Weshalb ich ein Dichter bin

Rezensiert von Katharina Döbler · 15.12.2005
Diese Aufsatzsammlung des Büchner-Preisträgers Durs Grünbein ist ein Buch mit allem, was in einem regen Dichterleben so nebenbei an Geschriebenem anfällt - in Zweit- oder gar Drittverwertung. Hier wird gewürdigt, demonstriert, gepriesen. Und es gehört einiges dazu, sich selbst in einem Atemzug mit Goethe, Nietzsche und Kafka zu nennen.
Als "Aufsätze" ist der Inhalt dieses Buches bezeichnet, aber eigentlich ist es eine Sammlung von Reden, Zeitungsartikeln, Vorträgen, Nachworten, Zeitschriften- Lexikon-, Katalog- und Buchbeiträgen. Sogar der Versuch einer Reportage ist dabei. Naturgemäß haben all diese 30 Texte bereits das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Nur der 31. ("Moskauer Menagerie") ist neu und in seiner impressionistischen Manier vielleicht nicht so leicht publizierbar gewesen. Wir haben hier also ein Buch mit allem, was in einem regen Dichterleben so nebenbei an Geschriebenem anfällt, in Zweit- oder gar Drittverwertung.

Auffallend ist, dass - fast - alle Texte der Präsentation oder einer Form der Repräsentation dienen. Hier wird gewürdigt, demonstriert, gepriesen. Eine Festrede, ebenso wie ein Nachwort, hat nicht kritisch zu sein, sondern affirmativ. Und dies kommt dem von Grünbein in seinem ganzen Werk grundsätzlich gepflogenen Gestus entgegen: Er sieht sich als Erbe der abendländischen Kultur, und seine Überlegungen zu diesem Thema sind nicht eigentlich kulturkritisch, sondern zielen eher darauf ab, sich dieser Tradition als Dichter und Denker würdig zu erweisen.

Ein solcher Ansatz hat – Jahrzehnte nach Frankfurter Schule und Kritischer Theorie - etwas Befremdliches, da er sowohl ungebrochene Akzeptanz des Vorgefundenen wie einen gewissen Ehrgeiz voraussetzt. Es gehört schließlich einiges dazu, sich selbst in einem Atemzug mit Goethe, Nietzsche und Kafka zu nennen und den Wunsch nach Unsterblichkeit zur Triebfeder des eigenen Schaffens zu erklären, wie es Grünbein in dem Vortrag "Warum schriftlos leben" tut.

Dieser Text – er stammt aus dem Jahr 1999 und wurde in einem gleichnamigen Suhrkamp-Band schon einmal abgedruckt – ist ein dichterisches Selbstzeugnis erster Güte, abgefasst in typisch Grünbeinscher Manier mit altfränkischem Sprachduktus, Unmengen von Zitaten und postmoderner Metaphorik. Eigentlich sollte über diesem Text der Titel stehen: Weshalb ich ein Dichter bin.

Hier, wie auch häufig bei Grünbeins Gedichten, stellt man sich die Frage, wie so viel kreative Intelligenz sich mit solch braver Musterschülerhaftigkeit zufrieden geben kann. Beantworten kann auch dieses Buch sie nicht. Aber es liefert, wenn man die so unterschiedlichen Texte von ebenso unterschiedlicher Qualität zusammen betrachtet, einige Hinweise.

Grünbeins scheinbar hemmungslose Identifikation mit der Tradition hat nämlich klare Grenzen: Sein liebevolles Porträt von Heiner Müller ist voller Bewunderung für dessen Freiheit des Geistes und dichterische Kühnheit; sein Festartikel zu Bert Brechts 100. Geburtstag enthüllt ebenfalls Respekt, der aber sehr durchsetzt ist mit Widerwillen und Irritation. Und beide Texte besitzen eine bei Grünbein ungewöhnliche emotionale Temperatur. Hier, merkt man, verläuft die Grenze, an diesen beiden Wahrzeichen der DDR-Kultur kann und will er sich nicht messen.

Er hat sich das sichere Terrain der Altphilologie und des literarischen Postklassizismus mit Bedacht gewählt.

Durs Grünbein,
Antike Dispositionen. Aufsätze
Suhrkamp, Frankfurt 2005 405 S. 24,80 €