Wettbewerb im Schienenverkehr

Trennung von Netz und Betrieb "nicht das zentrale Problem"

Luftaufnahme mehrerer roter Regionalzüge der Deutschen Bahn.
Kaum Wettbewerb im Schienenverkehr - weil die Regierung sich nicht an die Vorgaben des Koalitionsvertrages hält, meint Dirk Flege © dpa / Jens Wolf
Dirk Flege im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 23.07.2015
Eine Trennung von Netz und Betrieb fordert die Monopolkommission in einem Gutachten. Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene widerspricht: Schuld an zu wenig Wettbewerb hätten falsche Signale aus der Politik und nicht die Bahn.
Die von der Monopolkommission geforderte Trennung von Netz und Betrieb bei der Bahn geht nach Ansicht von Dirk Flege, Geschäftsführer des Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene, am eigentlichen Problem vorbei.
Die Regierung praktiziert die versprochene Pro-Schiene-Politik nicht
Dem Geschäftsführer der Allianz pro Schiene zufolge liegt die Schuld für den fehlenden Wettbewerb im Eisenbahnverkehr bei der Bundesregierung und nicht bei der Bahn. Dem Koalitionsvertrag zufolge solle der Marktanteil des Schienenverkehrs insgesamt erhöht werden. Die Politik sende jedoch ständig anderslautende Signale aus, die auf das Billiger-Machen des Straßengüter- und Straßenpersonenverkehrs abzielten, zum Beispiel indem der Bundesverkehrsminister ankündige, die Gigaliner-Versuche auszuweiten. Unter diesen Voraussetzungen sei keine Investitionsbereitschaft im Markt da.
"Dann haben die Güterbahnen und auch die Nahverkehrsbahnen es preislich viel, viel schwerer, Marktanteile zu gewinnen, als eben mit einer tatsächlichen Pro-Schiene-Politik, die die Bundesregierung ja versprochen hat, aber leider seit Beginn der Legislaturperiode nicht oder kaum praktiziert. "

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Die Bahn behindert den Wettbewerb auf der Schiene, denn ihr beziehungsweise Bahnunterfirmen gehört immer noch die Grundlage des Ganzen, das Netz, die Schienen also. Das sagt die Monopolkommission, nicht zum ersten Mal übrigens, aber wieder, in einem Sondergutachten. Konkurrenten der Bahn, oder wie es auch manchmal so schön heißt, Mitbewerber, die kämen deshalb gar nicht zum Zuge. Und, auch das absurd, die Bahn greift ja nicht nur in den Wettbewerb um die Schiene ein, sondern auch um die Straße, denn sie unterhält ja auch Busunternehmen und macht sich quasi selbst Konkurrenz. Ob die Bahn den Wettbewerb behindert und was das bedeutet, darüber wollen wir jetzt mit Dirk Flege sprechen. Er ist Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, nicht zu verwechseln mit der Fahrgastorganisation Pro Bahn. Die Allianz pro Schiene ist nämlich eine Lobbyorganisation, in der sich Non-Profit-Organisationen und Wirtschaftsunternehmen verbunden haben, ist eine ziemlich einmalige Sache, und zwar mit dem Ziel, den Anteil des Verkehrs auf der Schiene zu erhöhen. Guten Morgen, Herr Flege!
Dirk Flege: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
Investitionsunsicherheit bremst Wettbewerb
von Billerbeck: Der Vorwurf der Monopolkommission ist nicht neu, aber inwieweit wäre denn eine Zerschlagung der Bahn oder, nüchterner betrachtet, eine Trennung der Bereiche Verkehr und Schienennetz gut, um den Wettbewerb zu stärken?
Flege: Ich glaube nicht, dass die jetzige Struktur das Hauptproblem der Eisenbahn in Deutschland ist, die jetzige Struktur der Deutschen Bahn. Die Monopolkommission spricht selber davon, dass ein zentrales Problem des Wettbewerbs auf der Schiene die Fahrzeugfinanzierung und Fahrzeugbeschaffung ist. Und dieses Problem bekommen Sie nicht aus der Welt, wenn Sie Netz und Betrieb bei der Deutschen Bahn AG trennen. Das sind ganz andere Gründe, die da wirken und den Wettbewerb auf der Schiene bremsen.
von Billerbeck: Was müsste denn geschehen, um den Wettbewerb offener zu gestalten?
Flege: Na ja, in erster Linie ist das, wenn man im Schienenpersonennahverkehr jetzt unterwegs ist, ist das in erster Linie die Investitionssicherheit. Der Bund hat in seiner Koalitionsvereinbarung versprochen, dass er bis zum Ende vergangenen Jahres die sogenannten Regionalisierungsmittel neu regelt. Das ist das Geld, das der Bund den Ländern zur Verfügung stellt, damit sie den Schienenpersonennahverkehr bestellen können. Das ist bis heute nicht geschehen, Länder und Bund streiten immer noch heftig um diese Mittel.
Und wenn Sie sich vor Augen halten, dass die Länder Verkehrsverträge mit den Eisenbahnen abschließen, die in der Regel eine Laufzeit von 15 Jahren haben, dann können Sie sich vorstellen, wie groß die Investitionsunsicherheit im Markt ist. Das heißt, kein privates Eisenbahnunternehmen weiß jetzt, wie sich der Markt in den nächsten Jahren entwickelt angesichts der ungeklärten Finanzierungsfrage bei den Regionalisierungsmitteln, und das ist natürlich eine Riesenbremse für Fahrzeugbeschaffung und -investitionen, und das ist auch der Hauptgrund dafür, warum wir mittlerweile im Schienenpersonennahverkehr weitestgehend einen Wettbewerb der Staatsbahnen unter sich haben und gar nicht mehr so viele private Anbieter überhaupt im Markt sind.
Gute Kundenzufriedenheit bei den Bahn-Wettbewerbern
von Billerbeck: Trotzdem, wenn man über Wettbewerb redet, muss man ja auch über die Wettbewerber reden. Wenn wir das mal beiseite legen, was Sie da eben aufgeführt haben, dass es eben so schwierig ist mit den Investitionen – wie gut sind denn die Konkurrenten der Bahn?
Flege: Die Konkurrenten der Bahn sind oft sehr dienstleistungsorientiert, weil sie eben neues Personal haben, Verkehrsverträge frisch gewonnen haben. Dann ist oft Aufbruchsstimmung. Oft sind ja auch Verkehrsverträge mit der Fahrzeugbeschaffung verbunden, das heißt, die Bundesländer erlegen denjenigen, die den Vertrag gewinnen, auf, dass sie neue Fahrzeuge zu beschaffen haben. Und auch da ist natürlich ein kausaler Zusammenhang zwischen Kundenzufriedenheit und neuen Fahrzeugen. Die haben in der Regel ganz gute Kundenzufriedenheitswerte.
von Billerbeck: Trotzdem ist es ja auch oft so, selbst wenn man dann in schönen Wagen, schönen neuen Wagen sitzt und im Nahverkehr unterwegs ist oder möglicherweise größere Fahrradabteile hat, das finde ich auch immer sehr nett, mehr Wettbewerb bedeutet ja automatisch nicht nur was Positives. Der heißt ja auch oft, dass da der Billiganbieter zum Zuge kommt und möglicherweise auch schlechte Arbeitsbedingungen für die Angestellten da sind. Das kann uns doch nicht gefallen.
Flege: In der Tat. Ich meine, wir erleben das ja gerade in der Fernbusbranche, da sind die Arbeitsbedingungen ja wahrlich auch nicht zum Besten bestellt. Und das Verkehrsangebot ist sehr billig. Und bei den Eisenbahnen haben wir natürlich auch das Problem, wie regelt man den Betriebsübergang, wenn das Personal vorher bei der Deutschen Bahn AG gearbeitet hat und dann ein großer Verkehrsvertrag von einem Wettbewerber gewonnen wird, können die zu den gleichen Konditionen weiterarbeiten bei dem neuen Wettbewerber? Werden die neu angestellt zu anderen, vielleicht für sie ungünstigeren Konditionen? Das sind alles Themen, mit denen muss sich die Politik beschäftigen. Tut sie auch, ist gerade Gegenstand der Diskussion auf Bundesebene, wie man das genau gestalten soll.
Falsches Signal: Politik will den Straßengüterverkehr billiger machen
Es gibt auch Tariftreuegesetze in den meisten Bundesländern. Also das sind alles Themen, in der Tat gehören die mit dem Wettbewerb untrennbar zusammen, mit dem Wettbewerb auf der Schiene. Und natürlich sollte dieser Wettbewerb auch nicht zulasten des Fahrgastes gehen, wenn es um den Ticketkauf oder um die Information geht. Da ist auch noch Handlungsbedarf in der Politik, insbesondere jetzt auch im Fernverkehr. Wenn Sie in Köln mal schauen, der Thalys, das ist ja nun die Fernverkehrsgesellschaft, die grenzüberschreitend von Deutschland nach Belgien und Paris fährt. Die verkaufen ihre Fahrkarten auf dem Bahnhofsvorplatz und nicht im Bahnhofsgebäude. Das ist sicherlich aus der Kundenperspektive auch nicht optimal. Da möchte man schon kurze Wege haben und ein einheitliches Informations- und Buchungssystem.
von Billerbeck: Nun hat die Monopolkommission aber ausdrücklich die Bahn kritisiert, sie behindere den Wettbewerb. Wenn ich Ihnen zuhöre, dann kritisieren Sie vor allen Dingen die Politik, oder ist der falsch, der Eindruck?
Flege: Ja, die Monopolkommission ist ja seit Jahren unterwegs und fordert die Trennung von Netz und Betrieb. Ich glaube, das ist nicht das zentrale Problem des Schienenverkehr in Deutschland. Wettbewerb ist ja immer nur Mittel zum Zweck. Und der Zweck, den wir hier in Deutschland seit Jahren versuchen zu verfolgen, ist ja die Marktanteilssteigerung des Schienenverkehrs. So steht es auch in der aktuellen Koalitionsvereinbarung. Und da sind solche Themen wie Regionalisierungsmittel im Nahverkehr wichtiger für den Wettbewerb auf der Schiene als die Trennung von Netz und Betrieb, die überhaupt nicht hilft bei der Fahrzeugfinanzierung, und da sind auch solche Themen wie gestern, der Bundesverkehrsminister, der jetzt die Ausweitung dieser Gigaliner-Versuche ankündigt, wichtiger für den Wettbewerb im Schienengüterverkehr, wichtiger als die Trennung von Netz und Betrieb.
Wenn die Politik ständig anders lautende Signale von sich gibt, als sie in ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen hat, nämlich das Billigermachen des Straßengüterverkehrs und das Billigermachen des Straßenpersonenverkehrs, dann ist keine Investitionsbereitschaft im Markt da, dann haben die Güterbahnen und auch die Nahverkehrsbahnen es preislich viel, viel schwerer, Marktanteile zu gewinnen als eben mit einer tatsächlichen Pro-Schiene-Politik, die die Bundesregierung ja versprochen hat, aber leider seit Beginn der Legislaturperiode nicht oder kaum praktiziert.
von Billerbeck: Dirk Flege mit seinen Ansichten. Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. Danke Ihnen für das Gespräch!
Flege: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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