Wege aus der Armut

Indonesien setzt verstärkt auf Bildung

Der indonesische Schriftsteller, Andrea Hirata, aufgenommen am 15.03.2013 in Leipzig (Sachsen) auf der Buchmesse.
Hat seine Schulzeit in seinem bekanntesten Buch verarbeitet: Der indonesische Schriftsteller, Andrea Hirata © picture alliance / dpa / Marc Tirl
Von Udo Schmidt · 12.10.2015
Das Partnerland der Frankfurter Buchmesse ist Indonesien und der große Literatur-Star Indonesiens ist Andrea Hirata. Durch seinen Weg aus einem Dorf und einer Landschule auf die große Litaraturbühne ist er für viele das große Beispiel: Raus aus der Armut durch Bildung.
Die kleine indonesische Insel Belitung liegt zwischen Sumatra und Borneo. Jahrzehntelang wurde auf Belitung vor allem Zinn abgebaut, bekannt geworden ist die Insel aber durch die Romane des Schriftstellers Andrea Hirata. Er ist auf Belitung aufgewachsen, als Kind armer, malaiisch-stämmiger Eltern, und hat seine Schulzeit in seinem bekanntesten Buch "Die Regenbogentruppe" verarbeitet. Andrea Hirata ist in Gantung geboren, dort ging er zur Schule, dort hat er seine Jugend verbracht.
Etwas außerhalb dieses kleinen Städtchens Gantung steht eine Holzscheune.
Dutzende Frauen drängen sich vor der Warenausgabe. Eine Stunde lang wird hier Petroleum verkauft, das immer noch viele Menschen auf Belitung brauchen, zum Kochen, um abends Licht haben – zum Lesen also auch. Asna hat ihre Ration Petroleum bereits erhalten, sie ruht sich noch kurz aus, bevor es den weiten Weg zurück geht zu ihrem kleinen Haus. 3.300 Rupien kostet ein Liter Petroleum, umgerechnet etwa zwanzig Eurocent. Einmal im Monat kommt Asna hierher, in ihrem Ort würde das Petroleum ein paar Tausend Rupien mehr kosten.
"Ich bin eigentlich Hausfrau, aber mehrmals im Monat fahre ich auch über die Insel und verkaufe in den Dörfern einfache Kleidung."
Die 47-jährige nimmt ihre Petroleumflaschen und befestigt sie am Fahrrad. Ja, sagt sie noch, natürlich kenne sie Andrea Hirata – sie habe von ihm gehört, sein Buch allerdings habe sie nicht gelesen.

Dieser Andrea Hirata ist ein lustiger Kerl. Er lacht viel, erzählt gern und ist bescheiden geblieben trotz Millionenauflagen in vielen Ländern und trotz der Verfilmung seines Bestsellers "Die Regenbogen-Truppe", die ihn weit über seine Heimat Indonesien hinaus berühmt gemacht hat:
"Die Regenbogentruppe baut auf wahren Begebenheiten auf und orientiert sich an realen Personen. Man kann sagen: 'Der Roman ist autobiografisch, er erzählt die Geschichte meiner Kindheit.'"
Die Regenbogen-Truppe - das ist die Geschichte der kleinen Dorfschule auf der Insel Belitung, in der Andrea Hirata seine Kindheit und Jugend zugebracht hat und der er vieles verdankt: "Mein Roman ist ein politisches Buch, weil es den politischen Willen schildert, die Menschen zu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen, ihr Leben zu verbessern. Darum geht es in meinem Roman."
Die Dorfschule - für viele der einzige Zugang zu Bildung
Die islamische Dorfschule, Muhammadiyah genannt, war und ist für den armen, malaiischen Teil der Bevölkerung Belitungs der einzige Zugang zu wenigstens etwas Bildung. Mit viel Gefühl beschreibt Hirata das Leben und die Fortschritte der kleinen elfköpfigen Klasse – und auch ihr Scheitern: "Manches, was damals geschehen ist, war viel schlimmer als das, was ich jetzt erzählt habe. Ich wollte ein optimistisches Buch schreiben, bei dem die Leser sich wohlfühlen."
Und er setzt mit dem leicht zu lesenden, manchmal etwas zu märchenhaften Buch seiner damals jungen Lehrerin Bu Mus ein Denkmal, die über Jahre für den Erhalt der Muhammadiyah gekämpft hat.
"Ich wollte mit dem Buch meinen Dank für meine Lehrerin ausdrücken. Es war eigentlich gar nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Ich habe ihr damals in der fünften Klasse versprochen, dass ich ihr ein Buch widmen werde."
Bildung ist der einzige Weg aus der Armut, das ist die Botschaft, die Andrea Hirata in all seinen Büchern bereit hält. Der 39-jährige selber hat es geschafft, die Armut hinter sich zu lassen und über ein Studium und einen Job in der Telekommunikationsbranche zum bekanntesten und erfolgreichsten Schriftsteller des Landes zu werden. Seine Freunde von damals, die Regenbogen-Truppe, seien alle noch auf ihrer Heimatinsel, sagt Andrea Hirata:
"Die Freunde meiner Kindheit leben wie alle im Dorf, als Bauern oder Fischer, sie haben Familie und sind vielleicht glücklicher, als ich es bin."
Belitung in den frühen 80er Jahren war geprägt von der Zinnförderung, die ganze Insel wurde nach Zinn umgegraben. Die einen gruben und verdienten wenig, die anderen lebten in Palästen – auch davon, von der Ungerechtigkeit Indonesiens unter Diktator Suharto, erzählt der Roman:
"Es geht um gemeinsame Verantwortung, um politische Mitbestimmung, um Gleichheit."
Andrea Hirata ist großer Anhänger des vor einem Jahr gewählten Präsidenten Joko Widodo, der viele Erwartungen weckte – und viele in den vergangenen zwölf Monaten enttäuschte:
"Ich glaube an ihn und ich bin optimistisch. Verglichen mit den frühen 80ern, also der Zeit, zu der das Buch spielt, hat sich vieles verbessert. Es gibt mehr Lehrer, mehr Geld für Bildung. Es gibt Fortschritt, aber ich warte noch auf den wirklichen Durchbruch." - Er sagt es, lacht – und verschwindet – in Richtung Buchmesse. Er freue sich, seine deutschen Leser zu treffen, ruft Andrea Hirata noch über die Schulter.
Sukino spielt auf einem selbstgebauten Instrument, einer Art Mandoline. Er sitzt in Sichtweite der Muhammadiya, der Dorfschule von Gantung. Mit Musik und Malerei hat der 48-jährige in den vergangenen Jahren viel verdient, seit Touristen auf die Insel Belitung kommen, die Leser und Fans Andrea Hiratas, die sich die wiederaufgebaute Dorfschule anschauen wollen, in der die Regenbogen-Truppe von der Lehrerin Bu Mus auf das Leben vorbereitet wurde.
Der Roman erschien in vielen Sprachen und wurde verfilmt, seitdem lebt Gantung, Andreas Heimatort, gut von und mit dem Ruhm seines berühmten Sohnes, sagt Sukino: "Als der Film in den Kinos lief, ging es schnell, nicht nur wegen der Geschichte, sondern auch wegen der schönen Bilder. Die Menschen haben gemerkt, wie schön Belitung ist."
Der Roman "Die Regenbogentruppe" spielt zur Zeit der Diktatur Suhartos, damals, als viele durch das Zinn reich wurden, nur nicht die Arbeiter in den Minen. Jetzt sei der Tourismus, ausgelöst durch Buch und Film, eine neue Hoffnung, zumal die Minen mittlerweile stillgelegt sind, sagt Sukino: "Das Einkommen war immer abhängig vom Zinn, und als das Millionengeschäft eingestellt wurde, haben alle ihre Jobs verloren. Man konnte damals mit zwölf Jahren anfangen zu arbeiten und Geld verdienen, das geht jetzt nicht mehr. Ich hoffe, jetzt können wir alle unser Geld mit dem Tourismus machen."
Gleich nebenan steht auf einer Sanddüne, wie gemalt, die windschiefe Muhammadiayh, die Dorfschule Andrea Hiratas. Die Tische und Stühle der Schüler sind wie früher in zwei Räumen angeordnet, durch Ritzen in den Holzwänden pfeift der Wind, an den Wänden hängen Präsidentenportraits – wer ‚Die Regenbogentruppe' gelesen hat, fühlt sich hier direkt in das Buch oder den Film hinein versetzt.
Der Armut entronnen
Aswan lebt in Gantung, fährt Taxi und kennt die alte Schule gut: "Ursprünglich stand die Schule ein paar hundert Meter entfernt, dort ist jetzt aber neu gebaut worden, deswegen hat Andrea das Gebäude hierher versetzen lassen. Es ist alles noch original, nur nicht mehr am alten Platz."
Andrea Hirata lebt zwar noch hin und wieder auf Belitung, aber der Armut ist er entronnen – erst durch ein Studium, schließlich durch die Schriftstellerei. Die Geschichte der Dorfschule, die Geschichte der wissenshungrigen bitterarmen Schüler habe er aber nur erzählen können, sagt der 39-jährige, weil er selber aus diesen Verhältnissen stamme: "Die Gedanken armer Menschen können nur arme Menschen verstehen. Beispielsweise dieses Gefühl, im Fernsehen Dinge zu sehen, die man nie im Leben erreichen wird."
Vom Leben in Gantung auf Belitung, von der Hoffnung, die durch Bildung entsteht, kündet auch Andrea Hiratas Museum, das erste Literaturmuseum Indonesiens – so steht es außen an der Mauer. Sendy leitet das kleine Museum, eine Sammlung aus Fotos, Alltagsgegenständen, Texten: "Das Museum enthält viele Erinnerungen an die Zeit, als Andrea hier zur Schule ging, aber es gibt auch Räume für Unterricht etwa oder ein Cafe. Kaffee trinken ist ein Teil der malaiischen Kultur hier. Man hat eine kleine Tasse Kaffee vor sich und erzählt stundenlang Geschichten. Andrea Hirata ist so gesehen ein echter Malaie, ein Geschichtenerzähler."
Andrea Hirata erzählt weiter Geschichten vom Leben auf Belitung, so auch in seinem Buch ‚Der Träumer'. Immer wieder geht es um die eine Grundweisheit:
Nur mit Bildung kann man den Teufelskreis der Armut durchbrechen. Vielen Menschen auf Belitung ist das bisher nicht gelungen. In ganz Indonesien stehen die Themen Chancengleichheit, gleiches Recht auf Bildung, Kampf gegen Armut ganz oben auf der politischen Agenda. Mit diesen Themen ist auch Joko Widodo angetreten, seit einem Jahr Präsident des Riesen-Inselreiches, vorher Gouverneur von Jakarta, der politikerfahren ist, sich aber schwer tut mit der Führung dieses Landes mit seinen 250 Millionen Einwohnern.
Siebzig Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit schwächelt Indonesiens Wirtschaft und der eigentlich charismatische Präsident Joko Widodo schwächelt ebenfalls. Um 4,7 Prozent ist die Wirtschaft im zweiten Quartal dieses Jahres nur gewachsen, der schlechteste Wert seit 2009. Joko Widodo reagierte mit einer Kabinettsumbildung, neuer Wirtschaftsminister wurde der frühere Chef der Indonesischen Nationalbank, Darmin Nasution, weitere Schlüsselministerien wurden umgebaut. Das kann jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass Jokowi, wie er von seinen Anhängern genannt wird, bei Amtsantritt extrem hohe Erwartungen geweckt hat und entsprechend tief fallen kann.
Joko Widodo kurz vor der Einführung ins Präsidentenamt im vergangenen Oktober: "Ich werde sofort anfangen zu arbeiten, um den Menschen zu zeigen, dass unser Programm greift. Priorität haben der Bildungssektor und die Krankenversorgung. Die indonesische Gesundheitskarte, die ich versprochen habe, werden wir innerhalb von drei Monaten verteilen. Dann können alle sehen, dass es der neue Präsident ernst meint."
Die Gesundheitskarte ist inzwischen in Teilen eingeführt, ansonsten aber bemerken die Menschen im größten muslimischen Land der Welt eher Nachteiliges. Jokowi tritt überraschend protektionistisch auf, um indonesische Arbeitsplätze zu schützen. Die Folge sind jedoch Preissteigerungen in vielen Bereichen. Und auch sein gleich nach der Amtseinführung umgesetztes Wahlverspechen, die Benzinpreis-Subventionierung zu stoppen - eine grundsätzlich sinnvolle Maßnahme - führt für die Mopedfahrer in Jakarta erst einmal zu steigenden Preisen an der Zapfsäule. Jayadi Hanan, Politikwissenschaftler an der Universität von Jakarta: "Ökonomisch gesehen ist die Subventionierung von Benzin völlig falsch, am Ende auch nicht gut für die Menschen, weil das Geld an anderer Stelle fehlt. Aber wo es fehlt, und wofür es nun genutzt werden soll, dass muss Jokowi genau erklären, und er muss seinen Wählern zeigen, dass es sein Ziel bleibt, ihre Situation zu verbessern."
Langfristiges Ziel des neuen Präsidenten ist es und muss es sein, die Korruption zu bekämpfen und die Infrastruktur des riesigen Landes auszubauen. Sie gilt derzeit als Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung.
Hasto Kristanto ist stellvertretender Generalsekretär der regierenden Partei des Kampfes, er steckt voller Pläne: "Zuerst müssen wir die Stromversorgung ausbauen und sie absichern mit neuen Kraftwerken, dann werden wir sehen ,dass wir mehr Bahnverbindungen zweigleisig ausbauen, etwa zum Hafen von Surabaya, damit der Transport von der Straße auf die Schiene kommt."
Bis heute keine breite Diskussion über die Suharto-Zeit
Das aber ist ein langfristiges Ziel. Verbesserungen wird der Bürger in naher Zukunft nicht bemerken, und wie schwer es überhaupt mit der Modernisierung der Infrastruktur wird, sieht man schon daran, dass es seit zwanzig Jahren nicht gelingt, in der Hauptstadt Jakarta auch nur eine einzige U-Bahn-Linie zu bauen. Ähnlich sieht es im Bereich Bildung aus. Jokowi hat viel angekündigt, neue Lehrerstellen, eine bessere Schulinfrastruktur – aber die Umsetzung nimmt Zeit in Anspruch und die Geduld derer, die schon lange auf Verbesserungen warten, ist nun, da die Erwartungen an diesen Präsidenten so hoch sind, begrenzt.
Laksmi Pamuntjak ist als Kind wohlhabender, eigentlich reicher Eltern aufgewachsen. Sie hätte Konzertpianistin werden sollen, entschied sich aber für die Schriftstellerei. Und Laksmi, jetzt Anfang 40 und selber Mutter, schreibt über eine Zeit, die sie persönlich nie erlebt hat: über die Jagd auf Kommunisten im Indonesien des Jahres 1965, mit der der Unabhängigkeitsheld des Landes, Sukarno kaltgestellt wurde, die den Diktator Suharto an die Macht brachte und die hunderttausende Indonesier das Leben kostete. Laksmi Pamuntjak: "Ich mag es überhaupt nicht, wenn es nur eine Sicht auf die Geschichte gibt. Die offizielle indonesische Politik der Neuen Ordnung hat ganz einfach den Kommunismus zum Teufelswerk erklärt, für das es in Indonesien keinen Platz geben darf. Das führt zwangsläufig zu der Frage, ob dies die einzig mögliche Deutung der Ereignisse von 1965 ist."
Erst nach dem Ende der Suharto Diktatur 1998 konnte überhaupt über die Massaker ab Oktober 1965 gesprochen werden – aber kaum einer im Jahrzehnte von Unterdrückung gekennzeichneten Indonesien hatte gelernt, seine Meinung offen zu äußern. Nur langsam bildeten sich Organisationen für die Überlebenden der massenhaften Verfolgungen. Eine breite gesellschaftliche Diskussion hat aber bis heute nicht stattgefunden.
"Alle Farben Rot" heißt der Roman von Laksmi Pamuntjak, der gerade erschienen ist und der die Ereignisse von 1965 im Stil eines Familienepos nachzeichnet: "Ich will nicht die Geschichte korrigieren, ich will auch nicht festlegen, was richtig oder was falsch ist. Ich will nur darauf hinweisen, dass Intoleranz in jeder Kultur und in jedem Land möglich ist, und dass es sehr wahrscheinlich ist, dass daraus am Ende Zwang und Gewalt werden."
Ein kleines Haus in einer Seitenstraße der Innenstadt Jakartas. Ein Schild am Eingang verrät, dass hier Gerwani, die Frauenbewegung Indonesiens, eine Unterkunft für alte Menschen unterhält. Die sechs Alten, die hier leben, sind Opfer der Kommunistenverfolgung von 1965, sie alle haben Jahre im Gefängnis gesessen, während der Diktatur Suhartos bis 1998. Auch danach wurde ihr Leben nie mehr wie früher.
Sri Sroepaptri ist 86 Jahre alt, neun Jahre hat sie hinter Gittern verbracht, ohne Anklage, ohne jemals zu erfahren, was gegen sie vorliegt. Der einzige Grund, den sie vermuten konnte: ihr Mann wurde verfolgt als Mitglied der KPI, der Kommunistischen Partei Indonesiens, Sri wurde in Sippenhaft genommen. Alles begann mit der Verwüstung ihres Hauses, erinnert sich die alte Dame: "Ich kam vom Einkaufen zurück und alles war zerstört, das Haus kaputt, meine Familienmitglieder verschwunden, wahrscheinlich verschleppt."
Am 30. September 1965 waren mehrere Armeegeneräle ermordet morden, das Militär beschuldigte die Kommunistische Partei, für den Überfall verantwortlich zu sein, und begann am 1.Oktober die gnadenlose Verfolgung aller sogenannten Kommunisten.
Hilmar Farid ist Historiker in Jakarta und hat sich jahrelang mit diesem dunklen Kapitel indonesischer Geschichte beschäftigt: "Das ist ein Teil unserer jüngeren Geschichte, aber kaum einer weiß etwas davon, obwohl die Opfer dieser Verfolgung noch unter uns sind, sogar eine große Zahl. Das ist das schlimme, wir leben damit, aber keiner spricht oder schreibt darüber."
Sri Sroepaptri flüchtet 1965 mit ihren Kindern in ein Waldstück bei Medan auf Sumatra, dort hält sie sich wochenlang versteckt, bis ihr die Lebensmittel ausgehen. Ein Jahr später wird sie schließlich zusammen mit ihren Kindern verhaftet: "Meine Kinder, 7 und 9 Jahre alt, mussten mit mir ins Gefängnis, wir waren als eine Art Pfand für meinen gesuchten Ehemann hinter Gittern, aber genau wurde das nicht erklärt. Und als sie meinen Mann festgenommen hatten, blieben wir trotzdem in unserer Zelle."
Neun Jahre Gefängnis, weil der Unabhängigkeitsheld und langjährige Präsident Sukarno zu unabhängig geworden war. In Zeiten des Kalten Krieges war die Bewegung der Blockfreien, die Sukarno mit ins Leben gerufen hatte, für die westlichen Staaten eine Kampfansage.
"Es war mitten im kalten Krieg, die indonesische Armee wurde unterstützt und ohne diese Unterstützung hätte die Verfolgung und damit die Opferzahl nicht dieses Ausmaß angenommen." Historiker wie Hilmar Farid sind davon überzeugt, dass die Kommunistenverfolgung in Indonesien, die im Kern ein Putsch gegen den beliebten Präsidenten Sukarno war, mit Billigung und Unterstützung der USA und möglicherweise Großbritanniens stattfand. Unklar bleibt bis heute, wie konkret die Unterstützung war. Waffen, Logistik, oder nur Ideologie? Wer jedenfalls in die Fänge des Sukarno folgenden Diktators Suharto geriet, sah sein Leben zerstört. Bis zu eine Million Menschen wurden ermordet oder sind bis heute verschwunden.
Sri Sroepaptri erfuhr erst nach 1998, nach dem Ende der Diktatur, was mit ihren Eltern geschehen war: "Als ich zurück in unser Dorf kam, erreichten mich nur schlechte Nachrichten. Mein Vater war von mehreren Männern erschossen und in einem Loch verscharrt worden, meine Mutter hatte alles mit angesehen und buchstäblich den Verstand verloren."
Acht Jahre Haft - ohne Anklage
Kommunist und damit verfolgt war man 1965 und in den Jahren danach schnell, es reichte schon, Mitglied in der Lehrergewerkschaft Indonesiens zu sein.
Marzuki ist 80, beim Gespräch trägt er ein T-Shirt mit den Portraits von Joko Widodo und Jussuf Kalla, dem Präsidenten und seinem Stellvertreter. Marzuki erhofft sich Gerechtigkeit von Jokowi. Früher, 1965 und in den Jahren davor war er Gewerkschaftsmitglied, arbeitete viele Jahre in der Verwaltung der Regierung Sukarno. Vierzehn Jahre saß er später in Haft, als angeblicher Kommunist: "Ich wünsche mir, dass Jokowi unsere Ehre wiederherstellt, aber auch dafür sorgt, dass uns Schadenersatz gezahlt wird. Wir alle bekommen doch keine ordentliche Rente."
Viele Jahre seiner Haft verbrachte Marzuki auf der Insel Buru, zusammen mit rund 12.000 anderen Gefangenen. Buru war eine Art Exilinsel, die Häftlinge konnten sich frei bewegen, mussten sich allerdings selbst versorgen und durften die Insel nicht verlassen.
Amarzan Loebis wurde acht Jahre ins sogenannte Exil Pulau Buru verbannt. Der junge Journalist war 1968 verhaftet worden, er hatte für Peoples Daily gearbeitet, die Tageszeitung der Kommunistischen Partei. Er erinnert sich gut an die Zeit auf Buru: "Wir waren dort nicht in Zellen eingesperrt, wir durften uns nur nicht wegbewegen. Wir haben unser eigenes Getreide angebaut, wir haben Fisch gefangen und versucht zu überleben. Wir mussten in großen Baracken leben, es gab wenig Platz und immer zu wenig zu essen."
Acht Jahre saß Amarzan Loebis ohne Anklage auf Buru fest, ohne zu wissen, wie lange die Verbannung dauert.
Laksmi Pamuntjak hat Amarzans Leidensgeschichte auf der Insel Buru in ihrem Buch ‚Alle Farben Rot' ein Denkmal gesetzt, beide haben lange miteinander gesprochen und die Insel Buru 2006 gemeinsam besucht.
Bedjo Untung ist Lehrer, eigentlich Lehramtsstudent, als 1965 praktisch seine ganze Familie verhaftet wird. Später, während seiner Jahre im Gefängnis, hat er dieses Lied immer wieder gespielt, es handelt vom harten Leben auf den Plantagen - unter Diktator Suharto war es eigentlich verboten. Jetzt sitzt Bedjo am etwas verstimmten Klavier in seinem Haus außerhalb Jakartas und spielt es, so oft er mag, so oft ihn die Erinnerung einholt.
"Damals habe ich das alles nicht verstanden. Mein Vater wurde am 1. Oktober festgenommen, außerdem alle meine Onkel, und dann gab es plötzlich die Ankündigung, dass alle Familienmitglieder von Kommunisten nicht zur Schule kommen sollten, sie würden zuerst befragt."
Er sei damals 17 Jahre alt gewesen, sagt Bedjo Untung, und habe von Politik nichts gewusst. Er sei aber natürlich Mitglied der Lehrergewerkschaft gewesen, die Präsident Sukarno unterstützt habe. Sukarno habe schließlich den Kolonialismus besiegt und Indonesien stark gemacht. Sukarno-Unterstützer aber waren zu diesem Zeitpunkt in den Augen des Militärs Linke, und Linke waren Kommunisten und mussten verfolgt werden:
"Ich hörte nach dem 5.Oktober von der Anweisung, dass alle Kommunisten mit ihren Familien ausgelöscht werden sollten. Ich habe dann nur noch draußen, außerhalb des Hauses geschlafen. Unser Haus war mit einem Kreuz gekennzeichnet, auch das der Onkel, das bedeutete, unsere Häuser sollten niedergebrannt werden."
Bedjo taucht eine Zeitlang in Jakarta unter, obwohl er nichts zu verbergen hat, arbeitet dann als Verkäufer und wird schließlich 1970, fünf Jahre nach dem Putsch gegen Sukarno, doch noch festgenommen.
"Ich bin immer wieder vernommen worden, während der Verhöre wurden mir Drähte um die Finger gebunden, die unter Strom gesetzt wurden. Nachts habe ich in meiner überfüllten Zelle die Schreie der Anderen gehört, man hörte, wie Tische unter den Schlägen zerbrachen, es war furchtbar."
Im Gefängnis übrigens beginnt Bedjo, sich erst Gitarre und dann Klavier beizubringen, auf alten oder selbstgebauten Instrumenten:
Bedjo Untung gründet schließlich nach 1998 nach dem Ende der Suharto-Diktatur mit anderen Leidensgenossen eine Organisation, die die Verbrechen der damaligen Zeit aufarbeiten und die Opfer rehabilitieren will.
Die Erwartungen an den jetzigen Präsidenten Joko Widodo sind groß, er soll sich entschuldigen bei den Zehntausenden, die noch immer unter den Folgen der jahrelangen Haft, unter den Folgen der erlittenen Folter leiden.
Geschehen ist das bisher noch nicht.
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