Wende im Fall des getöteten Flüchtlings Hussam Fadl

"Ich wünsche mir Gerechtigkeit"

Der irakische Flüchtling Hussam Fadl wurde von einem Polizisten erschossen, das Verfahren wurde zunächst eingestellt.
Der irakische Flüchtling Hussam Fadl wurde von der Polizei erschossen. Seine Frau setzte sich für eine Wiederaufnahme ein. © imago/Christian Ditsch
Von Ruth Waldeyer und Ulrike Ertl  · 28.05.2018
Am 27. September 2016 haben Polizeibeamte in Berlin den Flüchtling Hussam Fadl erschossen. Die Ermittlungen wurden zunächst eingestellt. Doch damit wollte sich die Frau des Getöteten nicht abfinden: Nun wird der Fall neu aufgerollt.
"Liebe Freunde, liebe Freundinnen, wir stehen heute hier, um Gerechtigkeit für Hussam Fadl zu fordern."
Berlin, 12. Mai, vor dem Kammergericht in Schöneberg. Heute findet eine Kundgebung der Kampagne "Gerechtigkeit für Hussam Fadl" statt. Zaman Gate ist den ganzen Tag dort, sie ist Mitorganisatorin. Zurück in ihrer Wohnung in Hohenschönhausen findet sie in ihrem Briefkasten einen Bescheid des Berliner Kammergerichts. Ihr Freund Majid übersetzt den Wortlaut. Sie bricht in Tränen aus. Es ist geschafft: Ihrem Klageerzwingungsgesuch wurde stattgegeben. Hussam Fadl, ein junger, aus dem Irak geflüchteter Polizist, war Zaman Gates Ehemann und Vater ihrer drei Kinder.
Hussam Fadl wurde am 27. September 2016 bei einem Polizeieinsatz auf dem Gelände einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin von Polizeibeamten erschossen. Sein Tod steht am Ende einer Reihe von unglücklichen Ereignissen: Nachdem Fadls sechsjährige Tochter von einem Bewohner der Unterkunft sexuell belästigt worden war und andere Mitbewohner die Polizei alarmiert hatten, kam es zu einem Polizeieinsatz, in dessen Verlauf der Tatverdächtige verhaftet wurde. Bei diesem Einsatz wurde Fadl von Polizeibeamten erschossen. Sie wollen gesehen haben, dass er mit einem Messer auf den Verhafteten losging und hätten sich daher genötigt gesehen zu schießen. Die ermittelnde Behörde teilt die Ansicht der Polizei und das Ermittlungsverfahren gegen die Polizisten, die die tödlichen Schüsse abgaben, wird im September 2017 mit dem Verweis auf Notwehr und Nothilfe eingestellt. Zaman Gates Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff sieht die Tatumstände anders:
"Was sonderbar ist, ist, dass verschiedene Polizeibeamte, und zwar genau die, in deren Richtung der später Getötete dann gelaufen ist, die ihn also frontal von vorne haben kommen sehen, dass die nichts von einem Messer gesehen haben. Dass die gesagt haben, der kam auf uns zu, wir stellten uns schon so hin, um ihn aufzuhalten, und plötzlich hörten wir Schüsse, und sinngemäß haben die noch gesagt, was ist denn jetzt los, sind die wahnsinnig geworden zu schießen."

Die Staatsanwaltschaft muss die Ermittlungen erneut aufnehmen

Hussam Fadl wurde von hinten erschossen. Auf dem Messer, das später am Tatort auftaucht, sind keine Fingerabdrücke von ihm festzustellen. Die Witwe Zaman Gate strebt gemeinsam mit ihrem Rechtsanwalt und der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt ein Klageerzwingungsgesuch an.
Ulrich von Klinggräff: "Ein Klageerzwingungsverfahren nennt man das Verfahren, wenn die Staatsanwaltschaft sich nicht zu einer Anklagerhebung entschließen kann und man dann versucht – in diesem Fall mit Hilfe des Kammergerichts Berlin - dass die Staatsanwaltschaft verpflichtet wird, auch gegen ihren eigenen Willen, diese Anklage zu erheben."
Zaman Gate: "Ich wünsche mir Gerechtigkeit für das, was mir und meinen Kindern angetan wurde und ich möchte, dass sich um uns auf eine seriöse Art und Weise gekümmert wird. Ich will, dass mein Fall öffentlich verhandelt wird. Ich wünsche mir auch, dass sich die Beschuldigten, die uns das angetan haben, bei uns entschuldigen, bei mir und bei meinen Kindern."

Das Kammergericht Berlin hat jetzt die Staatsanwaltschaft angewiesen, die Ermittlungen zum Tod des Familienvaters erneut aufzunehmen. In der Begründung heißt es:
"Die Umstände, die zum Schusswaffeneinsatz geführt haben und diesen hätten rechtfertigen können, sind unzureichend aufgeklärt. Die Aussagen der Beschuldigten und der Zeugen weichen in wesentlichen Punkten voneinander ab. Es steht nicht fest, ob Hussam Fadl zum Tatzeitpunkt überhaupt mit einem Messer bewaffnet war. Das von den Beschuldigten am Tatort aufgefundene Messer wies keine für die Identifizierung eines Verursachers geeigneten daktyloskopischen Spuren auf. Der Umgang mit dem zentralen Beweisstück steht im Gegensatz zu sorgfältiger Ermittlungstätigkeit."

Messer ohne Fingerabdrücke des Getöteten

Ulrich von Klinggräff: "Nach diesem ausführlich begründeten Beschluss mit einem Umfang von 15 Seiten gehe ich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit davon aus, dass am Ende doch eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vorliegen wird, dass es zu einer öffentlichen Hauptverhandlung kommt. Das Kammergericht Berlin hat der Staatsanwaltschaft sehr konkrete Aufgaben gegeben, in welche Richtung noch ermittelt werden soll. Das entspricht dem, wie wir uns das vorgestellt haben. Ich gehe davon aus, dass das Ergebnis dieser zusätzlichen Beweisaufnahme sein wird: nunmehr reicht die Beweislage für eine Anklageerhebung aus."
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