Widerstand gegen Flächenfraß

Der Kampf um die Äcker

Ein Landwirt mit Hut beackert sein Feld.
Landwirt Werner Ruf erzählt: "So gute Böden wie hier gibt es nur in der Magdeburger Börde" © Ludger Fittkau
Von Ludger Fittkau  · 02.11.2018
In Hessen hat der Protest gegen den Bau von großen Logistikzentren auf den Äckern begonnen. In Witzenhausen wollen die Bewohner nicht ihre dörfliche Idylle verlieren. Die Bewohner von Wetterau hingegen fürchten um ihren besonders fruchtbaren Boden.
Simon Abach bietet im Gemeinschaftsraum einer Land-WG im Neu-Eichenberger Ortsteil Hebenshausen Kaffee an. Es sind teilweise sehr weitgereiste Leute, die um den Tisch versammelt sind. Barbara Freeman zum Beispiel. Schon als vor rund anderthalb Jahrzehnten die ersten Pläne für das rund 115 Fußballfelder große Logistikzentrum auf dem nordhessischen Acker bekannt wurden, ist sie aktiv geworden. Zuvor hatte sie mit ihrer Familie einige Jahre in den USA gelebt:
"Vorher hatten wir immer in Städten gelebt und unsere Kinder waren damals noch relativ klein und es war schon klar, wir wollen aufs Land ziehen. Und das haben wir dann hier verwirklicht mit dem Vorhaben, dann auch zu bleiben. Und haben uns hier sehr wohl gefühlt, tun es immer noch."

Hier ist Dorf noch Dorf

Ob das noch so sein würde, wenn eines der größten Logistikzentren Deutschlands in die schöne Mittelgebirgslandschaft Deutschlands gebaut würde? Daran zweifeln viele, die aus den Großstädten hierhin raus aufs Land gezogen sind. Wie Christoph Schade, der sich in der Bürgerinitiative "Für ein lebenswertes Neu-Eichenberg" engagiert:
"Wir haben etwas, das andere nicht mehr haben. Wir haben den Luxus der Zukunft. Eine nicht zersiedelte, nicht verbaute, nicht versiegelte Landschaft. Bei uns ist noch Dorf - Dorf! Dann kommen Äcker, dann kommen Wiesen, dann kommen Wälder. Das ist ja der Grund, warum gerade junge Familien hier her ziehen. Ich übrigens auch. Ich war fast zehn Jahre in Los Angeles. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Und wenn ich zwei Tage im Rhein-Main-Gebiet bin, dann habe ich nur einen Wunsch: So schnell wie möglich wieder nach Hause."

Verkauf der Kronjuwelen

"Ich sehe, dass es am Ende so sein wird, dass die Qualitäten des ländlichen Raumes komplett verloren gehen. Es wird nur noch Verkehre geben, aber man hat nirgendwo mehr das, was man eigentlich sucht auf dem Land: Nämlich Ruhe und Platz und deswegen bin ich dagegen."
Nicole Zeuner hat längere Zeit in Berlin gelebt. Die Sozialdemokratin findet es besonders kritikwürdig, dass es eine Fläche des Landes Hessen ist, die an einen Privatinvestor im Logistikbereich verkauft wird.
"Ich glaube, dass das Land Hessen einen total großen Fehler macht. Und auch die HLG, die hessische Landesgesellschaft, ihrem Auftrag nicht gerecht wird. Weil der Auftrag wäre, neben Bodenschutz auch Bodenbevorhaltung zu betreiben. Was die hessische Landesregierung aber offensichtlich mit dem Auftrag macht, es zu privatisieren. Das heißt: Sie verkaufen, was sie eigentlich halten müssten. Sie haben das Land und geben es raus. Wir haben lange in Berlin gelebt und ich habe lange in Berlin Politik gemacht: Das sind genau die Fehler: Wir verkaufen unsere Kronjuwelen und in zehn Jahren sagen wir: Huch, wo sind sie hin. Was tun wir jetzt?"

Verlust der Unterstützung

Die Grünen in der bisherigen schwarz-grünen Landesregierung sind gegen den Verkauf der 83 Hektar großen Fläche. Doch sie hatten sich im Koalitionsvertrag mit der hessischen CDU verpflichtet, keine Verträge anzufechten, die vor der Regierung der ersten schwarz-grünen Koalition im Land geschlossen wurden. Bei der Fläche für das geplante Logistikzentrum in Nordhessen war das der Fall. Auch im Kreistag des Werra-Meißner-Kreises, in dem die Fläche liegt, stößt das Projekt unterdessen breit auf Ablehnung, berichtet Christoph Schade:
"Auch aufgrund des volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Unsinns dieses Projektes hat ja dann auch spät, vielleicht zu spät, die CDU des Werra-Meissner-Kreises sich komplett zurückgezogen aus der Unterstützung des Projektes. Und daraufhin auch die SPD. Und die Grünen sowieso. Die haben ja von Anfang an einen heroischen Kampf gekämpft, eins rauf. Und es hat nun lange gedauert und es bedurfte eben vieler Gespräche, viel Aufklärung bis die CDU in einer Kampfabstimmung beschlossen hat, wir können das nicht weiter unterstützen."

Hoffen auf Umdenken

Doch noch will eine Mehrheit der 15 Gemeindevertreter in Neu-Eichenberg das Logistikzentrum. Auch deswegen, weil man nicht auf den Planungskosten sitzenbleiben will, die die Gemeinde bereits in das Projekt gesteckt hat. Doch die Bürgerinitiative hofft weiterhin auf ein Umdenken vor Ort und appelliert an das Land Hessen, der Gemeinde im Zweifel beim Begleichen von Rechnungen für Planungsbüros unter die Arme zu greifen.
Dieter Schmidt gehört nicht zur großen Alternativszene in den Dörfern rund um Witzenhausen. Aber sein Haus steht unmittelbar neben dem geplanten Logistikgelände. Es würde rund ein Drittel seines Wertes verlieren, befürchtet er:
"Und wenn wir die jetzt mit einem Verlust von 35 Prozent verkaufen müssten? Das sind ganz aktuelle Zahlen, die meinem Sohn gesagt worden sind, bei einem Immobilien-Fachgespräch in Witzenhausen. Das ist hochaktuell."

Logistiker suchen Leute

Gastgeber Simon Abach hat noch einen ganz anderen Grund, warum er gegen das geplante Logistikzentrum mobil macht: "Ich bin hier in einer Gärtnerei tätig, in der solidarischen Landwirtschaft. ‚Gemüsekollektiv Dorfgarten‘ nennen wir uns. Wir haben hier einen neuen Betrieb, den wir aufbauen wollen, haben ganz viele kleine Stücke an Land. Aber hier, von Seiten der Gemeinde oder auch von den anderen Bäuerinnen und Bauern gibt es eigentlich keine Bereitschaft uns irgendwas abzugeben. Und dann ist es für uns merkwürdig zu sehen, dass hier für ein Logistikzentrum ohne Probleme 80 Hektar besten Ackerbodens bereitgestellt werden."
Für Arbeitsplätze, die in der Region eigentlich gar nicht besetzt werden können, so die Sozialdemokratin Nicole Zeuner: "Wir haben keine Arbeitslosigkeit, nicht so grassierend, wie sie war. Wir haben keine Jugendarbeitslosigkeit, die eine nennenswerte Größe hätte und man kann gut nachweisen, dass Jobs wie in der Logistikbranche gar nicht mehr zu besetzen sind in der Region. Es ist also nicht so, dass die Leute hier händeringend nach Logistikjobs suchen. Es ist eher so, dass die Logistiker händeringend nach Leuten suchen."

Umsetzen des lokalen Wirtschaftens

Während junge Biogärtner, die teilweise im örtlichen Witzenhäuser Ökolandbau-Fachbereich der Universität Kassel ein Diplom gemacht haben, keine Flächen für ihre umweltpolitisch zukunftsweisenden Projekte finden. Simon Abach:
"Wie als solidarische Landwirtschaft streben nach regionalen, saisonalen Wirtschaften. Wo wir Gemüse anbauen für Menschen hier in der Region. Das Gemüse wandert nicht weiter als 20 Kilometer und die Ex-Bürgermeisterin spricht hier von der logistischen Mitte Europas. Das ist einfach auch von der Wirtschafsidee, die dahinter steht nicht das, wo wir hinwollen. Sondern wir wollen im Dorf und darüber hinaus gerne Versorgungsstrukturen aufbauen und da ein anderes lokales Wirtschaften umsetzen."
Ortswechsel: Wetterau in Hessen. Eine kleine Gruppe stellt sich zum Gemeinschaftsfoto auf – mitten auf einem Acker, hinter ihnen ein Bauwagen:
"Den Bauwagen, den haben wir hier aufgestellt, damit wir ein bissel Aufenthaltsraum haben. Hauptsächlich wegen des Gemüseanbauprojekts. Wir haben auf unserem gepachteten Acker hier Gemüseanbau betrieben mit Beteiligten hier von der Aktion ‚Bürger für Boden‘. So eine Art Selbsterntefeld, wo jeder ein Stück Acker bekommt und darf darauf Gemüse anbauen, um mal zu zeigen, was das für ein toller Boden ist."
Vor einem Bauwagen auf einem Feld steht eine Gruppe von vier Personen. Der Bauwagen trägt ein Transparent von der "Bürger für Boden Wetterau"- Initiative.
Die "Bürger für Boden Wetterau" sind gegen das Zentrum des Unternehmens.© Ludger Fittkau
Werner Ruf ist Bioland-Landwirt aus der Wetterau nördlich von Frankfurt. Wo jetzt noch der Bauwagen steht, will der Lebensmittelkonzern REWE ein großes neues Logistikzentrum bauen. Werner Ruf ist dagegen:
"Wir haben ja ohnehin schon das Problem, das nur fünf Prozent der Erdoberfläche überhaupt für Ackerbau geeignet ist. Und diese Böden hier sind so wertvoll, das sind 95 Bodenpunkte, sagt dem Landwirt sofort was. 100 ist fast unerreichbar. So gute Böden gibt es nur in der Magdeburger Börde und in der Ukraine. Die sind äußerst selten und die sind eine wichtige Ernährungsgrundlage und die müssten eigentlich unter Naturschutz stehen."

Änderung des Regionalplans

Michael Schneller, der gleich neben Werner Ruf steht, nickt. Er ist der sogenannte "Kreislandwirt" der Landwirtschaftskammer. Damit vertritt Schneller rund 350 Vollerwerbslandwirte und 650 Bäuerinnen und Bauern im Nebenerwerb in der fruchtbaren Wetterau. Winterweizen wird hier gerne angebaut, gefolgt von Raps, Gerste oder Zuckerrüben. Mais für Biogasanlagen wird auf rund 10 Prozent der Ackerfläche gepflanzt. Michael Schneller:
"Der Verlust von wertvollem Ackerland hier in der Wetterau geht gefühlt immer schneller voran. Und was wir hier hauptsächlich beklagen: Es gibt ja Flächennutzungspläne. Und das ist laut Flächennutzungsplan eine Vorrangfläche Landwirtschaft. Und jetzt wurde einfach der Regionalplan geändert, so dass hier ein Gewerbegebiet entstehen kann. Und das finden wir so nicht in Ordnung!"
Zuständig für die Änderung des Flächennutzungsplanes ist die Regionalversammlung des Regierungspräsidiums Darmstadt. Das ist ein Parlament, das sich mit gemeindeübergreifenden Fragen der Raumentwicklung in Südhessen beschäftigt. Logistikzentren wie das nun geplante neue REWE-Zentrum würden gebraucht, sagt Harald Schindler. Er ist Vorsitzender der SPD-Fraktion in diesem Gremium, das den Regionalplan geändert hat:
"Für uns ist bei der Entscheidung einzig und allein maßgeblich das, was wir mit dem Bauvorhaben im Grunde erreichen wollen. Nämlich, dass die Güter zu den Menschen kommen im Rhein-Main-Gebiet und ein zentraler Standort gefunden wird, der verkehrsmäßig sicherstellt, dass nicht Orts-Durchfahrten belastet werden."

Verkehrslärm direkt vor der Tür

Aber auch in unmittelbarer Nähe des geplanten Logistikzentrums leben Menschen in Aussiedlerhöfen. Jan Schwarz zum Beispiel. Auch er ist zum Bauwagen auf dem Acker gekommen:
"Klar, REWE ist schon mit ihren Plänen abgerückt, dass man so hundert Meter reinrückt von der Straße weg. Aber das wird natürlich auch uns hier betreffen, wenn die LKWs direkt hier vor der Haustür auf die Straße fahren. Beschleunigen, abbremsen. Denn der eigentliche Plan, die Zufahrt direkt neben die Autobahnauffahrt zu machen, der geht aus rechtlichen Gründen nicht. Das man so nah an die Autobahnauffahrt die Auffahrt zu einem Logistikzentrum hin baut."
Der SPD-Politiker Harald Schindler räumt ein, dass die für die Planungen von Logistikstandorten in Südhessen zuständige Regionalversammlung des Regierungsbezirks Darmstadt noch keine überzeugenden Lösungen für Standorte der neuen, riesigen Lagerhallen auch für den Online-Handel gefunden hat: "Wir wissen aus dem letzten Regionalplan, dass es uns leider nicht gelungen ist, die Logistik-Frag zu klären."

Die Zukunft: der Online-Handel

Deswegen ist der Flächenfraß im Rhein-Main-Gebiet bisher ziemlich ungeregelt. Auch Jürgen Banzer kritisiert den "Siedlungsbrei" rund um Frankfurt am Main. Der CDU-Politiker und ehemalige hessische Justizminister lebt am Taunusrand in Sichtweite der Metropole. Unlängst hat er 14 CDU-Ortsverbände zu einer Demonstration gegen den neuen Stadtteil von Frankfurt am Main organisiert. Auch diesem sollen landwirtschaftliche Flächen zum Opfer fallen, die Stadt rückt den umliegenden Dörfern und Kleinstädten immer näher. Doch dem Bau des REWE-Logistikzentrums hat Jürgen Banzer in der Regionalversammlung zugestimmt.
Weil er vor allem den Online-Handel auch von Lebensmitteln für wenig mobile ältere Leute nicht behindern will, so Banzer: "Ich glaube, dass das die Zukunft sein wird. Man wird dann aber auch wieder darüber streiten, welche Schwerpunktgebiete sind die Richtigen. Aber wir müssen auch da zu einer Konzentration kommen und können nicht sagen, jede Autobahnabfahrt ist offen für solche Zwecke."

Veränderung des Landschaftsbildes

Doch das Rewe-Zentrum soll erst Mal gebaut werden. Obwohl es mit mehr als 30 Metern Höhe auch das Landschaftsbild in der Wetterau stark verändern wird. Vor allem der freie Blick Richtung Vogelsberg, dem alten Vulkan in der Nähe, wird von hier massiv beeinträchtigt. Doris Jentsch vom örtlichen Naturschutzbund NABU:
"Die Wetterau ist eine recht ebene Landschaft zwischen Taunus und Vogelsberg. Wir stehen dennoch hier etwas erhöht, auf einem leichten Hügel. Und gerade hier soll es errichtet werden, so dass es weithin in der Landschaft sichtbar sein wird."
Christa Degwitz, eine der Gründerinnen der Initiative "Bürger für Boden", ergänzt: "Dazu kommt noch: Das Gebäude wird 24/7 beleuchtet – 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Also auch nachts beleuchtet, soweit wir wissen. Und wir haben hier Naturschutzgebiete rundherum. Und eigentlich hat man hier auch ein bisschen in Tourismus investiert, auch das macht überhaupt keinen Sinn. Man hat in Radwege investiert. Und jetzt wird hier etwas geschaffen, was einfach nicht schön ist."

Zynische Werbesprüche

Die Industrialisierung der Landschaft für die Lieferketten des digitalen Kapitalismus – das stößt an vielen Orten im ländlichen Hessen inzwischen auf Gegenwehr. Landwirt Werner Ruf zeigt die Folgen für den geplanten REWE-Standort auf:
"Für 500 Arbeitsplätze, die hier erhalten werden sollen – dafür gibt es auch übrigens keine Garantie – verlieren mindestens 300 Menschen dauerhaft ihre Nahrungsgrundlage. Und wenn REWE dann Werbesprüche bringt wie "REWE frisch vom Acker" dann sei das zynisch, so Werner Ruf.
Sein Landwirt-Kollege Wolfgang Stoll, der hier einen Acker hat, will ihn deshalb nicht verkaufen: "Ich finde das unlogisch. Diese Höhe hier und in der freien Landschaft, die guten Böden. Es gibt schlechtere Böden."
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