"Wenn er nicht zurückschlägt, dann gilt er als Weichei"

Hans-Joachim Lenz im Gespräch mit Jürgen König · 13.09.2010
Die Politik habe Gewalt von Frauen gegen Männer bisher nicht ernst genug genommen, meint der Sozialwissenschaftler Hans-Joachim Lenz. Seit einer Pilotstudie von 2004 sei nichts geschehen. Es fehle aber auch eine politische Bewegung bei den Männern, die das Thema nach außen bringe.
Jürgen König: Häusliche Gewalt gegen Männer, mit diesem Thema beschäftigt sich der Sozialwissenschaftler Hans-Joachim Lenz schon seit langem, an jener Pilotstudie von 2004 war er beteiligt. Guten Tag, Herr Lenz!

Hans-Joachim Lenz: Guten Tag, Herr König!

König: Wir haben eben von heftigen Situationen gehört. Was sind das für Konflikte in einer Partnerschaft, die zu derlei Gewalt gegen Männer führen?

Lenz: Das sind alltägliche Dinge, alltägliche Anlässe, und das hängt natürlich auch ab von den Voraussetzungen, die beide Partner mitbringen: Wieweit sie in der Lage sind, über Konflikte miteinander ins Gespräch zu kommen und auch in einer fairen Weise in eine Auseinandersetzung zu kommen, oder eben dann die Ebenen wechseln und dann auf die Ebene von Gewalt gehen. Also wobei Gewalt ja vieles umfassen kann. Gewalt kann auf der körperlichen Ebene die Schläge umfassen, oder Sie hatten vor allem in der Anmoderation das Beispiel mit den Rasierklingen im Gesicht des Mannes angesprochen, das ist ja auch eine Form von körperlicher Gewalt.

Oder Gewalt kann aber auch auf einer psychischen Ebene sein, also auch eine Form von Verächtlichung oder Missachtung des Anderen, oder ihn unter Druck setzen, also insbesondere auch Männer, die in Scheidungssituationen sich befinden. Vielleicht wenn dann auch noch, also in Trennungssituationen, wenn dann vielleicht auch noch Kinder mit dabei sind, wenn es ums Sorgerecht mit Kindern geht. Da gibt es ja so tiefe Verletzungen, Verwundungen, die beide Partner haben, und das, die Konflikte werden dann wirklich bis zum Ende, bis zur gegenseitigen Vernichtung ausgetragen. Da spielt eben dann die Gewalt auch sehr zentral mit.

König: Wir haben es eben gehört, dass Männern es sehr schwerfällt, sich zu wehren. Ist das auch Ihr Eindruck, und wenn ja, warum ist das so?

Lenz: Ja, das ist das zentrale Problem eigentlich bei der Gewalt auch, dass Männer ja auch in sich eigentlich ein Bild haben: Eine Frau, ein Mädchen schlägt man nicht, sondern sozusagen hält sich selbst zurück, sich entsprechend zu wehren. Also ich habe … gerade in unserer Studie auch bin ich immer wieder auf dieses Thema gestoßen, ich habe zum Beispiel ein Interview gemacht mit einem Polizisten, der beruflich eingesetzt wird für häusliche Gewaltkonflikte, und zu Hause wird er von seiner Frau geschlagen und er kann sich nicht wehren. Also es ist keine Sache der Rationalität, sondern es sind ganz tiefe emotionale Vorgänge, wo der Mann dann in sich so gebremst ist, dass er sich nicht dagegen wehren kann und dann Dinge mit ihm passieren, die also völlig gegen ihn gehen.

König: Führt das dann auch zu etwas, was ich mir als zweites zentrales Problem vorstellen kann, nämlich dann auch nicht darüber reden zu können?

Lenz: Ja, ein ganz zentrales Problem. Wir leben in einer Kultur, in der immer noch so die tief verwurzelten Geschlechterstereotype, also die Klischees gelten, nämlich das Klischee der schwachen Frau und des kleinen Mädchens und des starken Mannes. Und wenn die Menschen – sowohl weibliche Menschen als auch männliche Menschen – diese Klischees in ihren Köpfen haben, dann kommen die wirklichen Bedürfnisse und die wirklichen Probleme nicht auf den Tisch, sondern dann wird auf der Ebene von Klischees reagiert. Zu diesen Klischees gehört eben auch, dass Männer nicht sprechen über das, was ihnen angetan wurde, weil sie ja dem Bild des starken Mannes entsprechen müssen.

Also das sind Klischees, die einerseits in der sozialen Umwelt praktiziert werden und vorgegeben werden, aber das sind auch Klischees, die die betreffenden Menschen, die Männer, die Frauen in sich selber tragen. Und das führt dazu, dass Männer bislang eigentlich sehr, sehr wenig darüber sprechen. Also das ist ja auch die große Frage, wie kann das Unaussprechbare überhaupt besprochen werden? Das ist ja die Situation von Männern, Männer sind ja in einer sehr, sehr schwierigen Konfliktsituation, in einem Dilemma, könnte man auch sagen: Wenn der Mann zurückschlägt, dann gilt er als der böse Täter und wird sehr schnell dann auch in ein Täterprogramm möglicherweise geschickt. Wenn er nicht zurückschlägt, dann gilt er als Weichei. Das ist das Dilemma, in dem sich viele Männer befinden …

König: … das auch unlösbar erscheint …

Lenz: … ja, genau …

König: … also, natürlich bietet sich die Frage an, was kann man da tun? Aber das sind ja solche Rollenklischees, wie Sie sie auch schön beschrieben haben, wo man den Eindruck hat: Daran zu rütteln ist schlechterdings unmöglich.

Lenz: Das ist das eigentlich das Zentrale, dass es darum geht, um eine Auflösung dieser Rollenzuschreibung. Und das Dramatische bei diesem Thema ist allerdings, dass auf der politischen Ebene sozusagen an der Verstärkung dieser traditionellen Rollenklischees gearbeitet wird. Selbst wenn es große Programme gibt von Gender Mainstreaming und Geschlechterpolitik - in der Tiefe dieser Programme steckt sozusagen die Annahme, dass der Mann der Starke ist und die Frau die Schwache. Die Frau muss geschützt werden und der Mann, der ist stark und der hat kein … der ist nicht schutzwürdig.

Er muss sozusagen gucken in Situationen, wo er eigentlich in Not ist, dass er selber klarkommt, während bei Frauen das inzwischen anerkannt wird. Wobei man ja auch sagen muss, es war nicht immer so. Das Thema Gewalt gegen Frauen ist auch erst in den letzten 30 Jahren durch die Frauen mit einer ganz großen politischen Kraft in die Öffentlichkeit gebracht worden. Die 400 Frauenhäuser, die wir haben, gibt es auch nur, weil dahinter eine soziale Bewegung steht. Und das Dramatische bei den Männern ist sozusagen, dass die politische Bewegung bei den Männern fehlt, die dieses Thema nach außen bringt.

König: An der schon erwähnten Pilotstudie von 2004 waren Sie beteiligt, diese Studie blieb ohne Folgestudie. Kann man sagen, dass Kommunalpolitiker, Landespolitiker, Bundespolitiker, dass wohl die Politik nicht bereit ist, die Problematik von häuslicher Gewalt gegen Männer wirklich ernst zu nehmen?

Lenz: Ja, das würde ich sagen. Ich sehe heute auch diese Pilotstudie, die wir seinerzeit geführt haben, durchgeführt haben im Auftrag des Bundesfamilienministeriums, sozusagen den Anlass sehe ich kritisch. Ich finde die Studie immer noch sehr qualitativ hochwertig und sehr aussagekräftig, aber der Anlass, warum diese Studie auf den Weg gebracht wurde, den finde ich eher problematisch. Es war nämlich sozusagen von Ministeriumsseite eine strategische Absicherung, um die große Studie Gewalt gegen Frauen, die 20.000er-Befragung, die 10.000er-Befragung, die durchgeführt wurde, also wo ja dann auch jetzt inzwischen repräsentative Daten zur Gewalt gegen Frauen vorliegen, diese Studien durchführen zu können.

Weil nämlich Anfang 2000 die Diskussion aufkam, ob in diesen Forschungen nicht Geschlechterstereotype und Klischees behandelt werden, wenn davon ausgegangen wird, dass Frauen die Opfer und Männer die Täter sind. Das ist nämlich die, sozusagen das Paradigma oder der Ausgangspunkt dieser bisherigen Studie, Frauen sind die Opfer und Männer sind die Täter, und das wird in diesen Studien nicht überprüft, das ist einfach das Vorurteil, von dem ausgegangen wird.

Und diese Diskussion hat angefangen 2000 und dann hat das Ministerium sozusagen kalte Füße gekriegt und sie haben befürchtet, dass sie diese Frauenstudie nicht durchführen können, und dann haben sie aus strategischen Gründen diese Pilotstudie an Land gezogen und die wurde ja dann auch durchgeführt. Es sollte aber eine Pilotstudie sein, also eine Vorstudie für eine Hauptstudie, wo auch 10.000 Männer repräsentativ in Deutschland befragt werden.

Zu dieser Hauptstudie ist es bislang nicht gekommen. Das Ministerium hatte nicht mal Mittel zur Verfügung gestellt, um eine gedruckte Fassung dieser Studie herauszugeben. Also das sind ganz banale Sachen, es gab nur die Internetfassung. Bei der Frauenstudie wurden also tonnenweise Papiere gedruckt und … Es ist sozusagen auch ein strategischer Schachzug, diesem Thema – Gewalt gegen Männer – ein Stück nachzugehen, aber auch wieder nicht zu weit zu gehen.

König: Wir werden beim Familienministerium mal nachfragen …

Lenz: … machen Sie das mal! …

König: …, wie man denn heute über dieses Thema dort denkt …

Lenz: … und lassen Sie sich nicht abwimmeln!

König: Häusliche Gewalt von Frauen gegenüber Männern, das muss ein Thema in der Öffentlichkeit, das muss ein Thema für die Politik sein beziehungsweise werden, ein Gespräch mit dem Sozialwissenschaftler Hans-Joachim Lenz. Herr Lenz, ich danke Ihnen!

Lenz: Vielen Dank auch!
Mehr zum Thema