"Widerspruch ist durchaus zulässig"

Jürgen Chrobog im Gespräch mit Ulrike Timm · 29.10.2010
Angesichts der Studie über Verstrickungen in die Nazi-Verbrechen erinnert sich Ex-Diplomat Jürgen Chrobog an seine Zeit im Auswärtigen Amt - auch an Widerspruch und den Umgang mit der Vergangenheit. "Wir waren ja alle geschichtsbewusst", sagt Chrobog, "aber es war nie Thema".
Ulrike Timm: Eine Sonderrolle das Auswärtigen Amtes im Dritten Reich hat es nicht gegeben, jedenfalls nicht im guten Sinne. Die deutschen Diplomaten waren viel früher und viel stärker in die Naziverbrechen und vor allem in die Judenverfolgung verstrickt als bisher angenommen. "Das Amt", die Studie der Historikerkommission, beweist das und sorgt für Entsetzen darüber, wie dünn der Firnis ist, der unsere Institutionen im Ernstfall von der Barbarei trennt.

Zugleich wird deutlich, wie sehr Korpsgeist und Elitedenken unter Diplomaten dabei eine Rolle gespielt haben. Über das Innenleben des Auswärtigen Amtes und das Selbstverständnis von Diplomaten möchte ich mit Jürgen Chrobog sprechen. Er war lange Jahre Diplomat, zum Beispiel in New York, Singapur und Brüssel, und Jürgen Chrobog war Staatssekretär im Auswärtigen Amt, als Joschka Fischer Minister war und diese Studie in Auftrag gab. Herzlich Willkommen im Studio, Herr Chrobog!

Jürgen Chrobog: Vielen Dank!

Timm: Herr Chrobog, haben Sie sich dieses Ausmaß an Verstrickungen, das jetzt offenbar wurde, vorstellen können?

Chrobog: Da gab es ja schon Bücher wie das von Döscher, was durchaus die Dimension aufgezeigt hat. Die Einzelheiten, die Verästelungen und die wirklich auch individuelle Schuld, die hier dargetan wird in diesem neuen Buch, war uns im Einzelnen nicht bekannt. Aber Grundsatz her war schon bekannt, man hat es verdrängt wahrscheinlich, man hat sich nicht damit auseinandergesetzt, auch nicht im Auswärtigen Amt.

Timm: Was haben Sie denn in Ihrer aktiven Zeit als Diplomat von den alten Traditionen des Hauses wahrgenommen?

Chrobog: Nun gut, wir waren ja alle geschichtsbewusst und kannten natürlich auch die deutsche Geschichte, auch soweit das Auswärtige Amt betroffen war, aber es war nie Thema. Ich bin 1972 in dieses Auswärtige Amt hineingekommen, es hatte den Ruf, doch elitär zu sein in gewisser Hinsicht, es war auch ein sehr anspruchsvolles Unterfangen, überhaupt sich zu bewerben, 2000 Bewerber für 40 Plätze, so war es bei mir in meinem Jahr, so ist es ja auch heute immer noch. Und es war schon eine Auszeichnung, wenn man es schaffte und Mitglied war.

Interessanterweise, als ich eintrat, 1972, erschien gerade am Tage meines Eintritts ein "Spiegel"-Artikel, der stellte fest, dass die Assimilationskraft des Auswärtigen Amtes nur noch der des Elitenorden entspräche, dass Minister im Grunde eingemeindet würden durch den Apparat in sehr kurzer Zeit. Da ist auch was dran.

Das Auswärtige Amt ist eine festgefügte Installation mit sehr hervorragend ausgebildeten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, und da hat es auch ein Minister schwer, das aufzubrechen. Genscher hat das geschafft in seinen vielen Jahren, aber dennoch: Das Auswärtige Amt ist schon eine sehr festgefügte Einheit, auch mit sehr viel Korpsgeist.

Timm: Was zeichnet den genau diesen viel beschworenen Korpsgeist im Auswärtigen Amt aus?

Chrobog: Zunächst einmal faktisch: Wir treten ja jahrgangsweise zum selben Zeitpunkt ein, wir durchlaufen gemeinsam eine Ausbildung, sitzen gemeinsam in der Ausbildungsstätte, wohnen dort auch meistens gemeinsam. Daraus entwickelt sich dann schon ein gewisses Netzwerk, so wie es heute übrigens auch an amerikanischen Universitäten haben, auch in deutschen häufiger, dass Leute, die lange Zeit zusammen sind, zusammen studieren, zusammen arbeiten, dann natürlich ein gewisses Netzwerk bilden, was auch durchs Leben trägt.

Dies ist auch gerade im Auswärtigen Amt wichtig, zumal man in diesem Beruf ja auch weiß, man ist aufeinander angewiesen, denn das Auswärtige Amt ist ja nicht nur eine wundervolle Institution, wo man arbeiten kann, natürlich auch ein Ministerium, wo sehr viel hard suppose gibt, also sehr viele Probleme, die die Familien tragen müssen, jemand im Ausland tragen müssen, hier ist man angewiesen auf die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen.

Timm: Diplomaten werden ja auch alle paar Jahre versetzt. Ihre berufliche Familie kann da nichts anderes sein als das Auswärtige Amt, weil es sozusagen der Anker ist, auf den man sich immer wieder neu bezieht. Das haben Sie uns eben ja auch so beschrieben. Inwiefern prägt das den Korpsgeist und das Elitebewusstsein mit, etwas Besonderes, aber auch etwas hermetisch Abgeriegeltes zu sein?

Chrobog: Also hermetisch abgeriegelt würde ich nicht sagen, etwas Besonderes, ich weiß es nicht. In meiner Zeit, als ich eintrat, hat man eigentlich versucht, eher ein bisschen sich in die Richtung zu bewegen, dass dieses Elitäre abgebaut wurde. Zum Beispiel waren früher viele Adelige im Auswärtigen Amt, die gab es in meiner Zeit schon nicht mehr. Es gab fast nur Juristen, als ich anfing, oder mehrheitlich Juristen. Auch die gibt es heute nicht mehr, die sind in der Minderheit sogar. Also hier sind Strukturen aufgebrochen worden, die auch das Bild und Selbstbild der Beamten völlig verändert hat.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", im Gespräch mit Jürgen Chrobog über Korpsgeist und Elitedenken im Auswärtigen Amt. Herr Chrobog, ein Diplomat gehört zur Elite seines Landes, muss er ja auch, wenn er nach außen und nach innen vermitteln soll. Das ist gar kein negativer Begriff in diesem Zusammenhang. Aber wie bildet sich die Haltung eines Diplomaten zu seiner Rolle, die Haltung auch zur jeweiligen Regierung, die ja auch bedeuten kann: Ich muss als guter Diplomat meinem Vorgesetzen auch mal widersprechen, um ihm etwas zu vermitteln, um eventuell Schaden vom Land abzuwenden. Das muss ja gar nicht so ein Riesenthema sein wie in der Nazizeit. Ein Diplomat kann ja nicht nur das geschmeidige Scharnier sein, zur Aufgabe gehört ja eventuell auch Widerspruch.

Chrobog: Diesen Widerspruch können Sie auch jeweils anmelden. Es ist ein Klischee zu glauben, im Auswärtigen Amt sei man einfach gebunden an Weisungen und dürfe diese Weisungen auch nicht verlassen. Ich habe viele Jahre für Hans-Dietrich Genscher gearbeitet, es hat gekracht zwischen uns, wir haben uns angebrüllt manchmal. Ich habe gekündigt, er hat mich entlassen zwischendurch, aber immer nur für ganz kurze Zeit, für wenige Minuten. Wir haben uns gestritten. Die Streitkultur ist durchaus akzeptiert im Auswärtigen Amt, bloß wir lernen vielleicht, etwas geschmeidiger zu streiten als andere. Wir haben ein gewisses diplomatisches Gespür, was wir ja auch im Ausland brauchen. Auch dort können wir nicht streiten, sondern wir müssen verbindlich Widerspruch anmelden, und das können Sie auch im Auswärtigen Amt.

Timm: Ich möchte noch mal zurück zu diesem deutlich dunkleren Kapitel, was wir in dieser Woche beleuchten. Avi Primor, der frühere israelische Botschafter in Deutschland, der seine gesamte Familie im Holocaust verlor, der hat in einer für mich sehr bewegenden Reaktion auf diese Studie gefordert, man solle als Lehre daraus ziehen, dass Diplomaten mehr Zivilcourage haben sollten als Soldaten und Beamte.

Chrobog: Das kann ich nur unterstreichen. Ich halte es für vollkommen richtig, und im Übrigen, Widerspruch anzumelden und Widerspruch zu zeigen, ist ja heute relativ gefahrlos. Kann die Karriere schädigen bestenfalls, oder schlimmstenfalls, aber Widerspruch ist durchaus zulässig, ist akzeptiert und auch sehr leicht anzumelden in einer Demokratie wie Deutschland.

Timm: Erzählen Sie uns mal, wie Sie es erlebt haben, dass Sie als Diplomat sagen mussten, wir schaden uns selbst, wenn wir uns in dieser Weise verhalten? Was haben Sie da konkret zum Beispiel erlebt?

Chrobog: Ich habe natürlich auch gerade in meiner sehr engen Beziehung zu Hans-Dietrich Genscher Widerspruch angemeldet in Fragen, wo ich meinte, er lag falsch, und wir haben darüber gestritten, das ist immer möglich.

Timm: Nennen Sie uns eine.

Chrobog: Nein, das will ich jetzt nicht tun. Es gab einige Konflikte, auch gerade innenpolitischer Art, auch im Zusammenhang mit den Vereinigungsverhandlungen hat es immer natürlich Überlegungen und kritische Anmerkungen gegeben. Aber wir haben uns ja immer geeinigt letzten Endes, und er gibt natürlich die Weisung letzten Endes, er ist der politisch Verantwortliche.

Timm: Gehört das zum Berufsbild eines Diplomaten, dass man im Zweifelsfall dann solchen Konflikt öffentlich nicht benennt?

Chrobog: Wissen Sie, es geht da um die Frage: Was ist der Konflikt? Wenn dieser Konflikt wirklich eine Verletzung von Menschenrechten und ganz tief gehenden moralischen Fragen angeht, dann muss man stehen und sagen, hier kann ich nicht weiter und hier mache ich auch nicht mehr mit. Diese Frage hat sich für mich nie gestellt, konnte sich auch nicht stellen in einem System, in dem ich das Glück hatte, tätig zu sein.

Timm: Wenn Sie junge Diplomaten ausbilden sollten – Bundesaußenminister Westerwelle will diese Studie ja umgehend zum Gegenstand der Diplomatenausbildung machen –, welche Aspekte wären Ihnen daraus besonders wichtig?

Chrobog: Ich glaube, es passt sich ein in die allgemeine Menschenrechtsdiskussion, die wir führen. Die Fragen der Menschenrechte sind ja auch ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung der Jungdiplomaten. Und damit auch die eigene Vergangenheit einzuspielen und mitzuteilen und zu erklären, was damals falsch gelaufen ist, zu warnen, dass diese Entwicklungen nicht sich wiederholen dürfen, und vor allem deutlich zu machen, dass Widerspruch nicht nur wichtig ist, sondern auch verlangt wird letzten Endes, wenn es in kritischen Fragen notwendig ist, das halte ich für wichtig.

Timm: Hat man das bislang zu wenig gemacht?

Chrobog: Ich weiß es nicht, also wir haben natürlich uns auch mit der Geschichte befasst in meiner Ausbildung damals. Wir haben Andreas Hillgruber mal gehabt, den Professor, der über die Diskontinuität deutscher Außenpolitik seit Bismarck bis Hitler ein Buch geschrieben hatte. Wir haben uns schon damit befasst, aber nicht spezifisch mit diesen Dingen, wie es jetzt diese Studie in der Tat wohl notwendig machen würde.

Timm: Für mich ist das ein bezeichnendes Detail, dass ausgerechnet Joschka Fischer als jemand, der in seiner Jugend sehr, sehr als Achtundsechziger gekämpft hat um Aufklärung im Dritten Reich, um eine Haltung zu der Elterngeneration des Dritten Reiches, dass der jetzt als Außenminister diese Studie begleitet hat, in Auftrag gegeben hat. Ist das sozusagen ein später gesellschaftlicher Erfolg der Ära Fischer, dass hier das jetzt in unsere Gesellschaft weitergetragen wird?

Chrobog: Es ist eine Frage der Generation, würde ich sagen. Meine Generation, vielleicht auch Fischers Generation, so viel jünger ist er ja auch nicht, hat sich auch in der Jugend nicht damit auseinandergesetzt, weil man auch keine Ansprechpartner bei den eigenen Familien hatte, die sich kritisch mit der Vergangenheit auseinandergesetzt haben. Das hat dann zugenommen in der späteren Zeit, in den späteren Jahren, bei Fischer ganz besonders, und er ist eben auch durch die Frage der Kriegsschuld, Verhältnis zu Israel und Menschenrechte allgemein sehr stark geprägt gewesen, und hat es dann auch zum Anlass ... diesen Anlass genutzt, um dann diesen Schritt zu machen, und ich fand, da war er sehr, sehr gut beraten. Sicher ist es auch ein Ergebnis dieser sich verändernden Gesellschaft in Deutschland, die mit der Generation Fischer eingesetzt hat.

Timm: Jürgen Crobog, langjähriger Diplomat und Staatssekretär damals im Auswärtigen Amt, über Korpsgeist und Elitedenken im Auswärtigen Amt, Anlass natürlich die Studie, die die Verstrickungen der Diplomaten im Dritten Reich belegt und aufzeigt. Vielen herzlichen Dank fürs Gespräch!

Chrobog: Bitte!