Welttag der Philosophie

Die solide Reflexion der Dinge

Statue des Platon in Athen
Platon, hier als Statue in Athen: Einer der wichtigsten Denker seiner Zeit - immer hatte er allerdings auch nicht Recht © picture alliance / dpa / Foto: D.P.P.I.
Stefan Gosepath im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 19.11.2015
Sollten Philosophen an die Macht? Der Philosoph Stefan Gosepath fordert am Welttag der Philosophie seine Kollegen zu "solide argumentativ aufbereiteten Stellungnahmen" zur Zeit auf. Die Rolle der "Macher" sollte man besser anderen überlassen.
Die Öffentlichkeit hat ein großes Interesse an Philosophie. Das zeigt nach Ansicht des Philosophen Stefan Gosepath der Erfolg seiner Kollegen Richard David Precht und Peter Sloterdijk. Diese könnten philosophische Themen gut darstellen – "und das ist, glaube ich, etwas, was sich mehr von uns anschauen sollten", sagte er im Deutschlandradio Kultur. Zwischen Wissenschaft und populärwissenschaftlicher Aufbereitung sieht Gosepath dennoch ein Spannungsfeld: "Wir müssen den Spagat einerseits aushalten, andererseits dürfen wir ihn nicht so weit führen, dass man dann hinfällt." Philosophen sind Gosepoth zufolge für die grundsätzliche Reflexion der Dinge zuständig - für "solide argumentativ aufbereitete Stellungnahmen". Sie seien keineswegs "Macher". Das sei eine andere Rolle, meint er. Schon Platon sei an der Annahme gescheitert, dass Philosophen König werden sollen: "Seitdem ist der Traum ausgeträumt."

Das Gespräch im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wenn ich Ihnen sage, wir reden jetzt über Philosophie, dann denken Sie vielleicht, oje, kompliziert, so früh am Morgen so schwere Fragen! Dabei ist ja die Frage: Sind denn philosophische Fragen eigentlich so schwer oder sind sie nicht eher so einfach und grundlegend, dass auch Kinder sich damit beschäftigen? Zum Beispiel mit der Frage: Warum gibt es Regeln? Oder: Können Babys denken? Oder natürlich die Frage aller Fragen: Was kommt nach dem Tod?
O-Ton Kinder: Man geht durch den Tunnel, dann wird man da plötzlich von irgendjemandem abgeholt, den man vielleicht von irgendwann mal her kennt. Vielleicht wie mein Großvater, der schon gestorben ist, und der holt mich dann da ab und dann erkenne ich ihn halt wieder.
Der Unterschied zwischen Babydenken und Erwachsenendenken eben, die Erwachsenen schon Wörter haben und Babys eben noch keine.
Also, ich glaube ja, Regeln entstehen, wenn irgendwas passiert, aber das nicht okay ist. Sagen wir, du putzt nicht ordentlich die Zähne, dass du nicht klaust zum Beispiel, denn sonst würde ja die Welt vollkommen im Chaos sein.
Frenzel: Stimmen aus unserem Philosophiemagazin "Sein und Streit", dass Sie immer sonntags hören können im Deutschlandradio Kultur. Unser wöchentlicher journalistischer Versuch, das zu tun, worüber Journalisten und Philosophen heute diskutieren werden an der Freien Universität Berlin, am Welttag der Philosophie, wie weit aus dem Elfenbeinturm herauszukommen ist und wie die Philosophie sich den Menschen, der Gesellschaft näherbringen kann. Die Diskussion leiten wird der Berliner Philosophieprofessor Stefan Gosepath und den begrüße ich jetzt im "Studio 9", guten Morgen!
Stefan Gosepath: Schönen guten Tag!
Frenzel: Es gibt ja die Beispiele derer, die zumindest auflagentechnisch aus dem Elfenbeinturm rauskommen, ein Richard David Precht oder auch ein Peter Sloterdijk. Was können die denn, was Ihre Kollegen nicht können?
Gosepath: Sie können wahrscheinlich sich gut darstellen, sie können auch wahrscheinlich die Sache gut darstellen. Und das ist etwas, was glaube ich mehr von uns sich anschauen sollten. Ich finde, das Schöne an diesen beiden Beispielen, die Sie jetzt aufgezählt haben, ist, dass sie uns zeigen, dass die Philosophie in die Öffentlichkeit gehen kann und dass es ein Interesse der Öffentlichkeit an Philosophie gibt. Denn die Einschaltquoten und auch die Auflagen der beiden Autoren sind ja sehr groß.
Frenzel: Das heißt, es ist eine Frage der Verkaufe, der Außendarstellung allein?
Gosepath: Na ja, wahrscheinlich auch der Themen, obwohl beide ja bekannt dafür sind, dass sie unterschiedliche Themen besetzt haben. Insofern geht es auch darum, glaube ich, dass, wenn ich die Öffentlichkeit richtig einschätze, dass, wenn man einmal Vertrauen zu einem Autor, zu einer Person geschafft hat, dass man dann denkt, okay, da weitere Bücher, weitere Themen, weitere Statements dieser Person sind auch interessant. Es geht natürlich auch um Bekanntheitsgrade. Und Bekanntheitsgrad positiv übersetzt heißt ja einfach Vertrauen in die Solidität, in die Interessantheit, in das spannende Aufbereiten der Themen durch diese Personen.
Frenzel: Manche werden dabei ja auch zum Selbstläufer. Ich werde jetzt gar nicht meine Einschätzung abgeben, welchen der beiden Genannten ich da jetzt eher als so einen Selbstläufer betrachte, bei dem man vielleicht darauf guckt, wenn er was veröffentlicht, dass das wohl schon interessant sein wird.
Aber lassen Sie mich von dem Gedanken ausgehen: Brauchen wir nicht auch ein bisschen Elfenbeinturm? Jede Vereinfachung kann ja auch eine gewisse Banalisierung mit sich bringen und da sind wir ja fast schon bei der Lebensratgeberliteratur.
Wissenschaft versus populäre Darstellung philosophischer Themen: Ein Spagat
Gosepath: Ja, das ist richtig, wir müssen den Spagat einerseits aushalten, andererseits dürfen wir ihn nicht so weit führen, dass man dann sozusagen hinfällt. Bei einem zu großen Spagat kann man ja das Gleichgewicht nicht mehr halten und nicht mehr stehen.
Also, die akademische Philosophie ist natürlich eine Wissenschaft und als Wissenschaft ist sie auch wichtig. Und da gibt es natürlich auch wissenschaftliche Diskurse mit langen Fußnoten, genauen Recherchen, die natürlich nicht die gesamte Öffentlichkeit interessieren muss, wie das in anderen Wissenschaften auch der Fall ist.
Aber ich kann das vergleichen mit einem Historiker oder einem Arzt: Ein Arzt muss einerseits seine Wissenschaft können, gleichzeitig muss er den Patienten adäquat behandeln können. Und der Historiker – in Deutschland ist das, glaube ich, auch eine führende Disziplin, die das kann –, die müssen solide historische Forschung machen und trotzdem einen dicken Schmöker über König Soundso Weihnachten auf den Büchertischmarkt legen können.
Und ich glaube, das sollte die Philosophie in Deutschland auch versuchen. Wir sind in Deutschland, glaube ich, besser aufgestellt als in anderen Ländern, weil wir nicht überakademisiert sind und weil wir noch Interesse in einem breiten Publikum haben und weil wir Medien wie das diesige, wo wir jetzt gerade das Interview führen, noch geeignet sind und interessiert sind, der Philosophie auch einen Raum zu geben, um das öffentliche Bedürfnis an Philosophie zu befriedigen.
Frenzel: Ich denke gerade an die Mediziner, die Sie bemüht haben, die haben ja einen Vorteil: Da gibt es immer einen Fortschritt. Es gibt neue Wissenschaftsstände, es gibt neue Fragen. Wie ist es bei der Philosophie, beschäftigen wir uns nicht letztendlich mit den Grundfragen, Fragen, wie wir sie ja gerade von den Kindern gehört haben anfangs?
Die Philosophie stellt die gleichen Fragen immer wieder - in neuem Kontext
Gosepath: Ja. Also, das macht die Philosophie interessant. Wir sind einerseits, stellen die gleichen Fragen immer wieder, nehmen Sie die Frage nach dem Sinn des Lebens oder so etwas. Aber gleichzeitig stellt sie sich natürlich für jede Person in jeder Lebenslage neu.
So, das ist, glaube ich, genau der Punkt. Die Fragen, die alten Fragen der Philosophie, die wir seit Sokrates und Platon stellen, kriegen aber eine neue Färbung dadurch, dass wir sie heute in dieser Zeit stellen.
Was ist Gerechtigkeit? Ein Thema, über das ist zum Beispiel forsche, ist eine uralte Frage, aber gleichzeitig hat sie natürlich heute ganz konkrete Anwendungsbezüge. Was ist Gerechtigkeit in der Verteilung zwischen Immigranten und Eingesessenen, was ist die Gerechtigkeit im Finanzausgleich zwischen den Ländern und so weiter, und so weiter. Das sind Fragen, die Sie sich natürlich damals im alten Athen so haben nicht stellen können. Insofern gibt es auch neue Punkte in der Philosophie.
Frenzel: Und wie kriegt man solche Fragen – also, nehmen wir mal die Frage der Gerechtigkeit – dann in die Medien, ohne dass es klingt, als würde ich jetzt einerseits mit dem Vertreter der Linkspartei oder mit den Arbeitgeberverbänden sprechen?
Gosepath: Ja, auch das ist ein anderer Spagat. Gleichzeitig, man will natürlich ein Ergebnis, man will eine Antwort haben. Gleichzeitig soll die Antwort natürlich nicht eine sein, die einfach eine parteipolitische Setzung ist, sondern die Philosophie zeichnet sich jetzt hierdurch aus, dass sie eine grundsätzliche Reflexion macht, das ist gerade wieder ein bisschen die Schwierigkeit, es geht jetzt nicht nur um eine These, sondern es geht im Wesentlichen um die Begründung der These, also welche Argumente sprechen dafür, welche Erwägungen sind wichtig.
Das ist jetzt etwas, was man, glaube ich, in der Hitze des politischen Gefechtes nicht immer machen kann. Aber die Beschäftigung mit der Philosophie dieser Fragen soll eben gerade die Möglichkeit geben zu sagen, ich habe eine bestimmte Position oder ich möchte eine Position verteidigen oder ich weiß noch nicht so richtig, was ich jetzt zu dieser Frage meinen sollte, was sind denn eigentlich die Argumente, die dafür oder dagegen sprechen. Und das ist genau das, was die Philosophie liefern kann, nämlich eine solide, argumentativ aufbereitete Stellungnahme dazu, was die aktuellen Themen sind, die die Menschen bewegen.
Frenzel: Muss die Philosophie auch das liefern, was Karl Marx mal gesagt hat, die Welt nicht nur zu erklären, sondern sie auch zu verändern?
Philosophen als Könige? Schon Platon ist an diesem Anspruch gescheitert
Gosepath: Das wollen wir gerne und das sollen wir gerne auch, aber gleichzeitig, glaube ich, ist sozusagen die Zeit, in der die Philosophie dachte, die Philosophen sollen König werden, das ist eine berühmte Metapher, die schon bei Platon vorkommt in seiner "Politeia", aber Platon selber ist schon daran gescheitert, als er nämlich dann einmal eine kurze Zeit König wurde und das alles ziemlich schiefging.
Ich glaube, seitdem ist der Traum ausgeträumt, die Philosophen sind nicht die Macher. Sie können die Macher sein, dann tun sie das in einer anderen Rolle. Man kann ja zwei Rollen oder drei Rollen gleichzeitig haben. Die Aufgabe der Philosophie ist aber die Aufgabe der kritischen Reflexion und der Aufbereitung der Argumente für oder gegen eine Position.
Frenzel: Der Berliner Philosophieprofessor Stefan Gosepath. Heute ist der Welttag der Philosophie. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Gosepath: Ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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