Wer schön ist, hat es einfacher im Leben!

Rezensiert von Kim Kindermann · 29.06.2006
Eine gut aussehende Bedienung bekommt mehr Trinkgeld. Eine attraktive Schülerin hat bei der Bewerbung bessere Chancen. Gut aussehende Mitarbeiter verdienen im Durchschnitt mehr. Hübsche Babys werden öfter gestreichelt. Dieses nüchterne Resümee zieht Ulrich Renz in seinem Buch "Schönheit. Eine Wissenschaft für sich".
Eine Telefonzelle im Flughafen Detroit. Unbesetzt. Doch wer immer sie betritt, stößt auf die vergessenen Bewerbungsunterlagen einer jungen Frau um einen Studienplatz im Fach Psychologie. Die Bewerbungsunterlagen sind komplett samt Passbild. Sogar ein frankierter Briefumschlag liegt bei. Obendrauf klebt die schriftliche Bitte: Lieber Papa, (...) bitte denk daran, die Bewerbung noch vor Deinem Flug wegzuschicken. Deine Linda.

Über 500 Passanten finden eine solche herrenlose Bewerbungsmappe, öffnen sie, lesen den dazugehörigen Brief der Tochter an den Vater, schauen das Passbild an - das immer ein anderes ist – und müssen entscheiden, ob sie die Bewerbung wegschicken oder nicht? Was keiner von ihnen ahnt: Sie nehmen teil an einem Attraktivitätsforschungsversuch. Einem Versuch, der klären soll: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Attraktivität der Bewerberin und der Rücklaufquote? Und ja, es gibt einen. Je schöner das Gesicht auf dem Passfoto, desto häufiger wurde die Bewerbungsmappe abgeschickt.

Der Versuch des amerikanischen Sozialpsychologen Richard Lerner ist nur einer unter vielen, die Ulrich Renz in seinem überaus lesenswerten Buch "Schönheit. Eine Wissenschaft für sich" vorstellt. Ein Buch, das auf seinen über 347 Seiten versucht, das Geheimnis der Schönheit zu ergründen. Was macht echte Schönheit aus? Warum gibt es sie überhaupt? Und weshalb ist Schönheit in unserer Gesellschaft so wichtig?

Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen hat der Autor, der Arzt und Wissenschaftsjournalist zugleich ist, akribisch alles Wissenswertes rund um das Thema Schönheit zusammengetragen. Er hat Biologen befragt, Sozialpsychologen gesprochen und Ethnologen und Sprachwissenschaftler interviewt. Er hat sich durch den Dschungel der Schönheitsforschung gearbeitet, die Schönheitsideale verschiedener Epochen untersucht und die unterschiedlichen Moden analysiert.

Doch egal, welchen Weg Ulrich Renz gewählt hat, egal welche Untersuchung, Studie oder Befragung er zu Rate gezogen hat, das Ergebnis ist immer dasselbe: Wer schön ist, hat es einfacher im Leben! Und zwar von Anfang an. Hübschere Babys und Kleinkinder werden häufiger angelächelt und liebkost als die weniger schönen. Sie haben auch später mehr Freunde, bekommen in der Schule bessere Noten und sind bei Bewerbungen erfolgreicher. Als Erwerbstätige verdienen sie mehr Geld. Darüber hinaus wird schönen, attraktiven Menschen eher geholfen als unansehnlichen. Wie überhaupt ihnen insgesamt auch weniger Böses zugetraut wird. Das geht sogar so weit, dass hübsche Zeitgenossen vor Gericht eher freigesprochen werden als ihre unhübschen Mitmenschen und wenn sie doch verurteilt werden, dann zu geringeren Strafen.

Kein Wunder also, dass Schönheit das wichtigste Kriterium bei der Partnerwahl ist. (Auch wenn das so niemand zugeben würde.) "Schönheit ist ein Skandal", fasst Ulrich Renz die Ergebnisse seines 347-seitigen Buches zusammen. "Sie ist ein Affront gegen einen unserer heiligsten Werte, dass alle Menschen mit den gleichen Werten ins Leben starten."

Und dennoch: Wir alle - ausnahmslos - erliegen ihr. Menschenkenntnis, Vernunft und Kritikfähigkeit kommen uns kurzfristig abhanden, wenn wir einem schönen Gesicht begegnen. Da hilft auch der Einwand wenig, dass Schönheit relativ sei und immer im Auge des Betrachters liege. Denn Ulrich Renz zeigt mit seiner messerscharfen Analyse: Das stimmt nicht! Schönheit ist ein Fakt. Sie lässt sich messen und bewerten. Versuche, deren Ergebnisse man in diesem Buch schwarz auf weiß nachlesen kann, beweisen: Überall werden dieselben Gesichter als attraktiv wahrgenommen.

Und zwar immer dann, wenn die Haut makellos scheint, eine gewisse Symmetrie gegeben ist und die Augen groß und die Lippen voll sind. Bei Männern sind außerdem hervortretende Wangenknochen der Attraktivität besonders zuträglich. Natürlich gibt es aufgrund unserer Prägung feine Unterschiede, so bevorzugt der eine dunkel, der andere helle Haare, doch die grobe Richtung in der Bewertung von Schönheit ist immer dieselbe.

Aber Achtung: Wer dies nun als Anleitung zur perfekten Schönheitsrezeptur verstanden wissen will, liegt falsch. Denn trotz zahlreicher Untersuchungen ist bis heute unklar, in welcher Konstellation diese Kriterien gemischt sein müssen, um ein Gesicht schön zu machen. (Eine Erkenntnis, die manchem wehtun mag. Wünschen sich doch viele das perfekte Gesicht und scheuen daher auch vor einer Schönheitsoperation nicht zurück.)

Doch wäre das Buch von Ulrich Renz nicht das, was es ist, würde sich der Autor einzig an die simple Beschreibung wahrer Schönheit halten. Der Autor nimmt uns vielmehr mit auf einen gelungenen Streifzug durch die Evolutionsbiologie und die Hirnforschung. Atemlos lesen wir etwa von den positiven Auswirkungen, die der Anblick von Schönheit auf unser Belohnungssystem im Gehirn nimmt. Lernen die Gute-Gene-Hypothese kennen, laut derer Schönheit automatisch in unserem Kopf für bessere Gene steht und daher bevorzugt wird.

Darüber hinaus erfährt der/die Leser/in Einzelheiten über die unterschiedlichen Schönheitsideale einzelner Epochen und Völker: Wollte man früher Frauen mit kleinem Busen und üppigen Hüften, muss es heute genau anders herum sein. Galt einst einen hohe Stirn als das Markenzeichen, ist es heute eher die volle Oberlippe, die wahre Schönheit anzeigt.

Und so lernen wir, dass Modetrends zwar immer das gängige Schönheitsideal mitgesteuert haben, sie aber nichts an der elementaren Macht geändert haben, die Schönheit über uns hat. "Wir können gar nicht anders, als in einem schönen Gesicht ein Versprechen zu sehen", wie Renz treffend schreibt.

Also was bleibt zu tun? Muss bei so viel Vorteil, den Schönheit verspricht, nicht jeder der Schönheitschirurgie anheim fallen? Nein, wie der Autor im letzten Kapitel seines faszinierenden Buches zeigt: Schöne Menschen sind trotz allem nicht unbedingt glücklicher als weniger hübsche. Denn oft sind es gerade die attraktiven Menschen, die mit ihrem Aussehen wenig zufrieden sind. Schönheit macht nur dann glücklich, wenn man sich auch selbst schön fühlt! Na also!

Ulrich Renz: Schönheit. Eine Wissenschaft für sich.
Berlin Verlag, 347 Seiten, gebunden, 19,90 Euro