Wenn Lerche und Kiebitz nicht mehr singen

Christoph Sudfeldt im Gespräch mit Frank Meyer · 04.05.2009
Viele der Vogelarten, die bei uns heimisch sind, werden in den nächsten 50 bis 100 Jahren weiter Richtung Nordosten ziehen, glaubt der Ornithologe Christoph Sudfeldt. Das seien vor allem Vogelarten, die feuchtere und kältere Lebensräume bevorzugen. Insgesamt habe sich für Waldvögelarten die Situation in Deutschland gebessert. Bei Vögeln, die in der offenen Kulturlandschaft leben, gebe es hingegen Bestandsabnahmen. So sei in einigen Regionen Deutschlands die Feldlerche verschwunden.
Frank Meyer: Die Birdraces in Deutschland werden vom Dachverband Deutscher Avifaunisten organisiert. Das ist eine Gesellschaft von Ornithologen, die sich besonders mit dem Erfassen der Vogelbestände bei uns beschäftigt. Christoph Sudfeldt ist der Geschäftsführer der Deutschen Avifaunisten, und er ist jetzt für uns im Studio. Herr Sudfeldt, Sie haben selbst mitgemacht beim Birdrace am Wochenende - wie sieht's aus, auf welchen Platz sind Sie mit Ihrem Team gekommen?

Christoph Sudfeldt: Das können wir noch nicht ganz genau sagen, weil noch ein paar Teams nachmelden wollen, die sich bis heute Morgen noch nicht gemeldet haben, aber ich denke, es wird so um den 25. Platz sein.

Meyer: Und sind Sie zufrieden damit?

Sudfeldt: Wir sind damit sehr zufrieden. Wir haben hier in Münster ja nicht den Vorteil, den die Teams von der Küste haben, und da sind wir mit 120 bis 130 Arten im Binnenland doch sehr zufrieden.

Meyer: Wie viel Leute ziehen denn da so bundesweit los an so einem Birdrace-Tag?

Sudfeldt: Jetzt am letzten Samstag waren es insgesamt gut 500, ich glaube, etwa 530, und insgesamt etwa 130 Teams. Das ist ein neuer Rekord, das erfreut uns sehr. Wir haben das Birdrace vor sechs Jahren gestartet, damals mit 40 Teams. Und inzwischen erfreut sich dieser Event wachsender Beliebtheit.

Meyer: Und ist das ein reines Event, was so den Spaß am Vogelbeobachten fördert, oder kann man mit den Beobachtungen auch etwas anfangen in Sachen Bestandserfassung bei den Vögeln?

Sudfeldt: Also dieser Event dient erst mal dem Spaß und soll vor allem auch die Öffentlichkeit auf unsere Themen aufmerksam machen, und das ist der Vogelschutz, aber auch der Erhalt der Artenvielfalt. Und darauf ist dieser Event direkt zugeschnitten. Man kann natürlich, wenn so viel Leute unterwegs sind, hinterher schon sagen, wo es besonders viele Vogelarten in Deutschland gibt und wo es auch weniger sind. Das heißt, wir bekommen nachher quasi eine Deutschlandkarte, die uns anzeigt, wo die Hotspots der Artenvielfalt in Deutschland sind.

Meyer: Sie sind auch beschäftigt mit einer anderen Deutschlandkarte in Sachen Vögel, der Erstellung eines deutschen Brutvogelatlas, das Projekt ADEBAR. Wir haben auch gerade schon gehört, die Birdraces sollen auch dieses Projekt unterstützen. Warum ist ein solcher Atlas so wichtig, warum muss der erstellt werden?

Sudfeldt: Ja, der Atlas gibt im Prinzip die Brutverbreitung aller Vogelarten in Deutschland wieder. Wie Sie sicher auch schon erfahren haben, hat gerade die Landnutzung, der Klimawandel weitreichende Auswirkungen auf das Vorkommen oder auch das Fehlen von Vogelarten und führt zu entsprechenden Veränderungen. Und wir müssen regelmäßig wiederkehrend eine Bestandsaufnahme machen, damit wir diese Veränderungen nachzeichnen können und dann entsprechend mit Naturschutzstrategien darauf reagieren können.

Meyer: Wann gab es die letzte Bestandserfassung dieser Art?

Sudfeldt: Die wurde Mitte der 80er-Jahre herausgegeben, ist also inzwischen schon gut 25 Jahre alt, wenn der Atlas erscheinen wird. Und es wird wirklich höchste Zeit, dass wir zu einer ganz aktuellen Übersicht in Deutschland kommen.

Meyer: Und was sind die wichtigsten Veränderungen in diesen 25 Jahren?

Sudfeldt: Es hat eine ganze Reihe Arten abgenommen, einige Arten sind sogar ausgestorben, die Blauracke zum Beispiel. Einige Arten waren zwischendurch fast verschwunden, wie der Wiedehopf, er hat in den letzten Jahren wieder leicht zugenommen. Andere Arten haben vom Klimawandel insgesamt profitiert. Der sehr bunte Bienenfresser, vielleicht vielen Leuten auch bekannt, weil er gerne auch auf Fotos abgebildet wird, hat in Deutschland richtig gut Fuß gefasst, und von 10 bis 20 Brutpaaren, die wir mal irgendwann hatten, auf inzwischen über 700 Brutpaare zugenommen.

Meyer: Gibt's jetzt auch richtige Exoten, die bei uns zugewandert sind? Der Bienenfresser ist vielleicht schon Exot genug, aber gibt's noch Exotischeres?

Sudfeldt: Ja, vielleicht hat der ein oder andere in den letzten Jahren auch zum Beispiel Silberreiher in Deutschland gesehen, das sind große, weiße Reiher, ähnlich so groß wie der Graureiher, die haben inzwischen Bestände von 7000 bis 8000 Vögeln in Deutschland erreicht zu bestimmten Zeiten, allerdings fehlt immer noch der erste Brutnachweis. Und wir warten darauf, dass dieser Vogel hier auch in Deutschland zur Brut schreitet.

Meyer: Erwarten Sie denn für die nächsten Jahre noch stärkere Veränderungen in unserem Vogelbestand durch den Klimawandel?

Sudfeldt: Ja, das lässt sich schon etwa für 50 Prozent der Vogelarten prognostizieren. Viele Vogelarten, die jetzt ihr Kernverbreitungsgebiet in Mitteleuropa und damit bei uns haben, werden durch den Klimawandel in den nächsten 50 bis 100 Jahren so langsam, aber sicher Richtung Nordosten abziehen. Das sind insbesondere die Arten, die feuchtere und kältere Lebensräume bevorzugen.

Meyer: Und wenn Sie insgesamt Ihre Ergebnisse anschauen, haben sich die Lebensbedingungen für Vögel in Deutschland in diesen letzten 25 Jahren eher verbessert oder eher verschlechtert?

Sudfeldt: Das ist sehr unterschiedlich, wenn man die einzelnen Lebensräume betrachtet. Für die Vögel der Wälder haben sich die Lebensräume in den letzten 25 Jahren verbessert. Man ist von der ganz intensiven Waldnutzung doch zu einer eher naturverträglichen gekommen, das hat sich also auch für die Vogelwelt ausgezahlt. Im Bereich der offenen Kulturlandschaft, gerade dort, wo intensive Landnutzung betrieben wird, sieht es allerdings für die Brutvögel sehr, sehr schlecht aus. Dort gibt es große Bestandsabnahmen. Viele Hörer werden vielleicht die Feldlerche oder den Kiebitz kennen, die doch in vielen Regionen Deutschlands in den letzten Jahren ganz stark zurückgegangen sind oder sogar verschwunden sind.