Weihnachten feiern wir die "Liebe Gottes"

Nikolaus Schneider im Gespräch mit Ute Welty · 24.12.2010
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, fürchtet, dass der Konsum den Kern des Weihnachtsfestes überdecken könnte. Die Kirche wolle zwar den Spaß am Shoppen nicht verderben, aber: "Es ist immer eine Frage des Maßes."
Ute Welty: Die letzten Dinge einkaufen, noch schnell den Baum schmücken, das Festessen vorbereiten – bei nicht wenigen von Ihnen wird schon jetzt um eben 7:49 Uhr die Hektik ausgebrochen sein, zumal wenn Sie arbeiten müssen. Und zu diesem Teil der Bevölkerung gehört auch Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Guten Morgen!

Nikolaus Schneider: Schönen guten Morgen, Frau Welty! Sie haben noch was Wichtiges vergessen: Schneeschieben!

Welty: Ja, ja, das auch! Das steht also auf Ihrem Terminkalender, aber vor allen Dingen steht die Predigt heute Abend da, Ihre erste an Weihnachten als Ratsvorsitzender. Wie bereiten Sie sich im Laufe des Tages noch darauf vor zwischen all den weltlichen Bedürfnissen, die man ja auch als Kirchenmann erfüllen will und erfüllen muss?

Schneider: Ja das ist auch eine Frage der Planung. Über diese Predigt habe ich schon vor anderthalb Wochen angefangen nachzudenken …

Welty: … erst?

Schneider: … und die ist seit einigen Tagen auch schon fertig.

Welty: Aber Sie haben erst vor anderthalb Wochen darüber angefangen nachzudenken?

Schneider: Ganz gezielt und in Auseinandersetzung mit dem Text, ja. Ich muss ziemlich nah auch emotional dran sein, sonst fällt mir auch nichts Richtiges ein.

Welty: Sie haben ja schon gesagt, dass Sie an dem Geschäft mit Weihnachten nervt, dass es immer früher beginnt. Hat das auch was mit Ihrem Lebensgefühl zu tun, zu sagen, ich möchte nah dran sein emotional?

Schneider: Ja also, ich meine, wir schleifen so alles ab, dass es immer sozusagen eine gleiche Zeit ist und das Zeitempfinden sich danach bestimmt, ob wir gerade Ruhe haben oder einkaufen können. Und ich finde, man muss die Jahreszeiten auch mitgehen und man muss die Jahreszeiten auch empfinden und man muss sie auch von dem Kirchenjahr her empfinden. Also wenn die dunkle Zeit dran ist und wir über Tod und Sterben nachdenken, dann soll man das nicht zudecken dadurch, dass wir also schon auf den Weihnachtsmarkt gehen – so schön der Weihnachtsmarkt ist! Und wenn die Adventszeit kommt, also auch die innere Vorbereitung, die Freude auf das Weihnachtsfest, dann sollen wir das genießen. Aber dieser Rhythmus ist ganz wichtig. Und wenn das immer das Gleiche ist, nämlich zur Hauptsache, wir kriegen sozusagen alle Verpflichtungen hin und wir kriegen das Einkaufen hin, das nimmt uns ganz viel auch an innerer Dynamik und an innerer Freude an der Zeit, an der Familie und auch an dem Leben.

Welty: Wenn Sie Ihre Bedenken vortragen, inwieweit begibt sich die Kirche dann auch in die Gefahr, Spielverderber zu sein, alles madig zu machen? – Soll doch im September Stollen essen, wer will!

Schneider: Ja also, wir wollen nichts madig machen. Deshalb sage ich auch, ich rede nicht schlecht übers Einkaufen und ich rede auch nicht schlecht über Geschenke. Es ist immer eine Frage des Maßes. Natürlich kann jeder das halten, wie er möchte. Aber wir machen einfach darauf aufmerksam, dass wir eine Menge verlieren, wenn wir alles immer gleich machen. Das ist der Punkt.

Welty: Weihnachten ist Geburtstag der Hoffnung, in diesem Sinne ist auch Ihre Predigt heute Abend überschrieben.

Schneider: Ja.

Welty: Welche Qualität von Weihnachten möchten Sie gern mehr in den Mittelpunkt rücken?

Schneider: Ich möchte mehr in den Mittelpunkt rücken, dass wir uns auf den Sinn dieses Festes besinnen. Dann wird nämlich deutlich, es ist was Ungeheures, was wir an Weihnachten feiern, dass Gott Mensch geworden ist. Also die Zuwendung, die Liebe Gottes zu uns Menschen wird deutlich in einem kleinen Kind, ein wunderschönes Symbol. Man muss schon wirklich krank sein, wenn man bei dem Anblick eines kleinen Kindes nicht Gefühle der Liebe gleich empfindet. Das durchströmt einen ja, und kleine Kinder wollen wir anfassen und herzen.

Und ich denke – das ist jetzt kühn interpretiert von mir –, aber ich denke man kann schon sagen, Gott wurde Mensch gerade in so einem kleinen Kind, damit bei uns Liebe wachgerufen wird und uns noch mal deutlich gemacht wird: Das Wichtigste, was wir im Leben haben, sind die Beziehungen zu anderen Menschen, und ist die Beziehung zu Gott. Davon leben wir eigentlich. Das macht unser Leben warm und das gibt unserem Leben einen Sinn, und das lässt uns überhaupt leben.

Denn ohne Liebe kommt kein Mensch auf die Welt, und die armen Menschen, die ohne Liebe aus der Welt gehen müssen. Also das wird an Weihnachten ganz wichtig, diese große Kraft des Festes, die möchte ich stark machen. Und dann ist es natürlich auch schön, wenn man in der Familie zusammenkommt, schön isst, miteinander singt und sich auch beschenkt. Das ist auch wunderbar, aber das ist sozusagen der menschliche Abglanz dieser großen Liebe, die in die Welt gekommen ist.

Welty: Die große Kraft des Festes stark machen – Sie stoßen auf erheblichen Widerstand, nämlich auf die Tatsache, dass Geld am Ende doch die Welt regiert, dass Geld über die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entscheidet.

Schneider: Ja, das ist so, dass Geld die Welt regiert und dass man ohne Geld am gesellschaftlichen Leben nur schwer teilhaben kann. Deshalb gibt es ja bei uns auch die Grundsicherung. Aber trotzdem bleibt der Satz richtig: Sie können …, Geldscheine können Sie nicht herzen. Und Sie können sich am Ende Liebe auch nicht kaufen. Und wenn es wirklich darauf ankommt – diese Erfahrung haben Menschen ja in Notsituationen auch immer gemacht –, dann entscheidet sich da, dann sortiert es sich da nach denen, die wirklich liebes- und beziehungsfähig sind, und die sind dann ein Segen für die Menschen und für die Welt. Und diejenigen, die ganz innerlich verhärtet sind, die werden für sich und für andere zur Last.

Also wenn es wirklich darauf ankommt, sortiert es sich schon nach den Beziehungen und nach den Fähigkeiten, die wir haben, auch Liebe zu leben und Liebe weiterzugeben und Liebe zu empfangen. Dann spielt das Geld überhaupt keine Rolle mehr. Aber für den Normalbetrieb ist es schon so, dass wir mit dem Geld so umgehen müssen, dass es dieser Liebe nicht im Wege steht, sondern dass es diese Liebe befördert und diese Liebe möglich macht.

Welty: Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Schneider: Bitte schön, Frau Welty!