Weltenfern, esoterisch und elitär

Von Ulrich Fischer · 18.02.2011
Virginia Woolf hat Weltliteratur geschrieben. Ihr letzter experimenteller Roman "The Waves" erschien 1931. Die britische Regisseurin Katie Mitchell inszenierte diesen für das Schauspiel in Köln.
Katie Mitchell arbeitet auf der Leitungsebene im Flaggschiff der britischen Bühnen mit, dem Royal National Theatre in London. Sie ist zuständig für Neuerungen und hat sich als Avantgarderegisseurin einen Namen gemacht. Mehrmals schon hat sie auf dem Kontinent inszeniert, auch in Deutschland. Virginia Woolf hat Weltliteratur geschrieben und zählte Anfang des 20. Jahrhunderts zur literarischen Avantgarde. Ihr letzter experimenteller Roman "The Waves" erschien 193. Die britische Regisseurin Katie Mitchell inszenierte diesen für das Schauspiel in Köln.

In Köln hatte Katie Mitchell mit Erfolg mit dem "Wunschkonzert" von Franz Xaver Kroetz, die Aufführung wurde nach Berlin eingeladen, zum Theatertreffen.

Große Resonanz hatte die britische Regisseurin in der angelsächsischen Welt mit "The Waves", "Die Wellen". Mitchell hat mit ihrem Londoner Ensemble diesen experimentellen Roman von Virginia Woolf für die Bühne bearbeitet. Die Theaterfrau und die Autorin haben ein gemeinsames Interesse: die Überschreitung von Gattungsgrenzen. Virginia Woolfs Roman enthält mit inneren Monologen dramatische Elemente, Katie Mitchell setzt auf narratives Theater und nähert sich so der Romanform - die Autorin und die Theaterfrau kommen sich also entgegen, nähern sich.

Jetzt hat das Kölner Schauspiel Katie Mitchell beauftragt, Virginia Woolfs "Wellen" mit deutschen Schauspielern auf die Bühne zu bringen. Die britische Regisseurin übernimmt in ihrer Bühnenbearbeitung Hauptelemente des Romans: allerdings treten auf der Bühne acht statt wie im Roman sechs Figuren auf, vier Damen, vier Herren. Im Lauf eines Tages erzählen sie aus ihrem Leben: am Morgen von der Kindheit, am Mittag von der Universität, von der Jugend, am Abend von Alter und Tod - der Tageslauf wird symbolisch gedeutet als Lauf des Lebens.

Zwar wird der Text gekürzt, doch werden die ungestrichenen Passagen wortwörtlich übernommen - viele Monologe klingen lyrisch und dringen oft ins bislang noch nie gesagte, hermetische vor. Es ist schwer bis unmöglich, einige Monologpassagen als Beschreibungen der äußeren Welt zu verstehen. Virginia Woolf versucht, der inneren Realität des menschlichen Bewusstseins gerecht zu werden, dieses Ziel übernimmt Katie Mitchell. Ihre Bühnenanordnung ist komplex.

Die Szene erinnert an ein Hörspielstudio. Im Zentrum steht ein langer Tisch mit mehreren Mikrophonen, links und rechts Regale mit Vorrichtungen von Tonmeistern, um Klangkulissen zu erzeugen. Wichtiger ist eine Leinwand auf halber Höhe in der Bühnenmitte, auf die Videoeinspielungen projiziert werden. Einige sind vorproduziert, andere werden von Kameras, die auf der Bühne bewegt werden, eingefangen, die Projektion vergrößert Details stark: eine Hand, ein Mund, Augen. Dieses Verfahren folgt Virginia Woolfs literarischer Vorgabe, subjektiv bedeutsame Momente intensiven Erlebens aus der Vielfalt alltäglicher Wahrnehmungen entschieden herauszuheben.

Die Fülle der gleichzeitigen Erscheinungen macht es dem Zuschauer schwer, sich zu orientieren. Vieles wirkt rätselhaft. Auch die Sprache bietet wenig Anhaltspunkte, der Klang der Worte scheint wichtiger als ihr Sinn, ihr Gehalt. Die Schauspieler haben verschiedene Aufgaben. Birgit Walter zum Beispiel spielt Rhoda. Wenn ihr Gesicht vergrößert wird, sehen wir sie als große Dame einmal mit dem üblichen strahlenden aber maskenhaften Lächeln für gesellschaftliche Ereignisse, dann wieder tritt unverhohlen fast schon panische Angst in ihre Züge. Später spricht Birgit Walter den Text anderer Figuren, während die vor der Kamera stehen – oder sie erzeugt Geräusche. Musik wird eingespielt und gibt Hinweise auf die Zeit, zum Beispiel die zwanziger Jahre.

Der Gesamteindruck von Katie Mitchells Inszenierung ist zutiefst melancholisch, ganz anders als bei Virginia Woolf. Während im Roman der Tod keinen Schrecken bietet, weil ein neues, entgrenztes Leben entsteht, wenn wir unsere alte, individuelle sterbliche Hülle abschütteln, schildert Katie Mitchell den Tod als finale Katastrophe – die Schatten werden länger, schließlich erlischt das Licht.

Obwohl sich die Inszenierung virtuos und sicher mit neuen, originellen, vor allem antiilusionistischen Mitteln Virginia Woolfs Roman nähert, wirkt sie doch anfechtbar. Der Blick aufs Innere, aufs Existenzielle erscheint fast frivol, wenn Ungerechtigkeit, Armut und Krieg die äußere Realität so Vieler bestimmen. Bei allem Respekt vor dem Experiment und einer großartigen, engagierten, in sich geschlossenen Leistung des Ensembles und der Technik bleiben Einwände: "Die Wellen" wirken über weite Strecken esoterisch, elitär und weltenfern. Eingebettet in den von harten realistischen Inszenierungen dominierten Kölner Spielplan indes bildet Katie Mitchell mit ihrer "Wellen"-Inszenierung einen reizvollen Kontrast.