen, und ich kann niemanden nach Hause bringen, damit kann ich nicht mehr punkten. Die Entscheidung bei ihr war völlig klar: Sie zieht zu Mama. Da ist was drin, was mir aus anderen Projekten auch gespiegelt worden ist. Da gibt's ja in Kreuzberg, im Kerngehäuse oder in der Regenbogenfabrik ähnliche Entwicklungen. Und da hat ein junger Mann auf einem Hoffest mal drüber erzählt, der hat gesagt: Diese Häuser waren das Paradies für uns als Kleinkinder, und später, als wir anfingen, darüber nachzudenken, haben wir gemerkt: Alles, was wir ausprobieren wollen, haben unsere Eltern eigentlich schon fertig. Wir konnten uns eigentlich nur absetzen davon, und zwar wirklich im örtlichen, geografischen Sinne, man musste da raus, sonst hat man keine Chance gehabt."

Der Verein Zorrow in Panko e.V.


Anette Schill, Projektmanagerin in der Regenbogenfabrik:
"Von Anfang an waren Angebote für Kinder dabei, relativ schnell kam eine Kita, damals noch Großpflegestelle für unsere eigenen Kinder, wir hatten aber auch einen offenen Kinderbereich für Kinder aus der Nachbarschaft. Allein hier in der Blockecke wohnten 140 Kinder, für die es keine Möglichkeit gab, zu spielen, versorgt zu werden usw. Dazu gehörte auch, dass wir Essen gekocht haben, also buchstäblich die Kinder versorgt haben. Es gab relativ schnell eine Holzwerkstatt, lag eigentlich auch an, dass es eine Holzwerkstatt und 'ne Baugruppe geben musste, weil wir halt selber auch sehr viel instandsetzen und bauen mussten. Es gab relativ schnell ein Kino, was es heute auch noch gibt, das fing damals aber noch mit dem berühmten Laken an, was bespielt wurde. Eine Fahrradwerkstatt kam schnell dazu. Und ein Cafe kam relativ schnell, dass wir im Vorderhaus noch eine Wohnung besetzt hatten, eine Ladenwohnung und zwei Wohnungen, und die Ladenwohnung konnten wir behalten, und dort gab's und gibt's immer noch 'n Cafe, was eigentlich auch logisch ist, dass so ein Projekt auch einen Treffpunkt braucht, als Anlaufstelle für die Nachbarschaft.

Die Konflikte sind im System. Das kollektive Leben und Arbeiten ist auch anstrengend. Es ist schlicht und ergreifend anstrengend. Es geht viel um Selbstverwaltung, Selbstverantwortung, und die ist ganz schön schwer. Das ist n ganz schön hartes Brot. Es fällt vielen ganz schön schwer, und es kann bei Leuten sein, die schon lange bei uns sind, es kann aber auch sein, dass Leute zu uns kommen und sagen: "Oh, ist so schön hier! Ich wollte schon immer mal so leben!" Und dann fangen wir uns schon an zu gruseln, weil man schon denkt, die Ansprüche hängen dann schon so hoch, und ganz schnell kippt das innerhalb von drei, spätestens sechs Monaten. Und dann gehen die Leute bitter enttäuscht, weil: "Ihr seid ja auch nicht anders als die anderen." Was auch immer dann die anderen sind und was das Anderssein ist. Natürlich gibt's Verteilungskämpfe, wir haben Räumlichkeiten, die wollen genutzt werden, ist ja auch schön, wenn viele Leute Räumlichkeiten nutzen wollen. Natürlich gehen die Streitereien, wer braucht welchen Raum, was ist sinnvoller für's Projekt. Wir haben ein Kollektivlohn, immer noch, wir bekommen alle das gleiche Geld, weil uns das wichtig ist, dass wir sagen: Alle Arbeit ist gleich viel wert. Das wird auch nicht unbedingt immer hingenommen, ja weil der macht seine Stunden nicht, der macht doch nicht, und da nur am Schreibtisch zu sitzen ist doch keine Arbeit oder nur hinterm Tresen zu stehen ist doch keine Arbeit."

Regenbogenfabrik Block 109 e.V. - Kinder -, Kultur- und Nachbarschaftszentrum

Anette Schill in der Regenbogenfabrik (YouTube)


Dirk Moldt ist Geschichtswissenschaftler und gelernter Uhrmacher. Derzeit arbeitet er am Deutschen Historischen Museum.
"Meine erste Wohnung, als ich von meinen Eltern weg bin aus Pankow, war auch eine besetzte Wohnung. Das lief bei mir so, dass von einem Arbeitskollegen der Freund, ist aus der Wohnung ausgezogen, bin da rein in die Wohnung, hab mich eingerichtet, hab mich an die Wohnungsverwaltung gewandt und hab geschrieben, dass ich jetzt diese Wohnung besetzt hab. Dann ging's auch darum, sich polizeilich anzumelden, da gab's n paar Schleichwege, das hinzubekommen, aber das klappte eben auch. Nach ungefähr drei, vier Wochen hat sich das Wohnungsamt gemeldet bzw. die Wohnungspolitik und hat gesagt, sie haben jetzt hier widerrechtlich eine Wohnung besetzt, das gibt ein Ordnungsstrafverfahren, dann musste ich 300 Mark bezahlen und dann war ich in der Wohnung drin. Ich glaube, dazu gehörte auch noch, dass man die Miete bezahlt, regelmäßig, schon in der Zeit des Besetzens - auf jeden Falll war das so die typische Bastelanleitung.

Da kamen mehrere Stränge zusammen. Einerseits gab es ein heilloses Durcheinander in den großen Städten, bei den kommunalen Wohnungsverwaltungen. Die haben oft nicht mehr gewusst, was sie da für Wohnungen haben. Sie hatten auch eine Menge Wohnungen, die nicht mehr vermietbar waren. Und andererseits gab's n großen Bedarf nach Wohnungen, und für die Leute, die die Wohnungen besetzt haben, war es eben eine Art Freiraumerweiterung. Es ging darum, eine eigene Wohnung zu haben, weg von den Eltern zu sein, sich selbst zu verwirklichen, und da hat man dann eben versucht, solche Wohnungen für sich nutzbar zu machen und hat die besetzt, auf friedliche Weise und hat auch versucht, die zu legalisieren. Das ist in 80,90 Prozent der Fälle, wenn nicht mehr, auch geglückt.

Wir haben ein Flugblatt gemacht. Für uns war das so, dass das die konsequente Fortsetzung der Revolution ist. Wir meinten, die Betriebe, die Häuser und das alles sollte dann tatsächlich in Volkseigentum übergehen, das waren noch die Träumereien von damals. Es hat ja auch Betriebsbesetzungen gegeben, es gab Arbeiterräte und wir haben gesagt, okay, wir machen das jetzt auf diese Weise, besetzen das Haus und leben dann eben zusammen. Das Haus war ziemlich runtergekommen, ich glaub, es gab nur ein oder zwei, wo die Heizung richtig ging, ansonsten natürlich noch Öfen, das war der Standard gewesen. Wir mussten eine Menge Fensterscheiben ersetzen, aber das ging alles. Wir haben das alles weitgehend aus eigener Kraft hinbekommen, dass man drin wohnen konnte. Aber natürlich nach fünf, sechs Jahren ist das immer wackliger geworden, weil man eben auch sanieren musste. Aber das ist ja irgendwann gekommen alles.

Die Situation war damals, dass wir immer noch die Kommunale Wohnungsverwaltung als Ansprechpartner und die hat sich ziemlich gesträubt, mit uns Verträge zu machen. Ursprünglich war sie sehr offen, noch in der Nacht kam die zuständige KWV-Frau und hat uns gefragt, was wir für Pläne haben. Wir haben gesagt, wir möchten hier gern sanieren, ja, ja, wir prüfen das alles. In den folgenden Wochen wurde aber das Verhältnis immer härter. Die KWV war extrem überfordert damit. Die konnten sich nicht vorstellen, sowas an Gruppen zu geben. Das passte in sozialistische Funktionärsgehirne nicht rein, das Prinzip. Es ging einfach nicht, die haben das nicht verstanden. Als es dann soweit war, dass es ein Vereinsgesetz gab, war's wieder so, dass sie sich gesträubt haben, weil es angeblich Alteigentümer gibt, also sie wollten das nicht."

Website von Dirk Moldt


Wolf-Dieter Narr lehrte von 1971 bis 2002 Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. 1981 übernahm er die Patenschaft für das besetzte Kunst- und Kulturzentrum KuKuCK Kreuzberg am Anhalter Bahnhof:
"Ja, der Anhalter Bahnhof war ja noch eine Ruine, aber danach, rechterhand, gegenüber dem Lokal, das es heute noch gibt, war ein großes Haus, das sie auch angemalt haben - ich weiß nicht mehr, wie das hieß -Das war der KuKuCK! - Das war der KuKuCK, ja, genau, richtig, ich war sehr häufig dort, aber ich hab dort nicht meine Wohnung aufgeschlagen, mit vielen Gruppen verkehrt, und hab an Demos teilgenommen und dergleichen mehr, und hab eben auch ein Seminar gehalten, das dann die Freie Universität, brav wie sie war, mit dem Rektorat zum Anlass genommen hat, die haben sogar ein Disziplinarverfahren angeleiert, aber das ist alles im Sand versackt. Ob das denn alles rechtens sei, was ich denn mache, etwa den Briefkopf der Freien Universität Berlin benutze, um irgendwelche politischen Aktivitäten zu betreiben. Da hab ich ironisch drauf geantwortet, dass es der Freien Universität Berlin und der Demokratie sehr wohl anstehe, die Wissenschaft nicht als hehres Eigentum irgendwo im Elfenbeinturm zu halten, sondern sie in der Tat im guten Sinn des Wortes in die Öffentlichkeit zu bringen und sie auch kritikfähig zu machen. Wissenschaft soll ja nicht nur kritisieren, sondern selber soll sie sich der Kritik stellen. Etwa ob das, was wir als Sozialwissenschaftler tun, in irgendeiner Weise den geringsten Sinn hat.

Wenn man von der Studentenbewegung redet in den 60er-Jahren, darf man das nicht so pseudo-revolutionär aufmotzen. Das taten zum Teil die Studierenden, das taten aber vor allem diejenigen, die dagegen waren, alles schlimm ansahen, was lange Haare hatte, es ist ja gräulich, was da an Mief in der Bundesrepublik und in Westberlin zum Ausdruck gekommen ist. Und die Instandbesetzerbewegung war eigentlich eine Folge davon. Die hat zwar nicht unmittelbar daran angeschlossen Ende der 70er-Jahre, aber doch in der Verbindung daran. Und da war diese urdemokratische Meinung, dass jede und jeder vergleichsweise kostenarm wohnen können muss. Und dass das Wohnen zwar angenehm sein soll, aber nicht gleichzeitig den wesentlichen Teil der Kosten dieses Lebens ausmachen soll. Sondern dass man wohnt, indem man frei und gemeinschaftlich lebt, sich organisiert, sind ja auch unheimlich viele Projekte in diesen instandbesetzten Wohnungen gewesen, sodass ich von daher diese Art von Befreiung des deutschen Bürgertums vom Mief, der nur auf Eigentum fixiert war, und auf das Eigentum, das man ein Haus schützt, ist ja in Lichterfelde ganz bezeichnend, dass da die Häuser, die alle im 19. Jahrhundert gebaut sind, alle wie Burgen aussehen. Man erkennt die Bürger immer von den Burgen her, man burgt sich ein, man schottet sich ab. Das war bei der Instandbesetzerbewegung anders, und da hatten viele, auch Gruppen, die nicht über irgendwelche Mittel verfügen, eine Chance gehabt, da mit reinzugehen. Das war ja der Grund weshalb damals ne Generation älterer Kollegen wie ich, wie Fritz Eberhard - Grundgesetzvater - wie der Golli, der Gollwitzer, Helmut Gollwitzer, ein guter Freund von mir, ja mitgemacht haben, ihre Matratzen in die Häuser getragen haben, um zu zeigen, dass sie da mit von der Partie sind. Obwohl sie gewusst haben, dass sie da natürlich nicht auf Dauer wohnen können, weil man auch mit 60, 70 oder ich jetzt nicht einen großen Standard braucht, aber doch nicht so beliebig wohnen kann, wie man das tut, wenn man 20 ist."

Wolf-Dieter Narr bei Wikipedia:


Hans Panhoff, damals Besetzer, heute Baustadtrat:
"Ich hab damals Musik gemacht in so einer Folkgruppe. Volksmund hießen wir, und es gab verschiedene andere Musikgruppe von Folk bis Rock und wir haben so ein Solidaritätskonzert veranstaltet, damals im Quartier Latin in der Potsdamer Straße, um Geld zu sammeln für die Leute, die im Knast saßen, Prozesskostenhilfe und solche Dinge - na ja, der Slogan war: Eins, zwei, drei, lasst die Leute frei!

Erst als das auf dem Weg zur Lösung war, haben wir Verhandlungen angetreten. Und insofern war dieses Haus, obwohl wir ja Verhandler waren, dreieinhalb Jahre illegal. Also wir sind so mit am längsten im illegalen Zustand gewesen, als Verhandlerfraktion, aber irgendwann haben wir natürlich auch den Sack zugemacht und gesagt, okay, wir wollen hier auch bleiben, Verantwortung übernehmen für das Haus, und damit wir dann auch Gelder bekommen für die weitere Instandsetzung, die wir dann nicht nur mit Muskelkraft bewältigen konnten, mussten wir uns auch legalisieren.

Wir hatten einen Einheitsanspruch zum Beispiel bei der Selbsthilfe. Das gab hier einfach 20 Stunden Selbsthilfe pro Monat als Vorgabe, die zu erfüllen war. Das klappte auch nicht richtig. Es gab dann irgendwann auch eine Amnestie, das war die Selbsthilfe-Amnestie für die nicht erbrachten Stunden. Soviel kollektive Weisheit hatten wir dann, dass das einfach unlösbar war, auch im Nachhinein das zu korrigieren. Miete haben wir nach Quadratmetern gerechnet, allerdings jetzt nicht unterschieden, ob das eine gute Wohnung ist, gut sind die Wohnungen eigentlich alle, aber sagen wir mal: oben-unten, vorne-hinten, ob die Decken hoch sind oder nicht so hoch, da haben wir sozusagen Einheitlichkeitsanspruch.

Die Ansprüche waren eigentlich eher so, dass wir gesagt haben: Ja, wir wollen was Neues ausprobieren, neue Lebensformen, ich mein, wir reden jetzt über Anfang der 80er-Jahre, da war manches noch nicht so unverklemmt wir heute. Solche Themen haben uns beschäftigt, wie nackt durch die Wohnung laufen ..., Parties, die vielleicht auch ziemlich obszön waren. Ich erinnere mich noch an die eine Party, da wurden tote Fische an die Wand genagelt, und det stank furchtbar, aber es war richtig cool.

Das Poster draußen kam aus dem Haus heraus, aus dem Wunsch, sich politisch zu äußern, auch als Gruppe. Und die Verfügungsmacht über die Fassade auch zu nutzen, ein Transparent aufzuhängen. Das darf man ja gar nicht überall. Und da steht: SUPERGAUNER. Oder SUPER-GAU-NER! Anlässlich Fukushima. Ist schon auch politische bewusst, aber wir sind jetzt nicht so die Truppe, die sich alle da die schwarzen Jacken überstreifen und gemeinsam auf die Demo gehen und die Kaputzen runterziehen. Das waren wir nie und das werden wir auch nie."

Hans Panhoff, Bezirksstadtrat für die Abt. Umwelt, Verkehr, Grünflächen und Immobilienservice