Welthungerhilfe fordert gerechte Preise für Lebensmittel

Bärbel Dieckmann im Gespräch mit Marcus Pindur · 18.02.2011
Vor dem Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der G20-Staaten hat die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, mehr Investitionen in die Landwirtschaft von Entwicklungsländern gefordert. Die Zusagen vom G8-Gipfel in L’Aquila 2009 müssten eingehalten werden.
Marcus Pindur: Für uns ist es nur ein Ärgernis, für die Armen in Indien und Afrika ist es eine Frage von Leben und Tod: Die Preise für Grundnahrungsmittel sind in den letzten Jahren weltweit stark gestiegen. Das soll auch auf dem Gipfeltreffen der G-20-Staaten, also der Industrie- und Schwellenländer, zur Sprache kommen, der heute in Paris beginnt. Wir wollen nachfragen, was das konkret bedeutet für die Armen dieser Welt, und zwar bei Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe. Guten Morgen, Frau Dieckmann!

Bärbel Dieckmann: Guten Morgen!

Pindur: Steigende Nahrungsmittelpreise bedeuten langfristig ja auch eine bessere Versorgungssituation, weil eben der Anreiz für die Anbieter wächst, mehr Getreide zum Beispiel auf den Markt zu bringen. Wo ist also jetzt kurzfristig das Problem?

Dieckmann: Ja, ich will das ausdrücklich bestätigen, und steigende Preise bedeuten natürlich auch, dass die Bauern, die produzieren, gerechte Löhne bekommen, denn wir haben ... zum Teil sind die Preise auch deshalb niedrig, weil in den Industriestaaten Subventionen bezahlt werden, während in den Entwicklungsländern nur durch die billige Arbeitskraft das möglich ist. Das Problem im Moment ist, dass wir in den vergangenen Jahren zu wenig in die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern investiert haben, das heißt, bei steigenden Preisen können Menschen, die arm sind, das heißt, die kein Geld zur Verfügung haben, aber auch nicht selbst ihre Lebensmittel anbauen können, auf dem Markt nicht mehr bezahlen, und dann kommt es zu Hungerrevolten und tatsächlich zu Hunger.

Pindur: Jetzt werden die Lebensmittel teurer, da müsste doch in den weniger entwickelten Ländern die Produktion auch steigen. Sie ist ja jahrzehntelang tatsächlich gesunken, und die Lebensmittelpreise sind ja auch gefallen. Warum ist das nicht der Fall, oder ist das einfach kurzfristig nicht möglich?

Dieckmann: Ja, das ist kurzfristig nicht möglich. Ich könnte Ihnen von vielen Projektbesuchen erzählen, wie langfristig solche Investitionen sind, weil es natürlich vor allem um Gegenden geht, ländliche Regionen, in denen die Menschen oft auch nicht die Kenntnisse haben, wie sie kurzfristig eine Produktion steigern sollen. Deshalb ist es ganz wichtig, dass auf Dauer die drei von vier Hungernden, die ja heute in ländlichen Regionen leben, auch die Kenntnisse haben, wie sie die Produktion steigern können.

Pindur: Jetzt sind es nicht nur die Regeln von Angebot und Nachfrage, die diesen Markt bestimmen, Sie haben eben schon genannt, die Industrieländer haben durch Subventionen da auch eine schwierige Rolle gespielt. Welche Faktoren treiben denn die Preise noch in die Höhe derzeit?

Dieckmann: Aber es ist natürlich auch Angebot und Nachfrage, also man muss immer sagen, es gibt eigentlich genügend Nahrungsmittel auf der Welt, um die Menschen zu versorgen, die auf der Welt leben, aber es gibt eben immer wieder die Situation einzelner Faktoren. Im Moment gibt es einige Länder, die Exportbeschränkungen haben, zum Beispiel Russland, die im letzten Jahr durch ihre Naturkatastrophen eine schwierige Ernte hatten, die ein Exportland sonst sind und exportieren. Es gibt aber auch Spekulationen auf Getreide. Es gibt im Moment steigende Energiepreise, die dazu führen, dass Nahrungsmittel teurer werden, sowohl in der Produktion als auch im Transport. Insofern sind es im Moment ganz unterschiedliche Ursachen, Spekulation spielt leider immer auch eine Rolle.

Pindur: Was sind denn Ihre konkreten Forderungen an den G-20-Finanzminister-Gipfel in Paris?

Dieckmann: Ja, unsere konkreten Forderungen sind, dass die Zusagen von L'Aquila eingehalten werden, nämlich mehr in landwirtschaftliche Produktion zu investieren. Deutschland tut das ja im Moment, der Anteil der Entwicklungshilfe, die in die Landwirtschaft geht, wird erhöht. Das ist das eine. Das Zweite ist, dass dringend über Subventionen nachgedacht werden muss. In Europa geht etwa die Hälfte der Mittel der Europäischen Union, 41 Prozent, nicht ganz die Hälfte geht in Subventionen in die Landwirtschaft, und das führt eben dazu, dass die Preise nicht gerecht sind. Dann, wenn es gerechte Preise auf dem Markt gäbe, wenn jeder eine Möglichkeit hätte, am Markt teilzunehmen, wäre die Situation auch schon etwas verbessert.

Pindur: Also es ist eine ganze Menge, was die Industriestaaten, die entwickelten Länder tun können. Was könnte denn in den weniger entwickelten Staaten und in den Schwellenländern passieren?

Dieckmann: Ja, also da muss ... in die Landwirtschaft müssen mehr Kenntnisse gesetzt werden, es müssen Flächen zur Verfügung gestellt werden, es muss Wasser, Brunnen gebaut werden, was ja auch in den Projekten getan wird, denn auch das ist immer ein Zugang zur Landwirtschaft, dass genügend Wasser da ist. Sehr häufig muss die Qualität der Produkte verbessert werden, auch das kann eine Ursache sein, dass Produkte nicht Weltmarktqualität haben. Aber das werden die Menschen in vielen Ländern nicht alleine machen können. Das können sie nur mit ihren Regierungen, mit guter Regierungsführung, und sie brauchen aber im Moment eben auch noch finanzielle Unterstützung aus den Industriestaaten.

Pindur: Frau Dieckmann, vielen Dank für das Gespräch!

Dieckmann: Vielen Dank!

Pindur: Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe.
Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe
Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe© Deutsche Welthungerhilfe