Wenn Eltern Lehrer fertigmachen

"Geplättet, erschöpft, verzweifelt"

Von links: Anke Engelke, Sönke Wortmann und Gabriela Maria Schmeide am Filmset von "Frau Müloler muss weg"
"Frau Müller muss weg", findet die von Anke Engelke gespielte Mutter in Sönke Wortmanns gleichnamigem Film. Die Lehrerin (Gabriela Maria Schmeide) wehrt sich. © Imago / Future Image
Die Lehrerin Heidemarie Brosche im Gespräch mit Dieter Kassel · 16.01.2015
Von Ehrgeiz getrieben, aggressiv, misstrauisch: So treten Eltern nicht selten gegenüber Lehrern auf. Dabei sei das alles andere als zielführend, findet Heidemarie Brosche. Sie ist selbst Lehrerin - und Mutter. Der Film "Frau Müller muss weg" mit Anke Engelke läuft neu im Kino.
Zur Zeit beobachtet Heidemarie Brosche eine Tendenz, dass sich Eltern sehr in Schule einmischen und dabei respektlos gegenüber Lehrern werden. So ähnlich, wie es auch in Sönke Wortmanns aktuellem Film "Frau Müller muss weg" gezeigt wird. Brosche selbst unterrichtet an einer Grund- und Mittelschule in Bayern und hört oft Klagen von Kollegen, "die zum Teil ganz geplättet, erschöpft und fast schon verzweifelt sind, weil Eltern so mit ihnen umspringen".
"Ich habe mich manchmal richtig klein gefühlt"
Dabei hat die dreifache Mutter selbst nicht nur gute Erfahrungen mit den Lehrern ihrer Kinder gemacht. Sie habe sich "oft scheußlich geärgert als Mutter, dass Lehrer mit mir umgegangen sind, als wäre ich einige Stufen unter ihnen. Ich habe mich manchmal richtig klein gefühlt." Insofern verstehe sie auch Eltern, "die da mal sehr schlechte Stimmung kriegen".
Doch letztlich gehe es nur um eines: dass es dem Kind gutgehe und es so gut wie möglich durch die Schule komme. Deshalb habe es keinen Wert, wenn Eltern in ihrem brennenden Ehrgeiz "wie Kampfhähne in Gespräche gehen und im Prinzip auf einen Sieg nach Punkten" aus seien. Brosche, die auch Autorin ist, hat über ihre Erfahrungen ein Buch geschrieben: "Warum Lehrer gar nicht so blöd sind - und was kluge Eltern tun können, wenn die Verständigung nicht klappt".

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Wenn Eltern unzufrieden sind mit den Leistungen ihrer Kinder in der Schule, dann geben sie dafür oft den Lehrern die Schuld. So ist es auch in dem neuen Film von Sönke Wortmann, "Frau Müller muss weg". Das ist eine Komödie, in der sich fünf Eltern zusammentun, um eine Lehrerin loszuwerden. Moritz Holfelder stellt uns den Film vor.
Aus "Frau Müller muss weg", einer Komödie, die seit gestern in den deutschen Kinos läuft. Frau Müller ist eine fiktive Figur, Heidemarie Brosche ist eine echte Lehrerin, sie unterrichtet an einer Grund- und Mittelschule in Augsburg. Mittelschule ist in Bayern der Begriff für das, was man in den meisten anderen Bundesländern Hauptschule nennt. Und Heidemarie Brosche ist außerdem auch die Autorin des Buches "Warum Lehrer gar nicht so blöd sind, und was Eltern tun können, wenn die Verständigung nicht klappt". Schönen guten Morgen, Frau Brosche!
Heidemarie Brosche: Guten Morgen!
Kassel: Was wir gerade gehört haben, stammt aus einer Komödie, ist dementsprechend überzeichnet. Aber kommt Ähnliches wirklich vor im Schulalltag?
Brosche: Ich denke, ja. Wobei ich jetzt sagen muss, dass ich es an meiner Schule eher selten erlebe. Konflikte natürlich schon, aber dieses geballte Auftreten, glaube ich, das erlebt man in anderen Einzugsgebieten mehr, und da höre ich schon oft drüber. Ich unterhalte mich bewusst und sehr gerne auch mit Lehrern, die in anderen Schularten und in anderen Einzugsgebieten unterrichten, und sehr, sehr oft habe ich in letzter Zeit Klagen gehört, jetzt tatsächlich von Kollegen und Kolleginnen, auch wirklich von sehr engagierten, die zum Teil ganz geplättet, erschöpft und fast schon verzweifelt sind, weil Eltern so mit ihnen umspringen. Das haben mir auch Schulleiter schon bestätigt, und das waren keine Lehrer, die grundsätzlich über alles schimpfen. Es gibt schon, glaube ich, zurzeit eine Tendenz, dass Eltern sich sehr einmischen und dabei auch oft respektlos gegenüber Lehrern werden.
Das Ziel ist, dass es dem Kind gut geht
Kassel: Was raten Sie denn Ihren Kolleginnen, wie man auf solche Eltern reagieren sollte?
Brosche: Ja gut, ich meine, für beide gilt, oder beiden rate ich, in solche Gespräche mit dem Bewusstsein reinzugehen, worum geht es eigentlich? Es geht nur um eines im Endeffekt: das Wohl des Kindes. Das Wohl des Kindes haben die Eltern im Auge, wenn es gute Eltern sind, und das Wohl des Kindes oder des Schülers haben auch die Lehrer im Auge. Und deshalb hat es überhaupt keinen Wert, wenn die wie Kampfhähne in Gespräche gehen und im Prinzip auf einen Sieg nach Punkten aus sind. Sondern man muss halt gucken, woran das liegt und was der Grund für den Konflikt ist.
Ich muss jetzt andersherum sagen, ich selbst bin auch Mutter und hab bei drei Kindern sehr viele Gespräche, Eltern-Lehrer-Gespräche von der anderen Seite mitgemacht und habe mich auch oft scheußlich geärgert als Mutter, dass Lehrer mit mir umgegangen sind, als wäre ich einige Stufen unter ihnen. Ich habe mich da manchmal richtig klein gefühlt, einfach deshalb, weil eines meiner Kinder, was weiß ich, irgendetwas getan hatte, was nicht in Ordnung war – es war zu ruhig, es war zu geschwätzig, es war zu faul, es war zu unkonzentriert.
Und insofern verstehe ich auch Eltern, die da mal sehr schlechte Stimmung kriegen. Aber die rein aggressive, schlechte Stimmung ist eben nicht zielführend, und drum rate ich, immer das Ziel im Auge zu haben. Und das Ziel ist, dass es dem Kind gut geht, und das Ziel ist, dass man das Kind so gut wie möglich durch die Schule kriegt und zu dem Abschluss, der für das Kind möglich ist. Natürlich haben Eltern da oft eine andere Vorstellung als die Schule.
Kassel: Aber hat man denn eine Chance, Eltern klar zu machen, dass in einer Klasse mit 25, 30 Kindern nicht alle immer nur eine zwei oder eine eins haben können, dass es einen Notenspiegel gibt und dass eben nicht jedes Kind in der Lage ist, Klassenbester zu sein? Ich habe das Gefühl, viele Eltern glauben ja, alles ab zwei minus ist eine Katastrophe?
Brosche: Ja, das ist natürlich oft schwierig zu vermitteln, und zwar eben genau dann, wenn die Eltern sehr ehrgeizig sind. Natürlich, weil sie es wahrscheinlich dem Kind gut meinen, vielleicht manchmal auch sich selbst, eben mit diesem Ehrgeiz, mein Kind muss es entweder zu mehr bringen als ich oder mindestens so weit kommen, wie ich schon gekommen bin.
Ich verstehe es, ich verstehe die Sorge, die Eltern haben, dass eben ihre Kinder irgendwo auf der Strecke bleiben können, dass sie in dieser Gesellschaft nichts Gescheites werden, sich nicht ihr Geld und ihr Ansehen so erwerben können, wie das eben schön ist, wie sich das gut anfühlt. Aber ich verstehe nicht diesen brennenden Ehrgeiz, der dann eben etwas auslöst, was keinem gut tut. Und insofern ist es eine Gratwanderung zwischen Einsatz fürs Kind und aber zwischen Schaden, den man auch anrichtet als zu ehrgeizige Eltern.
Der Lehrerberuf hat kein hohes Ansehen
Kassel: Sie kennen sicherlich aus Ihrer Erfahrung beides. Deshalb die Frage: Was ist schlimmer - die Eltern, die ständig ankommen und immer alles besser wissen, oder die, die man nie zu Gesicht bekommt?
Brosche: Also ein Ranking würde ich jetzt lieber nicht machen, was jetzt schlimmer ist. Beides - also, eine absolute Interessenlosigkeit ist nicht, weil das Kind muss einfach das Gefühl haben, dass die Eltern sich dafür interessieren, was es tut den ganzen Tag und womit sich ja Kinder eigentlich viel Lebenszeit rumschlagen müssen, mit schulischen Dingen, den Vormittag über sowieso, nachmittags in der Regel auch noch mal. Ich meine jetzt damit auch nicht nur dieses Hausaufgabenüberwachen, ich meine schon wirkliches Interesse. Also insofern ist es schade, wenn Eltern kein Interesse haben, aber dieses übermäßige, dieses extreme Überwachen auch der Lehrer, dieses wahnsinnige Misstrauen den Lehrern und der Schule gegenüber finde ich persönlich auch sehr schädlich.
Kassel: Hat das auch etwas mit den ganzen Pisa-Studien und den Diskussionen über unser Bildungssystem zu tun? Haben Sie manchmal das Gefühl, in der Gesellschaft ist das Bild entstanden, ja, der Lehrer an sich, der kann es ja irgendwie nicht alleine?
Brosche: Ob da jetzt diese Studien gerade mit Schuld sind, weiß ich nicht, kann ich nicht beurteilen. Aber ich habe tatsächlich den Eindruck, dass sehr viele Leute dem Berufsstand Lehrer sehr kritisch gegenüberstehen. Also ich habe wirklich nie das Gefühl, dass man jetzt vor diesem Beruf, egal, ob es jetzt meiner ist, ich bin eben Mittelschullehrerin, Hauptschullehrerin, oder auch an höheren Schulen, dass man jetzt da von einem tollen Ansehen spricht. Ich denke schon eher, dass der Lehrer sehr in der Kritik steht.
Das ist natürlich die alte Geschichte. Jeder war mal in der Schule und hat Einblick in den Beruf und meint deshalb, denke ich mal, sich da mehr Urteil erlauben zu können als jetzt in anderen Berufen, in die man eben einfach nicht so gut reinblicken kann. Und da wir jetzt eben in einer Gesellschaft leben, die offen und kritisch ist und die Kritik auch zulässt, was ich ja toll finde, steigert sich das manchmal in Richtungen, die ich nicht mehr toll finde.
Kassel: Herzlichen Dank! Heidemarie Brosche war das, sie ist selber Lehrerin, wir haben es gehört, an einer Mittelschule, also man nennt das in Bayern so, quasi einer Hauptschule in Augsburg, selber Mutter und auch Autorin des Buches "Warum Lehrer gar nicht so blöd sind, und was Eltern tun können, wenn die Verständigung nicht klappt". Dieses Buch ist eher empfehlenswert, wenn Sie ernsthaft wissen wollen, wie man es macht. Wenn Sie das nicht ernsthaft wissen wollen, sondern lachen, wenn Sie andere beobachten, die es falsch machen, dann sei Ihnen auch der Film noch mal empfohlen, der da heißt "Frau Müller muss weg" und der seit gestern in den deutschen Kinos zu sehen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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