Wegweiser zur digitalen Mündigkeit

10.05.2011
Es ist an der Zeit, das eigene digitale Schicksal wieder selbst in die Hand zu nehmen, finden die Experten für Informationssicherheit, Constanze Kurz und Frank Rieger. Sachkundig und verständlich erklären sie, wie aus dem Strom scheinbar harmloser Daten, die wir tagtäglich im Netz hinterlassen, geldwerte Informationen geschöpft werden.
Egal wo wir uns bewegen, ob virtuell im Netz oder auf der Straße, wir hinterlassen Datenspuren. Wo diese Daten abfallen und wer von ihnen profitiert, das durchleuchten Constanze Kurz und Frank Rieger vom Chaos Computer Club in ihrer aktuellen Bestandsaufnahme "Die Datenfresser".

Kein kostenloser Dienst im Internet ist aus reiner Menschenfreundlichkeit kostenlos. Wir bezahlen die Nutzung von Google, Bing, Facebook oder StudiVZ mit unseren Daten. Jede Frage, die wir bei Google eingeben, ist für den Konzern zugleich eine Antwort darauf, was wir wollen. Jede Mail, die über Googles E-Maildienst Gmail läuft, wird automatisch nach werberelevanten Stichworten (und wer weiß, wonach sonst noch) durchsucht. Jedes Profil auf Facebook verrät Details aus dem Leben einer namentlich bekannten Person und ihres Umfelds. Jedes Handy ist eine Ortungswanze, die unseren Standort preisgeben kann, ohne dass wir es mitkriegen. Und auf jeder Kamera im öffentlichen Raum könnten wir bald automatisch zu identifizieren sein.

Facebook, ein Unternehmen das nichts produziert, soll mittlerweile 65 Milliarden Dollar wert sein. Dieser Wert errechnet sich allein aus den Daten, über die es verfügt. Die Informationen über unsere Vorlieben und Gewohnheiten sind vielen Firmen bares Geld wert. Auch Google erhält über 90 Prozent seiner Einnahmen für das Schalten zielgerichteter Werbung. Wie diese "Monetarisierung von Nutzerdaten" typischerweise funktioniert, wird von Constanze Kurz und Frank Rieger erhellend an einer fiktiven Geschichte über den Aufbau eines neuen Webportals gezeigt, von seiner Entstehung bis zum Ausverkauf.

Auch Staaten haben im Namen der Sicherheit ein Interesse an Informationen über uns. Hinter der Diskussion um Vorratsdatenspeicherung werden solche Begehrlichkeiten hierzulande sichtbar. Eindringlich und verständlich machen die Autoren auf Zusammenhänge aufmerksam, die noch kaum in das Bewusstsein der meisten Nutzer gesickert sind. Ein Jammer, dass ihr Buch völlig ohne Quellenapparat daher kommt. Die fehlenden Belege rücken deshalb so manche Aussage in die Nähe von Verschwörungstheorien.

Das Buch möchte ein Wegweiser zur digitalen Mündigkeit sein. Aber den Weg dorthin beleuchtet es nur sparsam. Technische Maßnahmen, die die Datensammelwut wenigstens teilweise erschweren, finden sich kaum, obwohl es sie gibt (zum Beispiel Cookies im Browser deaktivieren, solange sie nicht nötig sind, Suchen über Scroogle statt Google, Anonymisierdienste wie Tor oder JAP benutzen). Dafür ermutigen die Autoren uns, Pseudonyme zu verwenden und falsche Angaben zu machen, wo immer es vertretbar ist!
"Die Datenfresser" gibt einen überwiegend besonnenen Einblick über die heutigen und kommenden Möglichkeiten der Datensammler, der die Frage aufwirft, wie wir in Zukunft leben wollen: als Datenexhibitionisten oder als Privatleute, für die das Recht auf Privatheit auch den Schutz vor Kontrollgelüsten und fremden Interessen bedeutet - und damit einen Teil unserer Menschenwürde sichert.

Besprochen von Gerrit Stratmann

Constanze Kurz/ Frank Rieger: "Die Datenfresser. Wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011
272 Seiten, 16,95 Euro
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