Wenn das eigene Leben plagiiert wird

09.11.2006
Ernst-Wilhelm Händler gilt nicht unbedingt als Mainstream-Autor. Er beugt sich nicht den gängigen Vorstellungen von kohärenter Handlung, nachvollziehbaren Plots oder einer realistischen Erzählweise. Sein neuer Roman handelt vom Versuch eines Autors, seine Erinnerungen gegen die Mutmaßungen eines anderen Schriftstellers zu verteidigen.
Ernst-Wilhelm Händler ist bestimmt kein mehrheitsfähiger Autor. Das liegt zu einem gewissen Teil auch daran, dass er einen intensiven Brotberuf hat: Er leitete jahrelang ein mittelständisches Wirtschaftsunternehmen und ist auch heute noch als Manager tätig. Nicht nur, dass er gleichzeitig Philosophie studiert hat, verbindet ihn mit Schriftstellern wie Robert Musil oder Hermann Broch. Ähnlich wie diese Heroen der Moderne aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts schreibt Händler seit langer Zeit an einem Romankompendium, das sich nicht weniger vorgenommen hat als ein Panorama des zeitgenössischen Bewusstseins zu entwerfen.

Nach dem Philosophenroman "Kongress", dem Architektenroman "Sturm", dem Wirtschaftsroman "Fall" und dem Managerroman "Wenn wir sterben" ist sein neuestes Buch ein Schriftstellerroman: "Die Frau des Schriftstellers". Vielleicht ist er damit am Kern seiner Ästhetik angelangt.

Händler gilt als "schwerer" Autor, und es stimmt: er macht keine Konzessionen an landläufige Vorstellungen einer Handlung, eines Plots, einer einlinig-"realistischen" Erzählweise. Und doch zeigt auch dieser Roman wieder über längere Passagen, wie konzis und atmosphärisch dicht Händler auch erzählen kann.

Weite Strecken der "Frau des Schriftstellers" handeln von der Jugend des Ich-Erzählers in Oberösterreich, und da ist alles dabei, was man sich so vorstellt: die Kühe, der Stall, der Wald, fast so wie in Peter Roseggers "Als ich noch ein Waldbauernbub" war. Und gleich am Anfang stellt uns Händler in ein zeitgenössisches Filmambiente hinein, eine Sexszene mit Blondine, kühl-eleganter Inneneinrichtung und ironisch-doppelbödigem Entfremdungs- und Schickeria-Assoziationen. Es ist also nicht so, dass Händlers Prosa nicht suggestiv sein könnte. Aber er bleibt eben bei weitem nicht dabei stehen.

Es geht wie in allen Händler-Romanen darum, dass die Welt nicht greifbar ist und in ihre Einzelbestandteile zerfällt. Die Literatur ist dabei ein Brennspiegel. Der Ich-Erzähler des neuen Romans ist ein Schriftsteller, der plötzlich von dem tonangebenden Agenten ein spektakuläres Angebot bekommt. Er soll, unter luxuriösen und finanziell atemberaubenden Bedingungen, einen schon längst begonnenen Roman des Bestsellerautors Pototsching fertigstellen.

Als er sich darauf einlässt, merkt er, wie ihm alles zu entgleiten beginnt: Pototschings Thema ist nämlich die ureigene Biografie ebenjenes Ich-Erzählers, seine Kindheit und Jugend in Oberösterreich. Der Bestsellerautor ist dabei, dem Ich-Erzähler seine Identität, sein Leben, seinen Erzählstoff zu rauben. Und der vorliegende Roman besteht dann im Wesentlichen darin, dass sich die Figuren aus der Kindheit des Ich-Erzählers, die Pototsching bereits beschrieben hat, verselbstständigen, sich entziehen. Der Ich-Erzähler kämpft um sie, um seine eigenen Erinnerungen, doch sie treten ihm immer wieder als fremde, als fremdbestimmte Figuren entgegen.

Aus dieser Konstellation heraus entwickelt Händler viele Knalleffekte, voller Anspielungen auf die Literatur- und Kulturgeschichte: Beatrice und Laura treten auf, die alten Musen, Rex Gildos Hit "Memories" bebildert das Erinnerungsbemühen des Ich-Erzählers, und wir erkennen leibhaftige Personen des aktuellen Mediengeschehens wieder. Über allem steht die Frage: Was kann die Literatur? Was ist Literatur? Und, wie immer bei Händler, die grundlegende Frage: Was ist der Mensch?

Rezensiert von Helmut Böttiger

Ernst-Wilhelm Händler: Die Frau des Schriftstellers
Roman. Frankfurter Verlags-Anstalt
640 Seiten