Werte-Debatte

Tue Gutes und entscheide Dich!

Einkaufswagen in einem Supermarkt
Die Bandbreite der Bio-Lebensmittel in gewöhnlichen Supermärkten ist mittlerweile enorm, doch viele Produkte sind importiert. © picture alliance / dpa
Von Wolfgang Ullrich · 24.03.2016
Geschickte Werbung unterstellt jedem Einkauf einen besonderen "Wert". Doch der Medientheoretiker Wolfgang Ullrich hält das für oberflächlich. Für Werte könne man sich nicht so einfach entscheiden wie für Produkte.
Wann standen Sie das letzte Mal in einem Supermarkt und wussten nicht, für welche der vielen Varianten eines Produkttyps Sie sich entscheiden sollten? Vielleicht ging es um so Alltägliches wie Nudeln oder Tee.
Da gibt es mittlerweile Sorten, die "sicheren Halt", "innere Freiheit" oder "lange Freundschaft" versprechen; einmal geht es um Entgiftung, ein anderes Mal ist sogar von Glück die Rede. Aber vielleicht wählt man doch einen Tee mit dem Slogan "Hier zählt das Wir". Das klingt ähnlich wie die SPD-Parole von 2013, als es hieß: "Das Wir entscheidet".

Konsum entscheidet über Ideale

Heute stehen also nicht mehr nur Parteien für bestimmte Ideale, sondern genauso Konsumprodukte. Aber auch die neuerdings so beliebten Wertediskussionen gäbe es nicht in der Form, würde man nicht schon bei fast jedem Einkauf einüben, zwischen verschiedenen Werten zu wählen.
Ist die eigene Gesundheit wichtiger oder Solidarität mit der Natur, den Arbeitern, der Dritten Welt? Ist Sicherheit ein höherer Wert als Freiheit – oder umgekehrt? Man kann solche Fragen nicht nur, nein, man muss sie immer wieder beantworten, außer man läuft blind durch die Läden oder kauft seit zwanzig Jahren grundsätzlich immer dasselbe.
Vielen aber gefällt es, beim Einkaufen vor Wertefragen gestellt zu werden. Immerhin geht es dann um die großen Themen des Lebens. Vor allem jedoch macht es Spaß, sich für einen Wert zu entscheiden, zumal wenn er so schön in Szene gesetzt wird wie auf einer Produktverpackung.

Marketing schmeichelt mit Klimarettung

Man hat das Gefühl, etwas Gutes zu tun. Und kommt es nicht sogar einem Bekenntnis gleich, Geld für einen bestimmten Wert auszugeben? Umso mehr darf man von sich selbst beeindruckt sein. Das Marketing versteht es meisterhaft, bei Konsumenten den schmeichelhaften Eindruck zu erwecken, sie setzten sich dauernd für Ideale ein und seien deshalb verantwortungsvolle Zeitgenossen.
Manchmal steigert sich dieser Eindruck noch, weil die Unternehmen mit einem Teil ihrer Einnahmen Projekte zur Klimarettung oder Armutsbekämpfung unterstützen. Kunden dieser Unternehmen dürfen sich nicht nur im Besitz einer guten Gesinnung, sondern geradezu als politische Aktivisten fühlen, die die Welt mit ihrem Einkauf ein klein wenig verbessern.
Entsprechend gerne tauschen sich die Menschen auch jenseits der 'Points of Sale' über Werte aus und wollen von anderen, zurzeit am liebsten von Flüchtlingen, Bekenntnishaftes hören. Waren Diskussionen über Ideologien oder Weltanschauungen oft anstrengend und fruchtlos, weil so vieles auf einmal zu bedenken war und eine Entscheidung in einer Frage andere Entscheidungen zwingend nach sich zog, sind Debatten über Werte leichter.

Werte sind nicht wie Waren handelbar

Man muss sich nie wirklich festlegen, sondern kann in einer Situation für einen Wert plädieren, in einer anderen aber einen anderen noch wichtiger finden. Und darf man im Zweifel nicht sogar für zwei ganz unterschiedliche Werte sein – so wie man doch auch mehrere Tees gleichzeitig kaufen kann?
Spätestens hier zeigt sich jedoch, was für falsche Vorstellungen entstehen, wenn man Werte wie Waren betrachtet. Denn sobald es darum geht, nach Werten zu handeln, kommen, da Handlungen Konsequenzen haben, immer auch andere Werte ins Spiel. Da Handlungen zudem unumkehrbar sind, haben Entscheidungen definitiven Charakter.
Vor allem aber kann man als Einzelner nicht zugleich so und ganz anders handeln. Werte zu isolieren und zu konfektionieren, bedeutet also, ethische Fragen grob zu vereinfachen und zu verharmlosen. Es suggeriert Freiheiten, die im Supermarkt existieren mögen, sonst jedoch nirgends.

Wolfgang Ullrich, geboren 1967, war von 2006 bis 2015 Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung. Er legte seine Professur nieder, um als freier Autor und Wissenschaftler zu arbeiten. Er publiziert zu Geschichte und Theorie des Kunstbegriffs, zeitgenössischen Bildwelten und Konsumtheorie. Ullrich lebt in Leipzig.

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