Wenn's knirscht im Klangkörper

Von Christoph Kersting · 26.01.2012
Konzertbesucher erleben Orchester als gelebte Harmonie, doch was sich hinter den Kulissen und bei Proben abspielt, wissen nur Insider. Denn Musiker üben ihren Beruf unter immensem und stetigem Druck von außen aus. Mit solchen Konflikten beschäftigt sich Angelika Kutz, eine Mediatorin.
Ein Montag Nachmittag in einem Seminarraum der Uni Hannover. Angelika Kutz bereitet sich auf eine Mediationssitzung vor. Zur Entspannung hat sie ihre Geige mitgebracht und probt: eine Sequenz aus der 2. Sinfonie von Rachmaninov.

Denn die Mediatorin beschäftigt sich nicht nur theoretisch und während der Arbeit mit Musik und Musikern. Angelika Kutz kennt das Innenleben von Orchestern auch aus eigener langjähriger Erfahrung als Geigerin. Letztlich sei es dieses Hobby gewesen, das sie später zur Orchestermediation gebracht habe, erzählt die 41-Jährige mit den dunklen, streng nach hinten gekämmten Haaren auf einer uninahen Parkbank.

"Ich habe angefangen Orchester zu spielen, als ich zehn war ungefähr und spiele auch seitdem kontinuierlich bis jetzt. Und mich haben damals eigentlich schon diese Sticheleien unheimlich irritiert, da fielen zum Teil sehr, sehr unschöne Kommentare,es wurden komische Gesten gemacht, Grimassen gezogen, wenn Einsätze verpasst wurden. Mich hat's einerseits irritiert, mich hat es aber auch sehr gestört. Und zwar hat es mich deswegen so gestört, weil die Leute vergessen haben, warum sie eigentlich zusammen gekommen sind: Sie sind zusammen gekommen, um schöne Musik zu machen. Und wenn sie ein Orchester haben, geht das nun mal nur mit allen."

Wie entstehen Konflikte in Gruppen? Wie kann ein Vermittler von außen da deeskalierend eingreifen? Fragen, die Angelika Kutz während ihrer Uni-Ausbildung zur Mediatorin beschäftigten. Und irgendwann habe sie dann festgestellt, dass die Prozesse und Konflikte in Unternehmen und Orchestern eigentlich die gleichen sind. Auch Musiker brächten ihre Persönlichkeit als Mensch und damit auch alle individuellen Vorlieben, Empfindlichkeiten und Stimmungen mit an ihren Arbeitsplatz, stellt die ledige Mediatorin grundsätzlich fest.

Sie selbst erinnert sich noch gut an die Proben ihres Orchesters zu einer Mahlersinfonie. Mit ihrer Geige habe sie damals direkt vor den Bläsern gesessen - der Dezibelpegel sei kaum vorstellbar und extrem belastend gewesen, sagt Angelika Kutz, die sich in der Natur und mit Fremdsprachen vom beruflichen Stress erholt. Neben ihrer Ausbildung zur Mediatorin hat sie noch Englisch und Spanisch studiert.

"Es sind ja auch viele Berufskrankheiten, die aufgrund dieser Belastungen entstehen. Und alles: Sowohl die räumliche Enge, zu heiß, zu kalt und Lärm, das erzeugt alles Stress. Es erzeugt Druck, und dann kommt noch dazu, dass sie ohnehin ein irrsinniges Arbeitspensum haben, kaum Planbarkeit. Und unter diesen Bedingungen müssen die Leute auf Punkt eine gemeinsame Leistung erbringen, immer. Es ist eigentlich Hochleistungssport."

Extremer Stress, Druck und Lärm - der ideale Nährboden für Konflikte unterschiedlicher Art. Hinzu kommt noch die Erwartungshaltung des Publikums: Druck von zwei Seiten also, sagt Mediatorin Kutz.

In Orchestern gebe es dabei durchaus spezifische Konfliktmuster, zwischen Solo- und Tutti-Parts etwa. Die Erste Geige stehe nun mal häufiger im Rampenlicht als die Bratschisten oder bestimmte Holzbläsergruppen, da entwickle sich schnell Neid oder ein Gefühl der Ungerechtigkeit. Oder es entstehen Probleme dadurch, dass Pultnachbarn sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht "riechen" können, ein aktueller Fall aus der Praxis der Mediatorin:

"Ich kriegte eine Anfrage, weil zwei Pultnachbarn sich zunehmend weniger verstanden, sich aus dem Weg gingen, kaum noch miteinander geredet haben. Es stellte sich dann in der Mediation heraus, dass für die eine Person offensichtlich es so war, dass die andere Person einen sehr strengen Körpergeruch hatte. Und dadurch, dass er diese Empfindung hatte, hat er natürlich unbewusst versucht, sich den größtmöglichen Abstand zu verschaffen irgendwie, was natürlich auf der anderen Seite, bei der zweiten Person zu dieser Irritation geführt hat und so ankam: Er ist mit meiner Person nicht einverstanden."

Mediationssitzung Kutz und zwei Medianten:
"Dann würde ich Sie jetzt im nächsten Schritt bitten sich einmal zu überlegen: Was möchten Sie, Frau Vogt, was möchten Sie, Frau Busch, hier in die Mediation einbringen, was möchten Sie miteinander besprechen?"

Um Probleme im täglichen Umgang miteinander geht es dann auch später in der Mediationssitzung mit zwei Musikerinnen im Seminarraum der Uni Hannover. Die beiden Frauen spielen tatsächlich in einem Orchester, die Situation ist allerdings nachgestellt. Eine echte Sitzung mit Mikrofon - undenkbar, dafür sei die Situation viel zu heikel und intim, sagt Angelika Kutz, die den beiden Medianten im schlichten dunklen Hosenanzug gegenüber sitzt, sachlich und kontrolliert das Gespräch führt:

"Was stört Sie? - Mich stört, dass, wenn ich spiele, dass Frau Busch sich immer wieder zu mir umdreht, das Gesicht verzieht, und ich weiß nicht warum."

Nach dem Termin greift Angelika Kutz wieder selbst zur Geige: Eine Rachmaninov-Sequenz sitzt noch nicht richtig, sagt sie. Und da ist sie genauso ehrgeizig wie als Mediatorin...